Udo Leuschner / Geschichte der FDP (61)

17. Bundestag 2009 - 2013


Der erste Sargnagel

Nach einem Steuergeschenk für Hoteliers sinkt die FDP in der Wählergunst auf zehn Prozent

Zu den ersten gesetzgeberischen Maßnahmen der neuen Regierung aus Union und FDP gehörte das "Wachstumsbeschleunigungsgesetz", das am 4. Dezember 2009 vom Bundestag verabschiedet wurde. Es nahm diverse steuerliche Änderungen vor, die zwar den Beifall der Wirtschaft fanden, aber nicht unbedingt den propagandistischen Gesetzestitel rechtfertigten. Zum Beispiel war von Anfang an umstritten, welchen Wachstumseffekt es haben sollte, den Betreibern von Hotels die Mehrwertsteuer auf den Übernachtungspreis von 19 auf 7 Prozent zu ermäßigen. Hier ging es eher um Klientelpolitik. Und diese trug klar die Handschrift der FDP.

Kurz danach stellte sich heraus, daß die Partei von einem Unternehmer, dessen Imperium auch eine Hotelkette umfaßte, eine Großspende von 1,1 Million Euro erhalten hatte. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dieser Spende und dem Geschenk an die Hoteliers konnte zwar nicht bewiesen werden. Er war auch nicht unbedingt plausibel. Aber man traute ihn der FDP durchaus zu. Der Triumph bei den vergangenen Bundestagswahlen änderte eben nichts daran, daß die Partei außerhalb der eigenen Anhängerschaft einen katastrophalen Ruf genoß. Sie galt als die käuflichste aller Bundestagsparteien.

So erklärt es sich, daß das Steuergeschenk für die Hoteliers zum ersten Sargnagel beim Niedergang der FDP wurde. Dieser Niedergang hatte bereits schleichend begonnen. Laut "ZDF-Politbarometer" war das Wählerpotential der Partei, das im September 2009 mit 15 Prozent seinen Höhepunkt erreicht hatte, bis Ende Oktober auf 13 Prozent zurückgegangen. Nach Bekanntwerden der Hotel-Affäre sank es bis Ende Januar 2010 auf nur noch zehn Prozent. Und weil der Parteichef Westerwelle glaubte, diesen Niedergang durch einen seiner üblichen Amokläufe mit neoliberalem Schaum vorm Mund stoppen zu können, waren es fünf Monate später sogar nur noch fünf Prozent (siehe das folgende Kapitel).

Eine Forderung des Parteiprogramms soll endlich erfüllt werden

Dabei hatte die FDP zunächst geglaubt, mit der Mehrwertsteuer-Senkung für die Hoteliers ein symbolträchtiges Zeichen setzen zu können. Sie wollte wenigstens auf einem winzigen Sektor demonstrieren, daß sie es mit ihren Steuersenkungs-Versprechen ernst meinte, soweit sie vom Koalitionspartner nicht daran gehindert wurde. Es muß auch nicht unbedingt an der aktuellen Großspende gelegen haben, daß sie just die Hotelbranche zum Demonstrationsobjekt erkor. Schon seit Jahren forderte sie eine Mehrwertsteuer-Reduzierung für Hoteliers und andere Unternehmen der mittelständischen Tourismuswirtschaft. Beispielsweise hieß es im Programm zu den Bundestagswahlen 2005: "Nachteile für die deutsche Hotellerie und Gastronomie durch unterschiedliche Anwendung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union müssen beseitigt werden." Und im Bundestagswahlprogramm 2009 stand ebenfalls der Satz: "Zur Herstellung von fairem Wettbewerb müssen auch in Deutschland reduzierte Mehrwertsteuersätze für Hotellerie und Gastronomie eingeführt werden."

Das Wettbewerbs-Argument beruhte darauf, daß in den meisten europäischen Ländern eine verminderte Umsatzsteuer für Hotels und Gastronomie galt. Vor allem in Bayern und Baden-Württemberg jammerte das Tourismusgewerbe über eine angebliche Benachteiligung durch niedrigere Steuersätze in den Nachbarländern. Im übrigen vermochte das Wettbewerbs-Argument aber gerade in diesem Bereich nicht zu überzeugen. Schließlich wird kaum jemand deshalb im Ausland übernachten und speisen, weil in Deutschland der volle Mehrwertsteuersatz auf Beherbergung und Bewirtung erhoben wird.

Innerhalb der Partei hatte sich besonders der aus Baden-Württemberg stammende tourismuspolitische Sprecher Ernst Burgbacher für die steuerliche Begünstigung von Hotels und Gastronomie eingesetzt. Solange die FDP in der Opposition war, blieb es bei einem Wahlversprechen. Inzwischen war aber die Große Koalition von einem schwarz-gelben Kabinett abgelöst worden. Die FDP besetzte ein Drittel der 15 Ministerposten. Burgbacher amtierte seit Oktober 2009 als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Hinzu wurde er "Beauftragter der Bundesregierung für Mittelstand und Tourismus". So erklärt es sich wohl, daß im Koalitionsvertrag vom 26. Oktober 2009, in dem ansonsten nur sehr vage von "Handlungsbedarf bei den ermäßigten Mehrwertsteuersätzen" die Rede war, ganz konkret eine Senkung der Mehrwertsteuer "für Beherbergungsleistungen im Hotel- und Gastronomiegewerbe" auf sieben Prozent ab 1. Januar 2010 vereinbart wurde.

Für die Gastronomie gilt weiter der volle Steuersatz

Von der sprachlichen Logik her war das eine unsinnige Formulierung, denn im Gastronomiegewerbe fallen keine Beherbergungsleistungen an. Man wollte auf diese Weise wohl kaschieren, daß von der Steuerentlastung "für Hotellerie und Gastronomie", welche die FDP im Bundestagswahlkampf 2009 versprochen hatte, nur die Hotellerie übrig geblieben war. Die Ausdehnung auf die Gastronomie hätte viel zu große Steuerausfälle verursacht und wäre schon deshalb am Widerstand der Union gescheitert. Tatsächlich erfaßte die Neuregelung dann auch nur den reinen Übernachtungspreis. Für das Frühstück und sonstige Leistungen der Hoteliers galt weiterhin der volle Mehrwertsteuersatz. Das diente gewiß nicht der Vereinfachung des Steuerrechts, die ebenfalls im Koalitionsvertrag vereinbart war. Es war auch nicht zu erwarten, daß die Hotelübernachtungen nun um die eingesparte Mehrwertsteuer billiger würden. Die angeblich wachstumsfördernde Maßnahme bedeutete deshalb für Firmen und Geschäftsreisende eine zusätzliche Belastung, weil sie nur noch sieben anstelle von 19 Prozent des Übernachtungspreises als Mehrwertsteuer absetzen konnten.

Die Steuersenkung für die Hoteliers war also von Anfang an und in jeder Hinsicht kein Glanzstück. Sogar innerhalb der FDP gab es Bedenken. Im Unterschied zu Burgbacher und anderen Wirtschaftspolitikern hielten es Finanzpolitiker der Partei nicht für opportun, diesen Punkt isoliert zu behandeln. Sie wollten ihn stattdessen in die Verhandlungen über eine generelle Revision der Umsatzsteuer einbringen, die ebenfalls im Koalitionsvertrag vorgesehen war.

CSU hindert FDP daran, rechtzeitig den Rückzug anzutreten

Einem Zeitungsbericht zufolge soll Parteichef Westerwelle zum Schluß sogar versucht habe, das Steuergeschenk für die Hoteliers aus dem Entwurf des "Wachstumsbeschleunigungsgesetzes" wieder zu streichen. Er sei damit aber am Widerstand des CSU-Chefs Horst Seehofer gescheitert. Seehofer habe wohl "Gefallen daran gefunden, daß ihn zuhause viele Hoteliers für die Idee feierten, während die FDP von allen Seiten politisch verprügelt wurde".

Einer anderen Version zufolge, die in den Medien kolportiert wurde, wollte die FDP deshalb den Rückzug antreten, weil sie von der CDU unter entsprechenden Druck gesetzt worden war. Die CSU habe jedoch in dieser Frage eine konträre Position zur Schwesterpartei bezogen und die Streichung des Steuergeschenks abgelehnt. Daraufhin habe die FDP ebenfalls auf der Erfüllung der Koalitionsvereinbarung bestanden, um sich nicht von der CSU die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Schließlich war dieser Punkt auf ihren Wunsch zustande gekommen.

In jedem Falle scheint sich die CSU für diesen Punkt des Koalitionsvertrags zuletzt noch mehr eingesetzt zu haben als die FDP. Tatsache ist ferner, daß das Steuergeschenk an die Hoteliers innerhalb der CDU erhebliche Verstimmung auslöste. Drei CDU-Ministerpräsidenten protestierten sogar heftig und drohten damit, dem "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" im Bundesrat nicht zuzustimmen. In Schleswig-Holstein, wo die CDU mit der FDP regierte, ließ Ministerpräsident Carstensen den FDP-Fraktionschef Kubicki kurz und bündig wissen: "Ihr habt sie doch nicht alle!"

Plötzlich bekanntgewordene Millionen-Spende erscheint als Schmiergeldzahlung

In den Augen der Öffentlichkeit war es allerdings nur die FDP, der die Hotelbranche das Mehrwertsteuer-Geschenk verdankte. Und damit nahm das Verhängnis seinen Lauf. Es blieb nämlich nicht beim allgemeinen Verdacht der Klientelpolitik. Am 18. Januar 2010 berichtete der "Spiegel" über eine Großspende in Höhe von 1,1 Millionen Euro, die der Parteikasse von Oktober 2008 bis Oktober 2009 in drei Raten zugeflossen war. Sie stammte von dem Milliardär August von Finck, zu dessen Imperium die Mövenpick-Gruppe gehörte, die in Deutschland 14 Hotels betrieb.

Der Milliardär Finck unterstützte seit jeher rechtsgerichtete Parteien. Beispielsweise bekam die CSU von ihm anderthalb Millionen Euro, nachdem es ihr 2002 gelungen war, ihren Vorsitzenden Edmund Stoiber anstelle der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel zum gemeinsamen Kanzlerkandidaten der Unionsparteien zu machen. In den neunziger Jahren griff er dem ehemaligen bayerischen FDP-Vorsitzenden Manfred Brunner sogar mit umgerechnet 4,3 Millionen Euro unter die Arme, als dieser den "Bund Freier Bürger" gründete (siehe 29). Zuletzt hatte er 2008 der CSU für deren Landtagswahlkampf 820.000 Euro zukommen lassen.

Finck überwies die letzte Tranche seiner Großspende 16 Tage nach der Bundestagswahl und drei Wochen vor Abschluß des Koalitionsvertrags. Vermutlich verband er damit keine konkreten Wünsche. Er wollte wahrscheinlich die allgemeine Marschrichtung der Partei honorieren. Das schließt freilich nicht aus, daß er damit den letzten Anstoß für die Festschreibung des Mehrwertsteuer-Geschenks an die Hoteliers in der Koalitionsvereinbarung gab. Zumindest war der Eindruck nicht falsch, daß die FDP hier einseitig eine bestimmte Klientel begünstigte. Und nachdem die Großspende bekannt geworden war, ließ sich nun sogar ein direkter finanzieller Zusammenhang herstellen.

"Das stinkt doch zum Himmel", meinte die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth. Auch der SPD-Vorsitzende Gabriel sah einen direkten Zusammenhang zwischen der Großspende und dem Steuergeschenk an die Hoteliers. Ähnlich war der Tenor in den Medien. In die Empörung mischte sich Genugtuung darüber, die FDP endlich auf frischer Tat ertappt zu haben. Westerwelle wirkte dagegen noch unglaubwürdiger als sonst, wenn er die Vorwürfe als "absurd" zurückwies. Und sein Generalsekretär Lindner erntete allenfalls nur mitleidiges Lächeln, wenn er versicherte: "Die FDP ist nicht käuflich."

Plötzlich zeigte sich, wie brüchig das Fundament war, auf dem der glorreiche Bundestagswahlerfolg der FDP beruhte. Die FDP stand nun allein am Pranger, weil ihr ohnehin jede schmierige Dienstleistung zugetraut wurde. Die CSU war dagegen fein heraus, obwohl sie ebenfalls an dem Steuergeschenk mitgewirkt hatte, denn seit den letzten Landtagswahlen hatte sie von Finck keine nachweisbaren Großspenden mehr erhalten. Ihr größter Gönner beim Bundestagswahlkampf war vielmehr der Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie gewesen, der ihr 600.000 Euro zukommen ließ.

Nordrhein-westfälische FDP verlangt vergebens Korrektur

Besonders prekär war das für die nordrhein-westfälische FDP, die in Düsseldorf gemeinsam mit der CDU regierte. Am 9. Mai standen Landtagswahlen an. In Meinungsumfragen dümpelte die Partei bei sechs Prozent. Die CDU schwächelte ebenfalls. Die angestrebte Fortsetzung der Koalition war damit doppelt bedroht. In dieser Situation entschloß sich der Landesvorsitzende Andreas Pinkwart, der dem Düsseldorfer Kabinett als Minister und stellvertretender Ministerpräsident angehörte, zu einem Alleingang. In einem Interview mit dem "Spiegel" forderte er Ende Januar die Bundesregierung auf, die Steuersenkung für Hotelübernachtungen auszusetzen und im Rahmen einer umfassenden Steuerreform neu zu regeln. Die Umsetzung durch das Finanzministerium habe ein "bürokratisches Monstrum" mit "seitenlangen Ausfertigungen zur Erstattungsfähigkeit der Frühstückskosten bei Dienstreisen" geschaffen. Wenn die Bundesregierung das nicht ändere, werde Nordrhein-Westfalen über den Bundesrat einen entsprechenden Antrag einbringen.

Pinkwart durfte bei diesem Vorstoß auf die Unterstützung des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten und stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Jürgen Rüttgers (CDU) zählen, der ebenfalls den Verlust der schwarz-gelben Regierungsmehrheit bei den Landtagswahlen befürchtete. Allerdings blieb Rüttgers die einzige Unterstützung, und auch die hielt nicht lange: "An dem Gesetz wird nichts geändert", erklärte die Bundeskanzlerin Angela Merkel kategorisch. "Es ist ein Wachstumsbeschleunigungsgesetz mit vielen Facetten. Es hat jetzt keinen Sinn, über die einzelnen Elemente zu sprechen. Dies weiß auch die Regierung von Nordrhein-Westfalen, insbesondere der Ministerpräsident."

Der Parteichef Westerwelle, der vom Vorstoß seines Stellvertreters Pinkwart völlig überrascht worden war, erteilte ihm ebenfalls sofort eine Abfuhr. Auch andere Parteiobere befürchteten, daß ein Einknicken vor der öffentlichen Meinung lediglich als weiterer Beweis für die Prinzipienlosigkeit und wirtschaftliche Inkompetenz der Partei gewertet werden würde. Sogar der Kieler Landeschef Kubicki, der das Steuergeschenk offen kritisiert hatte, verlangte nun mit dieser Begründung dessen Beibehaltung: "Nach so kurzer Zeit zu erklären, wir haben einen Fehler gemacht, spricht nicht gerade für eine herausragende Kompetenz in Steuerfragen." Kubicki wollte das freilich nicht als Kritik an der Partei verstanden wissen, sondern an der Inkompetenz des Düsseldorfer Landeschefs, der vor seinem Eintritt in die Landesregierung als Professor für Betriebswirtschaftslehre tätig war.

Union kann es nun ablehnen, das Thema Steuersenkungen nochmals aufzugreifen

Es dauerte bis Sommer 2010, ehe Generalsekretär Christian Lindner öffentlich einräumte, daß die steuerliche Privilegierung der Hoteliers wohl doch ein Fehler gewesen sei. Es wäre sinnvoller gewesen, das gesamte Mehrwertsteuersystem zu reformieren, statt einen einzelnen Satz vorab zu senken, meinte er im "Deutschlandfunk". Da habe "unser ordnungspolitischer Kompaß nicht richtig funktioniert". Die Kanzlerin ließ ihn allerdings sofort wissen, daß sie überhaupt kein Interesse an einer solchen Diskussion habe. Sie war zwar von Anfang an gegen diesen Einfall der FDP gewesen. Aber eine koalitionsinterne Auseinandersetzung um das gesamte Mehrwertsteuersystem konnte sie noch weniger gebrauchen.

Im Herbst 2010 wollte Lindner das Steuerprivileg für die Hoteliers sogar zur Disposition stellen, falls es endlich zur Einberufung jener Kommission käme, die laut Koalitionsvertrag das gesamte Umsatzsteuersystem und speziell den Katalog der ermäßigten Mehrwertsteuersätze überprüfen sollte. Die Union zeigte freilich auch jetzt keinerlei Bereitschaft, auf dieses Angebot einzugehen. Zur Einberufung der Kommission kam es nie. Es blieb beim Steuergeschenk für die Hoteliers. Zugleich blieb damit der Stöpsel auf der Flasche, in die man die hochfliegenden Pläne der FDP zur Umgestaltung der Mehrwertsteuer gleich zu Beginn der gemeinsamen Regierung eingesperrt hatte.

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