PresseBLICK-Rezensionen Geschichte (Strom u. a.)



Manfred Pohl

Das Bayernwerk 1921 bis 1996

509 S., 47 Abb., DM 88.-, Piper Verlag 1996


Wenn ein Firmenjubiläum gefeiert wird, ist dies ein guter Anlaß, um an Anfänge und wechselvolle Entwicklung des Unternehmens zu erinnern. Allerdings wird dabei oft geschönt und ausgeblendet, was nicht ins Familienalbum zu passen scheint. Der Blick in die Vergangenheit dient dann weniger der Erhellung historischer Zusammenhänge als nostalgischer Verklärung. Die Federführung solcher "pro domo" geschriebenen Unternehmensgeschichte liegt bei der Werbeabteilung. Entsprechend gering ist ihre Reputation und langfristige Wirksamkeit. Der Historiker nimmt sie, wenn überhaupt, nur mit spitzen Fingern zur Hand.

Neuerdings wächst jedoch die Bereitschaft, die Aufarbeitung der Firmengeschichte professionellen Historikern zu übertragen, die ein wohlgefälliges Ergebnis ihrer Arbeit nicht garantieren können. Großunternehmen wie Deutsche Bank und Daimler-Benz gingen mit gutem Beispiel voran. Nun folgt das Bayernwerk, indem es anläßlich seines 75jährigen Bestehens den Historiker Manfred Pohl ein umfangreiches Werk über die Geschichte des drittgrößten deutschen Stromversorgers erstellen ließ.

"Die Unternehmer haben erkannt, daß eine unabhängig geschriebene Geschichte ihres Hauses eine positive Wirkung nach innen und außen besitzt, zum Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl, zur Identität eines Unternehmens beitragen kann", stellt der Autor einleitend fest. Dennoch blieben noch genügend Interessenkonflikte mit der Unternehmensleitung, und dies um so mehr, je weiter sich der Historiker der Gegenwart nähere. Bei der Lektüre des vorliegenden Werkes werde der Leser schnell die unterschiedliche Qualität in der Darstellung der älteren und der neueren Zeitabschnitte bemerken: Das liege daran, daß er sich bis in die sechziger Jahre hinein auf das Bayerische Hauptstaatsarchiv und anderes intensives Quellenstudium habe stützen können. Dagegen sei er bei der Behandlung der neuesten Unternehmensgeschichte fast ausschließlich auf Sekundärquellen wie Geschäftsberichte und Zeitungsartikel angewiesen gewesen. So erkläre es sich auch, daß die ersten 50 Jahre des Bayernwerks etwa 80 Prozent des Textes ausmachen, obwohl gerade die letzten Jahrzehnte für das Unternehmen in besonderen Maße reich an Ereignissen und Erfolgen gewesen seien.

Das ehrgeizige Projekt Oskar von Millers

Auf über 500 Seiten zeichnet Pohl dann das Bild eines Spätentwicklers, der erst in unseren Tagen zu dem geworden ist, was Oskar von Miller vorschwebte, als er zu Anfang des Jahrhunderts die Errichtung eines ganz Bayern umfassenden Stromunternehmens betrieb. Miller war einer der wichtigsten Wegbereiter der Elektrotechnik um die Jahrhundertwende. Bevor er seinen technisch-wirtschaftlichen Sachverstand der bayerischen Regierung zur Verfügung stellte, hatte er in den achtziger Jahren die ersten Elektrizitätswerke in Berlin gebaut und 1891 die erste Fernübertragung von Wechselstrom organisiert. In einer Denkschrift aus dem Jahre 1915 gebrauchte er für sein ehrgeiziges Projekt erstmals den Namen "Bayernwerk". Als Modell sollten die "Pfalzwerke" dienen, die er 1912 als erstes flächendeckendes Elektrizitätsunternehmen für die Stromversorgung im linksrheinischen Bayern gegründet hatte. Noch heute sind die Pfalzwerke der zuständige Regionalversorger in diesem Gebiet, das inzwischen allerdings nicht mehr zu Bayern gehört, sondern im Bundesland Rheinland-Pfalz aufgegangen ist.

Pläne nur unvollkommen verwirklicht

Die Gründung des Bayernwerks ließ sich erheblich schwerer an. Neben den Folgen des ersten Weltkriegs wirkten sich politische und wirtschaftliche Querelen verzögernd aus. Was am Ende herauskam, entsprach so wenig den Vorstellungen Millers, daß er fünf Tage vor der Gründung des Bayernwerks von seinem Amt als Staatskommissar zurücktrat. Das 1921 errichtete Staatsunternehmen blieb vor allem insofern hinter seinen Plänen zurück, als es nicht zur Einverleibung der bereits vorhandenen Stromproduzenten kam. Auch gelang es nicht, die Überlandwerke als Stromverteiler fest an das Bayernwerk zu binden. In großen Teilen Bayerns kam der Strom aus den Kraftwerken der GFA (Großkraftwerk Franken), der Isar-Amperwerke, der Stadtwerke München, der Lech-Elektrizitätswerke oder der Rhein-Main-Donau AG. Das Bayernwerk deckte allenfalls den zusätzlichen Strombedarf. Noch Mitte der dreißiger Jahre beschränkte sich die Eigenerzeugung auf das Walchenseekraftwerk, die Wasserkraftwerkskette an der mittleren Isar und das Braunkohle-Dampfkraftwerk Schwandorf.

Die große Zeit der Wasserkraftwerke

Die Wasserkraft war damals nicht nur für das Bayernwerk von erstrangiger Bedeutung. Sogar das RWE, das seine Stromerzeugung auf die rheinische Braunkohle stützte, warf begehrliche Blicke auf die Wasserkräfte Süddeutschlands und der Alpen. Man glaubte, daß die Vorräte an Braunkohle bald erschöpft sein würden. Außerdem war die Wasserkraft flexibler einsetzbar als die Braunkohle. Um rechtzeitig Vorsorge zu treffen, ließ der 1924 verstorbene RWE-Gründer Hugo Stinnes noch kurz vor seinem Tod eine 220-kV-Leitung nach Süddeutschland projektieren. Beim Bayernwerk wurde das als Herausforderung empfunden, zumal das RWE schon über seine Beteiligung an den Lech-Elektrizitätswerken und durch die Kontrolle über den Lahmeyer-Konzern mit den Main-Kraftwerken im Norden der mächtigste Konkurrent war. Im Aufsichtsrat des Bayernwerks rüstete man sich, den "wirtschaftsimperialistischen Interessen" des RWE entgegenzutreten.

Konkurrenzkämpfe mit dem RWE

Die großen Versorgungsgebiete waren in den zwanziger Jahren noch nicht fixiert, so daß jeder Stromversorger den Einbruch benachbarter Konkurrenten befürchten mußte. Zum Beispiel lag das RWE jahrelang in Fehde mit dem preußischen Staat, der ebenfalls in die Stromversorgung einsteigen wollte und deshalb das weitere Vordringen des RWE durch Verweigerung von Enteignungsrechten behinderte. Einer der Streitpunkte war die Stromversorgung von Frankfurt am Main. Erst 1927 kam es zum sogenannten "Elektrofrieden" zwischen beiden Kontrahenten und zur Gründung der Preußischen Elektrizitäts AG (die 1985 mit den Nordwestdeutschen Kraftwerken fusionierte und heute als PreussenElektra AG firmiert).

Es dauerte aber noch einige Jahre, bis die großen Stromversorger die Grenzen ihrer Versorgungsgebiete durch Demarkationsverträge so weit festgeklopft hatten, daß sie bis heute weitgehend unverändert geblieben sind. Während das RWE seine Verbundschiene nach Süddeutschland vorantrieb und neben den VEW auch das Badenwerk als Partner gewann, unterstützte das Bayernwerk im Bündnis mit den reichseigenen Elektrowerken (Ewag) und der Preußischen Elektrizitäts AG den Bau einer ähnlichen Verbundleitung im Osten, die das mitteldeutsche Braunkohlerevier mit den Wasserkräften der Alpen verbinden sollte. Im Unterschied zum RWE, das vor allem private Kapitalinteressen vertrat, fühlte sich das zweite Lager eher staatlich-gemeinwirtschaftlichen Überlegungen verpflichtet. Die Einbeziehung beider Lager in einen umfassenden deutschen Stromversorgungs-Konzern scheiterte 1929 an der Weigerung des RWE, den bisherigen Besitzstand durch entsprechende Demarkationsverträge zu garantieren. Die anschließende Zeit des Nationalsozialismus und das 1935 erlassene Energiewirtschaftsgesetz brachten keine grundlegenden Veränderungen, sondern beschränkte sich im wesentlichen auf die Fixierung der entstandenen Strukturen und den weiteren Ausbau des mittlerweile entstandenen Verbundsystems. Aus dem Bayernwerk wurde, wie Pohl schreibt, ein "gut durchorganisierter nationalsozialistischer Betrieb". Aber auch unter der braunen Zwangsjacke regten sich noch die alten Interessengegensätze. So war nach der hier gegebenen Darstellung die 1939 erfolgte Anlehnung des Bayernwerks an die reichseigene Viag zugleich als Entscheidung gegen den alten Konkurrenten RWE zu sehen. Im Grunde seien die Auseinandersetzungen mit dem RWE, die das Bayernwerk seit seiner Gründung begleiteten, erst 1950 beendet worden.

Noch länger dauerten die Bemühungen um eine Flurbereinigung innerhalb Bayerns. Sie dürften erst in unseren Tagen mit der Übernahme der Rhein-Main-Donau AG und dem geplanten Erwerb der Isar-Amperwerke zu einem vorläufigen Abschluß gelangen.

Aufstieg dank des Ausbaues der Kernenergie

Die anfänglich so ergiebigen Wasserkräfte konnten die zunehmende Stromnachfrage bald nicht mehr befriedigen. Und wie andere süddeutsche Stromversorger war das Bayernwerk weit von den Kohlerevieren entfernt. Seinen Aufstieg zur heutigen Bedeutung verdankt es deshalb nach Feststellung Pohls zum großen Teil dem forcierten Ausbau der Kernenergie. 1966 wurde gemeinsam mit RWE das erste Kernkraftwerk bei Gundremmingen in Betrieb genommen (der spätere Vorstandsvorsitzende Jochen Holzer war damals noch Hilfsreferent im Atomreferat des Bundeswirtschaftsministeriums). Im selben Jahr begann man in Niederaichbach mit dem Bau eines Versuchskernkraftwerks für Natururan, das aber nie richtig funktioniert hat und inzwischen restlos abgerissen. Noch 1976 stammte lediglich ein Prozent des Bayernwerk-Stroms aus Kernenergie. Erst Ende der siebziger Jahre, mit Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Isar 1, begann für den bayerischen Stromversorger das eigentliche Zeitalter der Kernenergie. Es folgten weitere Blöcke an diesem Standort, in Gundremmingen und Grafenrheinfeld. Heute macht die Kernenergie rund 55 Prozent der Stromerzeugung des Bayernwerks aus. Mit rund zwanzig Prozent hat aber auch die traditionsreiche Wasserkraft noch einen ansehnlichen Anteil.

Privatisierung unter dem Dach des Viag-Konzerns

Inzwischen ist das Bayernwerk zum drittgrößten deutschen Stromversorger geworden, der gut 14 000 Mitarbeiter beschäftigt und einen Umsatz von über neun Milliarden Mark erzielt. Seine Beteiligungen reichen weit über Bayern und die Stromversorgung hinaus. Zu erwähnen wären hier etwa die Mehrheitsbeteiligung an der Contigas oder der Einstieg in die ungarische Stromversorgung. Wie Vorstandsvorsitzender Otto Majewski bei der Präsentation des vorliegenden Buches mitteilte, will man die Geschäftstätigkeit in Europa noch verstärken und sie auf Südostasien und Indien ausdehnen.

Der bayerische Staat hat 1994 seine mehrheitliche Beteiligung an dem Unternehmen aufgegeben. Das Bayernwerk figuriert seitdem als Tochter der Viag, die schon früher den Weg vom Staatskonzern zum Privatunternehmen gegangen war. Angesichts der prächtig geratenen Tochter und der vergleichsweise ertragsschwachen Mutter waren sich bei der Eingliederung des Bayernwerks in den Viag-Konzern allerdings manche Beobachter im Zweifel, wer wohl wen übernommen habe ...

Der Historiker Pohl hat mit dieser Unternehmensgeschichte jedenfalls ein Werk verfaßt, das die Entwicklung des Bayernwerks überaus detailliert und umfassend nachzeichnet. Derartige Kooperationen zwischen Historikern und Großunternehmen sollten weitere Nachahmung finden. Besonders wünschenswert wäre dabei eine Darstellungsweise, die den allgemeinen historischen Hintergrund, vor dem sich das einzelne Unternehmen zur heutigen Bedeutung entwickelte, deutlicher hervortreten läßt. Für den Normalleser, der die Energielandschaft der Gegenwart in der Regel nur wenig und die der Vergangenheit gar nicht kennt, sind Exkurse dieser Art wichtig, um die Details in die allgemeine Entwicklung einzuordnen und sich so ein zusammenhängendes Bild zu machen. Als schon recht bejahrtes, aber noch immer rühmliches Vorbild kann die dreibändige "Geschichte des Hauses Siemens" gelten, die ebenso historischen wie literarischen Ansprüchen genügt und damit einen seltenen Glücksfall darstellt (vgl. PB 5/94).

Von besonderem Reiz sind in dem vorliegenden Buch für den historisch interessierten Leser jene Seiten, auf denen die Konkurrenzkämpfe der deutschen Stromversorger vor der Fixierung der Versorgungsgebiete beleuchtet werden. Obwohl es sich dabei um den frühesten Zeitabschnitt handelt, kommt keinerlei nostalgische Stimmung auf: Vielmehr fühlt man sich angesichts der gegenwärtigen Liberalisierungsbestrebungen eher in die Zukunft versetzt.

(PB 5/96/*leu)