Dezember 2005

051202

ENERGIE-CHRONIK


Aktuelle Stunde im Bundestag am 15. Dezember 2005 zur Anstellung Schröders durch Gazprom

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP
Haltung der Bundesregierung zur Berufung von Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Konsortiums Nordeuropäische Gaspipeline (NEGP)
Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat das Wort der Fraktionsvorsitzende der FDP-Fraktion, Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt.
(Beifall bei der FDP)

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erinnere mich an viele Debattenbeiträge aus früheren Zeiten vor allem von Sozialdemokraten bei Wechseln von politischen Repräsentanten aus anderen Fraktionen als der SPD in das wirtschaftliche Leben der Bundesrepublik Deutschland oder anderer Länder. Sie haben jeweils, liebe Kolleginnen und Kollegen, aus einer Wolke hoch kondensierter Moral über all das geurteilt. Altkanzler Gerhard Schröder hat sich mit besonderen Beiträgen zur Sitzgestaltung von Unternehmen an der Debatte rege beteiligt. Das Wort "vaterlandslos" war noch eine milde Beschreibung, wenn es um Ereignisse ging, wie sie auch in dem vorliegenden Fall eine Rolle spielen.
Jetzt sagen Sie, das sei alles eine persönliche bzw. private Entscheidung des Altkanzlers. Das ist aber auch schon alles, was richtig ist. Alles andere ist falsch und nicht zu vertreten. Das wird auch in Ihren eigenen Reihen nicht bestritten.
(Beifall bei der FDP)
Der Altkanzler Gerhard Schröder pfeift auf die Prinzipien, die er als Bundeskanzler mit tatkräftiger Unterstützung der Sozialdemokraten vertreten hat.
(Beifall bei der FDP)
Das ist nicht eine Behauptung von mir; das ist in Zeitungen nachzulesen.
(Widerspruch bei der SPD)
Ich füge noch eine Bemerkung hinzu: "Aber es ist der Stil, wenn nicht die politische Moral, der selbst enge Weggefährten abstößt." Das schreibt die "Zeit" unter der Überschrift "Egotrip". Das ist der Punkt, den wir hier besprechen müssen.
Nennen wir es zunächst einmal ganz vorsichtig ungeschickt oder bezeichnen wir es als Zusammentreffen glücklicher wie unglücklicher Umstände. Die Zeittabelle in Bezug auf die Unterzeichnung des Abkommens stellt sich wie folgt dar: erste Meldungen aus Russland, dass der Altkanzler erwäge, eine solche Position anzunehmen; Dementi des früheren Regierungssprechers Anda; im Nachhinein hin und her gewendete Debatte, ob denn die deutschen Beteiligten schon zugestimmt hätten; Aussage des neu gewählten Vorsitzenden der SPD - im Nachhinein interpretiert -, er habe Freitag mit Mittwoch verwechselt, als die Anfrage gekommen sei.
Es gab noch viele weitere unterschiedliche Erklärungen. Sie erinnern mich an Transfers von Spielern in der Bundesliga, von denen kluge Manager sagen, sie seien das Muster eines falsch geführten Stars. Bei dem Altkanzler handelt es sich nicht um das Muster eines falsch geführten Stars; er ist gar nicht geführt worden. Er ist noch nicht einmal beraten worden. Kein vernünftiger Mensch hätte ihm den Rat geben können, eine solche Entscheidung zu treffen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Peter Rauen [CDU/ CSU])
Jetzt will ich an die Sozialdemokraten klar sagen:
(Jörg Tauss [SPD]: Bangemann!)
Sie wissen wie ich, wo das Betreiberkonsortium seinen Sitz nimmt. Wissen Sie das? Weiß das der Altkanzler?
(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: In der Schweiz!)
Aus Angst vor der Steuerpolitik der SPD im Kanton Zug.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Was haben Sie früher über Unternehmen gesagt, die Standortentscheidungen dieser Art getroffen haben? Da versagt die deutsche Sprache, trotz ihrer durchaus kraftvollen Möglichkeiten.
(Christine Lambrecht [SPD]: Haben Sie was dagegen?)
Die Zeit für den Debattenbeitrag in der Aktuellen Stunde ist zu kurz, um alles vorzulesen. Die Zeitungsausschnitte stehen auch Ihnen zur Verfügung. Ich empfehle Ihnen die Lektüre. Der Sitz des Betreiberkonsortiums soll der Kanton Zug sein. Hätten Sie sich in Ihren kühnsten Träumen vorgestellt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass ein einstmals von Ihnen gestellter Bundeskanzler in führender Funktion in ein russisches Staatsunternehmen eintritt, dessen Entscheidungsfindungen zweifellos vom Kreml bestimmt werden und dessen Entscheidungsgremium seinen Sitz auch noch im Kanton Zug nimmt? Niemals. Es gibt dafür keine Begründung.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)
Wir haben ein Interesse an Transformationsprozessen in Russland, auch ein Interesse an einer freien Presse. Sie wissen so gut wie ich, dass Gasprom-Media nicht gerade ein Unternehmen ist, das zu einer freien Presselandschaft in Russland beiträgt.
Sie mögen jetzt sagen: Das hat mit dem Gasgeschäft nichts zu tun. Es ist aber demselben Unternehmen zugeordnet. Die Wochenzeitung "Die Zeit" schreibt: Gasprom ist ein Monopolist mit Fernsehsender, "ein Politunternehmen im Cockpit des Kreml". Mit dem unternehmerischen Ethos, das Sie, meine Damen und Herren von der SPD, hierzulande immer einfordern, hat das überhaupt nichts zu tun.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die deutsch-russischen Beziehungen sind wichtig. Aber Sie dürfen deshalb nicht unter den Teppich kehren, was Ihr Altkanzler hier unternimmt. In Polen, in den baltischen Staaten, in der Ukraine hören wir dieselben kritischen Stimmen, was den Pipelinebau und sämtliche Vorläufe betrifft, und dort fühlt man sich jetzt bestätigt. Ich kenne keinen einzigen internationalen Kommentar in irgendeiner Zeitung dieser Welt, der den Sachverhalt anders beschreibt, als ich ihn hier im Debattenbeitrag für die Bundestagsfraktion der FDP vortrage.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich zitiere zum Abschluss zwei hochinteressante Meinungen aus Ihren eigenen Reihen. Der Kollege Reinhard Schultz findet es im Gegensatz zu den zahlreichen von mir zitierten Kommentaren eher beruhigend, dass Schröder und nicht ein Mitglied der russischen Nomenklatura den Pipelinebau steuert. An Schlichtheit ist das nicht zu überbieten.
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Kollege Scheer hat gesagt, Schröder habe offensichtlich der Instinkt verlassen. Ich will es etwas deutlicher sagen - bezichtigen Sie mich nicht des Plagiats, weil es ein prominentes Mitglied dieses Hauses schon gesagt hat -: Es ist wirklich instinktlos, was der Altkanzler getan hat, und deshalb muss das hier besprochen werden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das ist nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Das ist nicht im europäischen Interesse. Das ist noch nicht einmal im Interesse der Gewerkschaften. Sie wissen doch, was er auf dem Gewerkschaftstag gesagt hat:

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Gerhardt, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Dr. Wolfgang Gerhardt (FDP):
Ich weiß jetzt, wohin ich gehöre. Auch wir wissen es jetzt.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Zur Geschäftsordnung hat der Kollege Koppelin das Wort.

Jürgen Koppelin (FDP):
Herr Präsident, die Fraktion der FDP hat diese Aktuelle Stunde beantragt, damit die Haltung der Bundesregierung erklärt wird. Auf der Rednerliste steht kein Mitglied der Bundesregierung. Wir beantragen daher, den Vizekanzler herbeizurufen.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Es ist also ein Geschäftsordnungsantrag gestellt worden. Meldet sich jemand zur Widerrede zu Wort? - Bitte schön, Herr Benneter.

Klaus Uwe Benneter (SPD):
Die Bundesregierung hat ihre Haltung klar dargetan.
(Lachen bei der FDP - Jürgen Koppelin [FDP]: Wo denn?)
Insbesondere hat der Vizekanzler deutlich gemacht,
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Aber nicht im Parlament!)
dass es im deutschen Interesse liegt, dass der ehemalige Bundeskanzler die Oberaufsicht über eine solche Gesellschaft übernimmt. Insofern spreche ich mich gegen diesen Antrag aus und rufe dazu auf, ihn abzulehnen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Wir wollen Münte hören!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag ist, den Vizekanzler herbeizuzitieren, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Wir sind im Präsidium einig, dass die Mehrheit für den Antrag gestimmt hat.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb bitte ich darum, dass der Vizekanzler herbeigerufen wird.
Bis dahin unterbreche ich die Sitzung.
(Unterbrechung von 13.35 bis 13.52 Uhr)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Der Herr Vizekanzler ist eingetroffen. Vielen Dank, dass Sie so schnell gekommen sind, Herr Müntefering.
Bevor wir in der Aktuellen Stunde fortfahren, möchte ich Ihnen schnell die Wahlergebnisse bekannt geben
- (Solms gibt die Wahlergebnisse bekannt)-
Jetzt fahren wir in der Aktuellen Stunde fort. Das Wort hat der Kollege Hermann Gröhe von der CDU/ CSU-Fraktion.

Hermann Gröhe (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Die Berufung von Altbundeskanzler Gerhard Schröder zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Konsortiums Nordeuropäische Gaspipeline hat viele Fragen, viel Irritation, Verärgerung und - wohl auch unter den eigenen Anhängern - Enttäuschung ausgelöst.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Der Präsident des Deutschen Bundestages, Dr. Norbert Lammert, hat deutliche Worte dazu gefunden und damit sicher für viele von uns gesprochen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Dankbar bin ich aber auch für eine Reihe kritischer Anmerkungen aus den Reihen der SPD, die deutlich machen: Die kritisch diskutierte private Entscheidung des Altbundeskanzlers ist nichts, was das Miteinander der Koalitionsfraktionen berührt.
Im Hinblick auf die Haltung der Unionsfraktion möchte ich daran erinnern, dass wir bereits bei der Unterzeichnung des Vertrages über die Gaspipeline gesagt haben: Wir bejahen die darin zum Ausdruck kommende Vertiefung der deutsch-russischen Energiepartnerschaft. Zugleich kritisieren wir aber die unzureichende Informationspolitik gegenüber den baltischen Staaten, Polen und der Ukraine. - Wir müssen doch wissen, welche Ängste in diesen Staaten eine Politik auslöst, die den Eindruck erweckt, über ihre Köpfe hinweg zu geschehen. Deshalb sind wir dankbar dafür, dass die Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Bundesaußenminister Steinmeier deutlich gemacht haben, dass wir gerade in der Zusammenarbeit mit unseren mittel- und osteuropäischen Nachbarn eine besondere Bedeutung sehen. Das ändert nichts am Ziel einer weiteren Vertiefung der deutsch-russischen Partnerschaft, stellt aber eine wichtige und, wie ich meine, notwendige Ergänzung dieser Politik dar.
Den außenpolitischen Kommunikationsmängeln im Vorfeld der Vertragsunterzeichnung folgt nun ein persönliches Verhalten, das weitere Fragen auslöst: Wann wurde diese geschäftliche Zusammenarbeit ins Auge gefasst? Können ein ehemaliger Stasi-Offizier und ein weitgehend von einem ausländischen Staat kontrolliertes Unternehmen überhaupt, also auch jenseits der jetzt diskutierten Karenzzeiten, angemessene Partner für einen ehemaligen deutschen Regierungschef sein?
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Brauchen wir einen Ehrenkodex für ehemalige Regierungsmitglieder?
Die erste Frage kann nur der Betroffene beantworten; gute Freunde werden ihm dies sicherlich raten.
(Jürgen Koppelin [FDP]: Hat er welche?)
Die zweite Frage beantworte ich mit einem klaren Nein. Intensiver sollten wir uns mit der dritten Frage beschäftigen.
Wir jedenfalls werden uns einer ernsthaften Debatte über einen Ehrenkodex nicht verweigern.
(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Erste Vorschläge, beispielsweise in Anlehnung an die Regelungen für ehemalige Mitglieder der EU-Kommission, wurden bereits gemacht. Entrüstung ist für die vor uns liegende Debatte allerdings ein schlechter Ratgeber, auch die "nachgeholte Entrüstung" der Partei des ehemaligen Bundesaußenministers über eine nun plötzlich zu enge Freundschaft Schröders mit Putin, an der man noch vor wenigen Wochen überhaupt nichts Kritikwürdiges fand.
Ich verhehle hier aber nicht, dass ich Zweifel an einem schriftlich fixierten Ehrenkodex habe. Anstand erreicht man nicht mit einem komplizierten Regelwerk,
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
das zudem sehr differenziert und folglich sehr kompliziert sein müsste. Wir wollen ja einen engeren Austausch zwischen Wirtschaft und Politik, was auch Berufswechsel zwischen diesen Bereichen einschließen muss,
(Jörg Tauss [SPD]: Ach!)
Berufswechsel übrigens, die in anderen Ländern üblicher sind, was man hierzulande nicht selten beklagt. Zudem gilt Art. 12 des Grundgesetzes, die Freiheit der Berufswahl, natürlich auch für ehemalige Spitzenpolitiker. Auch mag ein schriftlich fixierter Ehrenkodex geradezu in die Versuchung führen, seine Grenzen austesten zu wollen. Aber macht es nicht gerade Anstand aus, auch nach den Buchstaben des Gesetzes Erlaubtes zu unterlassen, weil es sich eben nicht gehört?
(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])
Auch darüber sollten wir im Rahmen der Debatte über einen Ehrenkodex nachdenken.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Bodo Ramelow von der Linken.
(Beifall bei der LINKEN)

Bodo Ramelow (DIE LINKE):
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Präsident! Ich kann Herrn Gerhardt in der inhaltlichen Analyse über den hier in Rede stehenden Vorgang nur zustimmen, möchte aber erwähnen, dass die FDP als Antragstellerin dieser Aktuellen Stunde allen Grund hat, sich an die eigene Nase zu fassen.
(Beifall bei der LINKEN)
Den Ehrenkodex im europäischen Rahmen haben wir schließlich Herrn Bangemann zu verdanken, der sich ja sehr bei Telefonica engagiert hat.
Das wirft ein anderes Problem auf, über das wir, wie ich denke, viel gründlicher miteinander reden sollten: Reicht ein Ehrenkodex für die Vorgänge, über die wir hier reden, aus oder sind nicht eher transparente Regeln für Politik und Wirtschaft notwendig?
(Beifall bei der LINKEN)
Ich möchte das an einem aktuellen Beispiel verdeutlichen. Der Gammelfleischskandal in Deutschland zeigt, wie notwendig es ist, eine gläserne Produktion und regelmäßige Kontrollen in der gesamten Kette vom Schlachthaus bis zum Supermarkt zu haben. Eine ähnliche klare und transparente Kette bräuchten wir auch für die deutsche Politik. Das zeigt der aktuelle Vorgang.
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Sie sollten Herrn Schröder nicht mit Gammelfleisch vergleichen! Das geht zu weit!)
- Sie können die Schlussfolgerungen ziehen, die Sie wollen. Ich würde mir nicht erlauben, die FDP mit Gammelfleisch zu vergleichen. Ich rede von der Kette zwischen Politik und Gesetzgebung. In dieser Kette ist einiges nicht in Ordnung.
Das geht mit den Verhaltensregeln für unsere Abgeordneten los. Ich möchte Sie von der FDP ermuntern, Ihren Widerstand aufzugeben. Ich denke, wir brauchen transparente Regeln, die dazu verpflichten, dass alle Nebentätigkeiten von uns Abgeordneten offen gelegt werden.
(Beifall bei der LINKEN - Christine Lambrecht [SPD]: Das ist schon Gesetz! - Jörg Tauss [SPD]: Inklusive der Stasi!)
- Wissen Sie, Ihre Nähe zur Stasi, die Sie gerade mit Ihrem Herrn Schröder offenbaren, sollten Sie bei sich selber ausmachen. Ich finde es absonderlich, wie Sie jetzt auf andere zeigen.
Aber, meine Damen und Herren, es gibt etwas viel Wichtigeres als Ihre dämlichen Zwischenrufe;
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP - Widerspruch bei der SPD - Dr. Uwe Küster [SPD]: Wir sind nicht auf dem Jahrmarkt! - Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist keine parlamentarische Ausdrucksweise! - Jörg Tauss [SPD]: Getroffene Hunde bellen! Volltreffer!)
das ist die Ministererlaubnis, mit deren Hilfe sich die Politik über Entscheidungen von Gerichten oder Kontrollkommissionen hinwegsetzen kann. Bei Herrn Müller wusste man nie: Ist er der Vertreter der Wirtschaft in der Regierung oder gehört er zum Parlament und wird durch dieses kontrolliert? Wir fordern deswegen die Abschaffung der Ministererlaubnis
(Beifall bei der LINKEN)
und sagen ganz klar: Auch bei der anstehenden Entscheidung zu Pro Sieben Sat. 1 und Springer darf es keine Ministererlaubnis geben. Wir werden eine gesetzliche Regelung einbringen und Sie dann bitten, sich klar zu entscheiden, ob Ministererlaubnisse zulässig bleiben sollen oder nicht. Wir werden die FDP klar fragen, ob die Regelungen über die Einkünfte von Abgeordneten sauber dargelegt werden.
In diesem Sinne würde ich mir mehr Transparenz von den deutschen Politikern wünschen.
(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Jörg Tauss [SPD]: Ausgerechnet der Ramelow!)
- Sie können meine Spendenabrechnungen im Internet nachlesen. Ich würde mich freuen, auch Ihre lesen zu können. Es wäre schön, wenn sie transparent wären, aber Ihnen ist es ja schon zu viel, sie dem Präsidenten zu melden.
(Beifall bei der LINKEN)
Mehr Transparenz in der deutschen Politik bedeutet klare Abgrenzung. Es muss deutlich gemacht werden, dass diejenigen, die zehn Tage vor der Wahl einen Vertrag unterschreiben, nicht einen Monat nach der Wahl für das gleiche Unternehmen - zudem "outgesourct" in einem Steuersparland - die Position des Aufsichtsratsvorsitzenden übernehmen können. Ich finde, Herr Westerwelle, das riecht stark nach Gammelfleisch. In diesem Sinne sind wir für Transparenz in der deutschen Politik. Wir fordern Herrn Schröder auf, das Mandat nicht anzunehmen.
(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Obwohl das sicher ein umstrittener Beitrag war, gratuliere ich Ihnen zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
(Beifall bei der LINKEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Uwe Benneter von der SPD-Fraktion.

Klaus Uwe Benneter (SPD):
Meine Damen und Herren! Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich den Versuch unternehmen, die Debatte wieder zur Sachlichkeit zurückzuführen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich sehe keine Irritation und auch keine Verärgerung darüber, wie sich der Bundeskanzler a. D. verhalten hat. Wir haben in der jetzigen Situation erstmals die Chance, eine direkte Anbindung an die russischen Gasvorräte in Westsibirien zu bekommen. In der nächsten Zeit wird das Volumen des Erdgasimports mit Sicherheit sehr stark steigen. Das müsste jeder wissen, der sich ernsthaft damit auseinander setzt - gerade auch die Partei der Aufsichtsräte, die sich jetzt so empört.
(Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das hat Herr Struck bei seinen Äußerungen nicht bedacht!)
Das zusätzlich produzierte Gas muss nach Europa transportiert werden. Bisher existieren dafür zwei Pipelines, eine Südroute und eine Route, die durch Polen und Weißrussland führt. Jeder weiß um die technischen und politischen Schwierigkeiten, die mit der Produktion und dem Gastransport nach Deutschland zusammenhängen.
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Führt die Südroute durch die Schweiz?)
Die Ostseepipeline bietet uns die Chance, unabhängig von den zwischengeschalteten Staaten direkt an die Energieversorgung angeschlossen zu werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Auch die Grünen müssten wissen, dass in der nächsten Zukunft Windkrafträder allein nicht ausreichen werden. Wir brauchen diesen Öltransport.
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Es geht um Gas und um Kohle, nicht um Öl!)
- Entschuldigung. Wir brauchen diesen Gastransport nach Europa.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Die Pipeline wird in Greifswald anlanden. In Greifswald wird die Verteilung Richtung Nordwesteuropa erfolgen.
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Und Schröder verteilt es dann!)
Das wird die wirtschaftlichen Möglichkeiten in einem Landstrich verbessern, der darauf angewiesen ist, mithilfe neuer Technologien nach vorne zu kommen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Diese dritte, unabhängige Verbindung verläuft 100 Kilometer entfernt von der polnischen Grenze. Insofern kann sie auch zu einer sicheren Gasversorgung Polens beitragen.
Der ehemalige Bundeskanzler wurde von russischer Seite angesprochen, ob er den Aufsichtsratsvorsitz für dieses europapolitisch, geostrategisch, energie- und wirtschaftspolitisch wichtige
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Galaktische!)
Projekt übernehmen will. In dieser Situation hat sich Gerhard Schröder, dem die Stärkung der deutsch-russischen Beziehungen durch ein gemeinsames, technologisch nach vorne gerichtetes Projekt immer ein Anliegen war, bereit erklärt, die Oberaufsicht über diese Gesellschaft zu übernehmen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Mutter Teresa!)
Über Geld ist überhaupt noch nicht gesprochen worden.
(Lachen bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Ihre Phantasie geht mit Ihnen durch. Sie von der FDP sind ja Kenner der Materie, wenn es um Aufsichtsratstantiemen geht. - Gerhard Schröder hat im ureigenen Interesse Deutschlands die Oberaufsicht für ein Projekt übernommen, das im energiepolitischen und im energiewirtschaftlichen Interesse Deutschlands liegt. Das muss jedem klar sein.
(Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das sieht Struck aber anders!)
Gerade angesichts unserer geostrategischen Situation - allerorten hört man "Weg vom Öl!" - und der Entwicklung der Ölpreise, die ein Erpressungs- und Nötigungspotenzial der Ölstaaten uns gegenüber nahe legt, müssen wir Wert darauf legen, dass das produzierte Gas möglichst direkt nach Deutschland und Mitteleuropa kommt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Genau diesem Projekt widmet sich Gerhard Schröder. In diesem Sinne übernimmt er die Oberaufsicht. Es liegt im ureigenen Interesse Deutschlands, wenn Gerhard Schröder sich so betätigt.
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Opfert!)
Herr Kollege Gröhe, Gerhard Schröder bewegt sich in der Linie seiner Kanzlerschaft, in der Linie dessen, was er durchsetzen wollte.
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ja, ja!)
Ich sehe keinen Anlass, deshalb einen Ehrenkodex einzufordern. Außerdem hieße das ja nur: Wenn jemand eine Tätigkeit übernehmen will, hat er sie vorher anzumelden, damit dann andere darüber entscheiden können, ob er diese Position übernehmen darf oder nicht. Ich bin sicher, dass die Bundesregierung der Meinung ist - das hat der Wirtschaftsminister von der CSU klar zum Ausdruck gebracht -, dass es im Interesse Deutschlands ist, wenn Gerhard Schröder den Aufsichtsratsvorsitz übernimmt. Ich denke, auch die CDU/CSU-Fraktion sollte das so sehen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Matthias Berninger vom Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete Benneter hat davon gesprochen, dass wir alle davon ausgehen müssen, dass sich Altbundeskanzler Gerhard Schröder geopfert hat. Ich stelle jedoch fest: Das Einzige, was der Altbundeskanzler geopfert hat, ist sein Ruf.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)
Seinen Ruf so leichtfertig zu opfern, ist eine politische Eselei.
Ich denke, wir müssen uns mit zwei Fragen beschäftigen. Die erste Frage lautet: Von wem hängen wir, was unsere Energieversorgung angeht, ab? Wir hängen beispielsweise von Russland ab, was unsere Versorgung mit Erdgas betrifft, und wir hängen unter anderem von einigen arabischen Staaten ab, wenn es um unsere Versorgung mit Erdöl geht. Wir können also nicht immer nur froh und glücklich darüber sein, welche Regierungen und Konzerne dort das Sagen haben und wie die jeweiligen Machtstrukturen sind. Das ist der erste wichtige Punkt.
Der zweite wichtige Punkt ist die Debatte darüber, ob Politikerinnen und Politiker gleichzeitig zu ihrer Tätigkeit im Parlament, im Anschluss daran oder vorher in der Wirtschaft tätig sein dürfen. Dafür gibt es viele Beispiele. Ich nenne zum einen Friedrich Merz und zum anderen Klaas Hübner von der SPD-Fraktion. Beide sind aus einer unternehmerischen Tätigkeit heraus vor den Wähler getreten und haben sich wählen lassen. Es ist absolut legitim, dass Politiker gleichzeitig zu ihrer Tätigkeit im Parlament auch in der Wirtschaft tätig sind.
Das Problem dieser Debatte bestand darin - hier haben, wie ich finde, auch die Kollegen von der FDP überzogen -, dass man die Tätigkeit von Politikerinnen und Politikern in der Wirtschaft generell in Misskredit gebracht hat. Das Kernproblem von Gerhard Schröder ist, dass sein Verhalten eine öffentliche Reaktion hervorgerufen hat, die dazu geführt hat, dass die empörte Öffentlichkeit sofort die generelle Trennung von Politik und Wirtschaft forderte. Ich aber meine, dass Leute mit unternehmerischem Hintergrund hier im Parlament durchaus ihren Platz haben und dass sie zum Beispiel durch das Verhalten des Altbundeskanzlers Gerhard Schröder in ihrer Arbeit diskreditiert werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)
Der Name Bangemann ist ja schon gefallen und die Bemerkung von Herrn Söder, der gesagt hat, man dürfe Herrn Schröder jetzt nicht mehr Altbundeskanzler nennen, fand ich nicht in Ordnung. Das hat mich an dieser Debatte etwas gestört. Denn ich denke, dass sich die Empörung sehr in Grenzen halten sollte. Aufseiten der Union sollte man beispielsweise einmal an Helmut Kohl und seine Tätigkeit für Kirch denken. Darüber haben Sie von der SPD sich damals zu Recht empört. Deswegen ärgere ich mich, dass Sie jetzt vergleichsweise rückhaltlos hinter dem Bundeskanzler stehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich glaube, dass es jenseits eines Ehrenkodexes, über den auch wir innerhalb der Grünen-Fraktion reden sollten, ein ganz klares Kriterium für Anstand gibt. Ich finde es unanständig, wenn der Altkanzler der Bundesrepublik Deutschland den Aufsichtsratsvorsitz einer Tochter der Gasprom übernimmt.
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Nein! Im Gegenteil!)
Lassen Sie mich das begründen. Ich finde das erstens unanständig - darauf hat Herr Gerhardt bereits hingewiesen -, weil die Gasprom in Russland aufgrund ihrer unternehmerischen Verzweigtheit nicht gerade für bürgerliche Freiheitsrechte steht, sondern im Gegenteil - siehe den Fall Chodorkowski - auch davon profitiert, dass Leute inhaftiert werden und der russische Staat seinen starken Arm zeigt. Es gibt sehr viele nicht namentlich zu nennende Personen aus dem Medienbereich, die unter der Gasprom zu leiden haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP - Klaus Uwe Benneter [SPD]: Ach! Das ist eine deutsch-russische Pipeline!)
Ich finde es nicht anständig, eine Führungsposition bei der Gasprom zu übernehmen, deren Vorstandsvorsitzender ein Ex-Stasimajor ist, der zuvor zufälligerweise Wirtschaftsspionage im Bankenbereich betrieben hat und bei der Dresdner Bank tätig war; so viel zum Namen Warnig. Unanständig finde ich das auch deshalb, weil die Gasprom ein Bild von Europa hat, an dem ich Sie noch einen Moment lang teilhaben lassen möchte. Die Gasprom hat vorgestern ein Pressegespräch gemacht und dort der Öffentlichkeit den Hintergrund des Baus der Gaspipeline vorgestellt. Unter der Überschrift "Die norddeutsche Gaspipeline - Versorgungssicherheit für Europa" wurden eine Reihe von Gründen für den Bau der Pipeline genannt. Man kann dafür oder dagegen sein, dass durch die Ostsee hindurch eine solche Pipeline gebaut wird; das ist eine wirtschaftspolitische Entscheidung. Aber dann wurde folgende Begründung genannt: Ein Grund für den Bau dieser Pipeline sei die Vermeidung unkalkulierbarer Risiken bei der Durchleitung des Gases durch das Territorium von Drittstaaten. Ich möchte hier für den ganzen Deutschen Bundestag feststellen, dass die baltischen Staaten und Polen Teile der Europäischen Union sind
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)
und dass ich deshalb nicht glaube, dass es unkalkulierbare Risiken gibt.
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sehr richtig!)
Diese Länder sind unsere Partner in der Europäischen Union. Deswegen ist es unanständig, ein solches Unternehmen mit seinem guten Namen zu schmücken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Herr Präsident, lassen Sie mich schließen mit einer spontanen Äußerung von Peter Struck - für mich jemand, der in seiner Tätigkeit als Politiker wirklich eine Vorbildfunktion hat -, der am Sonntag im ZDF etwas gesagt hat, womit er mir aus der Seele gesprochen hat. Er hat den schlichten Satz gesagt: Ich hätte das nicht gemacht. - Ich finde, man kann ergänzen: Herr Altbundeskanzler Schröder, verzichten Sie auf diesen zweifelhaften Job! Sie haben das nicht nötig und dieses Land hat das nicht nötig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt Herr Bundesminister Franz Müntefering.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Franz Müntefering, Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dieser Aktuellen Stunde war kein Minister auf der Regierungsbank. Das ist dem Parlament gegenüber nicht angemessen und ich bedaure das; das haben wir von der Bundesregierung miteinander zu besprechen. Ich will versuchen, dafür zu sorgen, dass wir da in Zukunft besser sortiert sind.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der FDP)
Ich will zunächst sagen, dass diese Ostseepipeline ein Projekt von großer Sinnhaftigkeit ist; das ist von einigen Kollegen schon angesprochen worden. Es geht um die Energiesicherheit Deutschlands. Das Unternehmen, das diese Ostseepipeline errichtet, ist ein internationales: Es gehört zu 51 Prozent Gasprom und zu 49 Prozent deutschen Beteiligungen. Das Projekt an sich ist nicht neu: Wir kennen es seit einiger Zeit und haben es gestützt und gefördert. Es ist auch nicht wegzureden mit dem Hinweis, dass es bereits eine Gaspipeline gibt, die durch Polen führt. Die Pipeline, die jetzt gebaut wird, soll nicht nur Deutschland versorgen, sondern weitergeführt werden in die Niederlande, nach Großbritannien und in andere europäische Länder. Diese Bundesregierung hat, wie die Bundesregierung davor, zum Ausdruck gebracht: Sie ist für dieses Projekt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es bedeutet eine Diversifizierung, die angesichts der Probleme, die die Energieversorgung in dieser Welt bereitet, vernünftig ist. Deshalb kann doch kein Mensch in diesem Haus ernstlich infrage stellen, dass es sinnvoll ist, diese Pipeline zu bauen und noch mehr Sicherheit in unsere Energieversorgung zu bringen, indem wir sie diversifizieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dirk Niebel [FDP]: Das ist nicht das Thema der Aktuellen Stunde!)
- Der Weg weg vom Öl ist ein Thema, das uns alle miteinander verbinden muss.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nun hat die FDP eine Frage an die Bundesregierung gestellt. Genauer muss ich sagen: die Spaß-FDP; ich erkenne Sie alle wieder heute. Mit einem Augenzwinkern sind Sie unterwegs, haben geglaubt, sie könnten sich einen Jux daraus machen. Aber die Haltung der Bundesregierung zu dem Projekt dieser Ostseepipeline ist rundum positiv und zustimmend; das will ich hier noch einmal feststellen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dirk Niebel [FDP]: Das ist doch gar nicht nötig!)
Das hat auch damit zu tun, dass der Bundeswirtschaftsminister dabei war, als die erste Schweißnaht - das ist so eine Art Grundsteinlegung - gefeiert wurde. Die Kanzlerin hat mit unserem Nachbarn Polen darüber gesprochen, dass die Interessengegensätze, die ja vermutet werden, ausgeglichen werden können. Kurzum: Diese Pipeline kann für ganz Europa von großem Nutzen sein.
Nun hat die FDP ja nicht nach der Haltung der Bundesregierung zu diesem Projekt gefragt, sondern dazu, dass Gerhard Schröder, der ehemalige Bundeskanzler, an die Spitze dieses Unternehmens geht. Dazu kann ich Ihnen nichts sagen, weil sich die Bundesregierung dazu keine Meinung gebildet hat.
(Dirk Niebel [FDP]: Das ist aber schade!)
- Nun seien Sie vorsichtig, ehe Sie dazwischenjohlen!
Das wäre eine interessante Frage. Aber stellen Sie sich vor, ich würde Ihnen heute hier erzählen, wir hätten im Kabinett darüber gesprochen, ob man so etwas darf oder nicht! Da müsste diese große FDP ja wohl aufspringen und sich empören, was die Regierung der Bundesrepublik Deutschland sich anmaßte, sich einzumischen, wer bei internationalen Unternehmen wie dem dort entstehenden an der Spitze stehen soll!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dirk Niebel [FDP]: Wo war denn Herr Glos?)
Was stellen Sie also für Fragen?! Kleinkariert, schon im Ansatz.
(Dirk Niebel [FDP]: Wo war denn Herr Glos?)
Sie haben gedacht: Da können wir die mal erwischen, jetzt pieken wir die mal eben an.
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Sie sind schon dran!)
Aber das, was Sie da machen, bleibt unter Ihrem Niveau; Herr Gerhardt, das will ich Ihnen sagen.
Das gilt in Maßen auch für Sie von den Grünen. Die Geschwindigkeit, mit der sich manche hier im Raume drehen und glauben, sie könnten hier so herumspuken, finde ich interessant.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Was haben Sie denn früher dazu gesagt?)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Projekt haben wir gefördert und gefordert. Wir haben es in einer Zeit unterstützt, als noch niemand wusste, dass am 18. September Bundestagswahl sein würde.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir haben es unterstützt, ohne zu wissen, wie die Bundestagswahl ausgehen würde. Wir, auch Gerhard Schröder, haben es unterstützt, ohne zu wissen, dass er jetzt nicht mehr Bundeskanzler sein würde.
(Jörg Tauss [SPD]: Und Fischer!)
Er hat auf den Marktplätzen gestanden und hat gekämpft. Oder wollen Sie sagen, das habe er nur gemacht, um hinterher in diese Funktion wechseln zu können? Es ist absoluter Irrsinn, was Sie da erzählen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])
- Hören Sie auf zu schreien. Sie haben sich ein Ei ins Nest gelegt. Das wird Ihnen noch wehtun.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Oh, der Vizekanzler droht uns! Jetzt haben wir aber Angst, Herr Vizekanzler! - Weitere Zurufe von der FDP: Oh!)
Sie fordern die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland auf, sich dazu zu äußern, wenn irgendjemand in bestimmten internationalen Unternehmen an die Spitze der Unternehmen rückt. Dabei geht es zunächst einmal nicht um die Person Gerhard Schröder. Das kann man nicht auf eine Person beziehen. Dann müssten wir auch über andere Personen sprechen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Sagen Sie das auch einmal Herrn Müller!)
Lieber Herr Gerhardt, Bundeskanzler, Regierungsmitglieder und ehemalige wichtige Politiker haben alle möglichen Funktionen übernommen. Sie beraten Verlage, schreiben Bücher und sind im Auftrag der Bundesregierung in Missionen überall auf der Welt unterwegs. Das ist alles richtig. - Sie von den Grünen schütteln den Kopf. Ich bewege mich gerade auf die entscheidende Frage zu - ich umkreise sie nahezu -:
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ha, ha!)
Sind Sie in der Sache dagegen, dass er das macht,
(Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
oder sind Sie dagegen, weil er Geld dafür bekommt?
(Matthias Berninger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN]: In der Sache! - Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ach Quatsch!)
Genau das ist Ihr Problem. Dass Gerhard Schröder mit seiner Kenntnis und seiner Erfahrung der letzten Jahre an dieser Stelle ein guter Mann ist und dass er diese Aufgabe übernehmen kann, werden Sie nicht bestreiten können, wie auch sonst niemand hier im Raum. Das ist die schlichte Wahrheit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es gibt Leute, die Putin schon immer nicht mochten und die deutsch-russische Freundschaft auch nicht.
(Zurufe von der FDP: Ach!)
- Das habe ich doch gelesen. Sie toben sich jetzt auch aus.
Ich sage Ihnen: Es gibt zu diesem Fall keine Haltung der Bundesregierung, weil sie sich dazu keine Meinung gebildet hat. Als Mitglied dieser Bundesregierung sage ich Ihnen aber meine persönliche Meinung als Franz Müntefering: Gerhard Schröder konnte dieses Angebot, das ihm gemacht worden ist, annehmen. Ich bin froh, dass er das getan hat, weil er an dieser Stelle für unser Land und für Europa auch in Zukunft gute strategische Arbeit leisten kann. Dieses Projekt ist ein strategisches Projekt für ganz Europa. Man kann unterschiedlicher Meinung dazu sein, ich persönlich bin mir aber sicher, dass er das mit aller Integrität ausführen wird. Dass sie ihn gefragt haben und nicht einen Herrn Gerhardt, einen Herrn Westerwelle oder einen Herrn Brüderle, ist ein Zeichen dafür, wem sie so etwas zutrauen und wem nicht.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Herrn Struck haben sie auch nicht gefragt! Merkwürdig, dass Herr Struck das ganz anders sieht!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Rainer Brüderle von der FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP)

Rainer Brüderle (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde zeigt: Die Opposition ist in diesem Parlament nicht machtlos.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN)
Sie hat es geschafft, dass sich gnädigerweise wenigstens ein Minister ins Parlament begeben hat. Die mangelnde Präsenz der SPD-Fraktion zeigt die innere Distanz der Sozialdemokraten zu ihrem früheren Kanzler.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN - Zurufe von der SPD: Oh! - Jörg Tauss [SPD]: In welchen Beiräten sind Sie?)
Herr Kollege Benneter, Sie sprachen immer von Öl. Ich darf Ihnen verraten: Es geht hier um Gas und um Kohle, aber nicht um Öl. Das sage ich Ihnen, damit Sie die Fakten kennen.
(Beifall bei der FDP)
Herr Müntefering, ich möchte aufgreifen, was Sie gesagt haben, nämlich dass sich die Bundesregierung dazu nicht äußern soll und nicht äußern kann. Der Fall Bangemann, der mir nicht gefallen hat, ist nicht vergleichbar mit dem Fall Schröder.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
- Nein, nein. Der Unterschied ist, dass dort jemand europaweit für generelle Regeln zuständig war. Daran haben Sie sich täglich abgearbeitet. Hier hat ein ehemaliger Kanzler ein konkretes Projekt eines Unternehmens gefördert, das dem russischen Staat gehört und das Instrument der russischen Politik ist. Es ist ein Unterschied, ob Sie im Einzelfall eingreifen oder für generelle Regeln zuständig sind.
(Beifall bei der FDP)
Der Regierungssprecher von Herrn Schröder, Uwe-Karsten Heye - mancher kennt ihn noch -, hat im Fall von Herrn Bangemann öffentlich erklärt, Herr Bangemann habe dem Ansehen der Kommission einen erheblichen Schaden zugefügt.
(Jörg Tauss [SPD]: Das ist wahr!)
Regierungssprecher Heye erklärte, Bangemann habe Deutschland einen schlechten Dienst erwiesen.
(Jörg Tauss [SPD]: So war das!)
Herr Heye erklärte öffentlich in der "Passauer Neuen Presse", die Bundesregierung werde sich einer möglichen Klage einiger europäischer Länder gegen den beurlaubten Kommissar anschließen. Regierungssprecher Heye sagte wörtlich, man werde sich beteiligen, wenn es darum gehe, ein Verfahren in Gang zu setzen. - Dort haben Sie sich in einem Fall, der ungleich anders war, durch den Regierungssprecher Ihrer Partei intensiv öffentlich betätigt. Heute sagen Sie, das ginge das Kabinett nichts an. Was ist denn da richtig?
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Schlimme ist ja die innere Unaufrichtigkeit. Wirtschaftsminister Müller hat, als er der rot-grünen Regierung angehörte, in seiner Amtszeit die Fusion von Eon und Ruhrgas - auch Partner dieser Pipeline - gegen das Votum des Kartellamts und der Monopolkommission genehmigt. Der ganze ökonomische Sachverstand war dagegen, auch wegen des Marktanteils dieses Unternehmens von 87 Prozent. Später hat sich Schröder beschwert, dass die Gaspreise gestiegen sind. Einführung in die Grundzüge der Ökonomie an der Volkshochschule Mainz-Süd, zweite Stunde: Monopolpreise sind immer höher als Wettbewerbspreise.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Jörg Tauss [SPD]: Jetzt wissen wir, wo er in der Schule war!)
Anschließend ist dieser Herr Müller Vorstandsvorsitzender der Ruhrkohle AG, einer Tochtergesellschaft von Eon, geworden. Staatssekretär Tacke, der das für ihn unterschrieben hat, ist anschließend Vorstandsvorsitzender der STEAG AG, einer Tochtergesellschaft von Eon Ruhrgas, geworden.
Das ist die Schieflage, weshalb viele im Land sagen, dass die Politik dort nicht in Ordnung ist. Wir wollen uns nicht in Richtung einer Bananenrepublik bewegen. Hier müssen andere Maßstäbe und andere Haltungen her. Darum geht es.
(Beifall bei der FDP, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es geht doch gar nicht um diese Gasleitung, die ökonomisch vernünftig ist. Es geht auch gar nicht darum, ob sie nun in Greifswald oder woanders ankommt; es geht um die Haltung. Bundeskanzlerin Merkel spricht mittlerweile liebevoll vom "Altbundeskanzler". Da schwingt der Kanzler nach. 14 Tage war er abgewählt und aus dem Amt und schon wurde er beim russischen Staatsunternehmen Aufsichtsratsvorsitzender.
(Dirk Niebel [FDP]: Pfui!)
Wahrscheinlich wird er auch noch Ehrenbürger der Schweiz; denn er wirbt ja für den Standort Schweiz.
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Jörg Tauss [SPD]: Wäre das unehrenhaft?)
Es gibt offenbar keinen besseren Beleg dafür, dass es sich nicht lohnt, ein Unternehmen in dem Land zu wählen, dessen politische Konkursmasse Rot-Grün hinterlassen hat, als nach Zug in die Schweiz zu gehen. Wahrscheinlich erhält er dort den Ehrenpreis für die Standortwerbung für die Schweiz. Was wurde vorher über die unpatriotischen Unternehmer geschimpft, die sich ökonomisch entscheiden!
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Heuschrecken!)
Ich habe gelesen - das ist interessant -, was der Chef von Gasprom operativ alles machen soll. Aber Sie sagen ja, es gehe nicht ums Geld, also um die 1,5 Millio-nen Euro, von denen die "Leipziger Zeitung" heute berichtet, sondern um die Sache. Sie sollten wirklich einmal die Kirche im Dorf lassen:
(Beifall bei der SPD)
Es ist nicht in Ordnung, dass Sie Monopole begünstigen - ein Unternehmen auf dem Gasmarkt: Marktanteil von 87 Prozent - und anschließend die politisch Zuständigen dorthin gehen. Hier ist wieder so ein Fall. Gasprom ist ja nicht irgendein Unternehmen. Misslebige Medienunternehmen werden schnell aufgekauft. In Weißrussland, wo es einen Diktator gibt, werden günstige Energiepreise gemacht. Das ist ein Instrumentarium der russischen Politik und kein Unternehmen wie Telefonica oder sonst irgendeines, bei dem es einen Markt mit Konkurrenz gibt. Hier ist ein Staatsmonopol in Russland. Dort geht der deutsche Kanzler hin und wird Aufsichtsratsvorsitzender!
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)
Sie sollten mal überlegen, was Sie tun! Den kleinen Genossen, die bei Ihnen Plakate geklebt haben, kommt das Frühstück hoch und ein Teil Ihrer Fraktion schämt sich draußen.
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN - Iris Gleicke [SPD]: Unmäßig!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Götzer von der CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Dirk Niebel [FDP]: Das wird jetzt echt schwierig!)

Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich diese Aktuelle Stunde zunächst zum Anlass nehmen, eine grundsätzliche Bemerkung vorweg zu machen. Der Wechsel von ehemaligen Politikern, insbesondere Mitgliedern der Bundesregierung, nach ihrer Amtszeit in die Wirtschaft ist nicht nur zulässig. Wir halten es auch für sinnvoll, dass sich politischer Sachverstand im Wirtschaftsleben wiederfindet.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Genauso halten wir es für richtig und wichtig, dass Unternehmer ihren wirtschaftlichen Sachverstand in die Politik einbringen, am besten dadurch, dass sie Parlamentarier werden.
Beim heutigen Thema geht es aber nicht um diese grundsätzliche Frage, sondern um die Umstände eines solchen Wechsels. Dass allerdings gerade die FDP diese Aktuelle Stunde beantragt hat,
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Sie haben es ja nicht getan!)
verleitet zum Nachdenken darüber, wie das denn mit dem schon angesprochenen Fall des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers und EU-Kommissars Martin Bangemann
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
und seinem schnellen Wechsel zum spanischen Telefonica-Konzern war.
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Wiesheu hat sich mehr Zeit gelassen!)
- Ich will das jetzt nicht vertiefen.
Ich glaube, wir sind uns einig: Fälle dieser Art werfen die Frage des politischen Stils, mehr noch des Anstands auf. Was geziemt sich für ein ehemaliges Mitglied der Bundesregierung, einen hohen Repräsentanten unseres Landes, nach Aufgabe seines Staatsamtes? Ich möchte noch einmal betonen: Es spricht aus meiner Sicht grundsätzlich nichts dagegen, dass ein solch hochrangiger ehemaliger Politiker seinen Sachverstand in die Wirtschaft einbringt. Das kann sogar im Interesse unseres Landes liegen. Aber es sollte alles vermieden werden - auch das muss ich sagen -, was auch nur den Anschein einer Belohnung für bestimmtes politisches Verhalten erwecken könnte.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
- Das ist eine grundsätzliche Bemerkung. - Es geht dabei nicht um die vor allem unter Juristen immer gleich heiß diskutierte Frage der Rechtmäßigkeit eines solchen Verhaltens. Für Zweifel daran - das möchte ich ganz klar sagen - gibt es nicht die geringsten Anhaltspunkte, auch nicht dafür, dass private Interessen mit denen des Staates verknüpft worden sind.
Worum es hier geht, ist das Vertrauen. Es geht um Glaubwürdigkeit und um Ansehen, und zwar nicht nur des ehemaligen Bundeskanzlers, sondern letztlich aller Politiker. Wir wissen, dass das Werturteil der Öffentlichkeit in solchen Fällen meist nicht nur den Handelnden gilt, sondern auch den Politikern und damit der Politik insgesamt.
Soweit im vorliegenden Fall Zweifel an der moralischen Unangreifbarkeit dieses Handelns geäußert werden und offene Fragen im Raum sind, die die Würde des Staatsamtes tangieren könnten, ist es meiner Meinung nach am früheren Kanzler, für Klarheit zu sorgen. Das würde ich auch begrüßen, da unzweifelhaft in weiten Teilen der Bevölkerung und parteiübergreifend Unverständnis und Unbehagen über die Umstände feststellbar sind. Aber eines ist ganz klar: Vorverurteilungen darf es nicht geben und auch keine Schnellschüsse wie etwa Forderungen nach neuerlichen Änderungen der Verhaltensregeln oder nach einem Ehrenkodex. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Verhaltensregeln haben wir erst vor sechs Monaten geändert, und zwar, wie ich meine, in einer ziemlich missglückten Weise.
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das ist wahr!)
Was diesen Ehrenkodex angeht: Ich habe große Zweifel, ob ein solcher Ehrenkodex ein taugliches Instrument ist, das angestrebte Ziel zu erreichen.
(Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Lassen Sie uns darüber sprechen!)
Nichts anderes hat im Übrigen der Kollege Gröhe vorher in seiner Rede zum Ausdruck gebracht. Kann man denn das, was Anstand und Common Sense fordern - also die klassischen Beispiele für ungeschriebene Gesetze -, wirklich in Paragraphen fassen? Ich glaube, nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ein Verhaltenskodex mag einen gewissen Rahmen setzen. Die schriftliche Fixierung kann aber zu Fehlschlüssen verleiten: Alles, was dort nicht als unanständig aufgeführt ist, wird man in Konsequenz daraus als anständig ansehen. Aber das muss nicht immer der Fall sein. Wir müssen andererseits darauf achten, dass nicht etwas schnell und vordergründig als unehrenhaft gebrandmarkt wird, woran an sich nichts Anstößiges ist.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat die Kollegin Christine Lambrecht von der SPD-Fraktion.

Christine Lambrecht (SPD):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vizekanzler Müntefering hat zu Recht festgestellt, dass diese von der FDP initiierte Aktuelle Stunde den Charakter einer Juxveranstaltung habe. Viele Ihrer Beiträge bestätigen diese Einschätzung.
(Beifall bei der SPD)
Ich möchte gern auf einige Redebeiträge eingehen und sie auf ihre Ernsthaftigkeit überprüfen. Sie von der FDP reden von Anstand, Moral und Ehre in der Politik. Ich will nicht noch einmal die Erinnerung an Herrn Bangemann strapazieren. Davon war schon so oft die Rede, dass inzwischen sicherlich jeder weiß, was das für eine faule Geschichte war.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Aber Sie messen mit zweierlei Maß!)
Ich erinnere aber an die Kollegin Flach, die Geld bezogen hat, ohne dafür irgendeine Leistung zu erbringen und ohne diese Einnahmen anzugeben. Wenn ich solche Kolleginnen und Kollegen in den eigenen Reihen hätte, dann wäre ich etwas vorsichtiger mit Begriffen wie Ehre, Anstand und Moral.
(Beifall bei der SPD - Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Sie ist zurückgetreten! Sie ist ausgeschieden!)
Völlig neu und interessant für mich ist allerdings, dass es mittlerweile aus der Sicht der FDP einem Betrieb schon vorzuwerfen ist, wenn er seinen Geschäftssitz in die Schweiz verlegt.
(Dirk Niebel [FDP]: Bei der Steuerpolitik hat man ja kaum eine andere Wahl!)
Ich wusste gar nicht, dass man einem Betrieb einen Vorwurf daraus machen kann. Nach dem, was Sie, Herr Gerhardt und Herr Brüderle, vorgetragen haben, kann man nur allen Unternehmern bei einem solchen Vorhaben zur Vorsicht raten: Dafür wird man von der FDP in Deutschland ausdrücklich gerügt.
(Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Das ist aber großer Unsinn!)
Herr Berninger, Ihr Beitrag war für mich Heuchelei im Quadrat.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Entschuldigung, aber Sie waren doch Staatssekretär in einer rot-grünen Regierung, die dieses Projekt beschlossen hat. Vielleicht habe ich es seinerzeit nicht mitbekommen, aber alle Kritikpunkte, die Sie eben an diesem Geschäft aufgeführt haben, habe ich vorher nicht von Ihnen gehört. Wann haben Sie denn Ihre Bedenken vorgetragen?
(Matthias Berninger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Fusion! Als es um die Ministererlaubnis ging, gab es einen großen Streit darüber!)
Die Öffentlichkeit hat nichts davon erfahren. Deswegen ist es heuchlerisch, wenn Sie sich diese Position zu Eigen machen, nachdem Sie aus dem Amt des Staatssekretärs ausgeschieden sind.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Lieber Kollege Ramelow, Sie fordern Transparenz in der Politik und die Offenlegung der Nebeneinkünfte von Abgeordneten. Herzlich willkommen in der Realität! Das haben wir in der letzten Legislaturperiode mühsam durchgesetzt, auch gegen Stimmen aus der FDP und der Union bzw. gerade gegen diese Opposition.
Wir haben nämlich seinerzeit festgelegt, dass zukünftig Nebentätigkeiten hinsichtlich ihrer Art und der damit verbundenen Einnahmen offen gelegt werden müssen. Ich kann mich noch gut an die Position der Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU erinnern, die genau das nicht wollten. Ich habe zwar Verständnis dafür, dass die Öffentlichkeit und auch Sie ein Interesse daran haben, was ein ehemaliger Bundeskanzler macht. Die Öffentlichkeit hat aber auch ein mindestens genauso großes Interesse daran, zu erfahren, was die Abgeordneten machen, die sie gegenwärtig vertreten.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Gestatten Sie mir deswegen - auch aus Respekt vor dem Amt des Bundestagspräsidenten - einige Sätze. Wenn Herr Lammert das Geschehene als "instinktlos" bezeichnet,
(Beifall bei der FDP)
aber gleichzeitig versucht, die Regelungen wieder rückgängig zu machen, sodass Abgeordnete in Zukunft Nebentätigkeiten nicht mehr offen legen müssen, dann verkneife ich mir lieber eine Bemerkung. Ich glaube, es interessiert die deutsche Öffentlichkeit, ob jemand wie Friedrich Merz gleichzeitig Abgeordneter ist, dem Aufsichtsrat der Deutschen Börse angehört und einen dortigen Großaktionär berät.
(Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist sein Beruf!)
Die CDU/CSU wollte damals die Regelung zur Offenlegung verhindern. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, hält man sie immer noch nicht für sonderlich sinnvoll und will sie wieder zurückschrauben.
(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: In dieser Form!)
Auch Herr Lammert hat sich schon diesbezüglich geäußert. Wir sollten uns vielleicht langsam einigen, was wir eigentlich wollen:
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
einen Ehrenkodex, der keinerlei Auswirkungen hat, oder glasklare Regelungen, die bei Verstößen entsprechende Repressalien zur Folge haben, liebe Genossinnen und Genossen.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN - Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)
- So weit geht es schon fast mit der großen Koalition!
Lassen Sie uns in diesem Sinne wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehren. Ich freue mich auf Ihre Reaktion in der Diskussion über die Verhaltensregeln in den zuständigen Ausschüssen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN - Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Der Parteitag ist geschlossen! - Gegenruf der Abg. Iris Gleicke [SPD]: Das ist eine höchst ehrenwerte Anrede!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Die Aktuelle Stunde ist beendet.