PresseBLICK-Rezensionen "Elektrosmog"

Kein Erbarmen mit dem Netzfreischalter

Günter Nimtz, Susanne Mäcker

Elektrosmog

Mannheim 1994: B.I.-Taschenbuchverlag, 128 S., kartoniert, DM 14.80

Ein überaus sachkundiges, erfreulich unaufgeregtes Buch. Es führt in die physikalischen Grundlagen der Feldtheorie ein, informiert über Grenzwerte und tatsächlich auftretende Belastungen. Die schwierige Materie wird nach einzelnen Sachgebieten gegliedert und in recht verständlicher Form dargeboten. Der Titel "Elektrosmog" ist dabei eher als notwendige Reverenz vor dem Zeitgeist zu verstehen: Im Innern des Buches taucht der Begriff gerade mal an zwei Stellen auf - mit der Erläuterung, daß es sich um einen "populärwissenschaftlichen" Ausdruck für die elektromagnetische Umweltbelastung bzw. um eine "saloppe und tendenziöse" Umschreibung für die technische Hintergrundstrahlung handele.

Kein Erbarmen mit dem "Netzfreischalter"

Die Autoren haben keine Berührungsängste vor den realen Auswirkungen von Feldern. So empfehlen sie jedem, der "Spaß an Nervenkitzel" hat, einen "Spaziergang im Regen mit dem Schirm unter einer Hochspannungsleitung". Andererseits kennen sie aber auch kein Erbarmen mit übertriebenen Ängsten. So qualifizieren sie den Netzfreischalter - das moderne Kultgerät aller E-Smog-Gläubigen und ihrer baubiologischen Priester - ganz unmißverständlich als teuren und überflüssigen Schnickschnack: "Ängstlichen Menschen wird häufig zum Wucherpreis ein ëNetzfreischalterí aufgeschwatzt, der den Menschen vor dem Magnetfeld der Hausinstallationen schützen soll, indem er den Stromkreis unterbricht. Das kann deutlich billiger dadurch erreicht werden, daß alle Geräte im Haushalt ausgeschaltet werden."

Trotz seines bescheidenen Umfangs enthält das Buch zahlreiche Informationen und Hinweise, die man in umfangreicheren Veröffentlichungen nicht findet. Es eignet sich deshalb nicht nur zur Einführung in die Felder-Problematik, sondern auch als ergänzende Lektüre.

Beiläufig vermitteln die Autoren eine Ahnung davon, wie die gegenwärtige Debatte um den "Elektrosmog" entstanden ist und wie es zu der teilweise grotesken Überschätzung der Gesundheitsrisiken von Feldern kommen konnte: Eingangs berichten sie über die Bestrahlung der osteuropäischen US-Vertretungen mit Mikrowellen, der insgesamt 12671 Menschen in Budapest, Leningrad, Prag, Warschau, Belgrad, Bukarest, Sofia, Zagreb und Moskau in einem Zeitraum von 25 Jahren ausgesetzt waren. Das Ganze läßt sich rückblickend als eine Art Großexperiment sehen, für das die UdSSR Sendeanlagen und Richtantennen zur Verfügung stellte, während die USA die Kosten für die komplexe Meßtechnik und Auswertung trugen. Trotz großen Aufwandes konnten die Amerikaner aber keine strahlenbedingte Gesundheitsbeeinträchtigung bei den unfreiwilligenVersuchspersonen feststellen.

Über den Sinn oder Unsinn der Mikrowellen-Bestrahlung der osteuropäischen US-Vertretungen in der Zeit des kalten Kriegs darf bis heute gerätselt werden. Die Feldstärken waren jedenfalls so schwach, daß sie unter den US-Grenzwerten blieben und sogar die besonders niedrig angesetzten sowjetischen Normen einhielten. Eine Erklärung liefert vielleicht die lange Zeit von Sowjetwissenschaftlern vertretene Ansicht, daß gerade niedrige Dosen von Hochfrequenzstrahlung schädigend seien, wobei es auf die Langzeitwirkung ankomme. Es wäre nicht der erste Unsinn, den die ideologisierte Sowjetbiologie (Lyssenko) hervorgebracht hat. Heute wird diese These auch von russischen Wissenschaftlern nicht mehr vertreten.

Die Mikrowellen-Bestrahlung der US-Vertretungen wäre demnach so etwas wie der Versuch einer Körperverletzung mit untauglichen Mitteln gewesen , vergleichbar dem Attentat mit einer Wasserpistole. Dennoch verlief dieses Attentat nicht völlig harmlos: Nach Bekanntwerden der Bestrahlung reagierten die Mitarbeiter der US-Vertretungen teilweise sehr nervös. Obwohl eine Gesundheitsgefährdung objektiv nicht nachzuweisen war, klagten sie über allerlei vegetative Störungen. Es kam zu empörten Presseberichten und diplomatischen Verwicklungen.

Vor allem aber wuchs nun in den USA das Interesse an den möglichen Gesundheitsrisiken schwacher elektromagnetischer Felder rapide. Bald gerieten auch die elektrischen und magnetischen Felder der Stromversorgung in Verdacht, alle möglichen Risiken zu enthalten. Ende der siebziger Jahre kam es zu jener genauso berühmten wie fragwürdigen epidemiologischen Untersuchung von Wertheimer und Leeper, die angeblich ein Krebsrisiko durch Netzstationen und Stromleitungen belegte.

Ein Journalist prophezeit die "Ermordung Amerikas" und warnt vor "Strömen des Todes"

Nun hat schon Tocqueville mit einiger Verwunderung beobachtet, daß bei den Bewohnern der neuen Welt eine bemerkenswerte Nüchternheit und pragmatische Zweckrationalität mit einer überaus seichten Spiritualität und Neigung zum Irrationalismus einhergehen. Er sprach damit jene Gemütsverfassung an, welche die bekannten amerikanischen Auswüchse des Spiritismus, der Parapsychologie, der Esoterik und des Sektenwesens hervorbringt. Auf diesen (un)geistigen Humus mußte die neue Diskussion um die möglichen Risiken von elektromagnetischen Feldern wie ein warmer Regen wirken. Es dauerte nicht lange, bis ein gewiefter Journalist namens Paul Brodeur das Thema aufgriff und vermarktete. In einem Buch prophezeite er gar die "Die Ermordung Amerikas" sowie den Untergang der ganzen Menschheit durch hochfrequente Felder. Nachdem das Buch ein Erfolg wurde, entdeckte er ein paar Jahre später ähnliche Gefahren auch im Bereich der niederfrequenten Felder, wie sie von den Leitungen und Geräten der Stromversorgung ausgehen. Der reißerische Titel lautete diesmal "Currents of death", also "Ströme des Todes" (deutsch: "Report Elektrosmog", siehe PB 8/91).

Die Hinweise auf die Entstehung der "Elektrosmog"-Diskussion in den USA und ihre Ausbreitung nach Europa sind im Rahmen dieser Darstellung notgedrungen sehr knapp gehalten. Sie wären es sicher wert, im Rahmen einer historisch-sozialpsychologischen Untersuchung vertieft zu werden. Denn wie bei der Umweltdiskussion geht es auch beim "Elektrosmog" nicht allein um Sachfragen. So unsinnig es wäre, eine biologische Wirkung von Feldern der alltäglichen Umgebung ausschließen zu wollen, so sicher steht die Aufgeregtheit der gegenwärtigen Debatte um den "Elektrosmog" in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem tatsächlichen Risiko.

(PB Dezember 1994/*leu) <