Mai 1995

950501

ENERGIE-CHRONIK


Stromversorger wollen Musterprozeß um Stromeinspeisungsgesetz erreichen

Um eine verfassungsgerichtliche Überprüfung des Stromeinspeisungsgesetzes zu erreichen, haben drei Stromversorger jeweils einem ihrer Einspeiser von Strom aus regenerativen Energien die gesetzlich vorgesehenen Vergütungen gekürzt. Es handelt sich um das Verbundunternehmen Badenwerk, den Regionalversorger Kraftübertragungswerke Rheinfelden und die Stadtwerke Geesthacht. Die drei Stromversorger sind mit der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW), dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und dem Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) der Ansicht, daß das Stromeinspeisungsgesetz verfassungswidrig sei. Sie fühlen sich bestärkt durch ein Gutachten des Rechtswissenschaftlers Hans-Wolfgang Arndt (siehe 941118) und durch das Urteil, mit dem das Bundesverfassungsgericht den Kohlepfennig als unzulässige Sonderabgabe verworfen hat (siehe 941201). Die Frist für eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ist seit der Verabschiedung des Gesetzes allerdings verstrichen. Deshalb wollen die Stromversorger einen zivilrechtlichen Musterprozeß herbeiführen, um so die Frage der Rechtmäßigkeit des Stromeinspeisungsgesetzes doch noch vor das Bundesverfassungsgericht bringen zu können (DPA, 8.5.; FAZ, 11.5.; SZ, 17.5.).

Wie der VDEW-Vorsitzende Horst Magerl betonte, fühlen sich die Stromversorger ihren Kunden und ihren Eignern gegenüber verpflichtet, auf eine verfassungsrechtliche Klärung hinzuwirken. Es gehe darum, unzulässige Sonderlasten für Teile der Bevölkerung zu vermeiden. Ihr Vorgehen richte sich in keiner Weise gegen die erneuerbaren Energien und deren sinnvolle Förderung aus öffentlichen Mitteln (FR, 17.5.).

In der Öffentlichkeit stieß die Vorgehensweise der Stromversorger dennoch auf scharfe Kritik. Viele Medien berichteten unter Überschriften wie "Vorsätzlicher Rechtsbruch" (Der Spiegel,8.5.) oder "Badenwerk provoziert Landesregierung" (Rhein-Neckar-Zeitung, 10.5.). Auch sämtliche Parteien lehnten die Vorgehensweise der Stromversorger ab.

Der SPD-Abgeordnete Hermann Scheer, der zugleich Vorsitzender der Sonnenenergie-Vereinigung "Eurosolar" ist, sprach von einer "Selbstjustiz der EVU". Die energie- und umweltpolitische Sprecherin der Grünen, Michaele Hustedt, warf den Stromversorgern "kaltschnäuzigen Rechtsbruch" vor. Der CSU-Energieexperte Peter Ramsauer erklärte: "Den deutschen Stromkonzernen ist dringend anzuraten, sich lieber an Recht und Gesetz zu halten, als ihre Monopolstellung derart unverfroren zu mißbrauchen" (SZ, 11.5.; FR, 11.5.).

Der baden-württembergische Wirtschaftsminister Dieter Spöri (SPD) leitete gegen das Badenwerk und die Kraftübertragungswerke Rheinfelden ein kartellrechtliches Mißbrauchsverfahren ein. Nach seiner Ansicht verstößt die Vorgehensweise der Stromversorger gegen das Wettbewerbsgesetz, weil sie einzelne Stromlieferanten gegenüber anderen diskriminiere. Es könne auch nicht hingenommen werden, daß ein Unternehmen wie das Badenwerk, an dem das Land maßgeblich beteiligt sei, geltendes Bundesrecht nicht beachte (Stuttgarter Zeitung, 18.5.; FR, 18.5.).

Einmütige Kritik auch im Bundestag

Am 21.5. kritisierten Abgeordnete aller Parteien im Bundestag erneut die Stromversorger und forderten sie auf, das Einspeisungsgesetz in der vom Bundestag beschlossenen Form zu respektieren. Die Vertreter von Union, SPD, Grüne und PDS sprachen in der Debatte von "Selbstjustiz" und "Rechtsbruch". Der FDP-Abgeordnete Paul Friedhoff verlangte von den Stromversorgern ebenfalls, "schnellstmöglichst zu einem gesetzeskonformen Verhalten zurückzukehren", verwies aber auch auf Konstruktionsmängel des Gesetzes und sprach sich für eine "wettbewerbsneutrale" Subventionierung der erneuerbaren Energien aus (SZ, 20.5.; FR, 20.5.; FAZ, 20.5.).

Badenwerk zahlt wieder volle Vergütung, um "weitere Eskalation" zu vermeiden

Badenwerk-Chef Gerhard Goll richtete am 23.5. einen Brief an den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel (CDU), in dem er die Notwendigkeit einer verfassungsrechtlichen Überprüfung des Stromeinspeisungsgesetzes bekräftigte und sich gegen den Vorwurf des Rechtsbruchs verwahrte. Um eine "weitere Eskalation" zu vermeiden, werde das Badenwerk dem betroffenen Betreiber eines kleinen Wasserkraftwerks aber wieder die volle Vergütung zahlen, zumal dieser inzwischen Klage angekündigt habe. Man wolle damit "Schaden für das Unternehmen und für diejenigen, die zum Unternehmen stehen, vermeiden". Außerdem wolle das Badenwerk "keineWahlkampfmunition für die Gegner des Unternehmens liefern".

Die Entscheidung des Badenwerks wurde mitten in einer Sitzung des baden-württembergischen Landtags mitgeteilt, in der sämtliche Parteien einmütig ihre Kritik an den Stromversorgern wiederholten. Die Grünen hoben dabei besonders auf den Umstand ab, daß Finanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU) als Aufsichtsratsvorsitzender des Badenwerks fungiert, an dem das Land 50 Prozent der Anteile hält (Handelsblatt, 26.5.; FR, 26.5.).

Wasserkraftwerksbetreiber reichen Klage ein

Die Wasserkraftwerksbetreiber Manfred Lüttke und Richard Kail wollen gerichtlich gegen die Kürzung der Einspeisevergütung vorgehen, die ihnen von den beiden baden-württembergischen Stromversorgern auferlegt wurde. Wie Lüttke am 31.5. gegenüber dpa erklärte, wurden entsprechende Klagen bei den Landgerichten in Karlsruhe und Mannheim eingereicht. Lüttke betreibt zwei Wasserkraftwerke im Versorgungsgebiet der Kraftübertragungswerke Rheinfelden und ist Vorsitzender des Landesverbandes der Wasserkraftwerksbetreiber. Kail betreibt ein Wasserkraftwerk an der Tauber, das ins Netz des Badenwerks einspeist (Rhein-Neckar-Zeitung, 1.6.).

Presse unterstellt den Stromversorgern Angst vor erneuerbaren Energien

Für die Stuttgarter Zeitung (18.5.) konnte die Landesregierung das Verhalten des Badenwerks keinesfalls hinnehmen: "Die Landesregierung als Verfassungsorgan kann gar nicht anders, als nach Möglichkeiten zu suchen, den widerspenstigen Elektrizitätskonzern auf den Boden der Gesetzmäßigkeit zurückzuholen. Das gilt um so mehr, als Baden-Württemberg maßgeblicher Aktionär des Badenwerks ist. Daß ein - wenn man so will - Landesunternehmen gegen geltendes Recht verstößt, ist eine unerträgliche Vorstellung."

Die Frankfurter Rundschau (11.5.) schreibt: "Das entsprechende Gesetz wurde 1990 verabschiedet. Damals ging kein Aufschrei der Empörung durch die Reihen der Elektrizitätsversorger. Daß sie fünf Jahre darüber brüten mußten, ob es der Verfassung standhält, glaubt ihnen kein Mensch. Insofern drängt sich der Verdacht auf, daß es ihnen doch darum geht, den Anteil der ësanften Energieträgerí möglichst klein zu halten."

Für die Süddeutsche Zeitung (11.5.) zeigt die Vorgehensweise der Stromversorger, "daß das Bonner Regelwerk die Strommanager offenbar ins Mark trifft. Sie befürchten, daß sie ihre eigenen Anlagen um so weniger auslasten können, je stärker kleinere dezentrale Anlagen privater Betreiber als Konkurrenten auftreten. Die Stromversorger wollen eine Erweiterung des Gesetzes um die Kraft-Wärme-Kopplung, wie sie derzeit geplant ist, offenbar um jeden Preis verhindern."

Die Woche (19.5.) sieht in der Auseinandersetzung sogar eine "konzertierte Aktion gegen den Klimaschutz" und unterstellt den Stromversorgern: "Sie wollen mißliebige Konkurrenz ausschalten und den Anteil regenerativer Energieträger klein halten. Dahinter steht die pure Angst vor Machtverlust. Denn umweltfreundliche Energien lassen sich praktisch nur dezentral erzeugen und verbrauchen."

Die Frankfurter Allgemeine (31.5.) kommentierte in ihrem Wirtschaftsteil: "Allen geht es ums Geld. Die privaten Einspeiser wollen abkassieren, weshalb auch uralte Wassermühlen laufen, was die Turbinen hergeben, um am Geldsegen teilzuhaben. Dadurch geht ein guter Teil der sogenannten Zukunftssubventionen verloren. Die großen Stromkonzerne wiederum wollen den Elektrizitätsmarkt für sich allein behalten. Der Stromstreit zeigt wieder einmal, wie notwendig es ist, auf dem Energiemarkt die Monopole aufzubrechen und die entsprechenden Gesetze zu ändern. Jeder muß überall Strom anbieten und nachfragen können."

VDEW weist Kampagne zurück

In der Zeitschrift Elektrizitätswirtschaft (29.5.) sprach der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW), Joachim Grawe, von einer "Kampagne, die einige gegen die Elektrizitätswirtschaft in Politik und Öffentlichkeit anzuzetteln versuchen". Nach der Formel "Böse Groß-Monopolisten knebeln kleine Wohltäter der Menschheit" werde von den wirklichen Sachverhalten abgelenkt. Dazu gehöre, daß das Stromeinspeisungsgesetz nicht zuletzt kleinere Stadtwerke und private EVU belaste. Es sei von Anfang an verfehlt gewesen. Es begünstige vor allem die Betreiber von Wasserkraftwerken, die 1990 bereits vorhanden gewesen seien und die aufgrund der höheren Vergütung heute keine Kilowattstunde zusätzlich erzeugen würden. Das Gesetz habe ihnen lediglich "windfall-profits" - oder in diesem Fall treffender: "waterfall-profits" - beschert. Vor allem aber belaste das Stromeinspeisungsgesetz - wie der Kohlepfennig - die Stromverbraucher mit einer Subvention, die eigentlich aus öffentlichen Mitteln aufgebracht werden müsse. Grawe hob hervor, daß Sonnen- und Windenergieanlagen praktisch keinen Leistungsbeitrag erbringen, sondern nur Brennstoffe sparen. Die Vergütungen, welche die EVU aufgrund der sogenannten Verbändevereinbarung aus freien Stücken an private Einspeiser zahlen, lägen aber erheblich über den vermiedenen Brennstoffkosten. Wenn die Verbändevereinbarung allein nach Ansicht der Politiker nicht genügend Anreize biete, solle der Staat Investitionshilfen gewähren für solche Techniken, die nahe an der Wirtschaftlichkeit sind, und für die technisch noch nicht reife Photovoltaik eine kontinuierliche Forschungsförderung betreiben. Das Stromeinspeisungsgesetz sei jedenfalls "ein schlechtes Mittel zu einem guten Ziel".

Ähnlich argumentierte der VDEW-Hauptgeschäftsführer am 8.5. in gleichlautenden Briefen an die Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Er unterstrich dabei, daß es im allgemeinen Interesse liege, die Verfassungsmäßigkeit des Stromeinspeisungsgesetzes zu klären. Er sehe dadurch auch "keine Beeinträchtigung der Konsens-Gespräche, welche Erfolgsaussichten diese auch haben mögen".