Oktober 1998

981001

ENERGIE-CHRONIK


Neue Bundesregierung plant "Einstieg in den Ausstieg" und Energiesteuern

SPD und Grüne haben sich bei ihren Koalitionsverhandlungen auf einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie und die Einführung von Energiesteuern geeinigt. Die am 15. und 17. Oktober getroffenen Vereinbarungen bilden die Grundlage der Energiepolitik der künftigen Bundesregierung und der sie tragenden Bundestagsmehrheit. Zusammen mit anderen Vereinbarungen in den Bereichen Sozial-, Verkehrs-, Gesundheits-, Umwelt- und Forschungspolitik sind sie Bestandteil des Koalitionsvertrags, der am 20.10. von beiden Parteien unterzeichnet wurde.

Um Schadenersatzforderungen der Kernkraftwerksbetreiber zu vermeiden, soll der "Einstieg in den Ausstieg" aus der Kernenergie im Einvernehmen mit der Stromwirtschaft erfolgen. Die neue rot-grüne Bundesregierung will sich für entsprechende Verhandlungen ein Jahr Zeit nehmen, bevor der Ausstieg gesetzlich geregelt wird. Im wesentlichen wird sie bei diesen Verhandlungen versuchen, für die derzeit 19 am Netz befindlichen Kernkraftwerke kürzere Restlaufzeiten auszuhandeln, als die technische Lebensdauer der Anlagen zuließe. Die Stromversorger können sich demgegenüber auf unbefristete Betriebsgenehmigungen mit rechtlichen Bestandsgarantien berufen.

Unabhängig von diesen Verhandlungen will die neue Bundesregierung schon in den ersten hundert Tagen ihrer Amtszeit eine Novellierung des Atomgesetzes betreiben, die künftig anstelle der Förderung der Kernenergie deren Beendigung zum gesetzlichen Ziel erhebt. Weiterhin sollen im Atomgesetz die erst Ende vorigen Jahres beschlossenen Neuregelungen (971103) gestrichen werden, die ein "standortunabhängiges Prüfverfahren" vorsehen und sicherheitstechnische Nachrüstungen an bestehenden Anlagen betreffen. Die Betreiber sollen verpflichtet werden, binnen eines Jahres eine neueingeführte "Sicherheitsprüfung" vorzulegen, die Deckungsvorsorge zu erhöhen und die Entsorgung radioaktiver Abfälle auf die direkte Endlagerung in einem einzigen Endlager zu beschränken. Die Eignung Gorlebens für diesen Zweck wird in der Vereinbarung bezweifelt. Für die vorläufige Aufnahme der Abfälle sollen in jedem Kernkraftwerk ausreichende Zwischenlagerkapazitäten geschaffen werden.

Die Grünen hatten zunächst die Abschaltung aller 19 deutschen Kernkraftwerke binnen fünf Jahren verlangt und die Ansicht vertreten, daß die Kernkraftwerksbetreiber keinen Schadenersatz geltend machen könnten. Die SPD rechnete ihnen dagegen vor, daß ein solches Ausstiegsgesetz sehr wohl Schadenersatzansprüche in dreistelliger Milliardenhöhe nach sich ziehen könnte.

Neue "Ökosteuer" verteuert schrittweise Benzin, Heizöl, Strom und Gas

Zwei Tage nach dem Kompromiß in der Kernenergie-Frage einigten sich die Koalitionspartner auch auf eine "ökologische Steuer- und Abgabenreform" mit Energiesteuern für Benzin, Heizöl, Gas und Strom. Sie soll in drei Stufen bis 2002 verwirklicht werden und insgesamt 36 Milliarden Mark erbringen, die zur Senkung der Sozialabgaben verwendet werden. Die erste Stufe beginnt Anfang 1999. Über die zweite und dritte Stufe soll im Zusammenhang mit einer europäischen Energiebesteuerung am Ende der deutschen EU-Präsidentschaft Mitte kommenden Jahres entschieden werden.

Die Mineralölsteuer steigt nach den jetzt getroffenen Vereinbarungen zum 1. Januar 1999 um sechs Pfennig pro Liter. Heizöl wird um vier Pfennig pro Liter teurer. Gas zur Wärmeerzeugung verteuert sich um 0,32 Pfennig je Kilowattstunde.

Strom soll künftig mit einer Steuer von zwei Pfennig pro Kilowattstunde belegt werden. Ausgenommen bleibt lediglich Strom aus erneuerbaren Energien, z.B. aus Wind- oder Wasserkraft. Für Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung soll ein ermäßigter Satz gelten. Gewerbliche Strombezieher dürfen mit Vergünstigungen rechnen, die aber noch nicht näher beziffert sind. Besonders energieintensive Unternehmen wie Aluminiumfabriken, Zementhersteller oder Chemiebetriebe bleiben von der Neuregelung zunächst verschont, um ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden. Sie sollen aber auf der zweiten und dritten Stufe der Besteuerung ebenfalls einbezogen werden.

Auch den Vereinbarungen im Energiesektor ging ein heftiges Tauziehen zwischen den beiden Koalitionspartnern voraus. So wollten die Grünen eine deutlich stärkere Anhebung der Benzin-Besteuerung erreichen. Der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Gerhard Schröder hatte sich dagegen schon im Wahlkampf auf eine Erhöhung um höchstens sechs Pfennig pro Liter festgelegt.