Juni 2016

160617

ENERGIE-CHRONIK


Verzicht auf Atomkraftwerk Belene kostet Bulgarien 550 Millionen Euro

Der staatliche bulgarische Stromkonzern NEK muß der russischen Atomstroyexport eine Entschädigung von 550 Millionen Euro zahlen, weil der mit den Russen vereinbarte Bau des Kernkraftwerks Belene abgeblasen wurde. So entschied jetzt ein in Genf tagendes Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer in Paris, die von Atomstroyexport angerufen worden war. Das Urteil wurde am 16. Juni zugestellt. Die Russen hatten die doppelte Summe verlangt. Dennoch macht die zuerkannte Entschädigung rund ein Prozent des bulgarischen Bruttoinlandsprodukts aus. Bulgarien will jetzt versuchen, die von Atomstroyexport bereits gelieferten Anlagen an den Iran weiterzuverkaufen.

Belene sollte neben Kosloduj zum zweiten KKW-Standort an der Donau werden

Als der Ostblock zerfiel, verfügte Bulgarien am Standort Kosloduj über sechs Reaktoren mit einer Gesamtleistung von 3.760 MW. Der damit erzeugte Strom sicherte nicht nur die inländische Versorgung, sondern wurde auch gewinnbringend exportiert. Die vier ältesten dieser Reaktoren mußten aber bald stillgelegt werden, weil sie als besonders unsicher galten und ihre Abschaltung zur Bedingung für die Aufnahme des Landes in die EU gemacht worden war (951012, 910810, 910701). Nur die beiden neueren Blöcke in Kosloduj wurden seit ihrer Nachrüstung (980317) als sicher angesehen und durften in Betrieb bleiben.

Die Wiederbelebung des KKW-Projekts Belene sollte die Abschaltung dieser vier Blöcke kompensieren. Trotz Erdbeben-Gefährdung war dieser Standort, der wie Kosloduj an der Donau liegt, schon unter dem Schiwkow-Regime für den Bau von vier bis sechs weiteren Reaktoren ausersehen worden. Der 1987 begonnene Bau der beiden ersten Reaktoren war aber 1990 aus Geldmangel und wegen Protesten abgebrochen worden.

RWE wollte sich als Miteigentümer und Betriebsführer beteiligen

Im Jahr 2005 beschlossen die in Sofia regierenden Ex-Kommunisten erneut die Errichtung von zwei Reaktoren in Belene, welche die russische Atomstroyexport bis 2015 vollenden sollte. Als Subunternehmer wurden die französische Areva und Siemens einbezogen. Vor allem konnte im Oktober 2008 mit dem deutschen RWE-Konzern ein finanzkräftiger Geldgeber gewonnen werden. RWE wollte sich mit 1.275 Millionen Euro am Kapital des Kernkraftwerks beteiligen und mit weiteren 500 Millionen dem Staatskonzern NEK unter die Arme greifen. Der bulgarische Staat hätte mit 51 Prozent die Mehrheit gehabt und RWE die Betriebsführung übernommen (081003).

Der damalige RWE-Chef Jürgen Großmann wollte mit Belene vom weiteren Ausbau der Kernenergie profitieren, der in Deutschland schon lange nicht mehr durchsetzbar und seit 2002 sogar gesetzlich untersagt war (020404). Um die Widerstände zu beseitigen, die bis in die Reihen der eigenen Aktionäre reichten, startete er sogleich eine großangelegte Werbekampagne (081103). Mit seiner rückwärtsgewandten Orientierung auf Kohle- und Kernenergie trug Großmann auch sonst entscheidend zum Niedergang des ehedem prosperierenden Konzerns bei.

Wegen Geldmangels der Regierung zog RWE die Notbremse

Bald war klar, daß Belene sich zur Fehlinvestition entwickeln würde: Die geschätzten Baukosten waren inzwischen von vier auf zehn Milliarden Euro explodiert. Zudem tat sich der bulgarische Staat von Anfang an schwer damit, die auf ihn entfallenden Kosten zu tragen. Nach der Abwahl der Ex-Kommunisten stoppte der neue Ministerpräsident Bojko Borissow 2009 aus Geldmangel die vorgesehene Kapitalbeteiligung des Staates an dem Gemeinschaftsunternehmen (090809). Der RWE-Konzern zog daraufhin die Notbremse, um nicht in ein Faß ohne Boden zu fallen, und kündigte seine Beteiligung (091002).

Auch ein letzter Anlauf mit russischer Hilfe scheiterte

Noch war das Vorhaben aber nicht beerdigt. "Das Projekt wird umgesetzt", erklärte der Regierungschef Borissow im Juni 2010 vor dem Parlament (100606). Ende 2010 kam es zur Gründung einer neuen Projektgesellschaft mit der russischen Rosatom anstelle von RWE (110113). Schlußendlich sah die Regierung aber doch ein, daß der endgültige Verzicht – so teuer er den Staat nun kommt – die beste und billigste Lösung sein würde. Ende März 2012 gab sie bekannt, daß sie aus den Verträgen mit Atomstroyexport definitiv aussteigen und stattdessen am Standort Belene ein Gaskraftwerk errichten wolle. Ein von den Ex-Kommunisten betriebenes Referendum, mit dem die Fortführung des KKW-Projekts erreicht werden sollte, scheiterte Anfang 2013 aufgrund zu geringer Beteiligung (130204).

 

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