Juli 2014

140711

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Die Renditen vieler Müllverbrennungsanlagen (rot) sind weit höher als die von DAX-Konzernen (blau). Das liegt offenbar daran, daß die für die Müllabfuhr verlangten Gebühren nicht dem Grundsatz der Kostendeckung entsprechen, sondern unzulässige Gewinnaufschläge enthalten, von denen private und kommunale Betreiber gemeinsam profitieren.

Betreiber von Müllverbrennungsanlagen kassieren überhöhte Gebühren

Die Betreiber von Müllverbrennungsanlagen kassieren vielfach überhöhte Gebühren, die ihnen traumhafte Renditen bescheren. Die Gemeinden fungieren dabei als Helfer privater Unternehmen, die an der kommunalen Müllentsorgung beteiligt sind. Offenbar wollen sie auch in diesem Bereich Gewinne erwirtschaften, um damit Defizite bei anderen kommunalen Dienstleistungen auszugleichen, wie das bei den Gewinnen aus der Energieversorgung üblich und legal ist. Bei den Müllgebühren ist das aber ein klarer Verstoß gegen das Verwaltungsrecht, weil Gebühren lediglich kostendeckend sein dürfen. Es gibt dazu auch einschlägige Urteile von Verwaltungsgerichten. Dennoch greifen übergeordnete staatliche Instanzen nicht wirksam durch, um den Gebühren-Mißbrauch zu beenden. Wie die ZDF-Sendung "frontal21" am 15. Juli weiter berichtete, haben zwei nordrhein-westfälische Bezirksregierungen zwar entsprechende Preisprüfungsverfahren eingeleitet, diese aber verschleppt oder so manipuliert, daß sie bisher im Sande verliefen.

Die ZDF-Sendung "frontal21" hatte sich bereits im Oktober 2008 und im Februar 2012 mit dem Thema befaßt. Sie untersuchte dabei neun der insgesamt rund siebzig Müllverbrennungsanlagen, die es in Deutschland gibt. Bei allen waren die Gebühren weit höher, als es die Kostendeckung erfordert hätte. Die Renditen übertrafen sogar deutlich die von DAX-Unternehmen. Spitzenreiter waren die E.ON-Müllverbrennungsanlagen Helmstedt und Stapelfeld bei Hamburg mit Bruttoumsatzrenditen von über 50 Prozent (siehe Grafik). Inzwischen gehört die E.ON Energy from Waste mehrheitlich einem schwedischen Finanzinvestor(121208) und wurde in EEW Energy from Waste umbenannt (130907).

Experte hält Preisprüfungsbericht zur MVA Bielefeld für "absoluten Nonsens"

Die ZDF-Sendungen gaben den Anstoß zu zwei Preisprüfungsverfahren. In dem einen Verfahren untersuchte die Bezirksregierung Detmold die Gebührengestaltung der Müllverbrennungsanlage (MVA) Bielefeld-Herford, die 2012 nach ZDF-Berechnungen eine Umsatzrendite von 38 Prozent erzielte (siehe Grafik). Diese Anlage wird von der Interargem GmbH betrieben, die ihrerseits zu 51,2 Prozent der EEW Energy from Waste gehört. Die restlichen Anteile halten die Stadtwerke Bielefeld und ein paar kleinere kommunalen Gesellschafter. Das Unternehmen war 1996 für das Entsorgungsgeschäft gegründet worden. Den Namen Interargem übernahm es von einer Vorgängergesellschaft, über die einst die Stadtwerke Bielefeld mit anderen Stromversorgern im Kraftwerksbereich kooperiert hatten (030209).

Die Bezirksregierung Detmold hat diese Preisprüfung dann aber dem eigentlich zuständigen Beamten entzogen und einer offenbar inkompetenten Mitarbeiterin übertragen. Die Untersuchung wurde auch nicht binnen einiger Wochen abgeschlossen, sondern zog sich über drei Jahre hin. Am Ende ergaben sich offiziell "keine Beanstandungen". Für die ZDF-Reporter war dies Anlaß, das Prüfungsverfahren unter die Lupe zu nehmen. Sie mußten zunächst ein halbes Jahr lang darum kämpfen, überhaupt Einsicht in die amtlichen Unterlagen zu erhalten. Schließlich bekamen sie – gegen eine Gebühr von 500 Euro – eine zensierte Fassung ausgehändigt. Die Zensur war angeblich zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen erfolgt. Sie legten diese Akte einem Experten vor, der jahrzehntelang eine Preisüberwachungsstelle geleitet hatte. Dieser qualifizierte den Befund als inhaltslos und "absoluten Nonsens". Man habe anscheinend den offiziellen Preisprüfer kaltstellen wollen. Die Regierungspräsidentin Marianne Thomann-Stahl (FDP) lehnte es ab, sich vor der Kamera zu äußern. Auch schriftlich hat sie die Fragen der Reporter nur ausweichend beantwortet.

"Remondis erzielte bei der GMVA Niederrhein eine Eigenkapitalverzinsung von 5578 Prozent"

Beim zweiten Verfahren untersuchte die Bezirksregierung Düsseldorf die Preisgestaltung der Gemeinschafts-Müllverbrennungsanlage (GMVA) Niederrhein, die aus dem Umbau des ehemaligen Kraftwerks der Zeche "Concordia" hervorging und ursprünglich zu hundert Prozent den beiden Städten Duisburg und Oberhausen gehörte. Seit 2002 ist hier neben Duisburg (35,8 Prozent) und Oberhausen (15,2 Prozent) die private Entsorgungsfirma Remondis mit 49 Prozent beteiligt. Remondis hatte 2005 das Umweltgeschäft des RWE-Konzerns übernommen und wurde dadurch zum Marktführer (050202). Nach ZDF-Angaben erzielte die private Entsorgungsfirma mit ihrer Beteiligung an der GMVA Niederrhein allein seit 2005 insgesamt 55,8 Millionen Euro an Gewinn. Da sie lediglich 125.00 Euro für den Erwerb der Anteile habe zahlen müssen, entspreche dies einer Eigenkapitalverzinsung von 5578 Prozent pro Jahr.

Juristischer Trick soll überhöhte Müllgebühren legalisieren

Auch die Bezirksregierung Düsseldorf ließ sich bei ihrem Preisprüfungsverfahren sehr viel Zeit. Nach zweieinhalb Jahren teilte sie schließlich auf Anfrage mit, daß sie die Überprüfung ausgesetzt habe. Dies sei wegen laufender Gerichtsverfahren geschehen. Inzwischen hatten nämlich sowohl das Verwaltungsgericht Düsseldorf als auch das Oberverwaltungsgericht in Münster die verlangten Gebühren für nichtig erklärt. Auch eine daraufhin veränderte Gebührenstruktur wurde im November 2012 vom Verwaltungsgericht Düsseldorf für ungültig erklärt, weil sie gegen das Kostenüberschreitungsverbot verstieß. Die juristischen Berater empfahlen der Stadt schließlich als Ausweg die Konstruktion eines "Unterauftragsmodells", das die überhöhten Müllgebühren durch Einschaltung einer neuen GmbH & Co KG legalisieren sollte. So geschah es dann auch. Abzuwarten bleibt, ob diese juristische Konstruktion zur Aushebelung des Verwaltungsrechts vor Gericht nicht ebenfalls Schiffbruch erleiden wird.

Auch Fremdleistungen dürfen nicht einfach als Gebühren weitergegeben werden

Wie das Verwaltungsgericht Düsseldorf in dem 2009 ergangenen Urteil zu den Oberhausener Müllgebühren feststellte, kann sich die Stadt nicht darauf berufen, daß sie nur noch mit 15,2 Prozent an der GMVA Niederrhein beteiligt ist und daß die hohen Gebühren deshalb durch die bloße Weitergabe der Kosten für eine Fremdleistung entstehen. Die Stadt dürfe nicht jeden Preis, der für eine Fremdleistung von ihr gefordert wird, in die Gebührenbedarfsberechnung einstellen. "Sie muß vielmehr prüfen, ob das aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen geforderte Entgelt in der Weise gerechtfertigt ist, daß es gebührenrechtlich der Kalkulation zu Grunde gelegt werden kann." Gebührenrechtlich ansatzfähig seien nach den landesrechtlichen Bestimmungen die im Rahmen der Aufgabenstellung betriebsnotwendigen Kosten. "Dies sind bei Fremdleistungen nur solche Kosten, die nach den ex lege geltenden Vorschriften des öffentlichen Preisrechts zulässigerweise gefordert und angenommen werden dürfen und deren Bemessung dem Äquivalenzprinzip entspricht." Grundsätzlich sei zwar Marktpreisen der Vorrang vor Selbstkostenpreisen zu geben. Die marktwirtschaftliche Preisbildung finde jedoch ihre Grenzen, wo der Wettbewerb keine übernehmbaren Preise liefert. Wenn es keinen Markt für die öffentlich nachgefragte Leistung gibt, seien für die Preisbildung allein die Selbstkostenpreise des Auftragnehmers maßgeblich.

Duisburg und Oberhausen haben erwartete GMVA-Gewinne bereits verkauft

Was in der "frontal21"-Sendung ausgeblendet wurde und insofern einen etwas schiefen Eindruck erzeugte, waren die Gründe für die Hartnäckigkeit, mit der Duisburg und Oberhausen ihre überhöhten Müllgebühren verteidigen: Die beiden Ruhrgebietsstädte sind chronisch klamm. Es war deshalb weniger Raffgier als Finanznot, was sie veranlaßte, dem privaten Unternehmen Remondis für ein Spottgeld fast die Hälfte der Anteile und praktisch die unternehmerische Führung zu überlassen. Tatsächlich wurde daraufhin aus der bisher unausgelasteten und eher unrentablen Müllverbrennungsanlage eine sprudelnde Profitquelle, von der alle Anteilseigner partizipieren konnten. Dazu hat neben Remondis sicher auch die Abfallablagerungsverordnung beigetragen, die ab dem 1. Juni 2005 die Deponierung von unbehandelten Abfällen aus Haushalten und Gewerbe verbot. Entscheidend für die hohen Gewinne war aber, daß den Bürgern über das kommunale Entsorgungsmonopol weit mehr als kostendeckende Gebühren abverlangt wurden.

Abgesehen von der Unzulässigkeit der Gebühren handelte es sich in jedem Falle um eine Milchmädchenrechnung. Zunächst einmal machte es eine Stadt wie Oberhausen gewiß nicht attraktiver, daß sie bei den Müllgebühren in Deutschland an der Spitze lag. Die Kommunalpolitiker hatten sich aber noch viel ärger vergaloppiert und in eine böse Zwangslage gebracht. Dies geht aus der Beschlußvorlage hervor, mit der die Stadt Oberhausen im November 2013 die Zustimmung des Stadtrats zu dem "Unterauftragsmodell" erreichte: Sie begründete den anstehenden "dringenden Handlungsbedarf" mit der drohenden Rechtskräftigkeit der bisherigen Urteile der Verwaltungsgerichte. Es müsse unbedingt eine neue Lösung gefunden werden, die das Niveau der bisherigen Einkünfte sichert. Die GMVA Niederrhein habe nämlich die Zahlungen aus den langfristigen Entsorgungsverträgen, die sie im Jahre 2000 mit den Städten Duisburg und Oberhausen abschloß, bereits an die HypoVereinsbank (inzwischen UniCredit Bank AG) verkauft. Diese "Forfaitierung" sei mit Zustimmung beider Städte und der Bezirksregierung erfolgt. Insgesamt habe die GMVA 321 Millionen Euro abgetreten, wovon auf Duisburg knapp 217 und auf Oberhausen rund 104 Millionen entfielen. Die erzielten Erlöse hätten beide Städte zur Umschuldung verwendet. Ende 2012 seien noch 141 Millionen abzutragen gewesen. Dies könne die GMVA aber nur mit Einkünften auf dem bisherigen Niveau bewältigen. Wenn sie Insolvenz anmelden müsse, würde dies "zu erheblichen Belastungen der allgemeinen Haushalte der Städte Duisburg und Oberhausen führen" und außerdem rund 200 Arbeitsplätze gefährden.

Die beiden Städte haben also zwanzig Jahre im voraus fest mit hohen Einkünften gerechnet, die es gar nicht geben darf, weil für Gebühren nun mal andere Bestimmungen gelten als für frei kalkulierbare Preise. Und das geschah mit Zustimmung der Bezirksregierung. – Unter diesen Umständen wundert es nicht, daß sich sowohl die beiden SPD-Oberbürgermeister als auch die grüne Regierungspräsidentin Annemarie Lütkes weigerten, zum Vorwurf "rechtswidriger Millionengewinne" vor der Kamera Stellung zu nehmen.

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