Dezember 2016

161204

ENERGIE-CHRONIK


Parlament fordert KKW-Betreiber zum Rückzug sämtlicher Klagen auf

Die Betreiber der deutschen Kernkraftwerke haben Anfang Dezember in Schreiben an die Bundestagsfraktionen von Union, SPD und Grünen den Rückzug von zwanzig Klagen angekündigt, mit denen sie vom Staat Entschädigung verlangten. Offenbar wollten sie so verhindern, daß ihnen bei der Beratung der Entsorgungsgesetze im Bundestag doch noch eine höhere Beteiligung abverlangt wird. Die beiden mit Abstand kostspieligsten Klagen – sie betreffen die Brennelementesteuer und die Vattenfall-Klage vor einem Washingtoner Schiedsgericht – wurden indessen nicht zurückgezogen. Dennoch beließ der Bundestag am 15. Dezember das Gesetzespaket in diesem Punkt unverändert. Die Atomkonzerne werden somit nur maximal 23,5 Milliarden Euro zu dem neu einzurichtenden Entsorgungsfonds beitragen müssen (161202). Sprecher der Regierungsparteien und der Grünen äußerten aber unisono die Erwartung, daß die Atomkonzerne auf sämtliche Klagen verzichten, die sie im Zusammenhang mit dem Atomausstieg erhoben haben. Das Plenum des Bundestags unterstrich diese Forderung zusätzlich durch eine Entschließung.

Öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen Regierung und Atomkonzernen geplant

In der Entschließung wird die Bundesregierung unter anderem aufgefordert, "sich im Zusammenhang mit den Verhandlungen über einen öffentlich-rechtlichen Vertrag dafür einzusetzen, die Rücknahme aller im Atombereich anhängigen Klagen und Rechtsbehelfe zu erreichen". Diese Forderung bezieht sich auf den Artikel 9 des beschlossenen Gesetzgebungspakets. In § 1 ermächtigt er das Wirtschaftsministerium zum Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrags mit den KKW-Betreibern, der die Einzelheiten der beschlossenen Neuordnung der Verantwortlichkeiten regelt. Neben der Übertragung von Entsorgungsgesellschaften, der Übernahme von Zwischenlagern durch den Bund oder der Arbeitsplatzsicherung zählt dazu die "Rücknahme von Rechtsbehelfen". Sowohl dieser Paragraph als auch die Entschließung mit der Forderung nach dem Klageverzicht kamen kurzfristig aufgrund der Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses zustande.

Zurückgezogene Klagen betreffen nur ein Zehntel der gesamten Entschädigungsansprüche

Mit dem Rückzug der zwanzig Klagen verzichteten die Atomkonzerne nur auf Ansprüche mit einem relativ geringen Streitwert von insgesamt 600 bis 800 Millionen Euro und eher schlechten Aussichten auf gerichtliche Anerkennung. Nicht inbegriffen waren vor allem die Klagen von E.ON und RWE gegen die Brennelementesteuer, bei denen es um 2,2 Milliarden Euro geht (140405, 150603), sowie die Klage des Vattenfall-Konzerns, der von einem Schiedsgericht in Washington mit 4,7 Milliarden Euro für die Abschaltung seiner Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel entschädigt werden will (161007). Letztendlich verzichteten die KKW-Betreiber nur auf etwa ein Zehntel des finanziellen Gesamtvolumens ihrer Entschädigungsansprüche.

Schlimmstenfalls könnten sich die Konzerne "die Hälfte ihrer Einzahlungen in den Entsorgungsfonds wieder zurückholen"

"Dann muß noch einmal am Risikoaufschlag geschraubt werden", verlangte am 4. Dezember die atompolitische Sprecherin der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl, falls die KKW-Betreiber an ihren Entschädigungsansprüchen festhalten sollten. In der Bundestagsdebatte am 15. Dezember wertete sie die Rücknahme der zwanzig Klagen als Erfolg. "Der Staat hätte sich lächerlich gemacht, den Konzernen das Kostensteigerungsrisiko bei Zwischen- und Endlagerung abzunehmen und sich gleichzeitig mit 30 Klagen vor Gericht zerren zu lassen". Die Konzerne würden "anfangen, zu begreifen, woher der Wind weht und daß ihre maßlosen Ansprüche auf Widerstand in Politik und Gesellschaft stoßen". Andererseits sei "der quantitativ umfangreiche Rückzug dieser Klagen qualitativ bescheiden". Falls E.ON und RWE mit ihren Klagen gegen die Brennelementesteuer und Vattenfall vor dem Schiedsgericht Washington Erfolg haben sollten, könnten sie sich schlimmstenfalls "die Hälfte ihrer Einzahlungen in den Entsorgungsfonds wieder zurückholen".

Die beiden Regierungsparteien verlangten von den Atomkonzernen ebenfalls einen kompletten Verzicht auf Entschädigungsansprüche. "Wir erwarten, daß im Zuge der Verhandlungen über den öffentlich-rechtlichen Vertrag auch die letzten beiden Klagen zurückgezogen werden", unterstrich der SPD-Abgeordnete Hubertus Heil in der Bundestagsdebatte. "Auch unsere Fraktion erwartet, daß die Klage von Vattenfall vor dem Schiedsgericht zurückgenommen wird, und wir erwarten, dass die Klage gegen die Kernbrennstoffsteuer zurückgenommen wird", erklärte Georg Nüßlein für die Fraktion der CDU/CSU.

.

Links (intern)