Juli 2019

190702

ENERGIE-CHRONIK


Gericht kippt Mischpreis-Verfahren für Regelenergie

Das Mischpreis-Verfahren zur Beschaffung von Regelenergie, das die Bundesnetzagentur im Mai 2018 eingeführt hat (180503), wurde am 22. Juli vom Oberlandesgericht Düsseldorf für ungültig erklärt. Der Stromhändler "Next Kraftwerke", der nach der Einführung geklagt und einen bis Oktober 2018 befristeten Aufschub des Inkrafttretens erreicht hatte (180707), war damit auch im Hauptverfahren erfolgreich. Die Bundesnetzagentur erwägt keine weiteren rechtlichen Schritte. Noch am Tag der Urteilsverkündung gab sie bekannt, dass mit dieser Entscheidung automatisch das alte System der Bezuschlagung wiederauflebe.

Mischpreis sollte unsinnig und kontraproduktiv gewordene Regelung reformieren

Der Stromhändler "Next Kraftwerke" betreibt die Direktvermarktung von Strom aus erneuerbaren Quellen, wobei er die Leistung von rund 6800 Anlagen je nach Bedarf bündelt und sich insofern als Betreiber von "virtuellen Kraftwerken" sehen kann. Er hat die Neuregelung von Anfang an vehement abgelehnt, weil sie "negative Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit, die Kosten für Netznutzer und die Integration neuer Technologien in die Regelenergiemärkte" habe. Das Mischpreisverfahren bevorzuge alte und CO2-intensive Kraftwerke zu Lasten der Netznutzer. Nicht zuletzt begünstige es ausgerechnet jene Betreiber konventioneller Kraftwerke, die auch "mit einem völlig überzogenen und fundamental unbegründeten Arbeitspreisangebot am 17. Oktober 2017 die Entwicklung hin zu einem Mischpreisverfahren verursacht" hätten. Damals war der Arbeitspreis für die Megawattstunde Minutenreserve bis auf über 24.000 Euro gestiegen. Das war gut sechshundert Mal soviel wie der Durchschnittspreis am Spotmarkt der Strombörse betrug (171201). Die Bundesnetzagentur bezifferte den dadurch binnen einer halben Stunde enstandenen Gesamtschaden auf acht Millionen Euro. Sie nahm dies zum Anlaß, das bestehende Regelwerk für die Beschaffung und den Einsatz von Regelenergie einer eingehenden Prüfung unterziehen und als vermeintlich bessere Lösung das nunmehr annullierte Mischpreis-Verfahren einzuführen (180503).

Mit dem Mischpreis wollte die Behörde die unsinnig und kontraproduktiv gewordene Regelung abschaffen, die eingehende Gebote erst nach dem Bereitstellungspreis (auch als Leistungspreis bezeichnet) und dann nach dem Arbeitspreis zu sortieren. In der Praxis führte diese Regelung zu einem weitgehenden Verschwinden des Bereitstellungspreises auf der Merit-Order-Liste, da die Anbieter die Wahrscheinlichkeit des Zuschlags erhöhten, wenn sie ganz auf ihn verzichteten bzw. mit Null angaben. Umso ungehemmter wuchsen die Arbeitspreise, die den Bereitstellungspreis als primäres Selektionskriterium ersetzten. Zum Beispiel kamen auch die "Mondpreise" von über über 20.000 Euro/MWh, die am Abend des 17. Oktober 2017 eine halbe Stunde lang auftraten und die Reform ins Rollen brachte, durch die Kontrahierung von extrem hohen Arbeitspreis-Angeboten mit null Euro Bereitstellungskosten zustande.

Das neue System akzeptierte sogar einen Bereitstellungspreis von 37.856 Euro

Die Bundesnetzagentur wollte den Mißstand durch Einführung eines "Zuschlagswerts" beheben, der sowohl den Leistungspreis als auch den Arbeitspreis von Anfang an berücksichtigt (180203). Diese Reform war freilich auch nicht das Gelbe vom Ei, wie schon damals befürchtet wurde und inzwischen als erwiesen gelten kann. Am 29. Juni kontrahierte das neue Verfahren sogar ein Angebot zu einem Bereitstellungspreis von sage und schreibe 37.856 Euro und beförderte es so auf die Merit-Order-Liste. Dieser Bereitstellungspreis muss in jedem Fall gezahlt werden, auch ohne Inanspruchnahme der Leistung, und zwar pro Megawattstunde. Tatsächlich abgerufen wurde die Leistung anscheinend nicht, so dass kein Arbeitspreis anfiel. Aber allein der Bereitstellungspreis von 37.856 Euro ergab bei einer kontrahierten Leistung von 94 MW für den Anbieter einen leistungslosen Reibach von 3,55 Millionen Euro.

"Regelarbeitsmarkt" nach EU-Vorgaben soll künftig Abzocke mit Regelenergie verhindern

Die automatische Rückkehr zum alten Verfahren, nachdem das Oberlandesgericht Düsseldorf das neue gekippt hat, ist naturgemäß ebensowenig ein befriedigender Ausweg. Sie kann nur als Verlegenheitslösung bis zum Inkrafttreten eines europaweit einheitlichen Verfahrens beim "Systemausgleich im Elektrizitätsversorgungssystem" gelten. Die Kommission hat hierzu im November 2017 eine entsprechende Verordnung erlassen, die unter anderem in Artikel 18 von den nationalen Übertragungsnetzbetreibern verlangt, Vorschläge für einen "Regelarbeitsmarkt" auszuarbeiten, der den Vorgaben dieser Verordnung entspricht. Das ist inzwischen geschehen und die Bundesnetzagentur dabei, auf Grundlage dieser Vorschläge ein verändertes Verfahren zur Beschaffung von Regelenergie auszuarbeiten. Es wird neuartige Kautelen enthalten, die einen übermäßigen Anstieg der Preise für Regelenergie und damit das auf Abzocke angelegte Bieterverhalten bestimmter Unternehmen verhindern sollen. Allerdings ist noch ungewiß, wann es in Kraft treten kann. Eine andere Frage wäre, ob es dann tatsächlich alle Hoffnungen erfüllt.

Gericht hielt Wartezeit bis zur Einführung einer sinnvolleren Lösung für unzumutbar

Die Ungewißheit, wieviel Zeit noch bis zum Inkrafttreten einer sinnvolleren Lösung vergeht, spielte bei dem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf eine wichtige Rolle. Entscheidend waren aber Mängel des Mischpreisverfahrens. Wie die Pressestelle des Gerichts auf Nachfrage mitteilte, beanstandete der Senat die Tatsache, dass sich die Bundesnetzagentur für einen durchschnittlichen, für alle Gebote gleichermaßen geltenden Gewichtungsfaktor entschieden und keine individuelle Abrufwahrscheinlichkeit für jedes einzelne Gebot oder auch für unterschiedliche Teilsegmente implementiert habe. Ein solcher standardisierter Gewichtungsfaktor habe zwar den Vorteil, dass er dem Interesse aller an der Einführung des Zuschlagssystems Beteiligten an einer weniger aufwendigen, schnell zu implementierenden Lösung gerecht werde. Ein fester, einheitlicher Gewichtungsfaktor könne jedoch dazu führen, dass die günstigen Gebote im Sinne der Abrufwahrscheinlichkeit viel zu niedrig und die teuren Gebote am Ende der Merit-Order-Liste viel zu hoch bewertet werden. Denn die nach dem Arbeitspreis preiswerteste bezuschlagte Leistung werde nach der unveränderten Abrufregel häufiger abgerufen, wohingegen die nach dem Arbeitspreis teureren bezuschlagten Leistungsgebote seltener oder nie abgerufen würden.

Der Senat habe daher zwischen dem Interesse an der Einführung eines Zuschlagssystems auf der einen Seite und den Interessen von Anbietertechnologien mit hohen Arbeitsgrenzkosten auf der anderen Seite abwägen müssen. Bei dieser Abwägung stellte der Zeitraum der Übergangslösung dann in der Tat das maßgebliche Kriterium dar. Insoweit habe der Senat dann entschieden, dass das angegriffene Zuschlagssystem bei einem Übergangszeitraum von mindestens zwei Jahren, wie er nach derzeitigem Erkenntnisstand anzunehmen sei, nicht mehr angemessen ist. Bei einem länger als einem Jahr andauernden Übergangszeitraum sei jedenfalls ein Eingriff in die Interessen der Anbietertechnologien mit hohen Arbeitsgrenzkosten nicht mehr zu rechtfertigen.

 

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