Oktober 2017

171001

ENERGIE-CHRONIK


Binnen zehn Jahren ist die Stromerzeugung des Kraftwerks Mehrum um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Entsprechend sank die Rentabilität des Kraftwerks. Allgemeine Ursache war der Strompreisverfall an der Börse. Der besonders ausgeprägte Rückgang des Jahres 2008 ist jedoch auf die Rezession zurückzuführen, und zum Rekord-Tief des Jahres 2016 hat ein verlängerter Revisionsstillstand beigetragen.

EPH bekommt Steinkohle-Kraftwerk der Stadtwerke Hannover geschenkt

Der tschechische Energiekonzern EPH übernimmt von den Stadtwerken Hannover ("enercity") das Steinkohle-Kraftwerk Mehrum, das als reiner Stromerzeuger für die Stadtwerke unrentabel geworden ist. Der Vertrag wurde am 16. September unterzeichnet. Zum Kaufpreis wollten sich die Stadtwerke auf Anfrage nicht äußern, weil die Vertragspartner – zu denen auch die Stadtwerke Braunschweig ("BS Energy") mit einer Minderheitsbeteiligung von 16,7 Prozent gehören – in diesem Punkt Stillschweigen vereinbart hätten. Laut "Hannoversche Allgemeine" (28.9./1.10.) verhält es sich aber so, daß EPH das Kraftwerk Mehrum geschenkt bekommt – zuzüglich eines symbolischen Aufgelds von sechs Euro.

Tschechischer Milliardär spekuliert auf das Scheitern der Energiewende


Das Kraftwerk Mehrum ist – im Unterschied zu den drei Heizkraftwerken der Stadtwerke Hannover – ein reiner Stromerzeuger. Seine Nettoleistung von 690 MW kann aber immer weniger rentabel genutzt werden. Rechts sieht man die längst stillgelegten alten Blöcke 1 und 2, die mit Schweröl und Erdgas betrieben wurden.
Foto: Wikipedia

Der tschechische Konzern greift sich damit ein weiteres Mal ein unrentabel gewordenes Kohlekraftwerk, das die Eigentümer lieber verschenken, als weitere Verluste zu riskieren oder selber eine Stillegung durchzuführen. Der bisher größte Coup gelang EPH voriges Jahr mit der Übernahme des gesamten Braunkohlegeschäfts von Vattenfall in Ostdeutschland, das die Schweden nicht nur verschenkten, sondern zusätzlich mit 1,6 Milliarden Euro Aufgeld zur Abdeckung von Verbindlichkeiten versahen (160401). Auf ähnliche Weise sicherte sich EPH zuvor den drittgrößten deutschen Braunkohleförderer Mibrag und das Helmstedter Revier mit dem Kraftwerk Buschhaus (130907).

Treibende Kraft hinter EPH und dem energiewirtschaftlichen Retro-Konzept ist der Eigentümer und Vorstandsvorsitzende Daniel Kretinsky. Der tschechische Milliardär spekuliert gewissermaßen auf ein Scheitern der Energiewende, indem er gratis oder zum Spottpreis nicht mehr benötigte Kohle- und Atomstromkapazitäten einsammelt. Daß er sich dabei als Retter von Arbeitsplätzen darstellen kann, erleichtert das Geschäft. Falls sein Kalkül nicht aufgeht, dürfte es aber für viele ein böses Erwachen geben.

Greenpeace veröffentlichte "Schwarzbuch EPH"

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace äußerte anläßlich des Vattenfall-Deals in offenen Briefen an die Ministerpräsidenten der Länder Brandenburg und Sachsen die Befürchtung, "daß EPH das Kapital aus der von Vattenfall übernommenen Braunkohle-Sparte und den übertragenen Rückstellungen herauszieht, in der Zukunft Insolvenz anmeldet oder sich durch gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen einer Haftung entzieht". Die Milliardenkosten für die Rekultivierung der Braunkohle-Tagebaue blieben damit den deutschen Steuerzahlern überlassen. Ferner sei zu befürchten, daß die neue EPH-Tochter LEAG noch mehr Braunkohle verstromt und damit das Klima belastet, sofern die Marktsituation dies hergibt, anstatt die Erzeugung bis 2030 schrittweise herunterzufahren. Die Arbeitsplatz-Garantie, die EPH für den Fall der Übernahme angekündigt habe, sei auf vier Jahre begrenzt. Danach sei mit massiven Lohnkürzungen und der Streichung einer erheblichen Anzahl von Arbeitsplätzen zu rechnen. Bei der ostdeutschen Tochter Mibrag habe EPH schon kurz nach der 2013 erfolgten Einverleibung Rückstellungen für Bergbaufolgen in Höhe von knapp 130 Millionen Euro aufgelöst. Ausweislich der Jahresabschlüsse 2009 bis 2014 sei davon der Großteil an den Investor geflossen. Zugleich seien die zu erwartenden Kosten der Rekultivierungsmaßnahmen schöngerechnet worden (160705). Zu Anfang dieses Jahres veröffentlichte Greenpeace ein "Schwarzbuch EPH – Bilanz nach 100 Tagen LEAG" in aktualisierter Fassung (siehe Link).

Verpflichtung zum Weiterbetrieb des Kraftwerks Mehrum soll schon 2019 enden

Der EPH-Konzern beschäftigt inzwischen seinen Angaben zufolge in Tschechien, Slowakei, Deutschland, Italien, Großbritannien, Polen und Ungarn rund 25.000 Mitarbeiter. Davon befänden sich mehr als 10.000 in Deutschland. Insgesamt erzeugten seine Unternehmen jährlich über 100 Terawattstunden an Strom, was ihn zum siebtgrößten Stromproduzenten in Europa mache. Mit einem jährlichen Abbau von rund 80 Millionen Tonnen Kohle sei er außerdem der zweitgrößte Kohleproduzent der EU.

In der Mitteilung der Stadtwerke Hannover hieß es zum sozialen Aspekt des Deals lediglich: "Die Mitarbeiter bleiben weiterhin im Kraftwerk Mehrum tätig und ihre Interessen bleiben weiterhin geschützt und gewahrt." Ferner wurde der EPH-Vorstand Jan Springl zitiert, der sich zuversichtlich zeigte, "trotz der aktuell schwierigen Marktbedingungen für Kohlekraftwerke eine wirtschaftliche Perspektive für Mehrum im Verbund unserer Kraftwerke zu finden". EPH sehe das Steinkohle-Kraftwerk Mehrum als strategische Ergänzung des eigenen Portfolios, das bisher von Braunkohle dominiert werde.

Wie die "Hannoversche Allgemeine" aus unbestätigten Quellen erfuhr, sollen sich die Tschechen verpflichtet haben, das Kraftwerk "mindestens bis ins übernächste Jahr hinein zu betreiben", also nur bis 2019. Falls sie es deutlich länger am Netz beließen und dann auch für den Abriß sorgten, seien die Stadtwerke bereit, dies durch Rückkauf des jetzt verschenkten Grundstücks zu honorieren. Bei einer früheren Betriebseinstellung müßten sie dagegen "bis 2027 einen Teil der Mitarbeiter übernehmen". Ferner gebe es Abfindungen für Mitarbeiter, die noch keine zwei Jahre im Werk beschäftigt sind. Älteren werde angeboten, vorzeitig in Rente zu gehen.

Stromerzeugung ging seit 2006 stark zurück

Die Stromerzeugung am Standort Mehrum begann in den sechziger Jahren mit den Steinkohle-Blöcken 1 und 2, die jeweils eine Leistung von 100 MW hatten. Heute ist nur noch der Block 3 in Betrieb, der 1979 ans Netz ging und über eine Nettoleistung von 690 MW verfügt. Im vergangenen Jahr beschäftigte das Kraftwerk noch 120 Mitarbeiter und 15 Auszubildende. Seine Stromerzeugung, die 2006 noch 4.561Gigawattstunden erreichte, ist ist in den folgenden zehn Jahren tendenziell gesunken und betrug 2016 lediglich 1.988 Gigawattstunden (siehe Grafik).

 

Links (intern)

Link (extern, ohne Gewähr)