PresseBLICK-Rezensionen "Elektrosmog"

Tendenz zur Dramatisierung

Verbraucher-Zentrale Niedersachsen e.V. (Hg.)

Wir reden von Elektrosmog

76 S., DM 8.-, ISBN 3-923760-62-0

Beim Thema "Elektrosmog" fühlen sich auch die Verbraucherschützer berufen, ein Wörtchen mitzureden. Zum einen geht es ihnen darum, ein mögliches Gesundheitsrisiko bei der Anwendung elektrischer Geräte zu minimieren. Zum anderen wollen sie verhindern, daß unbegründete Ängste vor elektrischen und magnetischen Feldern von Scharlatanen benutzt werden, um arglosen Verbrauchern irgendwelchen Hokuspokus als "Schutz vor Elektrosmog" aufzuschwätzen.

Nun ist es aber gar nicht so einfach, sich über die tatsächlichen oder eingebildeten Risiken von Feldern ein begründetes Urteil zu bilden. Die Verbraucherzentralen von Niedersachsen, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen, die als Herausgeber der vorliegenden Broschüre zeichnen, haben deshalb das Hannoveraner Ecolog-Institut mit der Erarbeitung des Manuskripts beauftragt. Dabei handelt es sich um ein privates "Institut für sozialökologische Forschung und Bildung", das 1992 von dem Physiker Dr. H.-Peter Neitzke ins Leben gerufen wurde. Zum wichtigsten Arbeitsgebiet erkor sich Neitzke die Erforschung des "Elektrosmogs" und die Ausarbeitung entsprechender Gutachten für Kommunen, Gewerkschaften, Naturschutzverbände oder Bürgerinitiativen. Ende 1994 veröffentlichte er mit vier Mitarbeitern ein umfangreiches Buch unter dem Titel "Risiko Elektrosmog?" (siehe PB 12/94).

Tendenz zur Dramatisierung

Dieses Buch hinterließ damals einen recht zwiespältigen Eindruck: Auf der einen Seite war positiv zu vermerken, daß hier Wissenschaft nicht mit Esoterik verwechselt wurde. Das Buch gehörte jedenfalls nicht in jene Ecke des Bücherschranks, wo die Schreckensschriften bestimmter "Baubiologen" in magische Gefilde abschweifen, sondern enthielt viel Nützliches und Lesenswertes. Auf der anderen Seite irritierte aber doch eine starke Tendenz zur Dramatisierung der bisher vorliegenden Befunde, was die tatsächlichen Risiken von Feldern angeht.

Diesen zwiespältigen Eindruck hinterläßt auch die vorliegende Broschüre, zumal sie ohnehin wie eine stark gekürzte Fassung des erwähnten Buches anmutet. Die Ankündigung eines vernünftigen Mittelwegs "zwischen Panikmache und Verharmlosung" erweist sich zum großen Teil als Rhetorik. Gewiß, mit Scharlatanen will man nichts zu tun haben. Man hält auch auf Distanz zu den irrationalen Auswüchsen der Baubiologie. Der angebliche Weg zu einer vernünftigen Abschätzung der elektromagnetischen Risiken führt dann aber doch sehr schnell hin zu jenen bekannten grausigen Abgründen, in denen angeblich das elektromagnetische Unheil in Form von Krebs, Alzheimer und sonstigen Krankheiten lauert. Und das bei Feldstärken im Nanotesla-Bereich! Wie schon in ihrem früheren Werk berufen sich die Ecolog-Autoren auf fragwürdige experimentelle Studien, denen es an der notwendigen Eindeutigkeit und Reproduzierbarkeit gebricht. Oder sie bemühen die vielzitierten epidemiologischen Untersuchungen aus den USA und Schweden, die bei näherer Betrachtung auf äußerst schwachen Füßen stehen, was die Methoden zur Ermittlung der Feldbelastung, die statistische Zahlenbasis oder die aus den Daten gezogenen Schlußfolgerungen betrifft.

Extreme Grenzwert-Forderungen

Solche Dramatisierungen sind allerdings wohl notwendig, um die extrem niedrigen "Vorsorgegrenzwerte" zu begründen, wie sie dann in der vorliegenden Schrift gefordert werden. Für die Dauerexposition der Allgemeinbevölkerung in Feldern der Stromversorgung soll für das magnetische Feld ein Grenzwert von 0,2 Mikrotesla und für das elektrische Feld von 60 Volt pro Meter gelten. Diese Werte liegen um das 500fache bzw. um das 83fache unter den Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutzkommission, wie sie auch das Bundesumweltministerium in die geplante Feldstärken-Verordnung übernehmen möchte. Für einzelne Anlagen wie Hochspannungsleitungen oder Transformatoren soll die magnetische Feldstärke nochmals halbiert und auf maximal 0,1 Mikrotesla beschränkt werden.

Es handelt sich übrigens um dieselben Grenzwerte, welche die Ecolog-Autoren schon in ihrem 1994 erschienenen Buch gefordert haben. Hier aber werden sie mit der moralischen Autorität der Verbraucherschützer vorgetragen.

Für jeden Einsichtigen müßte eigentlich klar sein, daß derart überzogene "Vorsorgegrenzwerte" irreal sind. Sie würden einen Aufwand von unzähligen Milliarden Mark verursachen, obwohl jenes Gesundheitsrisiko, dem damit angeblich begegnet würde, auf nichts als Spekulation beruht. In einer Zeit, in der Bevölkerung, Staat und Wirtschaft ohnehin schon unter ausufernden finanziellen Belastungen ächzen, wirken derartige Forderungen sogar leicht komisch. Man fühlt sich dabei an jene Worte erinnert, die der Sozialwissenschaftler Prof. Wolfram Fischer zum Abschluß eines "Elektrosmog"-Kolloquiums sprach, das die Stiftung Warentest im März 1994 veranstaltete: "Im Laufe der heutigen Diskussion sah ich mich plötzlich in die Rolle eines Inders, eines Chinesen oder eines Schwarzafrikaners versetzt und dachte bei mir: ëKinder, habt Ihr Probleme!í"

(PB Februar 1996/*leu)