Oktober 2015

151016

ENERGIE-CHRONIK


Bundesgerichtshof korrigiert Rechtsprechung zu Gaspreisen, gibt aber Klagen von Tarifkunden doch nicht statt

Der Bundesgerichtshof hat seine bisherige Rechtsprechung zum Preisanpassungsrecht der Strom- und Gasversorger gegenüber Tarifkunden (d.h. Kunden der Grundversorgung) geändert und damit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 23. Oktober 2014 (141004) angepaßt. Entgegen den Erwartungen hat er aber den Klagen der beiden Gas-Tarifkunden, die vom Luxemburger Gerichtshof positiv entschieden wurden, auch jetzt nicht stattgegeben. (Urteile vom 28. Oktober 2015 - VIII ZR 158/11 und VIII ZR 13/12)

Nach der alten Rechtslage wurden Preiserhöhungen ohne Begründung wirksam

Die Klagen der Grundversorgungskunden richteten sich gegen Gaspreiserhöhungen, die in den Jahren 2004 und 2006 vorgenommen wurden. Nach den "Allgemeinen Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden" (AVBGasV), die am 8. November 2006 von der neuen Gasgrundversorgungsverordnung (GasGVV) abgelöst wurden (061103), wurden diese Preiserhöhungen ohne nähere Begründung sofort wirksam. Und auch aus § 5 Abs. 2 der neuen GasGVV glaubten die Gerichte bis hinauf zum Bundesgerichtshof entnehmen zu können, daß die Energieversorger berechtigt gewesen seien, die Preise einseitig und ohne nähere Begründung zu ändern (erst die seit 30. Oktober 2014 geltende Fassung der GasGVV verpflichtet die Versorger, auch "den Umfang, den Anlaß und die Voraussetzungen der Änderungen sowie den Hinweis auf die Rechte des Kunden" bei ihren Preiserhöhungen mitanzugeben).

Seit 1. Juli 2004 hat das Transparenzgebot der europäischen Gas-Richtlinie Vorrang

Allerdings kamen dem zuständigen 8. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs Zweifel, ob diese nationalen Vorschriften mit den Transparenzanforderungen der 2003 von der EU erlassenen Gas-Richtlinie vereinbar waren, die in dieser Form auch in der neuen Gas-Richtlinie aus dem Jahr 2009 enthalten sind (siehe Anhang 1 Buchstabe b und c). Mit Beschluß vom 8. Mai 2011 legte er deshalb diese Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vor. Nachdem dieser sie vor einem Jahr bejaht hatte, war er verpflichtet, seine bisherige Rechtsprechung zur Auslegung der nationalen Vorschriften zumindest für die Zeit nach dem 1. Juli 2004 zu ändern, als die Frist zur Umsetzung der EU-Richtlinie abgelaufen war.

"Ergänzende Vertragsauslegung" rechtfertigt Preisbescheide der Versorger dennoch

Trotzdem müssen die beiden Gaskunden nun die Nachforderungen der Versorger in Höhe von 813,35 Euro bzw. 1.533,19 Euro in voller Höhe bezahlen. Der Bundesgerichtshof begründet dies mit einer "gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung" nach den §§ 157 und 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Diese führe zu dem Ergebnis, "daß die Parteien als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, daß das Gasversorgungsunternehmen berechtigt ist, Steigerungen seiner eigenen (Bezugs-)Kosten , soweit diese nicht durch Kostensenkungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden, an den Tarifkunden weiterzugeben, und das Gasversorgungsunternehmen verpflichtet ist, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen."

Mit anderen Worten: Die Kunden dürften die Zahlung nur dann verweigern, wenn die Gasversorger in ihre Preisforderung mehr hineingepackt hätten als erhöhte Kosten. Dies sei hier aber nicht der Fall gewesen, meint der Bundesgerichtshof. Nach den "rechtsfehlerfreien Entscheidungen der Berufungsgerichte" hätten die Gasversorger lediglich die Steigerung von Bezugskosten weitergegeben. Zudem stehe ihnen bei der Festlegung der entstandenen Kostensteigerung ein gewisser Spielraum bzw. die Möglichkeit der Schätzung zu. Sofern die Preiserhöhungen darüber hinaus auf die Erzielung eines höheren Gewinns gerichtet sein sollten, könnten sie zwar angefochten werden, aber nur innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung.

Kritik an "nachträglicher Konstruktion einer fiktiven, einvernehmlichen Preiserhöhung"

Der Bund der Energieverbraucher e.V. nahm die beiden Urteile "mit Erstaunen und Bestürzung" zur Kenntnis. Die "nachträgliche Konstruktion einer fiktiven, einvernehmlichen Preiserhöhung" sei keinesfalls mit dem europäischen Recht vereinbar. Dasselbe gelte für die zeitliche Begrenzung des Rückforderungsanspruchs auf drei Jahre.

"Die klare Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in dieser Sache wurde vom Bundesgerichtshof völlig ignoriert", meinte der Vereinsvorsitzende Aribert Peters. "Warum hat man dann überhaupt den EuGH gefragt, wenn man die Antwort dann außer Acht läßt?"

 

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