Februar 2012

120207

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Die Delle bei der Windstrom-Erzeugung, die den RWE-Manager Vahrenholt zur vermeintlichen Entdeckung eines grundlegenden Fehlers beim wissenschaftlichen Verständnis des Klimawandels führte, läßt sich auch auf dieser Grafik feststellen: Ab 2008 folgt die Erzeugung (rot) nicht mehr im bisherigen Ausmaß der installierten Leistung (blau) und geht sogar leicht zurück. Im vergangenen Jahr blies der Wind allerdings schon wieder recht kräftig.

Die Grafik veranschaulicht die Gesamtdaten für Deutschland. Bei RWE sah die unternehmensbezogene Situation wahrscheinlich etwas anders aus. Der Konzern hat nämlich größtenteils in ausländische Windkraftanlagen investiert: Von insgesamt 1706 MW WKA-Nennleistung entfallen lediglich 445 MW auf Anlagen im Inland. Die Masse der RWE-Windstromkapazitäten befindet sich in England (466 MW), Spanien (400 MW), den Niederlanden (201 MW), Polen (108 MW) , Italien (50 MW) und Frankreich (36 MW) .

RWE-Manager Vahrenholt entfacht neuen Streit um Klimawandel

Der Vorsitzende der Geschäftsführung von RWE Innogy, Fritz Vahrenholt, hat Anfang Februar ein Buch mit dem Titel "Die kalte Sonne" vorgelegt und damit einen neuen Streit um den Klimawandel entfacht. Mitverfasser ist der Geologe Sebastian Lüning, der beim selben Konzern auf der Gehaltsliste des Öl- und Gasförderer RWE Dea steht. Die beiden Autoren bezweifeln, daß der Klimawandel größtenteils auf die zivilisatorisch bedingte Zunahme an Treibhausgas-Emissionen zurückzuführen sei. Vielmehr sei "mindestens die Hälfte der Erwärmung der letzten vierzig Jahre dem Einfluß der Sonne sowie zyklischen ozeanischen Oszillationen der Weltmeere geschuldet". Inzwischen "schwächele" die Sonne jedoch und zeige "ihre kalte Seite". Aus diesem Grund seien trotz weiter wachsender CO2-Emissionen die Temperaturen seit 13 Jahren nicht mehr angestiegen. Auch in den kommenden Jahrzehnten stehe der Erde keine weitere Erwärmung bevor. Vielmehr sei "unterm Strich in 25 Jahren mit einer leichten globalen Abkühlung um 0,2 bis 0,3 Grad Celsius gegenüber heute zu rechnen".

Vom grünen Idol zum "Klima-Sarrazin": Vahrenholt bei seinem Auftritt in der Phoenix-Sendung "Unter den Linden" am 13. Februar.

Im Diskussionsforum "Unter den Linden" des Fernsehsenders Phoenix sagte Vahrenholt am 13. Februar, er habe bis vor kurzem auch an die überragende Bedeutung des anthropogenen Treibhauseffekts geglaubt. Zu der jetzt vertretenen Ansicht sei er gelangt, nachdem er Chef der neuen Konzerngesellschaft RWE Innogy wurde, in der RWE ab 2008 das gesamte Geschäft mit erneuerbaren Energien bündelte (071114). Der Konzernvorstand habe nämlich von ihm Rechenschaft verlangt, weshalb die Stromerzeugung der Windkraftanlagen nur siebzig Prozent der prognostizierten Werte erreicht habe (siehe Grafik). Bei der Erforschung der Ursachen für das schwächere Windaufkommen habe er von Anfang an einen Zusammenhang mit dem Klimawandel vermutet. Zu seiner Überraschung habe er dann aber festgestellt, daß der anthropogene Treibhauseffekt für das Klima gar keine so große Rolle spiele, wie dies der Weltklimarat IPCC und fast alle mit der Materie befaßten Wissenschaftler bisher annehmen. Diese würden den Klimawandel zu 95 Prozent auf den anthropogenen Treibhauseffekt und nur zu fünf Prozent auf Veränderungen der Sonnenaktivität zurückführen. Tatsächlich gehe aber der Klimawandel mindestens zur Hälfte auf Veränderungen der Sonnenaktivität zurück.

Wegen der inzwischen "schwächelnden" Sonne sei die Situation deshalb bei weitem nicht so dramatisch, wie dies der von der UN eingesetzte Weltklimarat IPCC darstelle. Es stehe somit auch ein erheblich größerer Zeitraum zur Verfügung, um die Energieversorgung auf erneuerbare Quellen umzustellen. Diese Umstellung sei nach wie vor notwendig. Sie müsse aber in einem "neuen Begründungszusammenhang" erfolgen. Bisher werde sie vor allem mit einer angeblich drohenden Klimakatastrophe begründet. Wenn sich dies endgültig als Schwarzmalerei herausstelle, entfalle auch die Legitimation für die Umstellung auf erneuerbare Energien. Man müsse deshalb die Notwendigkeit eines Umbaues der Energieversorgung vor allem damit begründen, daß die fossilen Energieträger Öl und Gas bereits in den nächsten Jahrzehnten erschöpft sein werden und auch Kohle nur noch beschränkt zur Verfügung steht.

Vahrenholt räumte ein, daß alle Klimafaktoren, die er in seinem Buch anführt, Allgemeingut der wissenschaftlichen Diskussion sind und auch in der Langfassung des IPCC-Berichts erwähnt werden. Dazu gehört etwa, daß es auch in vorindustrieller Zeit deutliche Klimaschwankungen gab, wie die zeitweilige Besiedelung Grönlands oder die jeweilige Ausdehnung des Weinbaues zeigen. Er behauptet jedoch, daß man eine falsche Gewichtung dieser allgemein bekannten Fakten vorgenommen habe. Vor allem sei der Endbericht des IPPC - im Unterschied zur Langfassung - von dem 34köpfigen Redaktionskomitee in unzulässiger Weise verkürzt worden, um den Eindruck zu erwecken, als ob der Klimawandel praktisch nur durch anthropogene Treibhausgase verursacht werde. Dies habe wiederum damit zu tun, daß die Mitglieder des Redaktionskomitee keine Wissenschaftler seien, sondern von den UN-Staaten nach politischen Gesichtspunkten ausgewählt würden. Ein Drittel dieser Mitglieder sei außerdem "in irgendeiner Weise mit Greenpeace und dem WWF verbunden".

Die Gegenposition vertrat in der Sendung der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger: Er bekräftigte, daß so gut wie alle Klimawissenschaftler den Anteil des anthropogenen Treibhauseffekts am Klimawandel mit etwa neunzig Prozent veranschlagen. Es sei ein "ungeheuerlicher Vorwurf", wenn Vahrenholt ihnen unterstelle, "daß sie letztlich für irgendwelche anonymen Kräfte tätig sind, um die Menschheit in die Irre zu führen". Mit Blick auf den Arbeitgeber der beiden Autoren vermutete der BUND-Vorsitzende ein solches Interesse an der Manipulierung wissenschaftlicher Ergebnisse eher bei denen, "die ein Interesse daran haben, daß sich nichts ändert".

Als Klimaexperte konnte und wollte sich indessen keiner der beiden bezeichnen. Vahrenholt ist Chemiker, während Weiger Forstwissenschaften studiert hat. Die Professorentitel, die bei beiden Kontrahenten eingeblendet wurden, sind Honorarprofessuren im jeweiligen Fachgebiet.

Vahrenholts Karriere vom grün-linken Sozialdemokraten zum RWE-Manager

Fritz Vahrenholt machte erstmals 1978 von sich reden, als er gemeinsam mit dem Journalisten Egmont R. Koch das Buch "Seveso ist überall" veröffentlichte, das laut Untertitel "die tödlichen Risiken der Chemie" beschrieb und zu dem der SPD-Politiker Erhard Eppler ein Vorwort beisteuerte. Der Chemiker wurde so mit kräftigem medialen Rückenwind zu einer Art Galionsfigur der Umweltschutzbewegung. Er war damals Fachgebietsleiter "Chemische Industrie" beim Bundesumweltamt und politisch auf dem linken Flügel der SPD vernetzt. Von 1981 bis 1984 war er Abteilungsleiter im hessischen Umweltministerium. 1984 wechselte er in die Umweltbehörde der Stadt Hamburg. 1991 machte ihn der Hamburger Bürgermeister Voscherau 1991 zum Umweltsenator, um in der zunehmenden politischen Konkurrenz mit der Grün-Alternativen Liste (GAL) vom grünen Image des Parteigenossen profitieren zu können.

Voscherau übernahm damit eine erprobte Rezeptur: Schon 1985 hatte der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine den Umwelt- und Friedensaktivisten Jo Leinen, den die meisten eher den Grünen als der SPD zurechneten, zum Umweltminister gemacht. Und kurz vor der Ernennung Vahrenholts zum Hamburger Umweltsenator hatte auch der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder das Hannoveraner Umweltministerium mit Monika Griefahn besetzt, die im medialen Erscheinungsbild eher bei Greenpeace als bei der SPD verortet wurde.

Mit der Berufung zum Hamburger Umweltsenator begann allerdings Vahrenholts grün-linkes Image zu bröckeln. Zum Beispiel war er nun zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der"Hamburgischen Electricitäts-Werke" (HEW), die ihren Strom zu 80 Prozent aus Kernenergie erzeugten. Die SPD versuchte diesen Konflikt zu kaschieren, indem sie im April 1992 das Ziel eines Ausstiegs aus der Kernenergie hochoffiziell in die Satzung der HEW hineinschreiben ließ (920411). Als jedoch im Kernkraftwerk Brunsbüttel Risse an den Rohrleitungen auftraten, mußte Vahrenholt die GAL-Forderung nach sofortiger Stillegung zurückweisen (930202). Dasselbe passierte, als die GAL die Stillegung des Kernkraftwerks Krümmel verlangte, weil es für die Leukämie-Häufung in der Elbmarsch verantwortlich sei (960903).

In der innerparteilichen Kontroverse um den energiepolitischen Kurs vertrat Vahrenholt inzwischen eher den rechten Flügel: So kritisierte er 1995 in einem Artikel des Parteiorgans Vorwärts die "populistischen Parteitagsbeschlüsse zum Atomausstieg, die nur auf Wunschdenken basierten" (950303). Damit war auch endgültig klar, was von dem in der HEW-Satzung verankerten Bekenntnis zum Atomausstieg zu halten war. Aus heutiger Sicht wird man Vahrenholt allerdings eher vorwerfen können, daß er die von der SPD seit1995 betriebene Privatisierung der HEW (951107, 970105) vorbehaltlos unterstützt hat.

Nach den Bürgerschaftswahlen 1997 mußte Vahrenholt den Posten des Umweltsenators an ein Mitglied der GAL abgeben, mit der die geschwächte SPD nun notgedrungen eine Koalition einging. Er wäre wohl gern der Nachfolger Voscheraus als Bürgermeister geworden. Dieses Amt traute ihm sein früherer Mentor indessen nicht zu. Vahrenholt gab daraufhin die politische Karriere ganz auf und nutzte sein immer noch vorhandenes grünes Image für den Sprung in die Wirtschaft, indem er sich bei Shell als Vorstand für Öffentlichkeitsarbeit verdingte (971224). Der Ölkonzern hatte solche Unterstützung nötig, nachdem er durch die geplante Versenkung der Plattform "Brent Spar" in der Nordsee europaweit Proteste und Boykottaufrufe ausgelöst hatte.

Die Image-Pflege für Shell war nur ein Zwischenakt: Schon 2001 betrat Vahrenholt als Vorstandsvorsitzender des Windkraftanlagenherstellers Repower eine andere Unternehmensbühne. Er hätten diesen Posten wohl auch länger als sieben Jahre behalten, wenn nicht 2007 ein Bieterwettbewerb um die Übernahme des Unternehmens entbrannt wäre (070312). Entgegen Vahrenholts Empfehlung machte dabei nicht Frankreichs Atomkonzern Areva das Rennen, sondern der indische Suzlon-Konzern (070510). Noch bevor Suzlon sich Repower komplett einverleibte (110913), suchte und fand Vahrenholt einen neuen Arbeitgeber im RWE-Konzern, der ab Februar 2007 sein gesamtes Geschäft mit erneuerbaren Energien in der neuen RWE Innogy GmbH bündelte und Vahrenholt zu deren Chef machte (071114).

Dem RWE-Chef Jürgen Großmann dürfte vor allem die Rezeptur "Erneuerbare Energien plus Kernkraft" gefallen haben, die Vahrenholt schon seit längerem predigte. In diesem Sinne tauchte Vahrenholt auch in einem Strategiepapier auf, in dem eine auf Politikberatung spezialisierte PR-Agentur dem E.ON-Konzern Ratschläge für Ansprechpartner erteilte, mit denen sich die öffentliche Meinung zugunsten der Kernenergie beeinflussen lasse (090907). Als die schwarz-gelbe Regierung dann ihre doppelte Volte beim Atomausstieg vollzogen hatte, saß Vahrenholt als RWE-Mann in der Talkshow von Maybrit Illner und brach gemeinsam mit dem neoliberalen Wirtschaftsideologen Hans-Werner Sinn nochmals eine Lanze für die Kernenergie (110404).

Den Chefposten bei RWE Innogy wird Vahrenholt zum 1. Juli dieses Jahres an den bisherigen kaufmännischen Geschäftsführer (CFO) Hans Friedrich Bünting abgeben. Wie der Konzern am 25. Januar mitteilte, bleibt er aber dem Unternehmen als neues Mitglied des Aufsichtsrats erhalten.

 

 

Hintergrund

Der "Klima-Sarrazin"

Die fragwürdigen Thesen des RWE-Managers Vahrenholt sprechen ein verbreitetes Unbehagen an

(siehe oben)

Der Verlag Hoffmann und Campe ist schon über zweihundert Jahre alt. In besseren Tagen hat er sogar einmal Heinrich Heine verlegt. Inzwischen denkt man bei dem traditionsreichen Verlagsnamen aber eher an leicht Verkäufliches ohne großen Nährwert. Oder auch an schwer Verkäufliches, das mit Hilfe finanzkräftiger Gönner auf den Weg gebracht wird. So hat ein Krösus das notwendige Geld spendiert, damit Hoffmann und Campe für ein Buch des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff die Werbetrommel rührte. "Besser die Wahrheit" lautete der Titel. Als die Wahrheit über den Sponsor ans Licht kam, fand der Verlagsverantwortliche daran überhaupt nichts Anstößiges: Dies sei doch im Bereich "Corporate Publishing" so üblich...

Das Buch "Die kalte Sonne" von Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning, das jetzt bei Hoffmann und Campe erschien, wird solche diskrete Verkaufshilfe nicht nötig haben. Dafür sorgte schon die Reklame in der "Bild-Zeitung", die pünktlich zur Vorstellung des Buches am 6. Februar anlief. Unter der Balken-Überschrift "Die CO2-Lüge" durften die Autoren ihre fragwürdigen Thesen einem unbedarften Millionenpublikum als wissenschaftliche Erkenntnis präsentieren. Und das gleich in drei Folgen. Wer solche Unterstützung genießt, braucht keine Verlagszuschüsse. Das läuft über eine ganz andere Schiene...

Es geht hier also gar nicht um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung. Es handelt sich nicht einmal um ein populär geschriebenes Sachbuch, das wissenschaftliche Erkenntnisse und Zweifel zur Klimafrage auf den Punkt bringt. Was Vahrenholt und sein Mitautor zu Papier gebracht haben, ist nur eine kühne Umdeutung längst bekannter Fakten und Zusammenhänge, wie sie etwa der Klimaforscher Schönwiese in seinem Buch "Klima im Wandel" dargelegt hat. Vahrenholt bestätigt dies selbst, wenn er sich mit der Langfassung des IPCC-Berichts einverstanden erklärt und dort alles findet, worauf er seine Thesen stützt. Er will auch den Treibhauseffekt oder negative Folgen eines Klimawandels nicht grundsätzlich bestreiten. Das unterscheidet sein Elaborat von Traktaten, wie sie etwa die LaRouche-Sekte verbreitet. Seine Argumentation wirkt auch intelligenter als die plumpe Polemik gegen den "Treibhaus-Schwindel", mit der sich der frühere ZDF-Meteorologe Wolfgang Thüne zeitweilig in Wirtschaftskreisen beliebt machte. Sein Buch erinnert noch am ehesten an eine Schrift des Leipziger Instituts für Energetik und Umwelt, die unter dem Titel "Visionen statt Illusionen" eine großteils sachliche Darstellung mit der kritiklosen Übernahme von Außenseiter-Thesen verband, die zufällig genau den Wünschen der ostdeutschen Braunkohlenwirtschaft entsprachen...

Daß beide Autoren auf der Gehaltsliste des RWE-Konzerns stehen, ist natürlich ebenso reiner Zufall. Aber ein Schönheitsfehler, um es so auszudrücken, ist es schon. Vielleicht erzählt Vahrenholt deshalb so gern, wie er gerade in seiner Eigenschaft als RWE-Manager zur Entdeckung der "kalten Sonne" gelangt sei: Die Konzernleitung habe von ihm Rechenschaft verlangt, weshalb die Windkraftanlagen der RWE Innogy nicht den erhofften Ertrag brachten. Das klingt nach echter Ursachenforschung. Allerdings waren die drei flauen Windjahre überhaupt kein Geheimnis, und man hätte gewiß nicht Chef von RWE Innogy sein müssen, um sich deshalb Gedanken zu machen (siehe Grafik).

Der Geßler-Hut kommt heute als "political correctness" daher

Ende Februar rangierte das Buch auf Platz 14 der Spiegel-Bestsellerliste für "Hardcover". Das ist (noch) kein Spitzenplatz. Dennoch fühlte sich der "Vorwärts" an einen anderen Sozialdemokraten erinnert, der jüngst mit einem noch fragwürdigeren Elaborat die Bestsellerliste gestürmt hat: Das SPD-Blatt nannte Vahrenholt einen "Klima-Sarrazin" und warf ihm vor, daß er wie der frühere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin "populistische Vorurteile" schüre.

An diesem Vergleich ist etwas dran. Natürlich läßt sich Vahrenholt nicht über Geburtenrückgang, Ausländer, Unterschichten, genetische Veranlagung und so weiter aus. Er argumentiert auch nicht ganz so unbedarft und kurzschlüssig wie Sarrazin. Aber er spricht wie dieser mit seinen fragwürdigen Thesen ein verbreitetes und durchaus berechtigtes Unbehagen an. Er profitiert wie Thilo Sarrazin von einem verbreiteten Mißtrauen gegenüber der herrschenden Politik und deren Geßlerhüten. Beide Sarrrazins gebärden sich wie Wilhelm Tell, der dem Herrschaftssymbol des österreichischen Landvogts den untertänigen Gruß verweigert und deshalb der Sympathie des wackeren Schweizervolkes sicher sein kann.

Solche modernen Geßlerhüte gibt es hierzulande überall, wo die aus den USA importierte "political correctness" regiert. Man denke etwa an die verquaste Wortschöpfung "Mitbürger mit Migrationshintergrund", die vermutlich von professionellen Schönrednern mit soziologischem Hintergrund erfunden wurde. Den "Zigeunerbaron" von Johann Strauß hat man gerade noch durchgehen lassen, anstatt nachträglich einen "Sinti-und-Roma-Baron" daraus zu machen. Um so kabarettreifer gebärdete sich der Bundestag, als er schon vor zehn Jahren das "generische Maskulinum" aus allen Gesetzestexten verbannte: Wo es beispielsweise früher "Letztverbraucher" hieß, ist seitdem zwingend die geschlechtliche Verdoppelung in Form von "Letztverbraucherinnen und Letzverbraucher" vorgeschrieben (081203). Da fragt man sich dann als Letztverbraucherin oder Letztverbraucher schon mal, ob die Volksvertreterinnen und Volksvertreter eigentlich noch alle Tassen im Schrank haben...

Die moderne Arche Noah besteht aus Styropor und wird staatlich bezuschußt

In der Umweltpolitik herrscht ein besonders stickiges Klima, seitdem Wirtschaft und Politik erkannt haben, daß man auch mit grünen Parolen gute Geschäfte machen kann. Zum Beispiel beläßt man es nicht mehr dabei, sukzessive die Anforderungen an die Energieeffizienz bei Neubauten hochzuschrauben, was machbar, vernünftig und ein Gewinn für alle wäre. Nein: Man will unbedingt auch den Altbaubestand "energetisch sanieren", obwohl hier der Nutzen meistens in keinem vernünftigem Verhältnis zum Aufwand und zu negativen Begleiterscheinungen wie Schimmelbefall und Fassadenverschandelung steht (111112). Da sich die Sache absolut nicht rentiert, will der Staat sie den Hauseigentümern schmackhaft machen, indem er sie die Kosten komplett von der Steuer absetzen läßt (110605). Oder anders gesagt: Hier werden nebenbei mal 1,5 Milliarden Euro aus der Staatskasse vom ärmeren zum reicheren Teil der Gesellschaft verschoben. Vor allem ist das ein Bombengeschäft für die einschlägigen Branchen. Aber das darf natürlich niemand so sehen oder gar sagen. Schließlich geht es um um die Energiewende, um die Rettung des Weltklimas und wie die Schlagworte sonst noch lauten mögen. Und wenn der Bundesrat sich verständlicherweise querlegt, weil die Länder den größten Teil des Unfugs bezahlen sollen (110704), geht sogar in sonst ernstzunehmenden Medien das Gejammer über die bedrohte Energiewende los. Wehe dem, der diesen Geßlerhut nicht grüßt! Der "Dämmwahn" scheint sakrosankt zu sein. Mit demselben heiligen Ernst, mit dem einst Noah die Arche gezimmert hat, werden bald wohl auch bei Altbauten die Fassaden mit Styropor beschichtet, als ob die Sintflut bevorstünde.

Oder das Glühlampenverbot: Die sogenannten Energiesparlampen verbrauchen in der Tat weniger Strom und sind langlebiger. Sie sind aber kaum zur Beurteilung von Farben geeignet, und ihr Licht wird trotz aller Verbesserungsversuche von vielen Menschen noch immer als unangenehm kalt empfunden. Es gibt sogar medizinisch begründete Bedenken. Die kürzere Lebensdauer der Glühlampe ist übrigens nicht konstruktionsbedingt, sondern wurde schon 1924 vom "Phöbuskartell" auf 1000 Stunden beschränkt, damit die Hersteller mehr Lampen verkaufen können. Nun hat wieder ein solches Kartell dafür gesorgt, daß die EU-Kommission den Verkauf von Glühlampen kurzerhand verboten hat, statt die Dinge einfach der Entscheidung der Konsumenten zu überlassen (090301). Schließlich müssen die am besten wissen, ob ihnen angenehmes Licht ein paar Cent mehr auf der Stromrechnung wert ist. Wenn jemand trotzdem Glühlampen aus China importiert, die spaßeshalber als "Kleinheizkörper" und Kunstobjekte deklariert sind, schlägt die Staatsgewalt zu und beschlagnahmt die Sendung (101114). Wie man daraus ersieht, ist die neoliberale Ideologie, die alles privatisieren und alles dem Markt überlassen möchte, eine ziemlich janusköpfige Doktrin: Wenn die private Entscheidung und der Markt nicht die erwünschten Ergebnisse bringen, greift sie ungeniert zur Gewalt bzw. zur gesetzgeberischen Brechstange ...

"Umweltzonen" waren vor allem ein Geschenk an die Autoindustrie

Natürlich ist es in Ordnung, wenn die EU mit ihrer sogenannten Ökodesign-Richtlinie den Verbrauch von Standby-Schaltungen, Waschmaschinen und sonstigen Stromanwendungen minimiert (090409). Solange die Funktionsfähigkeit der Geräte darunter nicht leidet, schadet das höchstens dem Stromverbrauch bzw. den Gewinnen der Energieversorger. Es ist aber grün kostümierte Lobby-Politik, wenn den Dämmstoffherstellern oder der Leuchtmittelindustrie auf Teufel komm raus ein Konjunkturprogramm beschert wird. Ähnlichen Unfug gibt es auch auf anderen Gebieten. So hat man mit der Subventionierung von "Biosprit" die Abholzung von tropischen Regenwäldern gefördert (070310) und über die Verteuerung landwirtschaftlicher Produkte die Hungersnot in vielen Teilen der Welt noch vergrößert (080506). In Deutschland beeinträchtigt der forcierte Anbau von Energiepflanzen zumindest die Grundwasserqualität. Außerdem hat die zwangsweise verfügte Verdoppelung der Biosprit-Beimischung zum Benzin beinahe zu irreparablen Motorschäden bei Millionen Autos geführt (110307).

Nicht besonders umweltfreundlich sind auch die sogenannten Umweltzonen, die neuerdings in deutschen Großstädten ziemlich willkürlich (in Berlin zum Beispiel innerhalb des S-Bahn-Rings) angelegt wurden: Zum einen scheinen sie den angestrebten Zweck der Feinstaub-Minderung ohnehin nicht zu erfüllen. Zum anderen haben sie -zigtausende von Altfahrzeugen entwertet, die nicht nachrüstfähig sind (vor allem langlebige Diesel) und deshalb keine grüne Plakette bekommen. Dabei hätte es vollkommen ausgereicht, die erhöhten Anforderungen auf neue Autos oder doch wenigstens auf nachrüstfähige Fahrzeuge zu beschränken. Aber offenbar wollte man der Autoindustrie, der 2009 im Rahmen des "Konjunkturpakets II" bereits aus Steuergeldern die "Abwrackprämie" spendiert wurde (offiziell hieß es "Umweltprämie"), erneut ein Konjunkturprogramm zukommen lassen – dieses Mal privat finanziert von Autofahrern, die ihre durchaus noch funktionstüchtigen Autos verschrotten müssen, weil sie damit nicht mehr in den Zentren fahren dürfen. Der Gesetzgeber verhielt sich hier ähnlich wie einst das Glühlampenkartell, als es die Lebensdauer der Lampen künstlich verkürzte, um mehr neue Ware absetzen zu können. Solche "geplante Obsoleszenz" ist aber gewiß das allerletzte, was man als umweltfreundlich bezeichnen kann.

So wird auf dem Gebiet der Umweltpolitik allenthalben mit gezinkten Karten gespielt und mit Öko-Schmus verkleistert, was eigentlich Sache ist. Politik und Wirtschaft überbieten sich im Anzünden von ökologischen Weihrauchkerzen, um anderweitig Anrüchiges zu überdecken. Man könnte mitunter meinen, dem Gottesdienst einer evangelikalen Sekte beizuwohnen, wie da der bevorstehende Weltuntergang durch den Klimawandel beschworen wird, um die Gläubigen zu jedem nur denkbaren Opfer zu bewegen. Nur selten registrieren Medien oder Umweltverbände die Pferdefüße, die dabei unter den Talaren der Priesterschaft hervorlugen.

Auch unter allergrößten Anstrengungen könnte die EU den weltweiten Anstieg der CO2-Emissionen nicht verhindern

Dabei braucht man gar nicht erst in die komplizierte Materie der Treibhausgas-Emissionen und ihres Einflusses auf das Klima einzusteigen, um die Unsinnigkeit mancher Maßnahmen zu erkennen, die als probates Mittel gegen den Klimawandel angepriesen und mit gesetzgeberischer Gewalt durchgesetzt werden. Einige wurde schon genannt. Man könnte weitere hinzufügen. So will man in Brüssel und Berlin die Ablösung der alten elektromechanischen Ferraris-Stromzähler (080410) durch rein elektronische Zähler (071113) wieder mal nicht einfach den Marktakteuren überlassen, sondern mit gesetzgeberischem Zwang flächendeckend durchführen (110312). Als Begründung dient – wie könnte es anders sein – die Energieeinsparung, die sich auf diese Weise angeblich erzielen läßt. Dabei kann auch ein elektronischer Zähler nur zählen. Alles andere ist reine Spekulation. In Wirklichkeit geht es um die Durchsetzung eines ganzen Bündels von wirtschaftlichen Interessen. Man hat dieses Bündel lediglich hübsch grün verpackt, um es als angeblichen Beitrag zur Eindämmung der Treibhausgas-Emissionen schmackhaft machen zu können (120110).

Ebensowenig braucht man Spezialwissen, um generell an der Wirksamkeit und Notwendigkeit von Klimaschutzmaßnahmen zu zweifeln, die sich auf Deutschland oder die Europäische Union beschränken. Sogar das Kyoto-Abkommen erfaßt nur etwa ein Siebtel der weltweiten CO2-Emissionen. Denn die weltweit größten Emittenten sind nun mal die USA, China, Rußland, Indien und Japan, und die weigern sich schlicht, ähnliche Maßnahmen zu ergreifen (111204). Was also in der EU an Klimaschutz praktiziert wird – immer vorausgesetzt, daß die Maßnahmen auch sinnvoll sind – , hat ziemlich wenig Einfluß auf das globale Klima. Es verhindert nicht einmal den weiteren Anstieg der Emissionen. Dies sollte man schon im Hinterkopf behalten, wenn aus Brüssel oder Berlin ständig neue Zumutungen kommen und die Einsparziele immer höher geschraubt werden, als ob andernfalls morgen die Sintflut hereinbräche.

Die EU könnte allenfalls damit argumentieren, daß irgend jemand schließlich den Anfang machen müsse und daß man weltweit eine Vorreiter-Rolle einnehmen wolle. Sonderlich attraktiv ist dieses Vorbild bisher aber nicht. So hat der vor sieben Jahren gestartete Handel mit Emissionszertifikaten bisher überhaupt keine nennenswerte Wirkung gezeigt. Es wäre viel einfacher und effektiver gewesen, eine CO2-Steuer einzuführen, statt partout eine "marktwirtschaftliche" Lösung konstruieren zu wollen. Man kann es deshalb fast verstehen, wenn internationale Airlines den Obolus verweigern, der ihnen auf Flughäfen der EU neuerdings für Emissionszertifikate abverlangt wird (120203).

Vahrenholts Buch erklärt in irreführender Weise, wer wen in die Irre führt

Das breite Publikum stellt die hier skizzierten Überlegungen wohl kaum bewußt an. Es ist aber nicht so dumm, wie es verkauft werden soll. Es empfindet vage, daß da jemand die Zusammenhänge ziemlich einseitig darstellt, daß nicht alle der abverlangten Opfer sinnvoll sind und daß man als Verbraucher mitunter sogar regelrecht aufs Kreuz gelegt wird. Es fühlt sich irgendwie über den Löffel balbiert. Es weiß indessen nicht, wo es sein Unbehagen und sein Mißtrauen festmachen soll. Der erste Verdacht richtet sich deshalb immer auf das Nächstliegende, nämlich die These vom anthropogenen Treibhauseffekt, die seit den achtziger Jahren zumindest in wissenschaftlichen Kreisen so gut wie unumstritten ist. Wie schön wäre es doch, dieses Schreckgespenst endlich loszuwerden, indem man es als Mummenschanz entlarvt! – Und so lebt schon seit Jahren eine bestimmte Literatur davon, "Öko-Optimismus" zu verbreiten, indem sie die oft skurrilen Auswüchse eines vermeintlichen Umweltbewußtseins durch den Kakao zieht. Daneben gibt es schon immer eine Hardcore-Variante, die den "Täglichen Öko-Horror" als Ergebnis einer umfassenden Manipulierung darstellt oder gleich rundweg bestreitet, daß es einen anthropogenen Treibhauseffekt und den dadurch ausgelösten Klimawandel überhaupt geben könnte.

Die "Bild-Zeitung" hat das Buch Vahrenholts unter der Balkenüberschrift "Die CO2-Lüge" vorgestellt. Damit wählte sie ziel- und stilsicher die Hardcore- Variante. Die ist dem Buch auch angemessen, weil es auf populistische Wirkung angelegt wurde und Vahrenholt unübersehbar die Interessen eines Energiekonzerns vertritt. Vahrenholt erklärt einem orientierungslosen Publikum in irreführender Weise, wer wen in die Irre führt. Es gab schon vor Jahren einmal ein ähnliches Buch, dessen Verfasser auf der Gehaltsliste von RWE-Rheinbraun stand, aber nicht zum Führungspersonal gehörte. Wenn ein RWE-Manager wie Vahrenholt beim Treibhauseffekt Entwarnung gibt, ist das etwas anderes. Das läßt sich nicht mehr als Privatmeinung abtun. Auf dieser Ebene darf und muß jede öffentliche Äußerung auch dem Unternehmen zugerechnet werden. Sollte sich deshalb mit diesem Buch gar ein Kurswandel in der Öffentlichkeitsarbeit des Konzerns andeuten, was die Klimafrage betrifft?

Dem RWE-Chef Großmann schwammen gleich zweifach die Felle davon

Früher hatte RWE schon deshalb die Gefahr einer Klimaveränderung betont und sich als Klimaschützer dargestellt, weil Kernkraftwerke kein CO2 emittieren. Auch die anderen Energiekonzerne und das von ihnen ausgehaltene "Atomforum" haben nach der Katastrophe von Tschernobyl gern die drohende Klimakatastrophe bemüht, um den Weiterbetrieb und Neubau von Kernkraftwerken zu propagieren (910910, 920102). Nach dem Amtsantritt von Jürgen Großmann brachte es RWE sogar fertig, seinen ganz gewöhnlichen Atomstrom in einem "ProKlimaTarif" zu verpacken, der den Kunden eine "nahezu CO2-freie" Stromerzeugung mit drei Jahren Preisstabilität garantierte (081109). – Aber das ist nun zumindest in Deutschland Schnee vom vergangenen Jahr, nachdem die Katastrophe von Fukushima die Rücknahme der bereits beschlossenen Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke bewirkte und den Ausstieg so gut wie unumstößlich machte.

Umso größere Hoffnungen setzte RWE auf die CCS-Technologie, um wenigstens weiterhin ungehemmt Kohlekraftwerke bauen zu können. Dabei soll das in Kraftwerken entstehende CO2 abgeschieden und durch Lagerung in unterirdischen Speicherstätten schadlos gemacht werden (siehe Hintergrund). Es handelt sich aber um ein extrem aufwendiges und kostspieliges Verfahren, das den Verbrauch an fossilen Brennstoffen um bis zu 44 Prozent erhöht. Entsprechend erhöhen sich die CO2-Emissionen, und auch im Endergebnis werden nur 72 bis 78 Prozent des Kohlendioxids zurückgehalten. Außerdem entsteht für Jahrhunderte oder Jahrtausende ein neues Endlager-Problem; eine wirkliche Garantie für sicheren Einschluß und für das Ausbleiben schädlicher Nebenwirkungen ist nicht gegeben. Die bestehende Strukturen der Stromwirtschaft würden konserviert und deren Umstellung auf erneuerbare Energien behindert. Vor allem wäre CCS auch als Notlösung nur zu akzeptieren, wenn die Prämisse zutrifft, daß die von der EU aufgestellten CO2-Minderungsziele tatsächlich um jeden Preis erreicht werden müssen, um eine Klimakatastrophe zu verhindern. Wie bereits festgestellt wurde, ist das im begrenzten Rahmen der EU gar nicht möglich.

Das vom Bundestag beschlossene CCS-Gesetz (110703) ist dann im Bundesrat überraschend gescheitert (110901) und liegt bis heute im Vermittlungsausschuß (111019). Die zugrundeliegende EU-Richtlinie (090614) wird wohl irgendwie umgesetzt werden müssen. Sie räumt den Mitgliedsstaaten allerdings auch das Recht ein, keinerlei CO2-Abspeicherung auf ihrem Hoheitsgebiet zuzulassen. Der Kompromiß dürfte darauf hinauslaufen, daß man das bereits zum Demonstrationsvorhaben verharmloste CCS-Gesetz nochmals abspeckt und als reines Forschungsvorhaben deklariert.

Dem RWE-Chef Jürgen Großmann, der zum 30. Juni vorzeitig aus dem Amt scheidet, sind damit die Felle davongeschwommen. Und das gleich zweifach: Erst bei den Laufzeiten für die Kernkraftwerke und dann auch noch bei der baldigen Einführung der CCS-Technologie für den Bau von Kohlekraftwerken. Als kleiner Trost bleibt ihm das Buch seines Untergebenen Vahrenholt: Er soll es begeistert aufgenommen und in einer Nacht durchgelesen haben.