Mit der "Badischen Volks-Zeitung" spekulierte Haas zunächst auf die Leserschaft der sozialdemokratischen Arbeiter, deren "Pfälzisch-Badisches Volksblatt" aufgrund des Sozialistengesetzes verboten worden war.

Von der "Badischen Volks-Zeitung" zum "General-Anzeiger"

Wie der Dr. Haas sein Glück im roten Mannheim versuchte und in der rechten Ecke landete

Für den Dr. Haas war 1884 längst klar, daß er auf eine Wiederwahl als Weinheimer Bürgermeister im folgenden Jahr nicht mehr hoffen konnte. Deshalb sah er sich nach einem neuen Betätigungsfeld um. Seine Wahl fiel auf die benachbarte Stadt Mannheim, die in einem stürmischen Aufschwung zur Handels- und Industriemetropole des Südwestens begriffen war. Anders als im krähwinkeligen Weinheim oder im akademisch versponnenen Heidelberg schlug in Mannheim der Puls der neuen Zeit: Hafen und Eisenbahn, Handel und Industrie prägten das Gesicht der ehemaligen kurfürstlichen Residenz. Hier waren zahlreiche Fabriken und Kontors, die einerseits den Reichtum einer mächtigen und selbstbewußten Bourgeoisie begründeten, andererseits aber auch die Existenzgrundlage eines ständig wachsenden Heeres von Proletariern bildeten, die sich in der Arbeitervorstadt auf dem nördlichen Neckarufer in kümmerlichen Behausungen drängten.

Der Dr. Haas schüttelte also den Staub Weinheims, wo sein Talent so sehr verkannt worden war, von den Füßen und begab sich nach Mannheim. Kurz zuvor hatte er noch in seiner Weinheimer Druckerei den Bericht eines Eisenbahnkomitees herausgegeben, in dem die Rentabilität einer geplanten Schmalspurbahn von Weinheim nach Mannheim untersucht wurde. Es handelte sich um die bis heute im Städtedreieck Mannheim - Heidelberg - Weinheim verkehrende OEG, die dem industriellen Moloch Mannheim die nötigen Arbeitskräfte aus der ländlichen Umgebung zuführen sollte. Vielleicht war es sogar diese Studie, die den Blick des Dr. Haas für die proletarischen Massen und ihre wirtschaftliche Bedeutung geschärft hat. (15)

Es scheint den Dr. Haas nicht sonderlich gestört zu haben, daß seine Amtszeit als Weinheimer Bürgermeister noch gar nicht abgelaufen war. Im Grunde war schon bisher zweifelhaft, ob er nicht eigentlich im Hauptberuf Verleger und Druckereibesitzer war und die Amtsgeschäfte nur nebenbei mit der linken Hand erledigte. Haas tat nun im Grunde nichts anderes, als seinem "Weinheimer Tageblatt" einen neuen Titel zu verleihen und es nach Mannheim zu verpflanzen. Gleichzeitig vertauschte er die Farbe des "rosaroten Demokraten" mit dem "Dunkelrot des Sozialdemokraten". Allzu ernst brauchte auch diese politische Wandlung nicht genommen zu werden; Haas paßte sich damit nur seiner neuen Umgebung und den geschäftlichen Zielen an, die er mit seiner neuen Zeitung verfolgte.

Die erste Ausgabe dieser Zeitung erschien am 4. September 1884. Den Titel - "Mannheimer Stadt-Anzeiger" - braucht man sich nicht sonderlich zu merken. Allein in den ersten vier Jahren wechselte Haas sieben Mal den Titel seines Blattes. Eine Vorstellung vom Titel-Verschleiß des Dr. Haas vermittelt eine Ausgabe aus dem Jahre 1888, deren Titel in voller Länge lautete: "Mannheimer General-Anzeiger der Stadt Mannheim und Umgebung, Badische Volks-Zeitung, Mannheimer Volksblatt, Mannheimer Journal, Amts- und Kreisverkündigungsblatt. (16)

Haas wechselte auch die politische Richtung seines Blattes, wie es ihm passend erschien. Zunächst nannte er es "Badische Volks-Zeitung" und versuchte sich den Sozialdemokraten anzubiedern. Zum Schluß wählte er den Titel "General-Anzeiger" und scheuchte das Blatt zu den Nationalliberalen, in die rechte Ecke des damaligen Bürgertums.

Daß Haas zunächst auf die Leserschaft der Arbeiter spekulierte, hatte einen besonderen Grund: Seit dem Jahre 1878, als Bismarck das Sozialistengesetz verhängen ließ, war die Arbeiterschaft ihrer eigenen Presse beraubt. Zugleich stellte aber die Arbeiterschaft ein ständig wachsendes Heer von Lesern und Verbrauchern dar. Nichts lag somit näher, als mit einer auf Geschmack und Geldbörse der Arbeiterfamilien abgestimmten Zeitung in diese Leser- und Käuferschicht einzudringen. Hintergedanke des Unternehmens waren die Anzeigenaufträge, die sich nur mit einer ausreichend hohen Auflage gewinnen ließen.

Haas ließ also seine "Badische Volks-Zeitung" so redigieren, als mache sie sich Bedürfnisse und Sorgen der Arbeiter zu eigen. Um auch die politisch bewußten Arbeiter der verbotenen Sozialdemokratie auf seine Seite zu ziehen, ließ Haas 1886 einige Nummern des sozialdemokratischen Tarnblatts "Der Pionier", das bald darauf der Verfolgung zum Opfer fiel, in seiner Druckerei herstellen."

Die Mannheimer Arbeiter blieben jedoch skeptisch. Hinzu kam, daß es in Mannheim bereits vier Tageszeitungen gab, die natürlich nicht gewillt waren, sich von Haas die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Dazu gehörte vor allem die "Neue Badische Landes-Zeitung", die damals führende Zeitung Mannheims und des Großherzogtums Baden. Als traditionellem Organ der demokratischen Partei stand ihr auch der Anspruch, die sozialen und politischen Belange der Arbeiterschaft gegenüber der Obrigkeit zu vertreten, glaubwürdiger zu Gesicht als der Neugründung des Dr. Haas.

Haas beschloß darauf, sich in die unpolitische Mitte zurückzuziehen. Seiner "Badischen Volks-Zeitung", die ursprünglich ein "Arbeiterblatt mit fortschrittlich-freisinniger Tendenz" sein sollte, fügte er 1886 den "General-Anzeiger" als "unpolitisches und unparteiliches Anzeigenblatt" hinzu. Kurz darauf benannte er das ganze Blatt in "General-Anzeiger" um. Damit bekannte sich Haas offen zum Zweck seiner Neugründung, nämlich dem bloßen Geschäft mit Anzeigen und Abonnenten.

Solche "General-Anzeiger" entstanden damals in vielen größeren Städten Deutschlands. Sie verkörperten den neuen Typ der kapitalistischen Massenpresse, der die bis dahin vorherrschende Partei- und Meinungspresse zu verdrängen begann. Die "General-Anzeiger" vermieden eine ausgeprägte partei-politische Abgrenzung, die auch den Leserkreis abgegrenzt und der Auflage wie dem Anzeigengeschäft geschadet hätte. Stattdessen verwandten sie viel Sorgfalt auf den Nachrichtenteil. Sie "objektivierten" den Inhalt der Zeitungen, wobei es ihnen durch entsprechende Abfassung, Auswahl und Plazierung von Nachrichten oft besser gelang, die Leser im Sinne politischer Ziele zu manipulieren, als dies der schlichten, erkennbaren Beeinflussung durch die Meinungsartikel der Parteipresse möglich war.

Allerdings wollten die Geschäfte des Dr. Haas auch auf diesem Acker nicht so recht gedeihen. Zum einen wurde die Rolle der farblos-unpolitischen Tageszeitung schon seit zwei Jahrzehnten vom "Mannheimer Tageblatt" eingenommen, dem Leib- und Magenblatt des Mannheimer Spießertums, das sich 1888 demonstrativ den Untertitel "Badischer General-Anzeiger" zulegte. Zum anderen durchkreuzte ab 1886 die "Neue Badische Landes-Zeitung" endgültig alle früheren Pläne des Dr. Haas, indem sie in Absprache mit der verbotenen Sozialdemokratie die "Badisch-Pfälzische Volks-Zeitung" als billigen Ableger für die Arbeiterschaft und Handwerkerkreise herausbrachte.

Die Herausgabe dieses billigen Massenblatts war eine Reaktion auf die Wahlerfolge der Nationalliberalen, denen es Mitte der achtziger Jahre erstmals gelungen war, die bisherige Mehrheit der bürgerlichen Demokraten im Stadtrat zu brechen. Um ihren Einfluß wiederzuerlangen, suchten die bürgerlichen Demokraten Unterstützung bei den Sozialdemokraten. Die "Badisch-Pfälzische Volks-Zeitung" bildete bis 1890 das tägliche Unterpfand dieser Zusammenarbeit. Sicher nicht zufällig klang ihr Titel dem "Pfälzisch-Badischen Volksblatt", dem 1878 verbotenen Organ der Sozialdemokratie, zum Verwechseln ähnlich. Anders als die Anbiederungsversuche des Dr. Haas konnte diese neue Zeitung der Unterstützung durch die verbotene Sozialdemokratie sicher sein. (18)

Der Auftrieb der Nationalliberalen ermutigte andererseits den Dr. Haas, sein Glück mal auf der rechten Seite des politischen Spektrums zu versuchen. Eine "Marktlücke", wie man heute sagen würde, gab es nur noch dort. Die Nationalliberalen taten sich bis dahin in der demokratischen Hochburg Mannheim mit ihrer eigenen Presse schwer. Weder mit dem "Mannheimer Journal" noch mit der "Rhein- und Neckarzeitung" (16) - beides ihnen nahestehende Blätter - konnten sie der demokratischen "Neuen Badischen Landes-Zeitung" auch nur annähernd das Wasser reichen. Es mußte auch als fraglich gelten, ob sich die nationalliberalen Erfolge bei den nächsten Wahlen wiederholen lassen würden. In dieser Situation erschien der Dr. Haas als der geeignete Mann, um der Politik des reichen Besitzbürgertums eine breitere publizistische Wirkung zu verschaffen An die Arbeiterschaft, die als "sozialdemokratisch verseucht" galt, dachte man dabei vermutlich weniger; wohl aber an das Kleinbürgertum, das auch in Mannheim allmählich zu "verbismarcken" begann, wie die Wahlergebnisse gezeigt hatten.

Haas und die Nationalliberalen wurden handelseinig: Ab 29. März 1887 ließ die Nationalliberale Partei das dahinmodernde "Mannheimer Journal" zusammen mit dem "General-Anzeiger" erscheinen. Am 1. Juli 1888 stellte das "Mannheimer Journal" sein selbständiges Erscheinen ein. Die Einverleibung bescherte dem "General-Anzeiger" die begehrte Eigenschaft des Amts- und Kreisverkündigers und damit eine zusätzliche Einnahmequelle.

Auch sonst griffen die Nationalliberalen ihrem neuen Parteifreund kräftig unter die Arme. Schon am 26. März 1887 vergatterte der Vorstand der Nationalliberalen Partei alle Unternehmer und sonstigen Mitglieder: "Wir glauben bestimmt erwarten zu dürfen, daß die Parteigenossen nicht nur abonnieren, sondern auch durch Inserate, Druckarbeiten und redaktionelle Beiträge das Unternehmen unterstützen werden." (19)

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