September 2018

180901

ENERGIE-CHRONIK


 


Die Braunkohlegegner hatten im Hambacher Forst rund fünfzig Baumhäuser errichtet und teilweise mit Laufstegen verbunden. Auf Anweisung der Landesregierung wurden die Behausungen von der Polizei geräumt und abgerissen, weil sie die Brandschutz-Vorschriften nicht erfüllen würden.
Foto: Tim Wagner

RWE beharrt auf Rodung des Hambacher Forsts

Der RWE-Konzern beharrt auf der Rodung des restlichen Waldbestands im Braunkohle-Tagebau Hambach und will im Oktober damit beginnen. Im September kam es deshalb zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen einem Großaufgebot der Polizei und etwa 150 Braunkohle-Gegnern, die sich in Baumhütten und einem "Wiesencamp" auf dem umstrittenen Gelände niedergelassen hatten, um die Abholzung der Bäume zu verhindern. Eine wechselnde Anzahl von angereisten Demonstranten unterstützte den Protest. Außerdem folgten am 9. , 16., 23. und 30. September jeweils mehrere tausend Menschen dem Aufruf zu sonntäglichen "Waldspaziergängen" in dem umstrittenen Gelände. Sie nahmen bei dieser Protestaktion umständliche Kontrollen und Behinderungen durch die Polizei in Kauf.

Journalist starb bei Sturz von Hängebrücke

Am 13. September begann die Polizei mit der gewaltsamen Räumung und Zerstörung der Baumhäuser. Am 19. September ereignete sich dabei ein tödlicher Unfall: Der 27-jährige Journalist Steffen Meyn, der mit den Aktivisten sympathisierte und an einer Langzeitdokumentation der Auseinandersetzungen arbeitete, stürzte von einer schadhaften Hängebrücke zwischen zwei Baumhäusern aus fünfzehn Meter Höhe in die Tiefe. Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos. Der Polizeieinsatz gegen die Demonstranten wurde daraufhin vorläufig gestoppt, am 24. September aber fortgesetzt.

Aufruf zu Großdemonstration am 6. Oktober

Die Auseinandersetzung könnte sich noch weiter zuspitzen. Für den 6. Oktober haben verschiedene Organisationen zu einer Großdemonstration gegen die Rodung aufgerufen, mit der RWE voraussichtlich Mitte des Monats beginnen wird. Ein gemeinsamer Appell der Organisationen Greenpeace, BUND und Campact zum Stopp der Rodung wurde von mehr als 650.000 Menschen unterzeichnet. Das Bündnis "Ende Gelände", dessen Aktivisten schon mehrfach Braunkohletagebaue besetzten und lahmlegten (171107, 170803, 160504, 150803), hat überdies für Ende Oktober eine "Massenaktion zivilen Ungehorsams gegen Braunkohle" angekündigt. Die Aktion werde auch dann stattfinden, wenn RWE die Rodung absage.

Konflikt belastet auch die Kohle-Kommission

Ungewiß ist noch, welche Auswirkungen der Konflikt auf die Kommission "Wachstum, Strukturwandel, Beschäftigung" haben wird, die im Juni eingesetzt wurde, um bis Ende des Jahres einen Plan zum Ausstieg aus der Kohleverstromung zu erarbeiten (180612). Vertreter von Umweltverbänden haben damit gedroht, die Kommission zu verlassen, falls RWE mit der Rodung beginnt. Ein Kommissionsmitglied von Greenpeace wies Berichte zurück, wonach es lediglich zu einem separaten Austritt des BUND kommen könnte. Die Umweltverbände würden vielmehr einheitlich darüber entscheiden, ob sie die Kommission verlassen oder nicht (180905).

RWE drängte auf Beseitigung von "rechtswidrigen Besetzungen und Nutzungen"

Der RWE-Konzern zeigte sich in einer Pressemitteilung vom 20. September "tief betroffen vom tragischen Unfall eines Journalisten im Hambacher Forst" und äußerte die Hoffnung, "dass sich niemand mehr in derartige Gefahrensituationen begibt". Ansonsten vermied er sorgsam offizielle Mitteilungen oder Stellungnahmen zu den Vorgängen im Wald. Nach außen traten lediglich die Hundertschaften der Polizei in Erscheinung, die zunächst mit der Begründung einer allgemeinen "Gefahrenabwehr" und dann als Vollzugsorgan der Bauordnungsämter der Stadt Kerpen und des Kreises Düren gegen die Waldbesetzer vorgingen. Sowohl die zuständige Polizeidirektion Aachen als auch die lokalen Bauordnungsämter handelten allerdings auf Anweisung der nordrhein-westfälischen Landesregierung, die am 4. September beschlossen hatte, dass die Baumhäuser der Demonstranten einer baurechtlichen Genehmigung bedürften und geräumt werden müßten, weil sie nicht den Vorschriften entsprächen. Die CDU/FDP-Landesregierung beteuerte zugleich, dass es ihr lediglich um die Einhaltung von Vorschriften gehe und kein Zusammenhang mit der von RWE geplanten Rodung bestehe. Der RWE-Konzern verwies seinerseits darauf, dass er an der Entscheidung des Kabinetts nicht beteiligt gewesen sei. Auf Nachfrage von "zeit online" (13.9.) gab er allerdings zu: "RWE Power hat am 1. August 2018 einen Antrag bei den Ordnungsbehörden und der Polizei gestellt, rechtzeitig vor der genehmigten Rodungssaison 2018/2019 den Hambacher Forst, der Eigentum der RWE ist, von rechtswidrigen Besetzungen und Nutzungen zu räumen."

Innenministerium erklärte den Forst zum "gefährlichen Ort"

"Dieser Polizeieinsatz dient nicht der Räumung von Baumhäusern oder dem Schutz von Rodungsarbeiten", hieß es noch am 27. August, als 400 Polizisten die Vertreter verschiedener Behörden begleiteten, die sich einen Überblick über die Situation im Forst verschaffen wollten. Die Besichtigung verlief ohne Zwischenfall. Am darauffolgenden Tag begann jedoch die Eskalation: Polizisten durchsuchten mit einem Beschluss des Amtsgerichts Aachen das "Wiesencamp", wobei sie die etwa vierzig Angetroffenen zur Hälfte vorläufig in Gewahrsam nahm, weil sie keine Ausweise mit sich führten oder ihre Personalien nicht angeben wollten. Laut Polizeibericht wurde "eine Vielzahl an Beweismitteln" sichergestellt. Neben Zwillen, Schutzschilden, Krähenfüßen und Feuerwerkskörpern seien auch "Hieb- und Stichwaffen" beschlagnahmt worden. Tatsächlich scheint es sich bei den angeblichen Waffen um Forstwerkzeuge oder Küchenmesser gehandelt zu haben.

Am 31. August erklärte die Polizeidirektion Aachen den Hambacher Forst und dessen unmittelbare Umgebung zu einem "gefährlichen Ort" im Sinne von § 12 des Landespolizeigesetzes. Dies geschah mit der dafür erforderlichen Zustimmung bzw. auf Anweisung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums. Damit wurde es möglich, alle angetroffenen Personen einer Überprüfung ihrer Personalien zu unterziehen bzw. festzuhalten und zu durchsuchen, falls sie sich nicht ausweisen können. Der Polizeieinsatz wurde aber weiterhin nur mit "Gefahrenabwehr" und der notwendigen Verfolgung von Straftaten begründet. Zum Beispiel gehe es darum, verschiedene Hindernisse zu beseitigen, die auf "Rettungs-und Einsatzwegen" errichtet wurden. Außerdem seien Einsatzfahrzeuge durch im Boden versteckte Krähenfüße beschädigt worden. Am 12. September habe ein Beamter sogar seine Waffe ziehen und einen Warnschuss in die Luft abgeben müssen, um sich vermummter Personen zu erwehren, die ihn und seine Kollegen mit Steinen beworfen hätten.

Polizei stürmte etwa fünfzig Baumhäuser und zerstörte sie

Ab dem 13. September wurde die Polizei dann jedoch als Vollzugsorgan der Bauaufsicht tätig. Inzwischen hatte die nordrhein-westfälische Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) die provisorischen Behausungen der Demonstranten zu genehmigungsbedürftigen Anlagen erklärt, die gegen die Brandschutzbestimmungen verstoßen würden, weil keine Rettungstreppen und Zufahrten für Notfalleinsätze vorhanden seien. Spezielle "Höheninterventionsteams" der Polizei stürmten daraufhin die etwa fünfzig Baumhäuser, die innerhalb des Waldgebiets an verschiedenen Stellen unter Bezeichnungen wie "Norden", "Oaktown" und "Gallien" entstanden waren. Es dauerte freilich etliche Tage, bis alle "Dörfer" geräumt waren und die Behausungen zerstört werden konnten. Die Polizei bediente sich dabei mehrerer Hebebühnen, die sie gemietet hatte, um die sonst unerreichbaren Baumhäuser entern zu können. Trotzdem war es nicht einfach, deren Bewohner auf den Boden herunterzuholen und in Gewahrsam zu nehmen. Einige sollen sogar Widerstand geleistet haben, indem sie Eimer mit Fäkalien über den Köpfen der Angreifer entleerten. Die Verleihfirma hat die Hebenbühnen dann vorzeitig aus dem Wald zurückgezogen, weil ihr der Verwendungszweck verschwiegen worden sei.

Der heutige Forst ist nur noch ein kleiner Rest des ursprünglichen Waldgebiets


Im noch nicht abgebaggerten Gebiet am südöstlichen Rand des Tagebaues (schraffiert) befinden sich neben dem umstrittenen Waldgebiet noch Wiesen sowie die ehemaligen Ortschaften Manheim und Morschenich, deren Bewohner in ein paar Kilometer Entfernung neu angesiedelt wurden. (Ausschnitt aus der Gesamtkarte des Rheinischen Braunkohlereviers).
Karte: Thomas Römer/OpenStreetMap data

Mit einer jährlichen Förderung von 40 Millionen Tonnen Braunkohle versorgt der Tagebau Hambach vor allem das benachbarte RWE-Kraftwerk Niederaußem (020911). Als es am 15. September etwa zwanzig Öko-Aktivisten gelang, stundenlang einen Bagger und drei Förderbänder zu besetzen, musste RWE deshalb die Leistung des Kraftwerks vorübergehend drosseln. Am 24. September unterbrachen Umweltaktivisten erneut die Brennstoffversorgung, indem sie eine Kohlebahn besetzten.

Die umkämpfte Waldfläche beträgt etwa 200 Hektar. Sie ist damit nur noch ein kleiner Rest des 5000 Hektar großen Baumbestandes, der einst den größten Teil der genehmigten Abbaufläche von 8.500 Hektar bedeckte. In Betrieb genommen wurden bisher 4.380 Hektar. Im Norden des Geländes hat RWE die Abraumhalde "Sophienhöhe" rekultiviert, die sich ungefähr zweihundert Meter über der ursprünglichen Ebene erhebt. Ihre Kuppe liegt fast sechshundert Meter höher als der tiefste Punkt der Tagebau-Grube, mit deren Ausbaggerung 1978 begonnen wurde. Durch Flutung mit Wasser ergäbe diese Grube einen See mit einer Tiefe von bis zu 400 Meter (siehe Karte).

RWE-Chef Schmitz nimmt es nicht so genau

In einem Schreiben an die Kohle-Kommission (180612) erklärte RWE-Chef Rolf Martin Schmitz, dass die Rodung des restlichen Waldes unumgänglich sei. Auch eine vorübergehende Aussetzung der ab Oktober geplanten Abholzung komme nicht in Frage, weil sonst die Stromerzeugung der Kraftwerke Niederaußem und Neurath gefährdet würde. Die Abbruchkante des Tagebaues sei schon auf "rund 300 Meter" an den Wald herangerückt. Da sie sich jährlich um 150 Meter weiter vorschiebe, würden gerade noch zwei Jahre für alle notwendigen Vorarbeiten zu Verfügung stehen, um einen Brennstoffmangel zu vermeiden. Der BUND hat dagegen anhand von Satellitenaufnahmen festgestellt, dass die Abbruchkante in der Vergangenheit tatsächlich nur um knapp 120 Meter jährlich vorgerückt ist. Außerdem lasse sich einer aktuellen RWE-Karte entnehmen, dass der Abstand zwischen Wald und Abbaukante im Juni dieses Jahres zwischen 310 und 510 Meter lag und im Bereich des Waldes überwiegend mehr als 400 Meter betrug.

In den drei Tagebauen steckt mehr Braunkohle als verstromt werden kann

Insgesamt verfügt die Konzerntochter RWE Power in den drei Tagebauen Garzweiler II, Hambach und Inden über deutlich mehr Reserven, als sie bis zur voraussichtlichen Beendigung der Braunkohleverstromung nutzen kann, zumal der Brennstoffbedarf rückläufig ist: Im Rahmen der vor drei Jahren beschlossenenen Abwrackprämie für ältere Braunkohlekraftwerke wurden bereits die beiden letzten Blöcke im Großkraftwerk Frimmersdorf stillgelegt (171102). Zum jetzigen 1. Oktober werden auch die beiden Blöcke E und F in Niederaußem vom Netz genommen und in die sogenannte "Sicherheitsbereitschaft" überführt. Ein Jahr später folgt noch der Block C in Neurath. Dadurch entfällt der Brennstoffbedarf für eine Kraftwerksleistung von insgesamt 1448 MW.

Neurath und Niederaußem sind die Goldesel des neuen RWE-Konzerns

Was längerfristig von der RWE-Braunkohleverstromung übrig bleibt, sind die drei Boa-Blöcke in Neurath (120807) und Niederaußem (020911) mit zusammen 3.163 MW. Diese wird der Konzern sicher so lang wie nur möglich betreiben wollen, zumal er soeben mit E.ON vereinbart hat, sich künftig auf die Stromerzeugung zu beschränken(180301). Mit den relativ neuen und effizienten drei BoA-Blöcken wird der RWE-Konzern bei seiner Stromerzeugung die höchsten Gewinne erwirtschaften können. Am liebsten würde er deshalb in Niederaußem noch einen weiteren Boa-Block errichten. Er schiebt dieses Projekt schon seit zwei Jahrzehnten vor sich her und hat es noch immer nicht offiziell beerdigt (170411). Zu einer Verwirklichung wird es aber mit Sicherheit nicht kommen, weil der Neubau von Braunkohlekraftwerken zur klimapolitischen Diskussion wie die Faust aufs Auge passen würde.

Auf Garzweiler könnte schon 15 Jahre früher verzichtet werden

Fragwürdig geworden sind auch die ursprünglich geplanten Nutzungsdauern der Tagebaue, die für Hambach bis 2040, für Garzweiler II bis 2045 und für Inden bis 2030 reichen sollten. Schon vor vier Jahren befand die damalige Landesregierung, dass Garzweiler II voraussichtlich nur bis 2030 benötigt werde, weshalb zwei Orte von der Abbaggerung verschont bleiben könnten (140315).

 

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