März 2019

190308

ENERGIE-CHRONIK


ICSID weist deutschen Befangenheitsantrag zurück

Die  bei der Weltbank in Washington angesiedelte Schiedsorganisation für Investitionsschutzverfahren (ICSID) hat am 6. Februar den Befangenheitsantrag zurückgewiesen, den die deutsche Regierung im Streit mit dem Vattenfall-Konzern gegen alle drei beteiligten Richter gestellt hat (181110). Den Regularien zufolge hätte der Präsident der Weltbank, der aus Korea stammende US-Amerikaner Jim Yong Kim, innerhalb von 30 Tagen über den Antrag entscheiden müssen. Da dieser am 12. November eingegangen war, wäre das noch vor Weihnachten gewesen. Dazu kam es aber nicht, weil die Bundesregierung kurz vor Ablauf der Frist nachlegte und ihren Befangenheitsantrag erweiterte (190107). Die jetzige Entscheidung wurde von der Bulgarin Kristalina Georgiewa verkündet, die seit 1. Februar interimistisch als Weltbankpräsidentin amtiert. Ihr Vorgänger Jim Yong Kim hatte zu Anfang des Jahres mitgeteilt, dass er sein Amt niederlege, um in die Privatwirtschaft zu wechseln.

Bundesregierung beanstandete Interview der Generalsekretärin

Die zusätzlich erhobenen Einwendungen der Bundesregierung bezogen sich auf ein Interview, in dem sich die ICSID-Generalsekretärin Meg Kinnear Mitte Dezember gegenüber der "Wirtschaftswoche" zu ihrer Organisation und zu dem laufenden Vattenfall-Verfahren geäußert hatte. Dabei verwies sie darauf, dass auch in diesem Verfahren die Kontrahenten jeweils einen der drei Richter benannt und den Vorsitzenden gemeinsam bestellt haben. Es folgte die Feststellung:

"Die Bundesregierung stellt jetzt die Richter in Frage, die sie selbst bestellt hat. Es kommt übrigens sehr selten vor, dass eine Partei die Unbefangenheit aller drei Richter anzweifelt. Wir haben sehr strenge Standards für die Unabhängigkeit unserer Richter, die bei ihrer Ernennung eine sehr umfangreiche Erklärung abgeben müssen. Und wir haben einen Sicherungsmechanismus eingebaut. Die Unbefangenheit kann angezweifelt werden – wie es jetzt passiert ist. Ich kann die Idee, dass ICSID-Schiedsrichter voreingenommen sein sollen, schwer nachvollziehen."

Die Bundesregierung nahm diese Äußerung zum Anlass, um die notwendige Unvoreingenommenheit der ICSID-Generalsekretärin bei der Entscheidung über den Befangenheitsantrag anzuzweifeln. Im ursprünglichen Wortlaut des Interviews soll Meg Kinnear zudem "die Schiedsrichter" gesagt haben. In Verbindung mit dem vorhergehenden Satz ließ sich das als eine Vorwegnahme der offiziellen Entscheidung werten, deren Verkündung durch den Präsidenten der Weltbank im Grunde nur ein formaler Akt ist.

Auch der Umweg über Den Haag hat die Ablehnung des Befangenheitsantrags nicht verhindert

Inzwischen hatte die Grünen-Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl beim Bundeswirtschaftsministerium angefragt, welche Erkenntnisse es dort zum Stand und zur weitere Entwicklung des Befangenheitsantrags gebe. Am 29. Januar teilte ihr der Staatssekretär Ulrich Nußbaum mit, dass Zeitpunkt und Inhalt der Entscheidung des Weltbankpräsidenten bzw. seiner Interimsnachfolgerin noch offen seien. Es sei aber gelungen, die ICSID-Generalsekretärin wegen ihres "Wirtschaftswoche"-Interviews erfolgreich zu rügen: Die Weltbank habe nun entschieden, "nicht die ICSID-Generalsekretärin in den Entscheidungsprozess einzubeziehen, sondern den Ständigen Schiedshof (Permanent Court of Arbitration) in Den Haag zu bitten, die Entscheidungsvorlage über den Befangenheitsantrag der Bundesregierung zu erstellen."

Wie man sieht, hat dieser Umweg über den Ständigen Schiedshof in Den Haag an der zu erwartenden Ablehnung des Befangenheitsantrags nichts geändert. Das war auch zu erwarten, da dem Befangenheitsantrag der Bundesregierung zu offensichtlich taktische Erwägungen zugrunde lagen. Anscheinend wollte das Wirtschaftsministerium auf diese Weise eine weitere Verzögerung der Entscheidung erreichen, die zunächst schon Anfang 2018 erwartet wurde. Im übrigen bleibt aber rätselhaft, ob der Befangenheitsantrag zu einer weiterreichenden Strategie gehört und wie diese aussehen könnte. Eine naheliegende Vermutung wäre, dass es sich um eine Reaktion auf die Weigerung der Schiedsrichter handelt, das "Achmea-Urteil" des Europäischen Gerichtshofs zu respektieren (181110). Für die Verteidiger solcher Schiedsgerichte würde das aber eher deren Unabhängigkeit unterstreichen als sie in Frage stellen.

Letztendlich geht es um die Eindämmung einer ausufernden Privatjustiz

Klar ist nur, dass der Befangenheitsantrag mit der grundsätzlichen Neubewertung der Rolle internationaler Schiedsgerichte zu tun hat, wie sie der Europäische Gerichtshof im März 2018 mit seinem "Achmea-Urteil" formulierte und die große Mehrheit der EU-Staaten in einer gemeinsamen Erklärung zu Beginn dieses Jahres bekräftigt hat (190107). Insbesondere geht es darum, dass Großkonzerne nicht weiterhin ein privates Schiedsgericht in Washington bemühen können, um einzelne Regierungen der EU-Staaten auf Schadenersatz in Milliardenhöhe zu verklagen. Im vorliegenden Fall sind die Kontrahenten sogar zwei EU-Regierungen, da Vattenfall dem schwedischen Staat gehört.

Es wäre längst an der Zeit gewesen, dieser ausufernden und absolut intransparenten Privatjustiz einen Riegel vorzuschieben. Das erfordert aber politische Maßnahmen. Zum Beispiel müßte endlich die "Energie-Charta" gekündigt werden, auf die sich jetzt der Vattenfall-Konzern bei seiner Milliardenforderung in Washington beruft, obwohl ihm das Bundesverfassungsgericht und der Bundestag bereits einen Entschädigungsanspruch auf der Grundlage nationalen Rechts zuerkannt haben (180601, 161201). Als die EU und ihre einzelnen Mitgliedsstaaten diesem Investitionsschutzabkommen beitraten, war es für einen anderen Zweck gedacht. Heute dient die "Energie-Charta" hauptsächlich international agierenden Großkonzernen, um Regierungen bei ICSID in Washington und ähnlichen Schiedsgerichten mit riesigen Schadenersatzforderungen zu überziehen, die dann die nationalen Steuerzahler aufzubringen haben (siehe Hintergrund, Mai 2016).

Der Befangenheitsantrag gegen die drei Juristen, die mit Mitwirkung und Zustimmung der Bundesregierung das Schiedsgericht zur Schadenersatzklage von Vattenfall bilden durften, lenkt deshalb vom Kern der Auseinandersetzung eher ab. Er hätte allenfalls einen weiteren Zeitgewinn durch Neuaufrollung des Verfahrens ermöglicht. Aber selbst das hat er nicht erreicht. Und ob er letztendlich am Inhalt der Entscheidung noch etwas ändert, die schon vor mehr als einem Jahr verkündet werden sollte, dürfte ebenfalls fraglich sein.

 

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