Das auflagenschwache Zentrums-Blatt hieß im Volksmund "die schwarze Kattel" (zum Vergrößern anklicken)


Neues Mannheimer Volksblatt

(1.Oktober 1888 - 15. Oktober 1934

Die Zentrumspartei, welche die ländlichen Wahlkreise Badens südlich von Karlsruhe beherrschte, hatte in Mannheim nur einen schwachen Stand. Im "roten Mannheim", das erst die badische Hochburg der Demokraten und dann der Sozialdemokraten war, fiel klerikale Agitation auf ziemlich unfruchtbaren Boden. So wurden 1865 die rund 3000 Teilnehmer eines "wandernden Kasinos" - einer klerikalen Propagandaschau - von aufgebrachten Mannheimern über den Rhein nach Ludwigshafen geprügelt.

Das "Zentrum" bezeichnete ursprünglich die parlamentarische liberale Mitte. In den siebziger Jahren begann man den Begriff für die "Ultramontanen" zu verwenden, die primär die Interessen der katholischen Kirche bzw. des Papstes jenseits der Alpen (lat. ultra montes = jenseits der Berge) vertraten. Das Zentrum paktierte mit verschiedenen politischen Richtungen. Infolge des von Bismarck entfesselten "Kulturkampfes" gegen die katholische Kirche geriet es zeitweilig in schroffen Gegensatz zu den Nationalliberalen und näherte sich stark den Demokraten an. Auch mit der Sozialdemokratie gab es Berührungspunkte, da das Zentrum mit seiner Wählerschaft aus katholischen Handwerkern, Bauern und Arbeitern über eine ähnliche politische Klientel verfügte und sich deshalb - anders als die Nationalliberalen - um einen Ausgleich der sozialen Gegensätze bemühen mußte.

In Mannheim spielte das Zentrum bei Wahlen lange Zeit nur als Hilfstruppe für andere Parteien eine Rolle. Es dauerte bis zum 8. Dezember 1886, ehe hier überhaupt ein "Männerverein Zentrum" zustande kam. Das nächstgelegene Zentrumsblatt, der "Pfälzer Bote" aus Heidelberg, brachte es in den Quadraten auf ganze hundert Bezieher. Die Vorzeichen standen somit nicht sonderlich günstig, als eine Pressekommission der Zentrumspartei ab 1. Oktober 1888 das "Neue Mannheimer Volksblatt" erscheinen ließ, das von Karl Pohl redigiert und von Gustav Schwab gedruckt wurde.

Im zweiten Jahr wurde der Redakteur Pohl auch Verleger des "Neuen Mannheimer Volksblatts", doch konnte er darob kaum froh werden: Die fromme Gazette war von ihrer Geburt an so schwach auf der Brust, daß sie im Alter von drei Jahren entschlummerte.

Etwa um die Zeit, als das "Neue Mannheimer Volksblatt einging, machte sich ein Mitglied des "Männervereins Zentrum", der Drucker Jean Gremm, selbständig und übernahm mit Josef Lorenz die Druckerei Beutel in T 2, 1. Auf Bitten des katholischen Pressekommitees holte er das "Neue Mannheimer Volksblatt" aus dem Grabe und ließ es ab 23. April 1892 wieder erscheinen. Nachdem der Teilhaber Lorenz Mitte 1894 ausgeschieden war, wurde Gremm alleiniger Inhaber des Unternehmens.

Am unglücklichsten über die Neugründung dürfte der Verleger Hahn vom "Mannheimer Tageblatt" gewesen sein, denn dem unpolitisch-lammfrommen Bürger standen nunmehr zwei Blätter zur Verfügung. Die Konkurrenz hatte er sich überdies am eigenen Busen gezüchtet: Jean Gremm war bei Hahn in die Lehre gegangen und hatte während dieser Zeit nach patriarchalischer Sitte dem Haushalt des Prinzipals angehört.

Hier einige Auflagenziffern des "Neuen Mannheimer Volksblatts":

Jahr Auflage Ausgaben i. d. Woche
1898 4 600 6 (werktags)
1912 9 300 7 (werktags; samstags 2 x)
1928 9 000 7 (werktags; samstags 2 x)
1934 9 240 7 (werktags; samstags 2 x)

Im September 1899 bezog das "Neue Mannheimer Volksblatt" ein neues fünfstöckiges Gebäude in S 2, 3. Zugleich wurde eine Rotationsmaschine für vier Seiten in größerem Format in Betrieb genommen. Seitdem kam das Blatt am Samstagabend mit einer zweiten Ausgabe heraus. 1907 wurden die erste Setzmaschine und eine zwölfseitige Rotation angeschafft. Eine zweite Setzmaschine folgte 1909.

Im Volksmund wurde das "Neue Mannheimer Volksblatt" die "schwarze Kattel" genannt - eine spöttische Bezeichnung, die sich nach dem zweiten Weltkrieg auf die Mannheimer Ausgabe der "Badischen Volkszeitung" übertrug.

Als Fortsetzung des ehemaligen Zentrums-Blattes erschien ab 1949 die "Badische Volkszeitung". Sie kümmerte bis Ende der sechziger Jahre als Pflichtblatt gläubiger Katholiken dahin.

Im Mosse-Zeitungskatalog von 1913 warb das "Neue Mannheimer Volksblatt" mit folgendem Text: "Einziges anerkanntes Organ der 210000 Katholiken Mannheims und Umgegend. Als bestredigierte parteipolitische Tageszeitung der Bürger- und Arbeiterkreise ist das Volksblatt zur durchgreifenden Reklame für Versandhäuser vorzüglich geeignet. Ständig steigende Abonnentenzahl. Größtes Zentrumsblatt Badens."

Nach dem "Handbuch der deutschen Tagespresse 1932" ergab sich zuletzt folgendes Bild:

Verbreitung 29% Arbeiter, 14,5% Handel und Gewerbe, 16,3% Kaufleute und Angestellte, 19,7% Beamte, 4% freie Berufe, 3,5% Gastwirte, 13% sonstige
Chefredaktion, Politik, Wirtschaft Stephan Dujardin
Feuilleton, Lokales Leo Barth
Sport, Allgemeines Willy Throm
Mitarbeiter für Kulturpolitik und Theater Dr. Lorenz Petersen
Nebenausgabe Weinheimer Volksblatt

Die nationalsozialistische Machtergreifung des Jahres 1933 ließ das "Neue Mannheimer Volksblatt" anfänglich genauso ungeschoren wie die übrige bürgerliche Presse. Es wurde dann am 16. Oktober 1937 mit dem "Mannheimer Tageblatt" zum "Mannheimer Neuen Tageblatt" zusammengelegt, das seinerseits zwei Jahre später der "Neuen Mannheimer Zeitung" einverleibt wurde.