PresseBLICK-Rezensionen Natur- und Geisteswissenschaften



Hans Thomas (Hg)

Naturherrschaft - Wie Mensch und Welt sich in der Wissenschaft begegnen

Herford: Busse Seewald 1991, 334 S.


Der vorliegende Band vereinigt Referate und Diskussionsbeiträge eines naturwissenschaftlich-philosophischen Kolloquiums, das vom Kölner Lindenthal-Institut durchgeführt wurde. Bei dem Institut handelt es sich um eine private Einrichtung, die erklärtermaßen die "längst untauglich gewordenen Polit-Kategorien von 'links' und 'rechts', 'progressiv' und 'konservativ'" überwinden und "christliche Antworten" auf die geistige Krise der Zeit suchen helfen will.

Es waren vor allem Physiker, die bei diesem Kolloquium zum wiederholten Mal bekräftigten, daß die Wissenschaft weit davon entfernt sei, die Welträtsel zu lösen. So zieht Herwig Schopper vom CERN aus Erkenntnissen der Kernphysik den Schluß, "daß die Welt der Physik nicht mehr durch rein materielle Elemente bestimmt ist, sondern einen transzendenten Hintergrund besitzt".

Ganz neu sind solche Überlegungen, die einen seichten Wissenschaftsglauben mit seinen eigenen Waffen schlagen, allerdings nicht. Sie wurden in ähnlicher Weise schon vor Jahrzehnten von Werner Heisenberg oder Pascual Jordan angestellt. Aufhorchen läßt Schopper aber dann, wenn er auf die "Technikfeindlichkeit" zu sprechen kommt und die Befürchtung äußert, "daß wir heute dabei sind, wieder in ein Zeitalter des Irrationalismus abzurutschen".

Mit der wichtigsten Spielart des modernen Irrationalismus, die unter dem Schlagwort "new age" bekannt geworden ist, setzt sich Pfarrer Gottfried Küenzlen auseinander, der wissenschaftlicher Mitarbeiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen ist. In einem der klügsten Beiträge des Bandes skizziert er "new age" als eine Verqickung von szientistischer Wissenschaftsgläubigkeit mit abgrundtiefem Mystizismus und Irrationalismus: "Es sind schnell und leicht zu erlernende Bewußtseinstechnologien, durch die der New-Age-Orientierte sein Ich entgrenzend in die neue Wirklichkeit zu führen glaubt. Spirituell-religiöse Erfahrung ist gleich einer spirituellen Software programmierbar und schließlich immer wieder abrufbar."

Ein weiteres Schlaglicht auf die geistige Malaise der Zeit wirft der FAZ-Redakteur Patrick Bahners mit seinem Beitrag zur "Dekonstruktion des Wahrheitsbegriffs". Sein Fazit: "Eine Interpretation nehmen wir für die Wahrheit, solange sie für unsere Zwecke so deutlich ist, daß wir sie nicht ihrerseits wieder interpretieren müssen." Oder anders gesagt: Es ist alles relativ. Auch das, was wir für Wahrheit halten, ist entweder pure Ideologie oder bestenfalls hermeneutisch begründbar. - Eine solche Sichtweise relativiert freilich auch religiöse Glaubenswahrheiten und rückt sie zusammen mit dem modernen Glauben an Fortschritt, Vernunft und Wissenschaft in den Bereich der "grands récits". Es nimmt deshalb nicht wunder, daß von anderen Teilnehmern des Kolloquiums widersprochen wird. Bahners beschwichtigt mit dem dezenten Hinweis, daß die postmoderne Suppe lange nicht so heiß gegessen werden müsse, wie sie von Derrida oder Lyotard gekocht wird, denn "die Pointe dabei ist, daß wir die Beliebigkeit nicht fürchten müssen, weil man den relativistischen Standpunkt nicht einnehmen kann".

Für Leser, die mit den erwähnten Zielen des Lindenthal-Instituts sympathisieren und außerdem die reichlich dünne Luft auf den Gipfeln der Abstraktion nicht scheuen, bieten diese Beiträge sicher eine anregende Lektüre.

(PB 10/91/*leu)