Juni 1996

960603

ENERGIE-CHRONIK


"Die Richtung stimmt - aber noch keine gleichwertige Öffnung der Strommärkte"

Die meisten Kommentare in der Presse begrüßten die Luxemburger Einigung (960601) als ersten, wenn auch bescheidenen Schritt zur Liberalisierung des Strommarktes. Die Einwände der deutschen Stromversorger stießen zum Teil auf Verständnis, besonders was die Ungleichgewichtigkeit der Marktöffnung in Deutschland und Frankreich angeht. Im übrigen wurde den EVU nicht selten unterstellt, sie befürchteten lediglich den Verlust bisheriger Monopolstellungen und Gewinne.

Das Handelsblatt (24.6.) meinte: "Der große Wurf ist trotz der Beratungen seit nunmehr acht Jahren nicht gelungen. Dennoch sollte der schrittweise Einstieg in die Liberalisierung der Elektrizitätswirtschaft der Europäischen Union (EU) auch nicht als fauler Kompromiß bewertet werden. Denn die Richtung für einen Abbau der Integrationshemmnisse stimmt; allerdings erfolgt noch keine gleichwertige Öffnung der nationalen Strommärkte."
"Jahrelang kreißte der Berg, und gebar schließlich ein Mäuslein", hieß es in der Süddeutschen Zeitung (22.6.). Mit der jetzt beschlossenen EU-Richtlinie sei immerhin ein bescheidener Anfang gemacht. "Wenn ihm die deutschen Stromerzeuger mit gemischten Gefühlen entgegensehen, so liegt dies zum einen an dem bisher so komfortablen, wettbewerbsfreien Zustand, den Demarkations- und Konzessionsverträge den Anbietern beschert haben. Zum anderen aber gibt es Bedenken hinsichtlich der künftigen Konkurrenzverhältnisse im Binnenmarkt."

Für Die Welt (22.6.) verdeutlicht der Richtlinienentwurf "den Willen der Regierungen, mit der Idee des Wettbewerbs ernst zu machen - auch auf Märkten, deren Monopolisierung und Abschottung für viele fast schon ein Naturgesetz war". Allerdings könne man den Eindruck gewinnen, "als ob die Bundesregierung, die sich immer gern als 'Musterknabe' der europäischen Integration sieht, größere Zugeständnisse als der französische Partner gemacht hat".

Die Frankfurter Rundschau (22.6.) hob hervor, daß die Liberalisierung nur die Großverbraucher begünstige und die Kleinverbraucher belaste. In Frankreich müßten schon jetzt die Kleinabnehmer dafür bluten, daß sich die große Industrie zu Dumpingkonditionen mit Strom versorgen könne. "Die nun beschlossene EU-Richtlinie droht den Aderlaß bei Kleinverbrauchern zum Wohl der Großen grenzüberschreitend zu verschärfen. Die Neuregelung lädt ein zum Rosinenpicken."

Nach Meinung der Frankfurter Allgemeinen (24.6.) ist es dem Bundeswirtschaftsministerium mit den Luxemburger Beschlüssen gelungen, "das prestigeträchtigste Monopol der französischen Staatswirtschaft ins Wanken zu bringen". Die Ängste der deutschen Stromversorger vor einer aggressiven Exportpolitik des französischen Energiekonzerns EdF seien demgegenüber übertrieben: "Es ist nämlich umstritten, ob EdF mit ihren Exporten überhaupt Geld verdient. ... Dieser große Konzern steht sicher nicht auf tönernen Füßen. Aber die finanzielle Basis dieses Unternehmens ist nicht so solide, als daß es der allmählichen Liberalisierung des französischen Strommarkts unbesorgt entgegensehen könnte."