Bevor Karl Ackermann zum "Mannheimer Morgen" kam, war er bereits Lizenzträger der "Stuttgarter Zeitung". Dieses Bild entstandam 17. September 1945 im Stuttgarter Tagblatt-Turm: Oberstleutnant John B. Stanley von der US-Nachrichtenkontrollabteilung hält die Ansprache an die drei neuen Lizenzträger Karl Ackermann, Henry Bernhard und Josef Eberle (v.l.n.r.).

Linke gegen Konservative

Wie der "MM" vorübergehend demokratisches Profil erlangte

Nach der Pleite mit dem Fragebogenfälscher Hörrle gaben sich die Amerikaner größere Mühe, einen Lizenzträger zu finden, der keine braune Weste hatte und zugleich ein gewisses Gegengewicht zu dem konservativen Baron von Schilling herstellen konnte. Sie fanden ihn in Dr. Karl Friedrich Ackermann, dem damaligen Chefredakteur der "Stuttgarter Zeitung".

Der 37jährige Ackermann war der Sohn eines kleinen Uhrenherstellers aus dem württembergischen Schwenningen. Nach dem Studium in München und Heidelberg hatte er 1932 mit einer Schrift über die organisatorischen Streitigkeiten in der deutschen Sozialdemokratie vor dem ersten Weltkrieg promoviert. Noch als Student hatte er sich der politischen Linken angeschlossen. Er war Mitglied der Sozialistischen Arbeiter-Partei (SAP), einer linken Abspaltung von der SPD, sowie der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Nach der faschistischen Machtergreifung war er Sekretär der "Roten Hilfe" Württembergs, einer Hilfsorganisation für politisch Verfolgte. 1934 kam er wegen "Hochverrats" ins Gefängnis und ins Konzentrationslager Dachau. 1938 gelang ihm die Flucht in die Schweiz. Als er 1945 aus dem Exil zurückkam, galt er als Parteigänger der KPD. (127)

Möglicherweise hatte es die Amerikaner schon wieder gereut, einem Mann mit derart "rotem" Lebenslauf die Lizenz für die "Stuttgarter Zeitung" übertragen zu haben. Andererseits hatte sich der Kalte Krieg noch nicht so zugespitzt, daß Kommunisten die Lizenzen kurzerhand wieder abgenommen wurden, wie dies zwei Jahre später der Fall war. So mochte es den Amerikanern als das kleinere Übel erscheinen, Ackermann als Lizenzträger in die Provinz nach Mannheim zu schicken, zumal dort eine Scharte auszuwetzen war.

Am 24. Oktober 1946 durfte Ackermann seine neue Lizenz aus den Händen des Pressekontrolloffiziers der US-Armee, Mr. Gauerke, entgegennehmen. Der Chef der Presseabteilung der Nachrichtenkontrolle in Württemberg-Baden, Mr. Peter J. Heller, gab seinen Segen dazu. Der "Mannheimer Morgen" selbst beglückwünschte sich, "einen so bewährten Vorkämpfer für die Errichtung einer fortschrittlichen Demokratie gewonnen zu haben". (128)

Zunächst sah es auch ganz danach aus, als sei mit dem neuen Lizenzträger ein neuer Geist bei der Zeitung eingekehrt. So begrüßte Ackermann am 3. Dezember 1946 den Volksentscheid in Hessen für eine antikapitalistische Landesverfassung. Freilich, so schränkte er ein, könne dies nicht mehr als der "Anfang einer neuen Welt" sein. "Wir sind der Ansicht, daß ohne eine gleichzeitige Veränderung der menschlichen Sozialgrundlage und damit verbunden des gesellschaftlichen Bewußtseins mit der bloßen Verstaatlichung der Grundindustrie bei Aufrechterhaltung der alten auf Profit und Ausbeutung beruhenden Wirtschaftsgesinnung der Demokratie nicht unbedingt ein Auftrieb gegeben ist ... Möge es nicht abermals dahin kommen, daß man mit Versprechungen und Vorspiegelungen den fälligen Neubau der Gesellschaft aufzuhalten sucht."

Am 30. Januar 1947 warnte Ackermann: "Genau wie in den zwanziger Jahren ist die ,Union der festen Hand', die heimliche Regierung des Großkapitals, wieder im Begriff, sich von dem Schock der Niederlage zu erholen ... Noch sind es ausschließlich die Besatzungsmächte, die sich dem Treiben der Finsterlinge widersetzen, aber die Stunde scheint uns nicht mehr fern zu sein, in der sich Kränze auf die Gräber der neuen Erzberger, Rathenau, Liebknecht senken werden."

Daß Ackermann hier die Komplizenschaft der amerikanischen Besatzungsmacht bei der Wiederherstellung der alten Gesellschaft verschwieg und sogar ins Gegenteil verkehrte, muß nicht auf Unkenntnis oder willkürliche Verdrehung der wahren Zusammenhänge schließen lassen. Vielmehr war der lizenzierten Presse jeder Angriff auf die Politik der Besatzungsmacht verboten. Was gegen die Besatzer ging, konnte nur zwischen den Zeilen zum Ausdruck gebracht werden.

Im zuletzt zitierten Artikel setzte sich Ackermann auch für die Aktionseinheit von Sozialdemokraten und Kommunisten ein. Er beklagte den "Scherbenberg des zwischen SED und SPD zerschlagenen Porzellans", erinnerte die SPD-Führung an die "bitteren Lehren der Weimarer Zeit" und bezeichnete es als eine falsche Spekulation, "den Ansturm von rechts durch opportunistische Bündnisse und Koalitionen aufzuhalten, während die natürliche Bundesgenossenschaft verabsäumt wird". Schließlich schrieb er: "Es hat nicht den Anschein, als ob nazistischer Geist und Wille niedergerungen werden müßten, vielmehr scheinen die politischen Parteistrategen das Erbe des Propagandaministeriums angetreten zu haben und als Hauptparole den Kommunistenschreck auch auf ihre Fahnen schreiben zu wollen. Wenn heute wieder einer käme und behauptete, die Kommunisten hätten den Reichstag in Brand gesteckt, wieviele würden ihm wohl nicht glauben? Das alberne Geschwätz von den Diktaturabsichten der Linken verdirbt jede vernünftige Aufbauarbeit."

Das waren mutige Worte. Allerdings standen sie nicht für die Gesamthaltung der Zeitung. Sowohl der Kreis der Lizenzträger als auch die Redaktion waren in einen demokratischen und in einen konservativen Flügel gespalten. Zum rechten Lager zählten der Lizenzträger Schilling und Karl Eugen Müller, ein früherer Redakteur der "Neuen Badischen Landes-Zeitung". Auf der Linken standen Karl Ackermann und der stellvertretende Chefredakteur Otto Gentner.

Der Zwist kam auch im Blatt zum Ausdruck: Wenn zum Beispiel Karl Eugen Müller am 12. Juni 1947 gegen das "Gaukelspiel" der Länderchefs der sowjetischen Besatzungszone polemisierte, rückte Ackermann zwei Tage später in derselben Kommentarspalte die Dinge wieder gerade: "Überhasteter- und überhitzterweise" hätten sich "die Geister in eine Art beleidigte Trutzstellung gegen die sozialistische Partei der Ostzone hineingesteigert". (129)

Die Zeitung offenbarte ihren inneren Zustand selbst, wenn auch etwas beschönigend: "In unserem Redaktionsstab sind alle politischen Richtungen - die faschistische ausgenommen - vertreten, und zwar durch Leute, die mit zwei Füßen im politischen Leben stehen...." (130)

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