September 2025

250906

ENERGIE-CHRONIK


Wirtschaftsrat der CDU will Sozialabbau mit Rückkehr zur Kernenergie verbinden

Der sogenannte Wirtschaftsrat der CDU hat Ende September ein Papier vorgelegt, das altbekannte Positionen dieses Lobbyverbands wiederholt, aber noch um einiges verschärft: Auf energiepolitischem Gebiet wird nun ein "Rückbaumoratorium" für Kernkraftwerke in Verbindung mit einem "umfassenden Plan zum Wiederaufbau" stillgelegter Anlagen verlangt. Ferner sollen das Erneuerbare-Energien-Gesetz und das "Verbrennerverbot" abgeschafft werden. Im sozialen Bereich sollen zahnärztliche und kieferorthopädische Leistungen nicht mehr von den Krankenkassen übernommen und das Renteneintrittsalter erhöht werden.

Papier wurde unter "exklusiver" Mitwirkung der FAZ lanciert

Über das zehnseitige Papier berichtete am 29. September "exklusiv" der Berliner Wirtschaftskorrspondent der "Frankfurter Allgemeinen", Christian Geinitz, und zwar sowohl auf der ersten Seite als auch im Wirtschaftsteil des Blattes. Geinitz war in den vergangenen Jahren der rührigste FAZ-Propagandist für eine Wiederbelebung der Kernenergie in Deutschland (220312, 211006). Dabei berief er sich gern auf den Propagandaverein "Kerntechnik Deutschland", der von Vertretern der russischen Rosatom und der französischen Framatome dirigiert wurde.

Bemerkenswert war immerhin, wie Geinitz nun unter der Überschrift "CDU-Wirtschaftsrat: Mehr Kernkraft, weniger Soziales" vorsichtig auf Distanz ging, um nicht als Propagandist, sondern als kritischer Überbringer einer Botschaft zu gelten, die auch innerhalb der CDU vor allem als zusätzliche Belastung eines ohnehin schon ziemlich labilen Koalitionsfriedens empfunden werden dürfte. So monierte er die "teilweise salopp-kämpferische" Sprache des CDU-Wirtschaftsrats, wenn dieser beispielsweise verlange, die Grundsicherung "zurechtzustutzen". In seinem begleitenden Kommentar für den FAZ-Wirtschaftsteil prophezeite er sogar, dass dieser Vorstoß der rechten Unternehmerlobby an der politischen Realität scheitern müsse, obwohl er eigentlich berechtigt und sinnvoll sei:

"Der Wirtschaftsrat bläst der CDU zu Recht den Marsch. (...) Die an sich richtigen Vorschläge zur Kernkraft sind illusorisch, weil die Zeit darüber hinweggegangen ist, nicht zuletzt auf Betreiben der CDU. Auch die komplette Streichung der Zahnbehandlungen aus der Kassenleistung lässt sich niemals durchsetzen. Aber es ist dringend nötig, die Union an ihre marktwirtschaftliche ordnungspolitische Verantwortung zu erinnern und den Satz zu wagen: 'Die Gesellschaft trägt Einschnitte mit, wenn man ihr den Ernst der Lage unmissverständlich vor Augen führt.' Doch dafür müssten Union und SPD ihn zunächst einmal selbst begreifen. Das tun sie bedauerlicherweise nicht, weshalb das Gewurstel weitergeht."

DGB bezeichnet das Papier als "Klassenkampf von oben"

"Was hier von einigen wenigen Konservativen scheinheilig als 'Reformagenda' verkauft wird, ist weiter nichts als Klassenkampf von oben", erklärte das DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel zu dem Vorstoß des rechten Wirtschaftsklüngels. "Während Millionen Menschen jeden Tag mit ihrer Arbeit den Wohlstand dieses Landes mehren, träumen einige der Profiteure des Systems offenbar davon, für noch mehr Profit denselben Beschäftigten die soziale Sicherheit wie einen Teppich unter den Füßen wegzuziehen."

Der neoliberale Lobbyverein ist kein Parteigremium der CDU, aber trotzdem im Parteivorstand vertreten

Der "Wirtschaftsrat der CDU" bezeichnet sich selber als "Stimme der Sozialen Marktwirtschaft". Er bedient sich damit derselben Kostümierung wie die vor 25 Jahren von der Metall- und Elektroindustrie ("Gesamtmetall") gegründete neoliberale Propagandaorganisation "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM). Wie Lobbypedia klarstellt, handelt es sich trotz der Bezeichnung "Wirtschaftsrat der CDU" – mitunter nennt sich der Verband sogar "Wirtschaftsrat Deutschland" – um kein parteiinternes Gremium. Die Mitglieder würden auch keineswegs die gesamte Bandbreite unternehmerischer Interessen widerspiegeln. Dennoch sei der Verbandspräsident – aktuell ist das die Präsidentin Astrid Hamker – nach wie vor beratendes Mitglied im Parteivorstand der CDU. Der Verband stehe damit "für einen problematischen fließenden Übergang zwischen Partei und Lobbyverband" (PDF).

Als ein CDU-Mitglied deshalb den Bundesvorstand der CDU beim Bundesparteigericht wegen Lobbyismus verklagte, wies das Parteigericht diese Klage im April 2023 mit der formalen Begründung zurück, dass der Kläger nicht persönlich in seinen Rechten verletzt worden sei, da er weder Parteitagsdelegierter gewesen sei noch an der Wahl des Bundesvorstands mitgewirkt habe (230506). Erfolglos blieb auch eine daraufhin von der Initiative "Lobby Control" eingereichte Klage gegen diese Entscheidung wegen Verstoßes gegen das Parteiengesetz (220309). Diese Klage wurde im Dezember 2024 vom Landgericht Berlin ebenfalls aus formalen Gründen abgelehnt. CDU-Mitglieder müssen demnach in der Partei über eine mehr oder minder prominente Position verfügen, um den Parteivorstand vor dem Parteigericht verklagen zu können.


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