PresseBLICK-Rezensionen Erneuerbare Energien



Franz Alt

Schilfgras statt Atom - Neue Energie für eine friedliche Welt

München 1992: Piper-Verlag, 221 S., DM 29.80


In der Debatte um die Lösung des Energieproblems ist vorläufig nur eines sicher: So wie bisher kann es nicht weitergehen. Schon deshalb, weil die Vorräte an Kohle, Öl und Gas in absehbarer Zeit erschöpft sein werden und weil die Verfeuerung der fossilen Energieträger den Treibhauseffekt mit möglicherweise katastrophalen Folgen verstärkt. Aber wie sieht die Alternative aus? Erhält die Kernkraft im Zeichen des CO2-Problems doch noch eine Chance? Oder liegt der Schlüssel zur Lösung des Energieproblems allein bei den erneuerbaren Energien? Und wenn: Wie zukunftsträchtig sind die einzelnen erneuerbaren Energien, die ja von der Wasserkraft über Wind, Solarthermie, Photovoltaik, Biomasse und Gezeiten bis zur Geothermie reichen?

Franz Alt setzt in seinem Buch ganz auf die Biomasse, die bislang selbst im bescheidenen Rahmen der erneuerbaren Energien kaum eine Rolle spielt. Und er setzt auf ein einziges Gewächs, nämlich Chinaschilf, der besonders schnell wächst, wenig Wasser braucht, über viele Jahre hinweg aus derselben Wurzel immer wieder austreibt und deshalb besonders viel Biomasse erbringt. Diese Biomasse könnte als Brennstoff für Wärmekraftwerke verwendet werden, wobei nicht mehr CO2 freigesetzt würde als die Pflanzen vorher ihrer Umwelt entzogen haben.

Daß sich aus Chinaschilf Strom erzeugen läßt, unterliegt keinem Zweifel. Die Energie-Versorgung Schwaben (EVS), einer der großen deutschen Stromversorger, führt schon seit 1987 Anbauversuche mit schnellwachsenden Energiepflanzen durch. Besonderes Augenmerk gilt dabei gerade dem Chinaschilf. Auch die diesjährige dritte Ernte beim 1989 begonnenen Großversuch hat ermutigende Ergebnisse geliefert. Die EVS sieht es als realistisch an, pro Hektar und über einen Zeitraum von zwanzig Jahren hinweg jährlich 20 Tonnen Trockenmasse ernten zu können, was zu Heizwärmekosten von 19 Pfennig und zu Stromerzeugungskosten von 50 Pfennigen je Kilowattstunde führen würde. Bei einer "optimistischen Variante", die einen Hektarertrag von 40 Tonnen Trockenmasse zugrundelegt, würde nach den Berechnungen der EVS die Heizwärme sogar nur 6 Pfennig und die Stromerzeugung nur 17 Pfennig je Kilowattstunde kosten.

Chinaschilf gehört unter diesen Umständen zu den besonderen Hoffnungsträgern unter den erneuerbaren Energien; vor allem für Entwicklungsländer, wo die Pflanze ohnehin heimisch ist und die drückende Abhängigkeit von teuren Energieimporten mindern könnte. Auch zur Energieversorgung der hochentwickelten Industrieländer könnte sie einen Teil beitragen, wie das Beispiel der dänischen Strohkraftwerke zeigt.

Alt will freilich mehr. Vor seinem geistigen Auge versorgt Chinaschilf nicht weniger als unsere gesamte Energiewirtschaft. Nicht allein Strom wird damit erzeugt, sondern auch Benzin, Verpak-kungs- und Baustoffe. Daß fast die gesamte Landwirtschaft auf den Anbau von Chinaschilf umgestellt werden müßte, scheint ihm kein Nachteil zu sein, sondern ein genialer Ausweg aus der Sackgasse der EG-Agrarpolitik. Ebensowenig können ihn die finanziellen, technischen und logistischen Probleme schrecken, die der erforderliche Umbau der Energiewirtschaft mit sich bringen würde. Das größere Hindernis sind für ihn die Energiekonzerne, die angeblich in die Großtechnologie vernarrt sind und blindlings auf Kernkraft, Kohle, Gas und Öl setzen.

"Schwerter zu Schilfgras!"

Der Rigorismus, mit dem Alt den Schilf zur alleinseligmachenden Lösung erklärt, hat etwas Chiliastisches. Sein Patentrezept zur Lösung der Energiefrage ist eingebettet in Endzeit-Stimmung und missionarisches Pathos. Schon die Einleitung mit dem "Brief an einen jungen Soldaten" gipfelt in der Losung : "Schwerter zu Pflugscharen! Schwerter zu Schilfgras! Schilfgras statt Atom, Kohle und Öl!" Das folgende erste Kapitel des Buches wird beherrscht von der Frage "Sind wir noch zu retten?": Die 90er Jahre seien "unsere Gnadenfrist", die "Fieberkurve der Erde" steige, und ohne die erforderliche "Energiewende" drohe "ein 'grüner' Adolf Hitler". Man erfährt auch, daß der Katholik Franz Alt den christlichen Gott "im Lichte des Feminismus" zu sehen gelernt hat.

Das zweite Kapitel enthält eine fulminante Absage an die Kernkraft: "Die atomare Besessenheit ist die gefährlichste kollektive Geisteskrankheit am Ende des 20. Jahrhunderts." Doch die gesunden Kräfte regen sich bereits: Liebevoll schildert Alt den "Stromschlag in Schönau", der kleinen Schwarzwaldgemeinde, die sich mit ihrer Stromversorgung selbstständig machen möchte.

Im dritten und vierten Kapitel werden dann die Silberstreifen am Horizont noch größer, dank der "Kraft der Natur" und der "Kraft der Sonne", die uns das Schilfgras beschert haben. Alt beruft sich dabei immer wieder auf den Münchener Ingenieur Wolfgang Ständer, der seit Jahren für die Schilf-Idee streitet und auf diese Weise auch die Bekanntschaft des Fernsehjournalisten Alt gemacht hat. Daß dem "Visionär Ständer" gelegentlich "die Bodenhaftung des Realisten fehlt", möchte Alt nicht in Abrede stellen. Von seiner eigenen Bodenhaftung bleibt er freilich überzeugt. Jedenfalls geht er wie Ständer davon aus, daß sich auf all den riesigen Flächen, die künftig mit Chinaschilf bepflanzt werden sollen, ein unterirdisches, computergesteuertes Bewässerungssystem anlegen ließe, das einen jährlichen Hektarertrag von 40 Tonnen Biomasse gewährleistet.

Den Schluß des Buches bildet ein Kapitel mit der Überschrift "Die Kraft der Vision: Wir sind noch zu retten". Die Rettung naht durch Energie. Freilich nicht durch profane Energie, die sich in Joule oder SKE ausdrücken läßt. Es geht vielmehr um spirituelle Energie, um "Die Energie des Pazifismus", "Die Energie des Kleinen", "Die Energie neuer Beziehungen", "Die Energie der Selbsterkenntnis", "Die Energie des Göttlichen" und "Die Energie des Anfangs". - Ein Energiebegriff also, an dem die Vitalisten ihre helle Freude gehabt hätten.

Im Grunde enthält das Buch nichts Neues. Alts Ausführungen über Chinaschilf lassen sich woanders präziser und zuverlässiger finden. Der summarische Literatur-Hinweis am Ende des Buches bietet keinen Ersatz für fehlende Quellen-Angaben. Der Leser muß wohl oder übel glauben, was Alt aus dem Zettelkasten holt.

Ein Beispiel, wie Alt fünfe gerade sein läßt: Zunächst rechnet er vor, wieviele Einfamilienhäuser oder Krankenhausbetten sich bei einem Hektarertrag von 40 Tonnen Chinaschilf versorgen lassen würden. Dann ruft er beiläufig die EVS als Kronzeugen auf: "Diese optimistische Rechnung stammt von der Energieversorgung Schwaben, also von einem der großen Energieversorgungsunternehmen". - Der Leser erfährt nicht, daß das Attribut "optimistisch" von der EVS selber stammt und diese bei einer "realistischen Variante" mit nur halb so hohem Ertrag rechnet.

Ähnlich verquer präsentiert Alt den Lesern eine Anzeige der Informationszentrale der Elektrizitätswirtschaft. Er pickt sich aus einer ganzen Serie, in deren Mittelpunkt die erneuerbaren Energien und das Energiesparen standen, zwischen den Themen Wind und Biogas nur jene Anzeige heraus, in der die Verwertung von Biomasse am Beispiel des Chinaschilfs vorgestellt wurde: "Diese Anzeige empfand ich als sensationell. Die Stromproduzenten haben damit ihre gesamte Stromproduktion selbst in Frage gestellt."

Alt läßt nichts anbrennen, was irgendwo auf der Flamme des Zeitgeistes köchelt. Er kredenzt ein lebensphilosophisches Potpourri aus Religion, Biomasse, Chaos-Theorie, "Unbewußtem" und Feminismus. Dankbar berichtet er von den "Umkehr-Erlebnissen während und nach meiner Therapie", plädiert für "das Sanfte" in jeglicher Form oder "eine erotische Einstellung zum Leben".

Sanfte Formulierungen sind seine Sache freilich nicht. Vielmehr scheint er ein geradezu erotisches Verhältnis zum Holzhammer zu haben: "Zwei Geisteskrankheiten haben das 20. Jahrhundert vor allem geprägt: der Größenwahn des Nationalismus und der Größenwahn der Technik. Auschwitz symbolisiert die eine und Tschernobyl die andere Geisteskrankheit." - Vor soviel Wortgewalt und Vereinfachungsgabe könnte selbst "Bild" neidisch werden.

Suche nach "neuem Gemeinschaftsmythos"

Als Anhänger der sogenannten Tiefenpsychologie schwört Alt besonders auf C.G. Jung, der Freuds Spekulationen den atheistischen Stachel zog und eine religiös-mythische Richtung verlieh. Mit Jung ist er der Überzeugung, daß ein "neuer Gemeinschaftsmythos" nötig sei. Die Gesellschaft werde um so tragfähiger sein, je mehr dieser Mythos "im Religiösen und Spirituellen wurzelt". Alt weiß auch schon, wie das neue Credo lauten könnte: "Gott offenbart seine Energie im Wasser und in der Erde, in der Luft und im Feuer. Diese Erkenntnis über die Elemente ist elementar für eine neue Politik und eine neue Religiosität."

Was Alt für eine umstürzend neue Sichtweise hält, ist allerdings auch hier ungefähr so neu und aufregend, wie wenn ein Eugen Drewermann (den er im Literaturnachweis mitaufführt) als nachgeborener Luther die Autorität der Amtskirche in Frage stellt. Immerhin ist es schon über zweihundert Jahre her, seitdem Rousseau in seinem "Contrat social" die Notwendigkeit eines Gemeinschaftsmythos, einer "staatsbürgerlichen Religion", postuliert hat. Noch ein bißchen älter ist die pantheistische Idee vom Schöpfer, der in der Natur und allen Dingen steckt. Und jene spirituelle Energie, die uns gemeinsam mit dem Schilfgras die "Energiewende" bescheren soll, läßt sich sogar bis Aristoteles zurückverfolgen. Die ketzerische Frage drängt sich auf: Wann wird Alt die europäische Aufklärung und historischen Metamorphosen des "Prinzips Hoffnung" für sich persönlich soweit nachvollzogen haben, daß er auf dem möglichen Stand der Zeit angelangt ist?

Am Ende dieses Konglomerats aus Schilfgras und neuen Mythen kann der Leser begründete Zweifel haben, ob er das Buch unter "Energiekonzepte" oder nicht besser unter "Erbauungsliteratur" ins Regal stellen sollte. Die Dürftigkeit des Buches ist aber sicher kein Hindernis, ein Bestseller zu werden (der Verlag hat viel Geld in die Werbung investiert). Im Gegenteil: Patentrezepte verkaufen sich immer gut, solange sie nicht in die Realität umgesetzt werden müssen. Sie kommen sogar um so besser an, je komplizierter die Dinge in Wirklichkeit sind - besonders dann, wenn sie mit missionarischem Pathos und moralisierender Attitüde vorgetragen werden.

(PB 9/92/*leu)