Januar 2011

110105

ENERGIE-CHRONIK


Brüssel sperrt Emissionshandels-Register nach dem dritten erfolgreichen Coup von Kriminellen

Der Betrug mit Emissionszertifikaten geht weiter. Zu Anfang des Jahres gelang es bislang unbekannten Kriminellen, in das elektronische Registrierungssystem einzudringen und Zertifikate im Wert von rund 28 Millionen Euro zu Geld zu machen. Am 19. Januar stoppte die EU-Kommission deshalb für alle europäischen Register die nationalen und internationalen Transaktionen. Die Sperre galt vorläufig bis zum 26. Januar. Am 25. Januar verfügte die Kommission eine Verlängerung, bis sämtliche Mitgliedsstaaten den Vollzug der inzwischen beschlossenen Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit nach Brüssel gemeldet haben.

Das europäische Emissionshandelssystem wurde damit bereits zum dritten Mal von Kriminellen erfolgreich angegriffen. Ende 2009 hatte sich herausgestellt, daß der schwunghafte Handel am Spotmarkt größtenteils betrügerischen Zwecken gedient hatte. Durch Ausnutzung der Regeln für die Mehrwertsteuer-Abführung konnten die Betrüger rund fünf Milliarden Euro an Steuergeldern erbeuten (091204). Die Polizei schien zunächst erfolgreich nach den Tätern zu fahnden (100411). Seitdem hörte man aber nichts mehr von den Ermittlungen.

Kurz darauf gelang es Betrügern, in die nationalen Emissionshandelssystem einzudringen, indem sie sich mit gefälschten E-Mails und Web-Seiten bei verschiedenen Unternehmen die dafür notwendigen Zugangsdaten erschlichen. Sie erbeuteten dabei mindestens drei Millionen Euro (100205). Auch hier hörte man seitdem nichts mehr von den Ermittlungen.

Bei dem neuesten Coup scheint es sich um einen erfolgreichen Hacker-Angriff auf die Emissionshandels-Register zu handeln. Es könnte aber auch sein, daß Mitarbeiter der im Emissionshandel tätigen Unternehmen die Zertifikate gestohlen haben. Die EU-Kommission machte dazu keine genauen Angaben und begründete dies mit der Geheimhaltung aus Ermittlungsgründen. Sie teilte lediglich mit, daß schätzungsweise zwei Millionen Zertifikate betroffen seien, was weniger als 0,02 Prozent der kursierenden Zertifikate entspreche. Beim derzeitigen Handelswert von rund 14 Euro pro Zertifikat beliefe sich damit der Schaden auf 28 Millionen Euro. Dem Vernehmen nach wurden die Register von Österreich, Tschechien, Polen, Griechenland und Estland angegriffen. Allein in Tschechien soll ein Schaden von 6,7 Millionen Euro entstanden sein. Insgesamt gelten die Register von 14 Staaten als besonders anfällig.

Ab 2012 gibt es nur noch ein Gemeinschaftsregister in Brüssel

Zum materiellen Schaden kommt ein beträchtlicher Image-Schaden für das europäische Emissionshandelssystem, das in der ersten Handelsperiode von 2005 bis 2007 überhaupt keinen Einfluß auf die CO2-Emissionen hatte und in der derzeitigen, bis 2012 laufenden Handelsperiode ebenfalls von zweifelhaftem Erfolg ist (090903). Der Rückgang der CO2-Emissionen seit 2008 ist jedenfalls nicht auf den Handel mit Zertifikaten, sondern auf die Wirtschaftskrise zurückzuführen (100309). Wenn das überaus aufwendige, komplizierte und kostspielige System sogar für kriminelle Machenschaften anfällig ist, wird der Rest der Welt noch weniger davon zu überzeugen sein, daß sich das Klima mit solchen "marktwirtschaftlichen" Instrumenten schützen läßt. Die EU muß sich deshalb noch in der zweiten Handelsperiode überlegen, wie die Sicherheitslücken in den nationalen Registern zu schließen sind. Ab der dritten Handelsperiode (2013 bis 2020) wird die Organisierung und Überwachung ohnehin zentral erfolgen: Die Ende 2009 beschlossene Neufassung der EU-Richtlinie zum Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten sieht in Artikel 19 anstelle der bisherigen nationalen Register ab 2012 die Führung eines Gemeinschaftsregisters in Brüssel vor (090614).

Zertifikate-Handel an der EEX von der Sperre kaum betroffen

Die von der EU-Kommission verfügte Sperrung der nationalen Register betraf in Deutschland die beim Umweltbundesamt angesiedelte Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt), deren Konten für die Ein- und Auslieferung von Emissionszertifikaten blockiert wurden. Neben EU-Emissionsberechtigungen (EUA) gehören dazu auch die CER-Zertifikate, die in Ländern ohne CO2-Reduktionsverpflichtungen nach dem "Clean Development Mechanism" (CDM) erworben werden, und die ERU-Zertifikate aus "Joint Implementation" (JI) in Industrieländern mit Reduktionsverpflichtungen.

Der Handel mit EU-Emissionsberechtigungen (EUA) am Spotmarkt der European Energy Exchange (EEX) war dagegen von der Sperre kaum betroffen, weil die Verkäufe hier aus Beständen erfolgen, die bereits bei der "Clearing"-Tochter ECC hinterlegt worden sind. Falls es für Verkäufe keine entsprechenden Bestände bei der ECC gibt, werden sie von der Börse aufgehoben. Die Transaktionen am EEX Spotmarkt werden somit zwischen internen ECC-Konten der Handelsteilnehmer verbucht und können zunächst unabhängig von der Verfügbarkeit der Registerstellen stattfinden. Eine Auslieferung über die Register findet erst zu einem späteren Zeitpunkt statt. Überhaupt nicht von der Sperre betroffen war der auf dem EUA-Spotmarkt basierende Terminmarkt, der mehr als vier Fünftel des Handelsvolumens umfaßt.

Die Energiekonzerne haben sich legal um weit größere Summen bereichert

Die von den Kriminellen erbeuteten Summen sind insgesamt bei weitem nicht so hoch wie die Milliardengewinne, die sich die Energiekonzerne in der ersten Handelsperiode verschafften, indem sie den Börsenpreis ihrer kostenlos erhaltenen Emissionszertifikate auf den Strompreis aufschlugen (060303). Im Unterschied zu anderen Branchen konnten die Stromkonzerne diese Preiserhöhungen mühelos durchsetzen, da es faktisch keinen Wettbewerb gab. Ihren Praktiken war auch nicht mit dem Strafrecht beizukommen, und die Ahndung durch die Kartellbehörden verlief sehr glimpflich (061203, 070903). RWE konnte aus seiner "Bestrafung" sogar noch ein Geschäft machen (080216). Härter traf die Kraftwerksbetreiber, daß das neue Zuteilungsgesetz ihnen als Ausgleich eine deutlich höhere CO2-Minderung abverlangte als dem produzierenden Gewerbe (060401).

Links (intern)