PresseBLICK-Rezensionen Geschichte (Strom u. a.)



Peter Strunk

Die AEG - Aufstieg und Niedergang einer Industrielegende

264 S., DM 58.00, Nicolai-Verlag, Berlin 2000


Die Geschichte der deutschen Stromwirtschaft ist eng verbunden mit der AEG, die über viele Jahrzehnte eine überragende Rolle bei der Lieferung von energietechnischen Anlagen spielte. Darüber hinaus war die "Allgemeine Electricitäts-Gesellschaft", wie schon der Name sagte, auf allen Gebieten der Elektrotechnik tätig. Es waren AEG-Ingenieure, die den ersten Drehstrommotor, das erste Magnetophon oder das PAL-Farbfernsehen entwickelten. An wirtschaftlicher Bedeutung und umfassender technischer Kompetenz konnte sich mit der AEG in Deutschland nur Siemens vergleichen.

Überhaupt lässt sich schlecht von einem der beiden Konzerne reden, ohne den anderen zu erwähnen. Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts waren sie Rivalen und Partner zugleich. Bis zum ersten Weltkrieg hatte dabei die jüngere AEG die Nase vorn. Zum letzten Mal überflügelte sie 1929 den Siemens-Umsatz. Auch nach dem zweiten Weltkrieg sah es eine Zeitlang noch so aus, als könne sie dem ewigen Konkurrenten den ersten Platz erneut streitig machen.

Den Wendepunkt, ab dem die AEG immer hoffnungsloser ins Hintertreffen geriet, könnte man vielleicht 1968 ansetzen: Es war das Jahr, in dem beide Unternehmen ihr Kraftwerks- und Transformatorengeschäft in der KWU bzw. der TU zusammenlegten. Zunächst hielt jedes die Hälfte an den Gemeinschaftsgründungen. Schon 1973 verkaufte dann aber die AEG ihren KWU-Anteil an den Konkurrenten. 1976 überließ sie ihm die Mehrheit an der TU und 1987 den Rest der Beteiligung. Damit war klar, dass die AEG in diesem wichtigen Bereich ihres Stammgeschäfts das Handtuch geworfen hatte.

Oder war der Wendepunkt erst 1973? - Damals wurde offenkundig, dass die AEG bei der Kernenergie aufs falsche Pferd gesetzt hatte. Auf einen Jahresüberschuss von zuletzt 94 Millionen Mark folgte 1974 ein Defizit von 664 Millionen. Um das Loch zu stopfen, musste der Konzern sogar das Gebäude seiner Hauptverwaltung in Frankfurt verkaufen und fortan in den ehemals eigenen Räumen zur Miete wohnen. Seine verlustreiche Reaktor-Abteilung entsorgte er durch Einbringung in die nunmehr allein Siemens gehörende KWU.

Als Daimler-Benz 1985 die Aktienmehrheit der AEG übernahm, war jedenfalls der Wurm längst drin in dem Unternehmen. Wenn noch Überschüsse ausgewiesen wurden, waren sie kein Zeichen von Gesundung, sondern wurden mühsam durch den Verkauf ganzer Geschäftsbereiche erzielt. Da konnten auch die kommunikativen und unternehmerischen Fähigkeiten von Heinz Dürr nicht mehr viel helfen, der 1980 den Vorstandsvorsitz antrat, nachdem das Jahresdefizit zuletzt bei 968 Millionen Mark gelegen hatte. Immerhin gelang es Dürr 1982/83, den drohenden Konkurs durch ein Vergleichsverfahren abzuwenden und dem Daimler-Benz-Chef Edzard Reuter den Kauf des maroden Unternehmens schmackhaft zu machen. Kurze Zeit schien es, als könne der potente Partner der schwer angeschlagenen AEG wieder auf die Beine helfen. Am Ende beliefen sich aber die Jahresfehlbeträge auf über zwei Milliarden Mark. Reuters Vision vom integrierten Technologie-Konzern geriet zum Alptraum. Der Rest war Ausverkauf und Abwicklung. Seit 1996 gibt es die AEG nicht mehr. Wo sie scheinbar fortlebt, wie bei Hausgeräten oder Elektrowerkzeugen, ist der klangvolle Name nur noch eine Marke, derer sich andere Unternehmen bedienen.

Umfassende Darstellung des AEG-Konzerns mit Schwerpunkt auf der Entwicklung nach 1945

Es gab bisher keine Geschichte der AEG, die auch diesen jüngsten Abschnitt mitsamt dem kläglichen Ende umfasst hätte. Im übrigen waren es eher Historiker der DDR als deren westdeutschen Kollegen, die sich dieses spannenden Themas der Industriegeschichte annahmen. Das hatte damit zu tun, dass nach 1945 der größte Teil der AEG-Betriebe in der sowjetischen Besatzungszone lag, wo sie dann - wie das Kabelwerk Oberspree oder die Eisenbahnfabrikation in Hennigsdorf - in so genannte volkseigene Betriebe umgewandelt wurden. Eine Rolle spielte aber sicher auch, dass der kommunistische Kirchenvater Lenin in seiner 1917 erschienenen Schrift "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" die AEG neben der amerikanischen General Electric als eine der beiden "Elektromächte" porträtierte, die dabei seien, den Weltmarkt unter sich aufzuteilen. Es versteht sich, dass diese ostdeutschen Darstellungen im Sinne der "marxistisch-leninistischen" Ideologie gefärbt waren und deshalb nur mit Vorsicht genossen werden konnten.

Das nunmehr vorliegende Werk von Peter Strunk beschreibt dagegen den Niedergang der AEG genauso akribisch wie sachlich, obwohl der Verfasser seine persönliche Betroffenheit nicht verleugnet: Er war acht Jahre lang in der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der AEG tätig. Als promovierter Historiker weiß er zwischen Fakten und deren Interpretation zu unterscheiden. Zugleich hebt er sich sprachlich und in der Klarheit der Darstellung wohltuend von manchen akademischen Verfassern ab, die mehr die Fachgemeinde als ein breiteres Publikum ansprechen wollen. Dass die Nicolaische Verlagsbuchhandlung seinem Werk zu einer gediegen-gepflegten Ausstattung mit über hundert schwarz-weißen Abbildungen verhalf, erhöht das Lesevergnügen.

Strunks Darstellung umfasst den gesamten Zeitraum von der Gründung bis zum Ende der AEG. Sie verzichtet aber ausdrücklich auf den Anspruch, eine vollständige Geschichte des Unternehmens zu liefern. Und das ist gut so: Tatsächlich vermisst man ein paar wichtige Details der Unternehmenshistorie. So ist zwar von Zschornewitz die Rede, wo die AEG 1915 das weltweit größte Dampfkraftwerk in Betrieb nahm. Die damit zusammenhängende Gründung der mitteldeutschen Elektrowerke AG und deren Notverkauf im Jahre 1917 an das Deutsche Reich, wie sie Bernhard Stier in "Staat und Strom" (PB 10/99) erwähnt, kommen jedoch nicht vor. Dasselbe gilt für das gigantische Projekt zur Nutzung der Wasserkräfte der Alpen für die Stromerzeugung, das dann der Weltwirtschaftskrise zum Opfer fiel (PB 10/94 "Kaprun"). Zumindest als Desiderat würde zu einer vollständigen Geschichte der AEG auch ein Blick auf die hochinteressante Persönlichkeit Walther Rathenaus gehören, der in vieler Hinsicht ganz anders geartet war als sein Vater und sich der Nachwelt weniger als Präsident der AEG denn als Politiker, Schriftsteller und Vordenker eines dritten Wegs zwischen Kapitalismus und Sozialismus eingeprägt hat.

Trotz solcher Lücken ist Strunks auf fünfzig Seiten geraffte Darstellung der AEG-Geschichte bis 1945 sehr instruktiv und erspart die Lektüre mancher Spezialliteratur. Unschlagbar ist der Verfasser ohnehin auf jenen drei Vierteln des Seitenumfangs, die sich mit der Nachkriegsgeschichte der AEG befassen. Für ihn steht fest, dass es sich bei dem quälend langen Niedergang des Konzerns "um einen klassischen Fall unternehmerischen Versagens handelte". Er benennt auch einzelne Faktoren, die seit langem die Achillesferse bildeten, wie die chronische Unterkapitalisierung, die zu hohe Verschuldung oder den autoritären Führungsstil bei gleichzeitigem Mangel an operativer Führung der dezentralisierten Unternehmensbereiche durch die Konzernleitung. Es liegt ihm aber fern, das Miss-Management an bestimmten Personen oder Entscheidungen festzumachen, so kritikwürdig diese im Einzelfall gewesen sein mögen. Insgesamt erscheint der Niedergang der AEG in seiner Darstellung eher wie der Niedergang eines komplexen Organismus, der nach demselben Gesetz, nach dem er wächst und gedeiht, eines Tages zu welken beginnt und schließlich stirbt.

Ein Jahrhundert lang war die AEG sowohl der Erzrivale als auch der Partner von Siemens

Mit einer Pleite beginnt bereits die Geschichte der AEG: Gerade acht Jahre bestand die Maschinenfabrik, die Emil Rathenau 1867 in Berlin gründete. Dann scheiterte sie in der Gründerkrise, welche die Boom-Jahre nach dem Sieg über Frankreich und der Reichsgründung beendete. Nur durch glückliche Umstände - auf Drängen der Banken hatte Rathenau das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und sich seine Anteile auszahlen lassen - konnte er wenigstens sein persönliches Vermögen retten.

Emil Rathenau hätte den Rest seines Lebens als wohlhabender Rentier verbringen können. Aber es trieb ihn zu neuer unternehmerischer Betätigung. Als er 1881 die Pariser Weltausstellung besuchte, faszinierte ihn dort die von Thomas Alva Edison entwickelte Glühlampe. 1883 gründete er zur Verwertung der neuen Technik die "Deutsche Edison-Gesellschaft" (DEG), die ab 1887 als AEG firmierte. Die DEG produzierte Glühlampen und stellte Dynamomaschinen auf. 1885 installierte sie in der Berliner Markgrafenstraße das erste öffentliche Kraftwerk Deutschlands. Außerdem gründete sie als Beteiligungsgesellschaft die Berliner Electricitätswerke (BEW), aus denen die spätere Berliner Bewag hervorging.

Im Vergleich mit Siemens & Halske war die AEG zunächst ein Zwerg und von der Duldung durch den Branchenprimus abhängig. Verträge zwischen beiden Elektrounternehmen regelten die Betätigungsbereiche. So durfte die DEG zwar Glühlampen produzieren (weil Siemens auf diesem Gebiet mit seiner Eigenentwicklung nicht vorankam), musste aber Dynamomaschinen, Bogenlampen, Motoren, Kabel und Drähte bei Siemens kaufen. Und auch die AEG unterlag anfangs solchen Beschränkungen: Beispielsweise durfte sie Kraftwerke nur auf Grundlage von Konzessionen errichten und betreiben. Der Bau von städtisch betriebenen Kraftzentralen blieb Siemens vorbehalten. Erst 1896 fielen die letzten Beschränkungen.

Auch später, als sich die AEG emanzipiert und Siemens sogar überflügelt hatte, fanden sich die Rivalen immer wieder zusammen, um Konkurrenten auszuschalten oder neue Marktsegmente zu erschließen: Gemeinsam gründete man 1892 die Akkumulatorenfabrik Hagen, 1903 Telefunken für die neue Technik des Funks und 1919 Osram für die Produktion von Glühlampen. Ein gemeinsames Kind war ebenfalls die Studiengesellschaft für elektrische Schnellbahnen, die schon 1903 auf der Strecke Marienfelde-Zossen einen Drehstrom-Triebwagen bis auf 210 Stundenkilometer beschleunigte.

Die Gemeinschaftsgründung Telefunken kam allerdings nicht ganz freiwillig zu Stande, sondern auf Druck der kaiserlichen Regierung: Diese wollte vermeiden, dass sich Heer und Marine unterschiedlicher funktechnischer Systeme bedienten, weil das im Kriegsfall zu Komplikationen führen musste.

Und dieser Krieg ließ nicht mehr lange auf sich warten: Die AEG produzierte nun jede Menge Munition und sogar Flugzeuge. Zuvor hatte sie ihre Vielseitigkeit bereits durch den Einstieg in die Bahntechnik, den Automobilbau oder die Schreibmaschinenproduktion unter Beweis gestellt. AEG-Präsident Walther Rathenau übernahm den Aufbau und die Leitung der Kriegsrohstoff-Abteilung, die als eine Art staatlicher Super-Konzern auf seine Anregung gegründet worden war.

Dennoch täuschte sich Lenin, wenn er in seiner durchaus respektablen Analyse aus dem Jahre 1916 - die Kirchenväter sind nie so dumm wie die ihnen folgende Orthodoxie - die AEG zusammen mit General Electric schon bei der Aufteilung der Welt sah. Denn just damals überschritt die AEG den Zenit ihres Erfolgs. Am ersten Weltkrieg und dessen Folgen zerbrach ihr anfänglicher Elan, und Siemens konnte erneut die Führung unter den deutschen Elektrokonzernen übernehmen.

Die Gründe dafür lagen in der unterschiedlichen Finanzbasis und Unternehmensführung: Werner Siemens betrieb stets eine konservative Finanzpolitik und wollte bis zu seinem Tod von einer Umwandlung des Unternehmens in eine Aktiengesellschaft nichts wissen. Dagegen startete Rathenau von Anfang an mit Fremdkapital. Im Unterschied zu dem kaufmännisch begabten Techniker und Erfinder Siemens war er eher ein Kaufmann mit Gespür für die Verwertbarkeit technischer Neuerungen. Hier dürfte die Stärke wie die Schwäche der AEG gelegen haben: Im Unterschied zu ihrem Konkurrenten, der auch heute noch mitunter als "Bank mit Elektrogeschäft" charakterisiert wird, war sie immer stark von Aktionären, Banken und anderen Geldgebern abhängig. In den prosperierenden Jahren vor dem ersten Weltkrieg, als die Elektrotechnik einen stürmischen Aufschwung nahm, kam ihr das zugute. Zugleich musste aber eine Krise wie der erste Weltkrieg mit seinen verheerenden Folgen sie um so empfindlicher treffen.

Mit dem ersten Weltkrieg endete deshalb der kometengleiche Aufstieg der AEG. Die Inflation zu Anfang der zwanziger Jahre beutelte sie erheblich mehr als ihren Konkurrenten, der dank seiner konservativen Bilanzpolitik und der Bildung hoher stiller Reserven die Krisenzeit ohne Kapitalmaßnahmen überwand. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise konnten erst 1936 durch einen Kapitalschnitt überwunden werden. 1939 verbuchte Siemens den doppelten Umsatz wie die AEG.

Die Aufholjagd gegenüber Siemens wurde zum Parforceritt in den Abgrund

Nach Ende des zweiten Weltkriegs litt die AEG in besonderem Maße unter Demontagen und Enteignungen im östlichen Deutschland. Die Siemens-Spitze hatte dagegen schon im Herbst 1944 von der geplanten Einteilung Deutschlands in Besatzungszonen erfahren und Vorbereitungen für den Aufbau neuer Standorte in Mülheim/Ruhr, Erlangen und München getroffen. Unter diesen Umständen war es eine beachtliche Leistung, wenn die AEG bis Ende der sechziger Jahre wieder achtzig Prozent des Umsatzes von Siemens erreichte und das Einholen des Konkurrenten nur noch eine Frage der Zeit zu sein schein.

Wahrscheinlich war aber gerade diese Aufholjagd mit der Fixierung auf Siemens ein großer Fehler. - Die Erträge hielten mit den Umsätzen bei weitem nicht Schritt. Die Fremdverschuldung ließ dem Unternehmen kaum noch einen Spielraum. Schließlich rutschte die AEG in die roten Zahlen. Von einem Einholen des Konkurrenten konnte keine Rede mehr sein. "Was als unternehmerischer Kraftakt geplant war, mit dem die AEG auf eine unanfechtbare Position in der Elektroindustrie gehoben werden sollte, stellte sich am Ende als ein Parforceritt in den Abgrund heraus", resümiert der Verfasser.

Die Folgen dieses Parforceritts sind heute noch in manchen Nachfolge-Unternehmen zu spüren. Einige machen durchaus eine gute Figur, wie die 1990 rechtlich verselbständigte AEG Hausgeräte GmbH, die der schwedische Electrolux-Konzern unter seine Fittiche nahm. Weniger erfolgreich war dagegen die Bahntechnik, in der die AEG einst führend war und als einziges Unternehmen sowohl die elektrische als auch die mechanische Ausrüstung liefern konnte. In der 1996 gegründeten ADtranz vereinigte Daimler-Benz den Rest dieser Kompetenz mit dem Bahngeschäft von ABB. Das Kunstwort war übrigens die Erfindung einer englischen Werbeagentur, und im Frankfurter Hauptbahnhof verkündete eine riesige ADtranz-Reklame im schönsten Werbe-Kauderwelsch: "We speak railways". - Bald zeigte sich, dass dem neuen Konzern mit der deutschen Sprache noch ein paar andere Fähigkeiten abhanden gekommen waren. Zumindest die peinlichen Probleme mit den Neigetechnik-Zügen scheinen aber eine Altlast aus Zeiten der AEG zu sein, die 1994 diesen Auftrag annahm, ohne die bis dahin übliche langjährige technische Erprobung gewährleisten zu können.

Technische Mängel bei Siedewasser-Reaktoren trugen wesentlich zum Untergang der AEG mit bei

Ein spezielles Verhältnis verband die AEG über acht Jahrzehnte mit der namensverwandten amerikanischen General Electric (GE), die noch heute der weltweit führende Elektrokonzern ist. Die Gründung der Edison General Electric Co. im Jahre 1890 erfolgte sogar unter Beteiligung der AEG und deutscher Banken. Als das Unternehmen zwei Jahre später mit Konkurrenten zur General Electric Co. (GE) fusionierte, erlahmte zwar das finanzielle Engagement der deutschen Seite, doch blieben enge Beziehungen bestehen, die sich in Marktaufteilungen, Beteiligungen und Lizenzverträgen äußerten. 1929 beteiligte sich GE am Aktienkapital der AEG, was dem längst nicht mehr ebenbürtigen Partner in der just einsetzenden Weltwirtschaftskrise das Überleben sichern half.

Eher als Danaergeschenk entpuppte sich dagegen die GE-Lizenz für den Bau von Siedewasser-Reaktoren, mit der die AEG 1958 den Bau des ersten deutschen "Versuchsatomkraftwerks" bei Kahl begann. Es folgten Aufträge für Siedewasser-Reaktoren in Gundremmingen, Lingen und Würgassen. Auch der Rivale Siemens stieg in den Bau von Kernkraftwerken ein, wobei er sich auf den von Westinghouse entwickelten Druckwasserreaktor stützte. Die scharfe Konkurrenz bescherte beiden Unternehmen so minimale Gewinne bzw. sogar Verluste, dass sie sich zur Zusammenlegung ihres Kraftwerksgeschäfts entschlossen. Wegen der unterschiedlichen Lizenzen sollten die kerntechnischen Aktivitäten aber erst 1973 in die neue Kraftwerks-Union (KWU) eingebracht werden. Bis dahin häuften sich bei der AEG die technischen Pannen mit dem Siedewasser-Reaktor nach GE-Lizenz. Vor allem Würgassen riss ein Loch von 220 Millionen Mark in die Bilanz. Um nicht von der Kostenlawine überrollt zu werden, musste die AEG ihre Hälfte der KWU dem Konkurrenten Siemens überlassen und verlor so fast die gesamte Kompetenz auf dem Gebiet der Energieerzeugung. Sicher zu Recht sieht der Verfasser in diesem Fiasko mit der Kernenergietechnik so etwas wie den "Katalysator der Krise", der die bereits vorhandenen Schwächen des Konzerns in den unaufhaltsamen Abstieg münden ließ.

Am 19. Mai 1999 verwandelten vierzig Kilo Sprengstoff das Hochhaus am Frankfurter Mainufer, das über vierzig Jahre lang die Hauptverwaltung der AEG beherbergt hatte, in einen Trümmerhaufen. Langfristig wird nur noch wenig an die jahrzehntelange Agonie der AEG erinnern. Die große Zeit des Unternehmens war und blieb der Anfang des 20. Jahrhunderts, als der Firmenname von der hauseigenen Werbung noch nicht mit "Aus Erfahrung gut" übersetzt wurde, sondern vom universalen Betätigungsfeld und der Weltgeltung des führenden deutschen Elektrokonzerns kündete.

(PB 1/00/*leu)