August 2019

190806

ENERGIE-CHRONIK


EnBW baut ihre Netzstabilitätsanlage in Marbach

Der südwestdeutsche Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW hat seinen Mutterkonzern Energie Baden-Württemberg (EnBW) mit der Vorhaltung eines Gaskraftwerks beauftragt, das in Notfällen zur Stabilisierung des Netzes hochgefahren werden kann. Wie er am 20. August mitteilte, wird die Anlage eine Leistung von 300 MW haben und am Standort Marbach gebaut. Auf demselben Gelände gibt es bereits drei Kraftwerksblöcke mit einer Gesamtleistung von 424 MW, welche die EnBW mangels Rentabilität stillegen möchte, aber weiter vorhalten muss, weil sie "systemrelevant" sind (140106).


In dieses Luftbild des Marbacher Kraftwerksgeländes am Neckar hat die EnBW das neue Gaskraftwerk als Computer-Simulation bereits einmontiert (links unten). Rechts sieht man den aus einer Dampf- und einer Gasturbine bestehenden Kraftwerksblock 3 mit insgesamt 348 MW. Nicht im Bild ist ein weiterer Gasblock mit 77 MW, den die EnBW ebenfalls stillegen möchte, aber nicht darf, weil er systemrelevant ist.
Foto/Montage: EnBW

Die Situation in Marbach ist damit ganz ähnlich wie am Standort Irsching, wo der Übertragungsnetzbetreiber TenneT durch Uniper ein solches 300-MW-Gaskraftwerk zur Netzstabilisierung errichten lässt (190103). In Irsching haben Uniper und die kommunalen Miteigentümer ebenfalls die Stillegung von zwei Gasblöcken mit insgesamt 1390 MW beantragt, dürfen diese aber wegen ihrer Systemrelevanz nicht vom Netz nehmen. Hinzu muss ein weiterer Gasblock mit 375 MW als "Kaltreserve" aktivierbar bleiben.

Zusätzliche Gaskraftwerke in Süddeutschland sollen Stromausfälle im kommenden Jahrzehnt verhindern

Die neuen Gaskraftwerke in Irsching und Marbach sind sogenannte "besondere netztechnische Betriebsmittel" nach § 11 Abs. 3 des Energiewirtschaftsgesetzes , die von den drei Übertragungsnetzbetreibern Amprion, TenneT und TransnetBW mit einer Gesamtkapazität von 1,2 Gigawatt geplant werden, um Störungen der deutschen und europäischen Stromversorgung im nächsten Jahrzehnt abwenden zu können. Diese Gefahr droht deshalb, weil der Netzausbau zur Behebung der Engpässe zwischen dem Norden und Süden Deutschlands nicht schnell genug vorankommt.

Neoliberale Dogmatik machte aus Netzstabilitätsanlagen "besondere netztechnische Betriebsmittel"

Um für solche Notfalle gerüstet zu sein, hat der Gesetzgeber 2016 den drei betroffenen Unternehmen (die ostdeutsche 50Hertz gehört nicht dazu) durch den neu ins Energiewirtschaftsgesetz eingefügten § 13k die Errichtung von "Netzstabilitätsanlagen" zugestanden. Die Netzbetreiber hätten diese Kraftwerke in eigener Regie vorhalten und betreiben können. Daraus wurde aber nichts, weil die EU-Kommission ihre neoliberale Dogmatik verletzt sah, die auf der kategorischen Trennung des Netzbetriebs von Erzeugunganlagen besteht, obwohl der Netzbetrieb ohne Regelenergie und ausreichende Reserven gar nicht möglich ist (siehe Hintergrund, Juli 2019). Im Juni 2017 wurde deshalb dieser Paragraph im Energiewirtschaftsgesetz komplett gestrichen und durch den § 11 Abs. 3 ersetzt: Begrifflich tauchten nun die "Netzstabilitätsanlagen" gar nicht mehr auf, sondern schrumpften zu "besonderen netztechnischen Betriebsmitteln", derer sich die Netzbetreiber mit Hilfe Dritter bedienen können, die sie aber keinesfalls selber besitzen dürfen (siehe 170604 und Hintergrund, Februar 2018).

Anlagen werden zehn Jahre lang vorgehalten und über die Netzentgelte finanziert

Die voraussichtlich vier Anlagen müssen alle an geeigneten Netzknoten in Süddeutschland errichtet werden. Sie wurden "technologieneutral" ausgeschrieben, laufen aber faktisch auf schnell hochfahrbare Gaskraftwerke hinaus, was dem notleidenden Siemens-Geschäft mit Gasturbinen (190307, 190503) ein bißchen aufhelfen dürfte. Sie sollen bis 2022 fertig sein und dann zehn Jahre lang zur Verfügung stehen. Sie dürften nur in den erwähnten Notfällen Strom produzieren. Ihre Errichtung und Vorhaltung wird über die Netzentgelte von den Stromverbrauchern finanziert. Sie werden also fast nie in Betrieb sein und nach 2032 wieder abgerissen, sofern die Netzengpässe bis dahin tatsächlich beseitigt sind und ein grenzenloser Stromhandel nicht neue schafft. "Eine Nutzung der Anlagen auf dem europäischen Strommarkt nach Ablauf des Nutzungszeitraums als besondere netztechnische Betriebsmittel ist nicht vorgesehen", erklärte jedenfalls die Bundesregierung auf eine diesbezügliche Kleine Anfrage der FDP.

Konzerninterne Vergabe ist nur noch bei der EnBW möglich

Die EnBW berichtete am selben Tag wie ihre Tochter TransnetBW über den an sie erteilten Auftrag für das Gaskraftwerk, wobei sie – um für ein breiteres Publikum einigermaßen verständlich zu bleiben – weiterhin von einer "Netzstabilitätsanlage" sprach. Da sie selber keine Kraftwerke baut, wird sie den Auftrag an einen Generalunternehmer weitergeben. Dieser sei aber noch nicht offiziell benannt worden, hieß es auf Anfrage. Eine derartige konzerninterne Auftragsvergabe – für die es sachlich durchaus gute Gründe gibt – ist nur noch bei der EnBW möglich, da E.ON (091101), Vattenfall (100307) und RWE (110705) sich schon vor Jahren von ihren Übertragungsnetzbetreibern getrennt haben, aus denen die heutigen Unternehmen TenneT, 50Hertz und Amprion hervorgegangen sind.

Amprion hat Ausschreibung für Anlage in Bayerisch-Schwaben abgesagt

Mit den Aufträgen für die neuen Gaskraftwerke in Irsching und Marbach ist die Hälfte der Kapazität vergeben, die von den drei Übertragungsnetzbetreibern Amprion, TenneT und TransnetBW vor einem Jahr auf der europäischen Vergabeplattform TED ausgeschrieben wurden (180715). Die zu beschaffende Wirkleistung von 1200 MW wurde dabei in 12 Lose mit jeweils 100 MW aufgeteilt, die sich in 4 Losgruppen à 300 MW gliedern. Die Anlage von TenneT in Irsching gehört zur Losgruppe D und die der EnBW in Marbach zur Losgruppe B.

Für die Losgruppen A (TenneT/Amprion) und C (Amprion) läuft das Ausschreibungsverfahren noch. Genauer gesagt: Es wurde abgeblasen und neu gestartet. Genaueres wollen die Übertragungsnetzbetreiber dazu nicht sagen. Auch die Bundesregierung weiß angeblich nichts näheres. Auf Nachfrage im Bundestag antwortete sie am 21. Juni schmallippig: "Nach Informationen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie gibt es eine Auseinandersetzung über die Zulässigkeit einzelner Vertragsbedingungen bzw. über seitens des Bieters vorgenommene Änderungen."

Weder die Stadtwerke Ulm noch RWE kamen zum Zuge

Man weiß aber, dass sich die Gaskraftwerk Leipheim GmbH beworben hat. Das ist eine Tochter der Stadtwerke Ulm, die seit langem in Leipheim an der Donau den Bau eines Gaskraftwerks mit eine Leistung von 680 MW planen und sich dabei mit Siemens und der Steag zusammengetan haben. Die Netzanbindung soll dabei über eine vier Kilometer lange Leitung hergestellt werden. Ein paar Kilometer flußabwärts gibt es aber noch zwei weitere Aspiranten: Der eine ist der RWE-Konzern, der am Standort Gundremmingen sowohl über Kraftwerksgelände als auch über Netzanschlußmöglichkeiten für ein Gaskraftwerk mit 1.800 MW oder mehr verfügt. Als dritter zeigte sich die Schweizer Firma PQ Energy interessiert, die auf der anderen Seite der Donau in Gundelfingen ein Gaskraftwerk mit 1200 MW bauen wollte.

Alle drei Projekte liegen im bayerischen Regierungsbezirk Schwaben, der früher mit den Lech-Werken zur Regelzone von RWE gehörte, weshalb heute Amprion zuständig ist. Und alle drei hätten mehr oder weniger abgespeckt werden müssen, um in den vorgegebenn Rahmen von 300 bzw. höchstens 600 MW zu passen. Das Abspecken dürfte aber nicht das entscheidende Problem gewesen zu sein. Vielmehr scheint einer der Bewerber, der schlechtere Karten hatte, eine Überprüfung des Ausschreibungsverfahrens beantragt zu haben. Daraufhin hat Amprion im Februar die Ausschreibung abgesagt und die Neueröffnung des Verfahrens angekündigt.

Dies ist inzwischen erfolgt. "Amprion hat in Losgruppe C erneut zur Angebotsabgabe aufgefordert", erklärte der Netzbetreiber auf Anfrage. "Weitere Informationen können aufgrund des laufenden Verfahrens nicht gegeben werden." Zur Absage der Ausschreibung wolle man "aus verfahrensrechtlichen Gründen" ebenfalls nichts sagen.

 

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