Dezember 2005

051202

ENERGIE-CHRONIK


Schröder läßt sich von Gazprom anstellen

Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) übernimmt den Vorsitz im Aufsichtsrat der "North European Gas Pipeline Company" (NEGP), die vom russischen Staatskonzern Gazprom gemeinsam mit den deutschen Gasversorgern E.ON und BASF gegründet wurde, um das Projekt einer Gas-Pipeline durch die Ostsee zu verwirklichen und anschließend zu betreiben (050902). Dies teilte Gazprom am 9. Dezember mit, als in Rußland mit dem Bau des ersten Abschnitts der Pipeline begonnen wurde. Gazprom hält an der in der Schweiz registrierten Gesellschaft mit 51 Prozent die Mehrheit und bestimmt deshalb auch den Aufsichtsratsvorsitzenden. Der Rest verteilt sich zu gleichen Teilen auf E.ON und BASF. Schröders Berufung erfolgte somit auf Wunsch von Gazprom bzw. des russischen Präsidenten Putin, mit dem Schröder das Projekt in seiner Amtszeit als Bundeskanzler politisch unterstützt und durchgesetzt hatte (siehe Fotos). Angesichts dieser Vorgeschichte und der mafiösen Strukturen der russischen Politik und Wirtschaft wird Schröders Wechsel vom Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zum Gazprom-Angestellten weithin als skandalös empfunden, zumal der Staatskonzern auch eine aktive Rolle bei der Gleichschaltung der russischen Medien spielt.

Kritik im Bundestag

Auf Antrag der FDP diskutierte der Bundestag am 15. Dezember in einer "Aktuellen Stunde" die Haltung der Bundesregierung zur neuen Tätigkeit Schröders. "Kein vernünftiger Mensch hätte ihm den Rat geben können, eine solche Entscheidung zu treffen", kritisierte der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Gerhardt das "instinktlose" Verhalten des ehemaligen Bundeskanzlers. Für die Fraktion der Grünen forderte der Abgeordnete Matthias Berninger Schröder zum Verzicht auf seinen "zweifelhaften Job" auf. Gazprom sei immerhin ein Unternehmen, das "nicht gerade für bürgerliche Freiheitsrechte steht, sondern im Gegenteil - siehe den Fall Chodorkowski - auch davon profitiert, dass Leute inhaftiert werden und der russische Staat seinen starken Arm zeigt". Es gebe in Rußland viele Personen aus dem Medienbereich, die unter Gazprom zu leiden hätten. Hinzu sei der Geschäftsführer des Pipeline-Konsortiums, Matthias Warnig, "ein Ex-Stasimajor, der zuvor zufälligerweise Wirtschaftsspionage im Bankenbereich betrieben hat und bei der Dresdner Bank tätig war". Insgesamt müsse das Verhalten Schröders als "unanständig" charakterisiert werden. Deutliche Kritik an Schröder übten ferner die Abgeordneten Rainer Brüderle (FDP) und Bodo Ramelow (Linkspartei). Zurückhaltender, aber gleichfalls auf Distanz zu Schröder bedacht, äußerten sich Hermann Gröhe und Wolfgang Götzer von der Unionsfraktion. Die SPD-Abgeordneten Klaus Uwe Benneter und Christine Lambrecht verteidigten dagegen das Verhalten des ehemaligen Bundeskanzlers.

Parlament zitiert den Vizekanzler herbei

Obwohl das Thema der "Aktuellen Stunde" ausdrücklich die "Haltung der Bundesregierung zur Berufung von Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Konsortiums Nordeuropäische Gaspipeline" war, nahm kein Mitglied der Bundesregierung an der Debatte teil. Das Parlament beschloß deshalb mit den Stimmen der Opposition sowie etlicher Abgeordneter der Regierungskoalition, den Vizekanzler und SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering herbeizurufen. Dieser erklärte, daß es eine Haltung der Bundesregierung zur neuen Tätigkeit Schröders nicht gebe, weil sie sich dazu keine Meinung gebildet habe. Persönlich sei er aber der Meinung, daß Schröder das Angebot von Gazprom habe annehmen dürfen. Er sei sogar "froh, dass er das getan hat, weil er an dieser Stelle für unser Land und für Europa auch in Zukunft gute strategische Arbeit leisten kann".

Links (intern)


Schröder und Putin bei der Unterzeichnung der Grundsatzvereinbarung über die Beteiligung der BASF am Bau der Nordeuropäischen Gaspipeline am 11. April 2005 in Hannover (050404). Links neben Schröder der BASF-Vorstandsvorsitzende Jürgen Hambrecht, rechts neben Putin Gazprom-Chef Alexej Miller. (Pressefoto NEGP)

Schröder und Putin bei der Unterzeichnung der Grundsatzvereinbarung über die Beteiligung des E.ON-Konzerns am Bau der Nordeuropäischen Gaspipeline am 8. September 2005 in Berlin (050902). Vorn am Schreibtisch der E.ON-Vorstandsvorsitzende Wulf Bernotat (links) und Gazprom-Chef Alexej Miller. (Pressefoto NEGP)