Februar 2021

210201

ENERGIE-CHRONIK


 


Der RWE-Konzern betreibt den weitaus größten Teil seiner landgestützten Windkraftanlagen in den USA und dort besonders in Texas. Seine Offshore-Anlagen hat er dagegen größtenteils in britischen Gewässern angesiedelt. Die Photovoltaik ist stark unterbelichtet. Mit Ausnahme von Australien, USA und Spanien spielt sie überhaupt keine Rolle – auch in Deutschland nicht, wo sich die Gesamtpalette seiner Stromquellen aus historischen Gründen noch sehr stark von den Neuerwerbungen im Ausland unterscheidet (siehe Grafik 3).

Kälte in Texas kostet RWE dreistelligen Millionenbetrag

Ein ungewöhnlich starker Kälteeinbruch hat Mitte Februar die USA heimgesucht und dabei im Bundesstaat Texas eine schwere Energiekrise ausgelöst. Bis zu drei Millionen Haushalte litten tagelang unter Stromausfällen und Gasmangel. Die Regierung von Texas und US-Präsident Biden riefen den Katastrophenfall aus. Wegen des Strommangels vervielfachten sich die Großhandelspreise bis auf 9000 Dollar pro Megawattstunde, was gut 7400 Euro entspricht. Für den RWE-Konzern, der in den USA den weitaus größten Teil seiner landgestützten Windkraftanlagen betreibt, hatte das fatale Folgen: Da viele Anlagen vereisten, musste er Strom zu Höchstpreisen aus anderen Quellen beschaffen, um bindende Lieferverträge erfüllen zu können. Wie der Konzern am 18. Februar mitteilte, wird dadurch das bereinigte EBITDA seines weltweiten Geschäftssegments Windkraft Land/Solaranlagen in diesem Jahr "insgesamt mit einem niedrigen bis mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Betrag belastet".

Trotz des geringeren Strombedarfs im Winter sind die vorhandenen Reserven nur bedingt aktivierbar


Ein Kommentator des Nachrichtensenders MSNBC widerspricht energisch der über "Fox News" verbreiteten Behauptung des texanischen Gouverneurs Abbott, dass die Energiekrise durch Windkraftanlagen verursacht worden sei.

Die Stromausfälle waren indessen größtenteils auf das unvorhergesehene Versagen von Gas-, Kohle- und Atomkraftwerken zurückzuführen, die im vergangenen Jahr 75 Prozent und 2019 sogar 81 Prozent des texanischen Strombedarfs deckten. Dabei handelt es sich um Jahresmittelwerte. Im Winter ist der verbleibende Anteil der Erneuerbaren, der im wesentlichen aus Windstrom und nur zu zwei Prozent aus Solarstrom besteht, noch geringer. Auch insgesamt sinkt dann die zur Verfügung stehende Stromerzeugungskapazität, die im Sommer etwa 86.000 MW beträgt, auf nur noch 67.000 MW. Das liegt daran, dass die Einsatzplanung der Kraftwerke dem Bedarf folgt, der im Sommer am höchsten ist, weil dann rund um die Uhr die Klimaanlagen auf Hochtouren laufen, um die schwüle Hitze erträglicher zu machen. Die Kraftwerksbetreiber verlegen deshalb notwendige Wartungs- und Reparaturarbeiten in die kalte Jahreszeit. Dies erklärt auch, weshalb theoretisch vorhandene Reservekapazitäten nicht auf die Schnelle mobilisiert werden konnten.

Vorsorge für extreme Kälte wird aus Kostengründen ignoriert

Die ins Netz einspeisenden Kapazitäten fielen zum Großteil nacheinander aus, weil die Betreiber aus Rentabilitätsgründen keine Vorsorge für derart extreme Temperaturen bis zu minus 20 Grad getroffen hatten, die nur sehr selten zu erwarten sind. Das galt auch für die Eisbildung an den Rotoren von Windkraftanlagen: Die daraus resultierenden Unwuchten machen dann die Abschaltung erforderlich, was sich aber durch eine vorsorglich eingebaute Beheizung der Rotorflügel verhindern ließe. Anscheinend hat RWE diesen zusätzlichen Aufwand im eher heißen Klima von Texas nicht für erforderlich gehalten. Grundsätzlich spielte der Ausfall von Windkraftanlagen aber nur eine geringe Rolle bei den Abweichungen zwischen prognostizierter Last und tatsächlicher Erzeugung.

Wegen der Vereisung von Gasquellen mangelte es sowohl an Strom als auch an Heizungswärme

Der entscheidende Faktor war vielmehr die Vereisung der Gasquellen und Gasleitungen, von denen nicht nur die texanische Stromproduktion größtenteils abhängt, sondern auch die Deckung des privaten und industriellen Wärmebedarfs. Da etwa die Hälfte der Erdgasproduktion des Bundesstaates zum Erliegen kam, konkurrierten Stromerzeuger und private Verbraucher um das verknappte Angebot. Anscheinend gab es auch Probleme mit den Speichern, denn diese konnten dem Mangel nicht abhelfen, obwohl Texas von allen Bundesstaaten über die zweitgrößte Speicherkapazität für Erdgas verfügt. Um Millionen Menschen nicht frieren oder gar erfrieren zu lassen, wurden die noch verfügbaren Gasmengen vorrangig den Haushalten zugeleitet, was den Strommangel verschärfte.

Außer Gaskraftwerken versagten auch mit Kohle befeuerte Anlagen sowie eines der drei Kernkraftwerke, weil die extreme Kälte die Brennstoffversorgung oder die Leittechnik lähmte. Wegen des Ausfalls von Pumpen oder Einfrierens von Leitungen war ferner die Wasserversorgung für 13 Millionen Texaner zeitweilig unterbrochen. Die Anlagen zur Aufbereitung funktionierten ebenfalls nicht mehr richtig, weshalb die Bevölkerung aufgefordert wurde, das Wasser erst abzukochen.

Langandauernder Totalausfall konnte nur mit großer Mühe verhindert werden

Der halbstaatliche "Electric Reliability Council of Texas" (ERCOT), der für das Übertragungsnetz in drei Vierteln des Bundesstaats verantwortlich ist, konnte einen Totalausfall der Stromversorgung nur mit großer Mühe verhindern. Man sei "Sekunden oder Minuten" von einem völligen Zusammenbruch entfernt gewesen, erklärte ERCOT-Chef Bill Magness. Dies hätte dann schwere Schäden am Netz hinterlassen und Monate erfordert, um überall die Versorgung mit Strom und Wärme wiederherzustellen. So aber sei es mit knapper Not gelungen, durch permanente oder rotierende Stromabschaltungen für jeweils einzelne Bereiche des Bundesstaats den Betrieb des Übertragungsnetzes "Texas Interconnection" aufrechtzuerhalten.

Das kleinste der drei US-Verbundnetze verfügt kaum über Importmöglichkeiten

"Texas Interconnection" ist eines von drei Verbundnetzen in den USA, aber viel kleiner als die angrenzenden Systeme der "Eastern Interconnection" und der "Western Interconnection" (siehe Hintergrund, August 2003). Alle drei Systeme werden mit einer Frequenz von 60 Hertz betrieben. Sie sind zwar miteinander verbunden, aber nicht synchronisiert. Ihre Kopplung erfolgt vielmehr durch Hochspannungs-Gleichstromübertragungen (HGÜ). Das gilt auch für die Verbindungen zu der im Norden angrenzenden Quebec Interconnection (Kanada) und zum mexikanischen Übertragungsnetzbetreiber CFE im Süden. Die "Texas Interconnection" verfügt nur über zwei solcher HGÜ-Verbindungen mit der "Western Interconnection" und drei weitere mit Mexiko. Diese sind allerdings so schwach dimensioniert, dass sie einem größeren Strommangel nicht abhelfen können. Dafür wurden sie auch nicht gebaut. Sie entstanden vielmehr aus dem Bedürfnis einzelner Versorger, von günstigeren Strompreisen auf der jeweils anderen Seite profitieren zu können.

"Texaner würden mehr als drei Tage Stromausfall in Kauf nehmen, um die Bundesregierung aus ihren Geschäften herauszuhalten"

Hinter der weitgehenden Abschottung des texanischen Stromnetzes und anderer Bereiche der Energiewirtschaft steckt politische Absicht. Die verfassungsmäßige Befugnis der Bundesregierung zur Regulierung der Stromwirtschaft hängt nämlich vom Ausmaß des "interstate commerce" ab. Die Politiker in Dallas wollen sich jedoch von Washington möglichst wenig Vorschriften machen lassen. Noch stärker als in anderen Bundesstaaten ist in Texas die ganze Energiewirtschaft auf Profit und Wettbewerb ausgerichtet. Der frühere texanische Gouverneur Rick Perry, der unter Donald Trump von 2017 bis 2019 das Energieministerium leitete, hat das so formuliert: "Texans would be without electricity for longer than three days to keep the federal government out of their business."

Gouverneur will Windkraft- und Solaranlagen sowie den Netzbetreiber zum Sündenbock machen

Der Republikaner Greg Abbott, der als Nachfolger von Perry seit 2015 das Amt des Gouverneurs von Texas innehat, versuchte aus der schweren Energiekrise politischen Honig zu saugen, indem er in Trump-Manier die Tatsachen verdrehte: "Dieses Ereignis zeigt, dass der Green New Deal ein tödlicher Deal für die Vereinigten Staaten wäre", erklärte er in einer Sendung des rechtspopulistisch-demagogischen Fernsehsenders Fox News. Die Windkraft- und Solaranlagen seien schuld an dem Debakel, das eindringlich vor Augen führe, wie notwendig fossil befeuerte Kraftwerke seien. Im übrigen schob Abbott die Schuld an der Energiekrise auf den Netzbetreiber ERCOT, der noch fünf Tage vor dem angekündigten Wintersturm versichert habe, dass die notwendigen Vorkehrungen für Minustemperaturen getroffen seien und dass er die Kraftwerksbetreiber angewiesen habe, ihre Anlagen ordnungsgemäß winterfest zu machen.

"Was die Ausfälle verursacht hat, ist unser wettbewerblich orientierter Strommarkt"

Dieser Darstellung des Sachverhalts wurde von Fachleuten entschieden widersprochen. Auch der Netzbetreiber ERCOT taugt nur sehr beschränkt als Sündenbock, wie der Branchenexperte Marcus Pridgeon in den "Dallas Morning News" bemerkte. "Schieben Sie die Schuld nicht nur auf ERCOT", überschrieb er seinen Artikel. "Was die Ausfälle verursacht hat, ist unser wettbewerblich orientierter Strommarkt." Man müsse dazu wissen und verstehen, dass ERCOT keine Stromerzeugung besitzt, unterhält oder betreibt. Die gesamte Stromerzeugung befinde sich vielmehr in den Händen von privaten Unternehmen oder lokalen staatlichen Stellen wie kommunalen Elektrizitätswerken, Flussbehörden und Stromgenossenschaften. ERCOT habe deshalb nur sehr wenig Einfluss auf die Wartungsentscheidungen dieser Kraftwerksbetreiber, wie er aus eigener Erfahrung wisse:

"Als ehemaliges Mitglied des ERCOT Technical Advisory Committee kann ich bestätigen, dass wir die meiste Zeit damit verbracht haben, Marktregeln und Vorschriften zu diskutieren. Die einzige wirkliche Zuverlässigkeitsfrage, mit der wir uns beschäftigten, war die Sicherstellung von Marktanreizen für angemessene Erzeugungskapazitäten, d. h. die Planung des Baus neuer Generatoren, um mit der Stilllegung alter Einheiten und dem Wachstum Schritt zu halten. Sobald die Erzeugungsanlage in Betrieb ist, liegt es in der Verantwortung des Eigentümers, den Grad ihrer Vorbereitung und Wartung zu bestimmen. Seien Sie nicht schockiert, dies ist der freie Markt bei der Arbeit - in jeder Art von Geschäft."

Die Antwort auf die Frage, weshalb zum Zeitpunkt des Kälteeinbruchs 45.000 Megawatt an Stromerzeugung nicht verfügbar waren, sei deshalb nicht übermäßig kompliziert: "Wäre es für einen Stromerzeuger klug, seine Anlage für einen typischen Winter winterfest zu machen? - Ja. Wäre es für einen Stromerzeuger klug, seine Anlagen für einen Winter, der nur einmal in einer Dekade auftritt, winterfest zu machen? – Vielleicht. Wäre es für einen Stromerzeuger klug, sein Gerät für einen Jahrhundertwinter winterfest zu machen? – Nein." Diese Mentalität werde sich in einem wettbewerbsorientierten Markt nicht ändern. Die Stromerzeuger seinen nun mal "in erster Linie private Unternehmen, denen die Interessen der Aktionäre und Gläubiger am Herzen liegen, und das ist die Grundlage für ihre Entscheidungen. Das ist der freie Markt."

 


Die ausländische Stromerzeugung des RWE-Konzern besteht zu rund fünfzig Prozent aus Windkraft und anderen erneuerbaren Quellen. Der fossile Rest entfällt auf Erdgas und etwas Steinkohle. Im Inland dominieren dagegen noch immer Braun- und Steinkohle die Kraftwerkskapazitäten des führenden deutschen Stromerzeugers.

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