Oktober 2020

201008

ENERGIE-CHRONIK


Vier Industrieverbände wollen grünen Wasserstoff für synthetischen Sprit vergeuden

In einem gemeinsamen Brief an Bundesregierung, Abgeordnete und Mitglieder des Wasserstoffrats wandten sich im Oktober vier Industrieverbände gegen die geplante Verordnung zur nationalen Umsetzung der novellierten EU-Richtlinie für Erneuerbare Energien. Sie verlangten, den vom 24. September datierten Referentenentwurf zurückzuziehen und komplett neu zu verfassen, weil er keine Perspektiven für die Verwendung von synthetischen Kraftstoffen im Verkehrsbereich enthalte. Die für diesen Sektor vorgesehenen Erneuerbaren-Quoten seien zu gering, um mit "grünem" Wasserstoff genügend Mengen synthetischer Kraftstoffe erzeugen zu können, die auch als "E-Fuels" oder "Power Fuels" bezeichnet werden (siehe Hintergrund, Juni 2020). Unterzeichner des Schreibens waren der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), der Verband der Automobilindustrie (VDA), der Mineralölwirtschaftsverband (MWV) und der Deutsche Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband (DWV).

Die vier Lobby-Verbände verlangten eine Neufassung des Verordnungsentwurfs, die ihren Wünschen entspricht und die dann erneut in die Verbändeanhörung sowie die Ressortabstimmung zwischen den Ministerien gegeben werden soll. Der Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) warfen sie vor, sie gefährde andernfalls die Chancen einer Wasserstoffwirtschaft, das Erreichen der Klimaziele im Verkehr sowie hunderttausende von Arbeitsplätzen. Ähnlich äußerte sich der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann, der zwar den Grünen angehört, aber im Gegensatz zur Mehrheit seiner Partei ebenfalls die Verwendung von "grünem" Wasserstoff zur Herstellung von synthetischen Kraftstoffen propagiert.

"Wir sind gut beraten, 'ambitioniert' nicht mit 'blind' zu verwechseln"

In einem Interview mit der "Stuttgarter Zeitung" (21.10.) wies Staatssekretär Jochen Flasbarth vom Bundesumweltministerium derartige Forderungen zurück: "Dass der eine oder andere Branchenverband nicht einverstanden ist, wundert mich nicht. Lobbyisten vertreten wirtschaftliche Interessen und nicht die des Gemeinwohls. Das ist legitim. Dass aber der grüne Verkehrsminister aus Baden-Württemberg ins gleiche Horn bläst, verstehe ich dagegen nicht. Wir sind gut beraten, 'ambitioniert' nicht mit 'blind' zu verwechseln."

Flasbarth, der bis 2009 Präsident des Umweltbundesamtes war, verwies auf die hohen energetischen Verluste bei der Herstellung und Verwendung von synthetischen Kraftstoffen, was deren Einsatz für den CO2-freien Betrieb von Verbrennungsmotoren nur in Ausnahmefällen rechtfertigt. Es sei deshalb richtig, in der Verordnung keine E-Fuel-Quote für den Pkw-Verkehr vorzusehen: "Um synthetische Kraftstoffe zu produzieren, ist deutlich mehr Strom nötig als bei der E-Mobilität. Hinzu kommt, dass Ökostrom noch lange ein knappes Gut sein wird. Wir sollten strombasierte Kraftstoffe deswegen dort einsetzen, wo es keine effizientere, klimafreundliche Alternative gibt. Wie vor allem im Flugverkehr. Wir schreiben jetzt in unserem Gesetzesentwurf vor, dass Kerosin in Zukunft Kraftstoffe aus Ökostrom beigemischt werden muss. Somit schaffen wir die Grundlagen dafür, dass synthetische Kraftstoffe überhaupt hergestellt und eingesetzt werden."

VW-Konzern lobt den Verordnungsentwurf

Zumindest der Verband der Automobilindustrie (VDA) spricht in diesem Brandbrief nicht für die ganze Branche. In der Verbändeanhörung zum Verordnungsentwurf warnte der VW-Konzern sogar vor einer häufig anzutreffenden "massiven Überschätzung" der synthetischen Kraftstoffe. Deren Herstellung mit Strom aus erneuerbaren Energien erfolge "aufwändig, kostenintensiv, wenig klimaeffizient und mit geringem Wirkungsgrad". Für den Antrieb von Pkw seien CO2-frei erzeugter Wasserstoff oder daraus erzeugter Sprit viel zu kostbar. Mit batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen stehe "schon jetzt eine wirksame, effiziente, kostengünstige Technologie zur Verfügung, um die Klimaziele der Zukunft zu erreichen". Insgesamt sei der Verordnungsentwurf "ein wertvoller Beitrag", um der Elektromobilität in Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen.

VDA-Präsidentin erklärt den Zwist mit "technologischer Offenheit"

Die VDA-Präsidentin Hildegard Müller erklärte die offenkundig gewordenen Bruchlinien innerhalb ihres Verbands mit der "technologischen Offenheit" seiner Mitglieder, die mit "unterschiedlichen Wegen und alternativen Technologien" dasselbe Ziel verfolgen würden. Insgesamt sei sich die deutsche Automobilindustrie darin einig, "dass wir die Klimaziele von Paris erreichen wollen". Diese Darstellung klingt indessen nicht sonderlich plausibel, da die Vergeudung von grünem Wasserstoff, der per Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt werden muss, die Erreichung der Pariser Klimaziele eher behindert als voranbringt.

Die ehemalige CDU-Politikerin Müller war von 2008 bis 2016 Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (080712), bevor sie zum RWE-Konzern wechselte (160115) und bei dessen Tochter Innogy für Netze und Infrastruktur zuständig wurde (160312). Nach der Zerschlagung von Innogy wurde sie ab Februar 2020 neue VDA-Präsidentin. Zuvor galt sie als Favoritin für den Vorsitz der Westenergie GmbH im E.ON-Konzern, die das Innogy-Vertriebsgeschäft übernommen hat. Diese Stelle besetzte E.ON-Chef Teyssen jedoch mit der bisherigen VKU-Geschäftsführerin Katherina Reiche (190908).

 

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