Oktober 2016

161011

ENERGIE-CHRONIK


Teldafax-Netzentgelte müssen nicht zurückgezahlt werden

Obwohl der unseriöse Stromanbieter Teldafax nach Einschätzung des Insolvenzverwalters schon im Mai 2009 "durchgängig insolvenzreif" war (120612), ist ein osthessischer Verteilnetzbetreiber nicht zur Rückzahlung von Netzentgelten verpflichtet, die er weiterhin kassierte, bis es im Juni 2011 endlich zur Insolvenzanmeldung kam (110613). Dies bestätigte nun auch der Bundesgerichtshof, indem er die Revisionsbeschwerde gegen ein entsprechendes Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt zurückwies (Az. IX ZR 152/15)

Bei drohender Zahlungsunfähigkeit dürfen einzelne Gläubiger nicht bevorzugt werden

Der Teldafax-Insolvenzverwalter Biner Bähr hatte von zahlreichen Netzbetreibern die Rückzahlung der erhaltenen Netzentgelte verlangt. Er unterstellte, daß ihnen die drohende Zahlungsunfähigkeit bekannt gewesen sei. Nach Paragraph 133 Abs. 1 der Insolvenzordnung hätten sie damit vorsätzlich die rund halbe Million Teldafax-Gläubiger benachteiligt und seien zur Rückzahlung verpflichtet. Genauso argumentierte er, um von den Finanzbehörden die Rückzahlung der Stromsteuer zu erhalten. Er soll auf diese Weise auch mehr als 250 Millionen Euro eingetrieben haben. Der größte Batzen waren 180 Millionen Euro Stromsteuer, die das Hauptzollamt Köln und das Finanzamt Siegburg erstatteten.

Allein 50Hertz müßte 43 Millionen Euro erstatten

Gegen Nichtzahler führte der Insolvenzverwalter eine Reihe von exemplarischen Prozessen, die sowohl Übertragungsnetzbetreiber als auch Verteiler aller Stufen betrafen. Zum Beispiel verurteilte das Landgericht Berlin den Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz zur Rückzahlung von 43,2 Millionen Euro inklusive Zinsen. Von TenneT erstritt Bähr vor dem Landgericht Bayreuth die Rückzahlung von fast 40 Millionen Euro. Diese Urteile sind allerdings noch nicht rechtskräftig.

Der Verteilnetzbetreiber OsthessenNetz ist jetzt aus dem Schneider

In dem Fall, der jetzt höchstinstanzlich entschieden wurde – es ist der erste – , ging es um die Klage, die Bähr im August 2014 gegen den Verteilnetzbetreiber OsthessenNetz erhoben hatte (Eigentümer des Netzbetreibers ist die RhönEnergie Fulda). Er verlangte die Rückzahlung von Netzentgelten in einer Gesamthöhe von 289.251Euro, die Teldafax von November 2010 bis Mai 2011 in sechs Teilzahlungen geleistet hatte. Teldafax habe In Kenntnis der eigenen Zahlungsunfähigkeit einzelne Gläubiger bevorzugt und planvoll bedient. Dazu habe die OsthessenNetz GmbH gehört, um die Einschaltung der Bundesnetzagentur zu verhindern. Dem Netzbetreiber sei die finanzielle Schieflage des Unternehmens jedoch bekannt gewesen, denn er habe schon seit eineinhalb Jahren Probleme mit dem Zahlungseingang gehabt und deswegen bereits mit der Kündigung gedroht. Außerdem sei die bevorstehende Zahlungsunfähigkeit aus entsprechenden Presseartikeln oder aus Bonitätsauskünften von Auskunfteien zu entnehmen gewesen.

Die OsthessenNetz will dagegen über die Liquiditätslage von Teldafax nicht informiert gewesen sein. Die negativen Presseberichte habe sie nicht gekannt. Außerdem seien damals auch eher positiv gestimmte Berichte in der Tagespresse erschienen. Teldafax habe äußerlich den Eindruck eines funktionierenden und gesunden Unternehmens gemacht. Die Zahlungsverzögerungen habe man nicht auf einen Mangel an Liquidität, sondern auf interne Probleme im Sinne von Organisationsdefiziten zurückgeführt.

Die Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalls ist nicht Sache des Bundesgerichtshofs

Das Oberlandesgericht Frankfurt folgte der Argumentation des Netzbetreibers. Es wies die Klage ab und ließ außerdem die Revison nicht zu, weil es hier um keine grundsätzliche Frage gehe. Streitentscheidend seien vielmehr die konkreten Umstände des Einzelfalls.

Diese Ansicht vertritt auch der Bundesgerichtshof in seinem vom 15. September datierten Beschluß, mit dem er die Revisionsbeschwerde des Insolvenzverwalters zurückweist: Es sei Sache des Tatrichters, die für oder gegen eine Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit sprechenden Indizien zu würdigen. Dies sei in der Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht Frankfurt, die Bähr gegen ein Urteil des Landgerichts Fulda angestrengt hatte, in hinreichender Weise geschehen. (Siehe Hintergrund)

 

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Kein Freibrief, aber ein Armutszeugnis

Wie naiv darf ein Netzbetreiber sein?

(siehe oben)

Der Bundesgerichtshof hat es jetzt in höchster Instanz für rechtens befunden, daß das Oberlandesgericht Frankfurt einem Verteilnetzbetreiber die Behauptung glaubt, er habe noch im Jahr 2011 die drohende Insolvenz des Energieanbieters Teldafax nicht erkennen können (siehe oben). Dabei war die Insolvenzanmeldung schon seit zwei Jahren verschleppt worden. So sah es zumindest der Insolvenzverwalter und verlangte deshalb von zahllosen Netzbetreibern die Rückzahlung der Netzentgelte. Er konnte sich dabei auf die Insolvenzordnung stützen, die derartige Zahlungen als Benachteiligung anderer Gläubiger wertet, wenn der Pleitegeier bereits erkennbar über einem Unternehmen kreist.

Der BGH-Beschluß darf nicht falsch verstanden werden: Er ist kein genereller Freibrief für Netzbetreiber, offensichtliche Anzeichen für eine drohende Zahlungsunfähigkeit einfach mißachten zu dürfen. Er schließt nicht einmal aus, daß in einem anderen der Verfahren, die der Teldafax-Insolvenzverwalter angestrengt hat, die subjektiven Voraussetzungen zur Vorsatzanfechtung nach Paragraph 286 der Zivilprozeßordnung und der Anspruch auf Rückzahlungen nach Paragraph 133 Abs. 1 der Insolvenzordnung für gegeben erachtet werden.

Der Beschluß ist aber ein Armutszeugnis. Und zwar – man kann sich das wahlweise aussuchen – entweder für den Netzbetreiber, der hier verklagt worden war, oder für die Gerichte der unteren Instanz, die ihm seine Ahnungslosigkeit abnahmen.

Konzentrieren wir uns auf den Netzbetreiber: Es nimmt schon wunder, daß er die ab 2010 im "Handelsblatt" und anderen Medien erschienenen Berichte über die desolate Finanzlage und das Schneeball-System des Stromanbieters Teldafax (101007) nicht gekannt haben will. Noch mehr erstaunt dies, weil er selber Probleme mit schleppenden Zahlungseingängen von Teldafax hatte und deshalb sogar schon mit der Kündigung drohte. Dabei gehörten die Netzbetreiber zu jenem privilegierten Kreis, der von Teldafax bis zuletzt sein Geld bekam, weil sonst der Netzzugang gesperrt und die Insolvenz unabwendbar geworden wäre. Ähnlich bevorzugt bedient wurde übrigens der Fußballmanager Rudi Völler, der im Rahmen eines millionenschweren Sponsoring-Vertrags mit Bayer 04 Leverkusen für den Vorkasse-Anbieter die Werbetrommel rührte.

Gewiß: Es gab gelegentlich auch positivere Berichte über Teldafax, wie der Netzbetreiber nachträglich herausgefunden hat und zur Verteidigung seiner Ahnungslosigkeit anführte. Sogar das "Handelsblatt", das die Teldafax-Affäre ins Rollen brachte, schien kurzzeitig an der eigenen Berichterstattung zu zweifeln. Der Grund waren angebliche russische Investoren, die Teldafax "zu einem führenden Player im deutschen Energiemarkt ausbauen" wollten. Glaubte man diesen geschickt lancierten Humbug, so hatten sie schon vorab die Spendierhosen an, weshalb Teldafax nicht mehr vor der Pleite stand, sondern mit Millionen um sich werfen konnte (101118).

Die Wirkung dieser Blendgranate ließ aber schnell nach. Ein zweiter Versuch mit einem angeblichen Nothelfer aus Zypern zündete nicht mehr. Als die OsthessenNetz die vier letzten der insgesamt sechs strittigen Netzentgelt-Zahlungen empfing, ermittelte bereits die Staatsanwaltschaft Bonn wegen Insolvenzverschleppung. Die Bundesnetzagentur war alarmiert und hatte mit der Überprüfung der unseriösen Geschäftspraktiken begonnen, über die sich Tausende von Strom- und Gaskunden beschwerten (110313). Ab Mai 2011 häuften sich dann auch bei den Netzbetreibern Rechnungen, die nicht oder zu spät bezahlt wurden, und es kam deshalb zu einer Lawine von Netzzugangsverweigerungen (110515). Daraufhin mußte Teldafax endlich die Insolvenz anmelden, die seit zwei Jahren überfällig war (110613).

Selbst in der osthessischen Provinz kann man eigentlich nicht so blauäugig gewesen sein, Teldafax für ein funktionierendes und gesundes Unternehmen zu halten, dessen Zahlungsverzögerungen nur auf interne Probleme im Sinne von Organisationsdefiziten zurückzuführen seien. Falls der Netzbetreiber aber tatsächlich keine Zweifel an der grundsätzlichen Solidität des Netzkunden gehegt haben sollte, muß er sich fragen lassen, ob er seiner Aufgabe gewachsen ist. Dazu gehört nämlich auch, sich nicht von unseriösen Netzkunden über den Löffel balbieren zu lassen.

Es gibt noch mehr schwarze Schafe in der Energieanbieter-Branche, die in Wirklichkeit Wölfe im Schafspelz sind. Der Verlauf dieser juristischen Auseinandersetzung könnte sie ermuntern, noch mehr Geld in die juristische Niederknüppelung von Kritikern zu investieren, damit ihre Praktiken möglichst lange unterhalb des Radarschirms der Öffentlichkeit bleiben und Netzbetreiber einigermaßen plausibel behaupten können, von der morschen Geschäftsgrundlage nichts gewußt zu haben.

Zum Beispiel hat der Energieanbieter Flexstrom eine ganze Anwaltsmeute damit beschäftigt, seine auf Irreführung angelegten Bonus-Versprechungen gegen die Klagen enttäuschter Kunden zu verteidigen. Am Ende konnte er auf 46 Urteile von Amtsgerichten sowie vier Urteile des Berliner Landgerichts verweisen, die in der Rabulistik der Bonus-Versprechungen nichts Unrechtmäßiges zu erkennen vermeinten. Wer ihm trotzdem die Irreführung von arglosen und juristisch nicht vorgebildeten Kunden vorwarf, bekam es ebenfalls mit der Anwaltsmeute zu tun. Dazu gehörte auch die ENERGIE-CHRONIK (siehe Hintergrund). Zu einem Prozeß kam es nur deshalb nicht, weil endlich die Bundesnetzagentur eingriff. Die Firmeninhaber stellten aber schnell noch von sich aus den Insolvenzantrag, bevor ihnen die Geschäftstätigkeit untersagt werden konnte (130401).

Der Flexstrom-Insolvenzverwalter versucht nun ebenfalls, bereits gezahlte Netzentgelte zurückzuholen, weil den Empfängern nicht verborgen geblieben sein könne, daß auf dem imposanten Gebäude am Berliner Landwehr-Kanal bereits der Pleitegeier saß. Das wird ihm aber wahrscheinlich noch schwerer fallen als seinem Kollegen bei Teldafax. Über Flexstrom wurde bis zum Schluß weniger und auch nicht so negativ berichtet. Schon äußerlich machte der Laden einen propereren Eindruck als das Chaos, das bei Teldafax herrschte. Insofern hat sich das viele Geld gelohnt, das die Firmeninhaber in die Abmahnungen und Prozesse gegen Kritiker investierten.

Auf den Gläubigerlisten von Teldafax und Flexstrom stehen mehr als eine Million Namen. Sie repräsentieren nicht bloß Forderungen, die größtenteils in den Wind geschrieben werden müssen. Sie repräsentieren auch ein erhebliches Maß an Vertrauensverlust in eine Rechtsordnung, in der solche Sumpfblüten wie Teldafax und Flexstrom – oder neuerdings Care-Energy (161013) – jahrelang gedeihen können.