September 2025

250903

ENERGIE-CHRONIK


Brandanschlag auf Hochspannungsmasten verursachte 60-stündigen Stromausfall im Südosten Berlins

Unbekannte Täter verübten am frühen Morgen des 9. September einen Brandanschlag auf zwei Hochspannungsmasten im Ortsteil Johannisthal des Berliner Bezirks Treptow-Köpenick, der einen rund 60 Stunden dauernden Stromausfall im Südosten der Hauptstadt verursachte und vor allem im Technologiepark Adlershof große Schäden bewirkte. Auch S-Bahnen und Straßenbahnen sowie Verkehrsampeln fielen aus.

Ab fünf Uhr morgens waren 50.000 Haushalts- und Gewerbekunden ohne Strom

Bei den beiden Hochspannungsmasten handelt es sich um die Endmasten von Freileitungen des 110-Kilovolt-Verteilnetzes, an denen die Hochspannung über Kabel am Gestänge hinabgeführt wird, um per Erdverkabelung an Umspannwerke des 10-kV-Netzes weitergeleitet werden. Die Täter hatten die am Gestänge befestigten Kabel in Bodennähe mit Ketten umwickelt und mit Benzin einen Brand entfacht, von dem der zuständige Netzbetreiber Stromnetz Berlin (210403) erstmals um 3.30 Uhr erfuhr. Die Feuerwehr konnte den Brand nach einer Stunde löschen, aber nicht verhindern, dass die Kabel durchschmorten und Kurzschlüsse entstanden. Als Folge waren seit 5.09 Uhr rund 50.000 Haushalte und Gewerbekunden in Johannisthal, Bohnsdorf, Niederschöneweide, Grünau, Adlershof, Altglienicke und umliegenden Ortsteilen ohne Strom.

Die vollständige Behebung des Schadens wird voraussichtlich bis 2026 dauern

Durch erste technische Maßnahmen konnte Stromnetz Berlin 14.000 Haushalts- und Gewerbekunden bis 10.21 Uhr wieder versorgen und um 16.28 Uhr weitere 3.000 Kunden wieder ans Netz bringen. Bis zum späten Abend war nur noch knapp die Hälfte der Betroffenen vorerst ohne Strom. Am folgenden Tag waren es bis 20 Uhr nur noch 13.700 Kunden. Dann fiel aber eine neu errichtete Verbindungsleitung plötzlich wieder aus, wodurch rund 6.100 Haushalte und 200 Gewerbekunden in Adlershof, Alt-Glienicke, Köpenick und Niederschönweide erneut vom Stromnetz getrennt wurden. Erst am folgenden 11. September um 16.37 Uhr – rund 60 Stunden nach Beginn des Stromausfalls – war die Störung im gesamten Versorgungsgebiet behoben. – Vorerst allerdings nur provisorisch, denn die nun anstehende grundlegende Reparatur des gesamten Schadens dürfte sich bis ins kommende Jahr hinziehen.

Die Täter bezeichnen den Technologiepark Adlershof als "militärisch-industriellen Komplex"


Dieses Foto von bereits beschädigten Drehstrom-Ableitungen an einem der Masten hatten die Täter ihrem Bekennerschreiben zur Beglaubigung von dessen Echtheit hinzugefügt.

Unter der Überschrift "Angriff auf militärisch-industriellen Komplex – Blackout in Europas größtem Technologiepark" veröffentlichte um 14.20 Uhr die linksextreme Internet-Plattform "indymedia.org" ein Bekennerschreiben. Der Text war in einer ähnlichen Tonart gehalten wie das Schreiben, mit dem sich im März vorigen Jahres die "Vulkangruppe Tesla abschalten" zu dem Brandanschlag auf eine Hochspannungsleitung südlich von Berlin bekannt hatte (240302). Die anonymen Absender bezeichneten sich dieses Mal jedoch als "einige Anarchist:innen".

Mit ihrem Anschlag wollten die Täter demnach den Technologiepark Adlershof treffen, dem sie unterstellen, ein zu Rüstungszwecken dienendes Industrie- und Forschungsgelände zu sein. Dass der Stromausfall zugleich Zigtausende von "Anwohner:innen" in mehreren anderen Ortsteilen getroffen habe, sei nicht beabsichtigt gewesen, behaupten sie. Dabei habe es sich aber um einen vertretbaren "Kollateralschaden" gehandelt, "im Gegensatz zur faktischen Zerstörung der Natur und der oft tödlichen Unterjochung von Menschen, für diese viele der hier ansässigen Firmen tagein tagaus verantwortlich sind".

Laut dem Berliner "Tagesspiegel" (12.11.) halten die Ermittler das Bekennerschreiben für echt. Sie fänden es aber doch etwas "seltsam", dass als Absender "einige Anarchist:innen" angegeben sind. Anders als beim Tesla-Werk in Grünheide gab es bisher auch keine friedlichen Demonstrationen oder andere Proteste gegen den Technologie- und Medienstandort Adlershof, die den Tätern als Anlass hätten dienen können, um sie mit kriminellen Sabotageakten angeblich zu unterstützen.

Die Dämonisierung zum Rüstungszentrum könnte sogar der Hauptzweck des Anschlags gewesen sein

Der nach der Wende in Adlershof entstandene Technologie- und Medienpark galt eigentlich als Muster für einen gelungenen "Aufbau Ost". Seine Dämonisierung zu einem angeblich hochgefährlichen "militärisch-industriellen Komplex" erfolgte erst jetzt, um den Anschlag auf die Berliner Stromversorgung zu rechtfertigen. Es könnte deshalb sogar sein, dass sie der Hauptzweck des Anschlags war.

Die Täter können sich bei ihren Verdächtigungen zunutze machen, dass zu den mehr als 1300 Unternehmen und Forschungseinrichtungen des Technologieparks auch solche gehören, die sogenannte Dual-Use-Produkte entwickeln, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können. Namentlich nennen sie die Unternehmen Atos, Astrial, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Edag, Eurovia/Vinci, Jenoptik, Rhode & Schwarz, Siemens und Trumpf. Diese Firmen seien "exemplarisch für die unsägliche Verstrickung von Forschung, Wissenschaft und Technologie mit Krieg, Umweltzerstörung und sozialer Kontrolle".

Der Anschlag würde auch gut zur "hybriden Kriegsführung" des Putin-Regimes passen

Die plötzliche Dämonisierung des Technologieparks Adlershof zum "militärisch-industriellen Komplex" würde auch gut zu der immer weiter um sich greifenden "hybriden Kriegsführung" des Putin-Regimes passen, bei der oft Einheimische als "Wegwerf-Agenten" benutzt werden. Die Ermittler werden deshalb nun prüfen müssen, ob und wieweit der russische Geheimdienst bei dieser Attacke auf das deutsche Stromnetz mitgewirkt oder sogar den Anstoß gegeben haben könnte. Dass das ebenso weitschweifig-verquaste wie mit sichtlicher Inbrunst verfasste Bekennerschreiben aus der Moskauer Giftküche stammen könnte, ist allerdings kaum anzunehmen. Dieses Geschwurbel klingt vielmehr so authentisch wie die Ergüsse ähnlich verwirrter Geister, vom einstigen Terror der "RAF" bis zu den Anschlägen der "Vulkangruppen" in den vergangenen sieben Jahren. Auch die Ausführung des Anschlags werden wohl kaum Abgesandte des Kremls übernommen haben. Sehr wohl ist es aber möglich, dass Putins Geheimdienstler diskrete Hilfestellung bei der Auswahl des Anschlagsobjekts sowie bei der praktischen Durchführung und nachträglichen Rechtfertigung der Sabotage geleistet haben. Schließlich ist es nicht so einfach, im Stadtteil Johannisthal erst einmal die richtigen Strommasten zu finden und mit Kurzschluss-Garantie anzuzünden, damit im Stadtteil Adlershof der Strom ausfällt.

Im Arealnetz Adlershof dauerte die Wiederherstellung der Stromversorgung am längsten

Die Unternehmen und sonstigen Verbraucher auf dem 4,6 Quadratkilometer großen Gelände des Technologieparks Adlershof gehörten zu den letzten, die sechzig Stunden nach dem Stromausfall am 11. September wieder versorgt werden konnten. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Arealnetz, dessen Umspannwerk in der Wegedornstraße zwar vom kommunalen Verteilnetzbetreiber Stromnetz Berlin mit 110 Kilovolt beliefert wird, im übrigen aber auf allen nachgeordneten Spannungsebenen von der Energienetze Berlin GmbH (ENB) betrieben wird. Diese ENB besitzt außerdem noch an sechs weiteren Punkten Berlins kleinere Verteilnetze. Sie ist ihrerseits eine hundertprozentige Tochter der Blockheizkraftwerks-Träger und Betreibergesellschaft mbh Berlin (BTB), die seit April 2020 im E.ON-Konzernabschluss auftaucht. Zuvor gehörten ENB und BTB dem RWE-Konzern. Der Eigentümerwechsel erfolgte im Zuge der geschäftsmäßigen Abgrenzung und Aufteilung des deutschen Strommarkts, die vor sieben Jahren zwischen den beiden Energiekonzernen RWE und E.ON vereinbart wurde (180301).

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