Juni 2021

210603

ENERGIE-CHRONIK


 


Die Verbrennungsmotoren des Verkehrs sind mit großem Abstand die Hauptursache von Stickoxiden, gefolgt von den Großfeuerungsanlagen der Energiewirtschaft. Weitere relevante Quellen sind Haushalt und Kleinverbraucher, Landwirtschaft, verarbeitendes Gewerbe und Industrieprozesse. Die Grafik veranschaulicht, wie sich die Emissionen aller Bereiche seit 1990 mehr oder weniger stark verringert haben. Sie erfasst außerdem drei weitere Quellkategorien mit sehr geringen Emissionsmengen, die aus Darstellungsgründen nicht einzeln beziffert sind.

Deutschland hat sieben Jahre lang die EU-Richtlinie zur Luftqualität verletzt

Deutschland hat sieben Jahre lang gegen die EU-Richtlinie zur Luftqualität verstoßen. Zu dieser Feststellung gelangte der Europäische Gerichtshof in einem Urteil, das am 3. Juni veröffentlicht wurde. Die 2008 in Kraft getretene Richtlinie 2008/50/EG schreibt für Stickstoffdioxid (NO2) ab dem 1. Januar 2010 Grenzwerte von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel und von 200 Mikrogramm im Stundenmittel vor. Der letztgenannte Wert darf nicht öfter als 18-mal im Kalenderjahr überschritten werden. Tatsächlich wurde aber der Jahresgrenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) in 26 der 89 beurteilten Gebiete und Ballungsräume vom 1. Januar 2010 bis einschließlich 2016 "systematisch und anhaltend überschritten". In zwei Gebieten – den Ballungsräumen Stuttgart und Rhein-Main – galt das außerdem für die fünfmal höheren Stundengrenzwerte.

Inzwischen sind die Stickoxid-Emissionen stärker gesunken und Grenzwert-Verletzungen seltener geworden


Nur in München, Hamburg, Stuttgart, Ludwigsburg, Darmstadt und Limburg wurden 2020 die Stickoxid-Grenzwerte noch überschritten. Drei Jahre zuvor waren es mehr als zehnmal soviel Städte.

Das Urteil kam aufgrund einer Klage zustande, die von der EU-Kommission am 11. Oktober 2018 eingereicht wurde, weil sie sich von der Regierung in Berlin nicht länger hinhalten und vertrösten lassen wollte. Theoretisch könnte die EU-Kommission der Bundesregierung nun eine Strafzahlung auferlegen. In der Praxis dürfte das Urteil aber keine Folgen haben, da es sich nur auf einen vergangenen Zeitraum bezieht und die deutschen Stickoxid-Emissionen seitdem stärker zurückgegangen sind: Während sie in den sieben Jahren von 2010 bis 2016 nur um 133.000 Tonnen zurückgingen, waren es in den folgenden drei Jahren 189.000 Tonnen (siehe Grafik 1). Die Zahl der Städte mit NO2-Grenzwertüberschreitung hat sich nach Angaben des Umweltbundesamts sogar von 65 im Jahr 2017 auf 6 im Jahr 2020 verringert (siehe Grafik 2).

Neue NEC-Richtlinie erhöht Anforderungen weiter

Deutschland hat damit die EU-Vorschriften zwar noch immer nicht erfüllt, ist ihnen aber zumindest näher gekommen. Die bisherigen Höchstwerte für Luftschadstoff-Emissionen wurden bereits 1999 festgelegt und mit der 2001 in Kraft getretenen EG-Richtlinie 2016/2284 verbindlich, die auch als "NEC-Richtlinie" bezeichnet wird (National Emissions Ceilings Directive). Seit 2017 gilt eine Neufassung dieser NEC-Richtlinie (2016/2284/EU), die ab 2020 bzw. 2030 weitere Minderungsverpflichtungen verlangt. Neben Schwefeldioxid (SO2), Stickstoffoxiden (NOx), Ammoniak (NH3) und flüchtigen organischen Verbindungen ohne Methan (NMVOC) soll vor allem der Ausstoß an Feinstaub verringert werden, der die wichtigste Ursache für Todesfälle durch Luftschadstoffe ist (170402). Nach Feststellung des Umweltbundesamtes sind deshalb "trotz erheblicher Reduzierungen weitere Maßnahmen nötig, um die seit 2010 einzuhaltenden Höchstmengen dauerhaft zu unterschreiten und die Minderungsverpflichtungen für 2020 und 2030 einzuhalten".

CDU wollte der erfolgreich klagenden "Deutschen Umwelthife" sogar die Gemeinnützigkeit aberkennen lassen

Das Urteil wirft nachträglich ein sehr schlechtes Licht auf die Umweltpolitik der beiden Merkel-Regierungen, in denen die Union zunächst mit der FDP (bis 2013) und dann mit der SPD (bis 2018) koalierte. Vor allem ist es eine Ohrfeige für die Unionsparteien, weil diese die berechtigte Kritik an der Nichteinhaltung der vorgeschriebenen Stickoxid-Werte sogar mit finanziellen Repressalien unterbinden wollten: Noch nach der Einreichung der EU-Klage beschloss die CDU im Dezember 2018 auf ihrem Bundesparteitag in Hamburg, dem Verein "Deutsche Umwelthilfe" den Status der Gemeinnützigkeit entziehen zu lassen, weil dieser immer wieder vor Gerichten gegen die Nichteinhaltung der Luftreinhaltungsvorschriften geklagt und Recht bekommen hatte. Außerdem rief sie dazu auf, dem angeblichen "Abmahnverein", der selbstherrlich Dieselfahrverbote erzwinge, alle Zuwendungen aus öffentlichen Geldern und privaten Spenden zu streichen. Damit hatte sie bei einigen Großunternehmen auch Erfolg. Zum Entzug der Gemeinnützigkeit kam es aber nicht, weil es dafür sowohl an der notwendigen Unterstützung des Koalitionspartners SPD als auch an den rechtlichen Voraussetzungen fehlte.

Bundesregierung wollte Verschärfung der Stickoxid-Emissionen aus Braunkohle verhindern

Kein Ruhmesblatt für die unionsgeführte Bundesregierung war es auch, wie diese sich 2017 gegen die "Novelle für Technikstandards von Großfeuerungsanlagen" sträubte, die unter anderem den Grenzwert für Stickoxid-Emissionen aus Braunkohle von bisher 200 Milligramm pro Kubikmeter auf 175 Milligramm heruntersetzte. Sie war dabei der mächtigste Unterstützer einer Seilschaft, zu der auch Polen, Tschechien, Bulgarien, Finnland, Ungarn, die Slowakei und Rumänien gehörten. Das Kohle-Bündnis wurde aber im EU-Rat überstimmt (170402). Die federführende Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), die wie die anderen Regierungsmitglieder nach den Bundestagswahlen nur noch geschäftsführend im Amt war, ließ daraufhin die Frist zur Einlegung eines Widerspruchs absichtlich verstreichen (171102).

 


Anfang der neunziger Jahre ging es mit der Stickoxid-Minderung besonders schnell voran. Das lag an der besonderen Situation in Ostdeutschland, wo die auf Braunkohle gegründete Energieversorgung sowie die dominierenden Zweitakter-Verbrennungsmotoren auch nach dem Ende der DDR noch für eine ungewöhnlich hohe Schadstoffbelastung der Luft sorgten. In späteren Jahren wurden die Minderungen deutlich geringer.


Gericht lässt Schuldzuweisung an die Kommission nicht gelten

In der Verhandlung vor dem Europäischen Gerichtshof hatte die Bundesregierung geltend gemacht, dass die Überschreitungen der Grenzwerte für Stickoxide maßgeblich auf eigene Versäumnisse der Kommission zurückzuführen seien. Diese habe es an einem Vorschlag für wirksame Rechtsvorschriften zur Begrenzung der Emissionen dieses Schadstoffs durch Dieselfahrzeuge fehlen lassen. Besonders problematisch hätten sich Dieselfahrzeuge der Norm "Euro 5" erwiesen. Diesen Einwand weist das Urteil ausdrücklich zurück. Zum einen seien Kraftfahrzeuge nicht die alleinige und einzige Ursache von NO2-Emissionen. Zum anderen könne die für die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen geltende Unionsregelung die Mitgliedstaaten nicht von ihrer Verpflichtung zur Einhaltung der in der Richtlinie festgelegten Grenzwerte befreien. Eine detaillierte Prüfung des Sachverhalts zeige, dass Deutschland offenkundig nicht rechtzeitig geeignete Maßnahmen getroffen habe, um den Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte in den beanstandeten 26 Gebieten so kurz wie möglich zu halten.

Bei den 26 Gebieten, in denen der NO2-Jahresgrenzwert "systematisch und anhaltend überschritten" wurde, handelt sich um den Ballungsraum Berlin, den Ballungsraum und den Regierungsbezirk Stuttgart, den Regierungsbezirk Tübingen, den Ballungsraum Freiburg, den Regierungsbezirk Karlsruhe (ohne Ballungsräume), den Ballungsraum Mannheim/Heidelberg, den Ballungsraum München, den Ballungsraum Nürnberg/Fürth/Erlangen, das Gebiet III Mittel- und Nordhessen, den Ballungsraum I Rhein-Main, den Ballungsraum II Kassel, den Ballungsraum Hamburg, Grevenbroich (Rheinisches Braunkohlerevier), Köln, Düsseldorf, Essen, Duisburg/Oberhausen/Mülheim, Hagen, Dortmund, Wuppertal, Aachen, die urbanen Bereiche und den ländlichen Raum im Land Nordrhein-Westfalen, Mainz, Worms/Frankenthal/Ludwigshafen und Koblenz/Neuwied.

Links (intern)