März 2011

110303

ENERGIE-CHRONIK


"Die Folgen dieser Katastrophe sind überhaupt noch nicht absehbar"

Regierungserklärung und Bundestagsdebatte zur Reaktorkatastrophe, die sich am 12. März in Japan ereignete

(Auszug aus dem Plenarprotokoll des Deutschen Bundestag – 17. Wahlperiode – 96. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. März 2011)


 

Präsident Dr. Norbert Lammert

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 sowie den Zusatzpunkt 1 auf:

- Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zur aktuellen Lage in Japan

- Erste Beratung des von den Abgeordneten Jürgen Trittin, Renate Künast, Sylvia Kotting-Uhl, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes und zur Wiederherstellung des Atomkonsenses – Drucksache 17/5035 –

Zu der Regierungserklärung liegen je ein Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen, der Fraktion der SPD und der Fraktion Die Linke sowie zwei Entschließungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Alle Fraktionen haben namentliche Abstimmung über ihre Entschließungsanträge verlangt. Insgesamt werden wir zu den Entschließungsanträgen sieben namentliche Abstimmungen durchführen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung zwei Stunden vorgesehen. – Auch dies ist offenkundig einvernehmlich und damit so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Freitag der letzten Woche, 14.45 Uhr Ortszeit, bebte in Japan die Erde. Seismologen maßen eine Stärke von 8,9, später korrigiert auf 9,0. Es war das schwerste Erdbeben in der Geschichte Japans. Sein Epizentrum lag circa 130 Kilometer östlich der Stadt Sendai und circa 400 Kilometer nordöstlich der japanischen Hauptstadt Tokio. Um 16 Uhr Ortszeit desselben Tages traf eine bis zu 10 Meter hohe Flutwelle auf die Ostküste der japanischen Hauptinsel Honshu. Sie richtete schwerste Verwüstungen an. Noch am Abend dieses Tages gab es Meldungen, wonach in einem Reaktor des Kernkraftwerks Fukushima I die Kühlung ausgefallen und im Atomkraftwerk Onagawa ein Feuer ausgebrochen war. Die japanische Regierung rief den atomaren Notstand aus.

In den folgenden Tagen und Nächten erschütterten zahlreiche, zum Teil schwere Nachbeben das Land – und das bis heute. Erdbeben und Tsunami haben weite Landstriche von Japans Nordosten verwüstet. Ganze Ortschaften wurden ausgelöscht. Die Zahl der Opfer schnellt seit Tagen in die Höhe. Wie viele es tatsächlich sind – wir wissen es nicht. Zu viele Menschen werden vermisst. Unzählige Häuser und Straßen sind zerstört. Unendlich viele Menschen haben ihr Obdach verloren. Strom wird rationiert oder ist ganz weg. Treibstoff, Trinkwasser, Nahrungsmittel sind knapp.

Rund um das Kernkraftwerk Fukushima wurde die Evakuierungszone seit Freitag immer wieder erweitert. Arbeiter dort führen einen ebenso – man kann es nicht anders sagen – heldenhaften wie verzweifelten Kampf gegen den atomaren Super-GAU. Sie setzen dabei nicht nur ihre Gesundheit aufs Spiel, sondern auch ihr Leben ein. Immer dramatischer entwickeln sich die Ereignisse dort: ausgefallene Kühlanlagen, Berichte über freiliegende Brennstäbe, die sich immer stärker erhitzen, Explosionen in verschiedenen Reaktoren, in einem Fall wohl auch mit der Folge der Beschädigung eines Sicherheitsbehälters, Radioaktivität tritt aus. Es ist davon auszugehen, dass es in drei der Anlagen zu schweren Schäden an den Reaktorkernen gekommen ist.

Was uns angesichts all dieser Berichte und Bilder, die wir seit letztem Freitag sehen und zu verstehen versuchen, erfüllt, das sind Entsetzen, Fassungslosigkeit, Mitgefühl und Trauer. Die Katastrophe in Japan hat ein geradezu apokalyptisches Ausmaß, und es fehlen die Worte. Unsere tiefste Anteilnahme, unsere Gedanken und unsere Gebete sind bei den Menschen in Japan.

(Beifall im ganzen Hause)

In dieser Stunde schwerster Prüfung steht Deutschland an der Seite Japans. Was immer wir tun können, um den Menschen in Japan bei der Bewältigung dieser schier unfassbaren Katastrophe zu helfen, das werden wir weiter tun. Das habe ich Premierminister Kan übermittelt, und das hat auch der Bundesaußenminister seinem japanischen Kollegen gesagt.

Experten des Technischen Hilfswerks haben in den vergangenen Tagen vor Ort bei der Suche nach Überlebenden geholfen. Ich danke ihnen, und ich danke den Helfern anderer Organisationen für ihren Einsatz für die Menschen in Japan.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich danke allen Helfern des Krisenstabes im Auswärtigen Amt und der Botschaft vor Ort. Sie koordinieren unsere Hilfe. Sie unterstützen auch alle deutschen Staatsangehörigen im Krisengebiet bei einer Ausreise, wenn sie das wünschen.

Auch die Vereinten Nationen haben ein Team nach Japan entsandt. Es soll die japanische Regierung dabei unterstützen, die Aufbaumaßnahmen zu koordinieren. Ebenfalls ihre Hilfe angeboten hat die Europäische Union.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Folgen dieser Katastrophe sind überhaupt noch nicht absehbar. Die Betroffenen vor Ort hatten noch fast gar keine Chance, festzustellen, in welchen Bereichen sie tatsächlich weitere Hilfe genau benötigen. Denn der Albtraum immer neuer Beben und nuklearer Horrorszenarien hat noch kein Ende gefunden.

In dieser Lage ist es unverzichtbar, dass wir den Menschen in Japan zeigen: Sie sind nicht allein. Dabei zählt die Geste jedes Einzelnen. Namhafte deutsche Hilfsorganisationen haben Spendenkonten eingerichtet. Der Bundespräsident hat am Montag dazu aufgerufen, mithilfe von Spenden über diese Organisationen Soforthilfe für Japan zu leisten. Ich möchte diesen Aufruf ausdrücklich unterstützen.

Die Spendenaktionen sollen vor allem den Menschen in Japan zugutekommen, die durch Beben, Flutwelle und die nuklearen Folgen ihr Zuhause verloren haben. Wir sollten ihnen mit unserer unmittelbaren Unterstützung ein Zeichen der Solidarität senden.

(Beifall im ganzen Hause)

Das ist Hilfe unter Freunden. Japan war und ist ein enger Freund Deutschlands, und das sage ich gerade im 150. Jahr des Bestehens unserer diplomatischen Beziehungen.

In dieser Stunde geht es für Unzählige nur um das nackte Überleben. Beinahe verbietet es sich angesichts ihrer Tragödie, bereits jetzt an die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Katastrophe zu denken. Ich will es deshalb hier auch nur kurz tun, obwohl es für die Zukunft Japans von größter Bedeutung ist, wenn die sich überschlagenden Schreckensmeldungen hoffentlich bald ein Ende gefunden haben werden.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der dreifachen Katastrophe sind – kurz gesagt – noch nicht abschätzbar. Nach vergangenen Naturkatastrophen kam Japans Volkswirtschaft durch staatliche Wiederaufbauprogramme schnell wieder auf die Beine. Selbst nach dem schweren Erdbeben um die Stadt Kobe 1995 konnte eine Rezession verhindert werden. Dennoch – so denke ich – muss die Welt dieses Mal darauf vorbereitet sein, dass die Katastrophe die japanische Wirtschaft vor noch größere Herausforderungen stellt, als dies frühere Katastrophen getan haben.

Japan – auch das dürfen wir nicht vergessen – ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Ich befürchte derzeit nicht, dass die Weltwirtschaft signifikant beeinträchtigt wird. Trotzdem – das ergänze ich ausdrücklich – werden wir zusammen mit unseren internationalen Partnern daran arbeiten, wie mögliche Folgen der Katastrophe für die globale Konjunktur bestmöglich minimiert werden können.

Meine Damen und Herren, die Ereignisse in Japan bedeuten nicht allein für Japan eine unfassbare Katastrophe. Sie sind ein Einschnitt für die ganze Welt, für Europa, auch für Deutschland. Ich habe es in den vergangenen fünf Tagen wieder und wieder gesagt, und ich wiederhole es heute: Wir können und wir dürfen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir gehen auch nicht zur Tagesordnung über, weder die Menschen in Deutschland – das zeigt das außergewöhnlich große Interesse an allen Sondersendungen im Fernsehen – noch die Politik. Auch die Bundesregierung kann das nicht, und sie ist nicht zur Tagesordnung übergegangen.

Ja, es bleibt wahr: Derart gewaltige Erdbeben und Flutwellen, wie sie Japan getroffen haben, treffen uns nach allen Erfahrungen und wissenschaftlichen Erwartungen nicht. Auch mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die nukleare Katastrophe in Japan ist für uns in Deutschland nach menschlichem Ermessen nicht zu rechnen. Wir sind zu weit von dem Ort der Katastrophe entfernt.

Ja, es bleibt wahr: Wir wissen, wie sicher unsere Kernkraftwerke sind. Sie gehören zu den weltweit sichersten,

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt geht es wieder los!)

und ich lehne es auch weiterhin ab, zwar die Kernkraftwerke in Deutschland abzuschalten, aber dann Strom aus Kernkraftwerken anderer Länder zu beziehen. Das ist mit mir nicht zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ja, es bleibt wahr: Ein Industrieland wie Deutschland, die größte Wirtschaftsnation Europas, kann nicht von jetzt auf gleich vollständig auf Kernenergie als Brückentechnologie verzichten, wenn wir unseren Energieverbrauch weiter eigenständig zuverlässig decken wollen.

Ich möchte an dieser Stelle, weil es heute ja sicherlich auch noch eine Reihe von Auseinandersetzungen geben wird, noch einmal eines festhalten: In Deutschland gibt es einen Konsens aller Parteien, dass wir keine neuen Kernkraftwerke bauen und dass die Kernkraft eine Brückentechnologie ist, dass die Kernkraft ausläuft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau keine Einigung!)

– Die Linke hat wie immer eine Sonderrolle. Entschuldigung, dass ich Sie mit einbezogen habe. Das werde ich natürlich nicht mehr tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was wir brauchen, ist ein Ausstieg mit Augenmaß.

Ein Land wie Deutschland hat im Übrigen auch den Verpflichtungen zum Schutz unseres Klimas weiter gerecht zu werden; denn der Klimawandel ist und bleibt eine der großen Herausforderungen der Menschheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es geht nicht an, dass wir an einem Tag den Klimawandel als eines der größten Probleme der Menschheit klassifizieren und an einem anderen Tag so tun, als ob das alles nicht gilt. Wir müssen schon mit einer Zunge sprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Sigmar Gabriel [SPD]: Zuhören!)

Ja, es bleibt auch wahr: Energie in Deutschland muss für die Menschen bezahlbar sein, und wir haben kein Problem gelöst, wenn Arbeitsplätze in andere Länder abwandern, wo die Sicherheit der Kernkraftwerke nicht besser, vielleicht sogar noch geringer ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Und dennoch: Die Bundesregierung konnte und kann trotz all dieser unbestrittenen Fakten nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, und zwar aus einem alles überragenden Grund:

(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Die Wahl!)

Die unfassbaren Ereignisse in Japan lehren uns, dass etwas, was nach allen wissenschaftlichen Maßstäben für unmöglich gehalten wurde, doch möglich werden konnte.

(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Nicht nach allen!)

Sie lehren uns, dass Risiken, die für absolut unwahrscheinlich gehalten wurden, doch nicht vollends unwahrscheinlich waren, sondern Realität wurden.

Wenn das so ist, wenn also in einem so hoch entwickelten Land wie Japan das scheinbar Unmögliche möglich, das absolut Unwahrscheinliche Realität wurde, dann verändert das die Lage.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dann haben wir eine neue Lage, dann muss gehandelt werden. Und wir haben gehandelt. Denn die Menschen in Deutschland können sich darauf verlassen: Ihre Sicherheit und ihr Schutz waren und sind für die Bundesregierung oberstes Gebot.

(Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Ach du meine Güte!)

Es gilt der Grundsatz: Im Zweifel für die Sicherheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Auf einmal! Das ist ja etwas ganz Neues!)

Deshalb haben wir im Lichte der Ereignisse in Japan veranlasst, dass alle deutschen Kernkraftwerke noch einmal einer umfassenden Sicherheitsprüfung unterzogen werden – im Lichte der neuen Lage! Dazu setzen wir die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke aus,

(Ulrich Kelber [SPD]: Das tun Sie ja gerade nicht!)

indem wir für den Zeitraum eines dreimonatigen Moratoriums alle Kernkraftwerke, die 1980 und früher in Betrieb gegangen sind, vom Netz nehmen. Besser gesagt: Wir tun mehr, als ein Moratorium bedeuten würde; denn ein Moratorium der Verlängerung der Laufzeiten führte uns zurück auf die Rechtsgrundlage der rot-grünen Regierung. Die wiederum würde jetzt nur zur Folge haben, dass Neckarwestheim 1 abgeschaltet werden müsste.

(Sören Bartol [SPD]: Aber für immer!)

Alle anderen Kernkraftwerke würden heute, zum jetzigen Zeitpunkt, weiterlaufen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)

Was tun wir?

(Unruhe)

– Jetzt hören Sie genau zu! Darf ich Sie einfach bitten, Herr Kelber, dass Sie mal zuhören?

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt nicht so arrogant, ja!)

Was tun wir? Bund und Länder sind sich einig, dass diese Abschaltung durch rechtliche Verfügung der Aufsichtsbehörden der Länder angeordnet wird. Das Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren, kurz „Atomgesetz“ genannt, sieht genau das vor, also eine Anlage vorübergehend stillzulegen, bis sich die Behörden Klarheit über eine neue Lage verschafft haben.

Ich danke an dieser Stelle dem Kollegen Oppermann ausdrücklich für das Angebot seiner Fraktion an die Koalition, in der nächsten Woche ein gemeinsames, wie Sie es formulieren, Abschaltgesetz zu verabschieden. Wir sind dennoch der Auffassung, dass wir dieses Angebot nicht anzunehmen brauchen, weil wir im beschriebenen Sinne handeln können – und das umgehend, meine Damen und Herren.

Ich will es noch einmal präzisieren, weil das wirklich wichtig ist: Die bisher unbestrittene Sicherheit der deutschen Kernkraftwerke beruht auf der Einhaltung des Atomgesetzes, der auf dem Atomgesetz beruhenden Rechtsverordnungen und der erteilten Genehmigungen. Die Vorkommnisse in Japan haben jedoch gezeigt, dass Ereignisse auch jenseits der bisher berücksichtigten Szenarien eintreten können.

(Zurufe von der SPD und der LINKEN)

– Entschuldigung, die Genehmigungen sind auch zu Ihren Zeiten vergeben worden. – Hieraus resultiert die Notwendigkeit, die Lage unter Berücksichtigung der aktuellen Ereignisse vorbehaltlos zu analysieren und hieraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Für die dreimonatige Betriebseinstellung der sieben ältesten Anlagen als vorläufige aufsichtliche Maßnahmen sieht das Atomgesetz in § 19 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 eine einschlägige Rechtsgrundlage vor. Auf dieser Rechtsgrundlage kann bei Vorliegen eines Gefahrenverdachts die einstweilige Betriebseinstellung angeordnet werden.

Jetzt hören Sie wieder gut zu: Ein derartiger Verdacht ist nach dem Atomrecht – das ist so genau – dann gegeben, wenn sich wegen begründeter Unsicherheiten im Rahmen der Risikovorsorge Schadensmöglichkeiten nicht völlig ausschließen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Das haben wir bei der Verlängerung schon gesagt! Das ist keine neue Lage!)

– Hören Sie doch bitte mal zu! Entschuldigung, darf ich noch einmal wiederholen?

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, lieber nicht!) Es ist eine neue Lage. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Die Lage ist alt!)

– Im Augenblick rede ich. – Es ist eine neue Lage.

(Michael Groschek [SPD]: 27. März!)

Hochverehrter Herr Steinmeier, die Kernkraftwerke – mit Ausnahme von Neckarwestheim – würden nach der von Rot-Grün geschaffenen Rechtslage heute am Netz sein. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Nehmen Sie es doch einfach einmal hin und sagen ebenfalls: Wir haben eine neue Lage. – Das kann man doch erwarten!

Da sich gerade bei älteren Anlagen die Frage nach den in der Auslegung berücksichtigten Szenarien in besonderer Weise stellen kann, haben sich die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Bundesländer mit Kernkraftwerken

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der CDU!)

dazu entschlossen, diese Anlagen für den Zeitraum der Überprüfung vom Netz zu nehmen. Dies ist Ausdruck äußerster Vorsorge, der sich die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten zum Schutz der Bevölkerung verpflichtet sehen. Ich möchte an dieser Stelle festhalten: Dies ist eine aufsichtsrechtliche Maßnahme. Dies ist kein Deal, dies ist keine Absprache, dies ist gar nichts von dem, sondern dies ist die Anwendung des Atomgesetzes in einer neuen Lage,

(Michael Groschek [SPD]: Wahlkampf!)

nicht mehr und nicht weniger. Das ist Verantwortung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich bin mir dazu sowohl in der Sache als auch im Verfahren mit den Ministerpräsidenten der Standortländer vollkommen einig.

(Sigmar Gabriel [SPD]: Das glaube ich!)

Bund und Länder sind hier gemeinsam in der Verantwortung. Deshalb sage ich auch, dass ich nicht verhehle, dass ich die Debatte des gestrigen Tages über die rechtlichen Grundlagen des Handelns von Bund und Ländern – die wird sicherlich gleich fortgesetzt – nur schwer nachvollziehen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wir müssen sicher in unserem politischem Handeln alle juristischen Anforderungen stets ernst nehmen. Darüber kann und darf es nicht den geringsten Zweifel geben. Das sage ich, damit da überhaupt kein Missverständnis entsteht. Aber wir sollten uns in einer Situation äußerster Gefahrenvorsorge – um diese geht es Bund und Ländern im Licht der Ereignisse von Japan – nicht juristische Tricks unterstellen, wo keine juristischen Tricks unterstellt werden können, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dazu gehört im Übrigen auch, dass während des Moratoriums meine Gespräche natürlich nicht, wie das zunächst mit Blick auf die Anwendung des Atomgesetzes sinnvoll ist, auf den Kreis der Ministerpräsidenten beschränkt bleiben, die vorgestern mit mir beraten haben. Das gilt für alle Gespräche, die die Bundesregierung in nächster Zeit führen wird.

Wenn es um die Akzeptanz und Fortentwicklung der Energiepolitik insgesamt geht, werden natürlich auch gesellschaftliche Gruppen einbezogen: Wirtschaft, Gewerkschaften, Umweltverbände, Kirchen. Natürlich werden alle Ministerpräsidenten aller Bundesländer einbezogen, zum Beispiel wenn es um neue Leitungen und Trassen gehen wird. Das wird sehr zeitnah geschehen, noch vor Ostern.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Auch hier sollten wir uns nicht immer als Erstes verdächtigen.

Meine Damen und Herren, Sicherheit der Kernenergie hat nicht nur eine nationale, sondern mindestens ebenso eine internationale Dimension.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir werden daher in Europa, international und auch im Rahmen der G 20 dafür eintreten, dass die notwendigen Schlussfolgerungen aus den Ereignissen in Japan gezogen werden.

Ich habe das Thema „Nukleare Sicherheit“ für den nächsten Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs in der nächsten Woche am 24. und 25. März angemeldet. Der Ratspräsident hat der Aufsetzung dieses Tagesordnungspunkts bereits zugestimmt.

Auf EU-Ebene hat Energiekommissar Oettinger schnell gehandelt. Ich begrüße, dass er schon begonnen hat, Gespräche mit den wichtigsten Akteuren zu führen, und ich unterstütze die Initiative für einen EU-weiten Stresstest für alle Kernkraftwerke. Wir brauchen in der gesamten Europäischen Union hohe Sicherheitsstandards, denn bei Sicherheitsrisiken ist nicht nur der Staat, in dem das Kernkraftwerk steht, betroffen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich habe mit Nicolas Sarkozy verabredet, dass Frankreich gemeinsam mit Deutschland eine Initiative der G 20 zur weltweiten Sicherheit von Kernkraftwerken einbringt. Der G-20-Präsident, der französische Präsident, hat bereits die Energieminister der G-20-Länder nach Paris zu einem Sondertreffen eingeladen.

Nach dem dreimonatigen Moratorium werden wir über die endgültigen Konsequenzen für den Betrieb der Kernkraftwerke entscheiden.

(Zuruf von der LINKEN: Indem wir das abschalten!)

Dabei wiederhole ich auch an diesem Ort das, was ich seit Montag sage: Die Lage nach dem Moratorium wird eine andere sein als die Lage vor dem Moratorium, denn alles kommt auf den Prüfstand.

Sie wird darüber hinaus – das sage ich, damit auch da kein Missverständnis entsteht – auch eine andere Lage sein als die Lage zur Zeit des rot-grünen Gesetzes.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil Sie nicht mehr dagegen kämpfen können!)

Weder konnten wir nach den Ereignissen in Japan einfach so zur Tagesordnung übergehen, noch ist das rotgrüne Konzept tragfähig für ein Land wie Deutschland, für die größte Wirtschaftsnation Europas mit dem Anspruch höchster Sicherheitsstandards im Lichte aller Erkenntnisse.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir werden deshalb die bewusst ehrgeizig kurz bemessene Zeit des Moratoriums nutzen, um die Energiewende voranzutreiben und, wo immer möglich, zu beschleunigen. Denn wir wollen so schnell wie möglich das Zeitalter der erneuerbaren Energien erreichen – das ist unser Ziel –,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sören Bartol [SPD]: Alles habt ihr doch im Haushalt gekürzt! Das gibt es doch nicht!)

und das mit einem Ausstieg mit Augenmaß.

Klar ist dabei: Wenn jetzt die Sicherheit der Kernenergie neu bewertet wird

(Zuruf von der LINKEN: Pi mal Daumen!)

und möglicherweise – ich kann den Ergebnissen des Moratoriums nicht vorgreifen – Anlagen schneller vom Netz zu nehmen sind, dann müssen wir – das ist die Schlussfolgerung – auch schneller zu einem System der Energieversorgung auf der Grundlage erneuerbarer Energien kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das heißt: Wir werden die sehr ambitionierten Maßnahmen des Energiekonzepts nicht nur konsequent umsetzen, sondern sie, wo es geht, auch beschleunigen.

Wir wollen den Ausbau der erneuerbaren Energien und der notwendigen Netzinfrastruktur noch schneller voranbringen. Wir werden für die Umsetzung eine klare Zeitplanung vorlegen; denn eines ist klar: Wir brauchen eine Brückentechnologie wie die Kernenergie so lange, bis wir einen Anschluss gefunden haben. Alles andere hieße, die Probleme unter den Tisch zu kehren. Das tun wir nicht. Das widerspräche dem Anspruch der christlich-liberalen Koalition.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Heiner Geißler!)

– Sie sind doch bloß neidisch, dass Sie Heiner Geißler nicht haben. Meine Güte, also wirklich!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zurufe der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Unruhe)

– Darf ich ausreden? Wir reden hier über sehr ernsthafte Dinge, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Ich erinnere noch einmal: Unser Energiekonzept sieht für das Jahr 2050 einen Anteil der erneuerbaren Energien von 80 Prozent vor. Das ist extrem anspruchsvoll. Wenn wir das diskutieren, müssen wir ehrlich über die Voraussetzungen sprechen; dann müssen wir allerdings auch ganz konkret werden.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na los! Fangen Sie an!)

Das betrifft etwa den Ausbau der Windenergie an Land und auf See. Wir werden zeigen, wie konkret neue Windparks errichtet werden können und die Windenergie langfristig zu einer tragenden Säule unserer Stromversorgung ausgebaut werden kann. Schon bald wird ein großes KfW-Programm starten, mit dem wir den Startschuss für neue Investitionen in Offshorewindparks geben.

Eine wichtige – ich sage: eine unabdingbare – Voraussetzung ist auch der Ausbau der Stromnetze. Wer erneuerbare Energien will, darf sich dem Bau der dafür erforderlichen großen Stromtrassen, die neu errichtet werden müssen, nicht verweigern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir müssen in der Perspektive auch über ein System debattieren, das Strom aus erneuerbaren Energien flexibel zum Verbraucher bringt, ihn bedarfsgerecht speichert und jederzeit verfügbar verteilt.

Nicht zuletzt ist die Steigerung der Energieeffizienz unverzichtbar, und zwar durch moderne Technologien in allen Bereichen, vom Verbraucher bis zur Industrie. Zu diesem zentralen Handlungsfeld hat der EU-Energiekommissar Oettinger gerade einen neuen Aktionsplan für Energieeffizienz vorgelegt.

Für all das brauchen wir – das ist mir besonders wichtig – breite Unterstützung und Akzeptanz in der Gesellschaft. Wir wollen kein Dagegen, sondern ein Dafür.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die erneuerbaren Energien können wir nur ausbauen, wenn die notwendigen Stromnetze errichtet werden. Hierfür müssen alle, die den Ausbau der erneuerbaren Energien wollen, um mehr Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort werben. Das ist schlicht und ergreifend heute nicht der Fall.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die einen werben, die anderen sind dagegen, wo immer das geht, oder spielen auf Zeit und sagen, man müsse lange darüber diskutieren.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt reicht es aber! Verstehen Sie? Sie wollten doch keinen Wahlkampf machen! – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aussprache ist wie vereinbart im Anschluss an die Regierungserklärung vorgesehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin:

Wann es reicht, Frau Künast, bestimmt die Fraktion, indem sie entscheidet, wie viel Redezeit sie mir gibt. Sie haben das nicht zu entscheiden. Das ist auch gut so.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Schauen Sie sich einmal Ihre Parteitagsbeschlüsse zum Ausbau der Stromtrassen an.

Stromeinsparung können wir nur dann erreichen, wenn die Verbraucher aktiv mitmachen. Neue Anlagen, seien es Windkraftwerke, Pumpspeicherwerke – auch da bitte ich, zu schauen, wer wo protestiert –

(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Da können Sie gerne schauen!)

oder hocheffiziente konventionelle Kraftwerke – schauen Sie sich an, wer alles gegen Kohlekraftwerke ist –,

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

können wir nur errichten, wenn alle hier in diesem Hause dafür eintreten, dass sie gebaut werden.

Meine Damen und Herren, schließlich müssen wir auch bei einem weiteren Streitthema endlich vorankommen: bei der Entsorgung von radioaktiven Abfällen. Es kann nicht sein, dass wir diese Aufgabe weiter in die Zukunft und damit auf zukünftige Generationen schieben. Wir packen daher auch dieses Thema, das Rot-Grün in unverantwortlicher Weise hat liegen lassen, entschlossen an.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben damals bei dem vermeintlich tragfähigen Ausstieg in zwei Bereichen nicht die Zukunft im Blick gehabt und den Kopf in den Sand gesteckt: bei der Entsorgung – da haben Sie ein Moratorium für Gorleben vereinbart – und, das kann ich Ihnen nicht ersparen, bei der Sicherheit. Herr Trittin, Sie wissen genau: Damals, im sogenannten Atomkonsens aus dem Jahre 2000, unterzeichnet 2001, ist vereinbart worden:

Während der Restlaufzeiten

– ich sage noch einmal, heute wäre nur Neckarwestheim 1 abgeschaltet; alle anderen wären am Netz –

wird der von Recht und Gesetz geforderte hohe Sicherheitsstandard weiter gewährleistet; die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen, um diesen Sicherheitsstandard und die diesem zugrundeliegende Sicherheitsphilosophie zu ändern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

… die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen …

– so war das.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiterlesen! – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Weiterlesen! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiterlesen!)

– Ja, natürlich:

Bei Einhaltung – –

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Hören Sie doch einmal zu! Ich bin nicht so wie Sie, dass ich Ausschnitte lese. Ich lese weiter:

Bei Einhaltung der atomrechtlichen Anforderungen gewährleistet die Bundesregierung den ungestörten Betrieb der Anlagen.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiter!)

Aber: keine neuen Sicherheitsstandards.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weiter! Weiterlesen!)

Meine Damen und Herren, heute wird von Ihnen ein Antrag zur sofortigen Inkraftsetzung des kerntechnischen Regelwerks zur Abstimmung gestellt. Lassen Sie mich dazu ein Wort sagen. Unter Rot-Grün wurde erst einmal gar nichts unternommen, außer dass man etwas ausgearbeitet hat; aber angewandt hat man es nicht.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dann ging es in der Großen Koalition um die Frage, „Was machen wir damit?“, weil sich Herr Gabriel der Frage „Stillstand in der Sicherheit“ dankenswerterweise nicht mehr ganz so verpflichtet gefühlt hat.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen schon gar nicht mehr, dass letztes Jahr die Laufzeit verlängert worden ist! – Weitere Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Ich sage das doch ausdrücklich lobend.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dann hat Herr Gabriel dieses kerntechnische Regelwerk zur Erprobung parallel zu den gängigen und geltenden Sicherheitsvorschriften laufen lassen. Herr Gabriel ist dafür kritisiert worden, pikanterweise vom ehemaligen Staatssekretär Herrn Baake von den Grünen. Herr Gabriel hat im Juni 2009 diese Vorwürfe – ich sage: gerechterweise – ausführlich zurückgewiesen; ich empfehle, die Pressemitteilung des BMU vom 16. Juni 2009 zu lesen, in der steht, dass diese Vorwürfe „haltlos“ sind. Er hat im Juni 2009 ebenso gesagt, dass dieses Verfahren 15 Monate lang erprobt wird, also nach meinen Berechnungen bis zum September 2010. Dann haben wir, die neue Regierung, über die Verlängerung der Laufzeiten debattiert und in diesem Zusammenhang das Atomgesetz bezüglich der Sicherheitsanforderungen verändert

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abgesenkt haben Sie das!)

und dafür gesorgt, dass in § 7 d des Atomgesetzes eine neue Verpflichtung eingeführt wird – –

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, abgesenkt! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein große Lüge!)

– Ich finde wirklich, wir sollten uns in diesem Hause – dazu sind wir verpflichtet – um die Wahrheit bemühen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das gilt auch für die Opposition.

Wir haben mit der Einführung des neuen § 7 d des Atomgesetzes neu die Verpflichtung der Betreiber der Kernkraftwerke zur weiteren Risikovorsorge eingeführt, sich immer wieder am neuesten Stand von Forschung und Technik zu orientieren

(Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])

– diese Kategorie hat es in diesem Maß noch nicht gegeben – und immer wieder dynamisch auf neue Anforderungen zu reagieren. Das ist die Realität, und das äußert sich in der Spezifizierung der Sicherheitsanforderungen für jede einzelne Anlage.

Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Wer hier behauptet, wir hätten die Sicherheit nicht im Blick gehabt, der sagt schlicht und ergreifend die Unwahrheit. Die höchsten Sicherheitsanforderungen gab es unter der christlich-liberalen Koalition. Das ist die Wahrheit, und die müssen auch Sie zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, es ist gut und nötig und auch sinnvoll, dass wir uns in energiepolitischen Fragen um die besten Antworten bemühen. Es ist auch gut und richtig, dass wir darüber immer wieder streiten. Das macht Opposition und Regierung aus, und das macht unsere Demokratie lebendig. Auch ich war einmal Vorsitzende einer Oppositionsfraktion und weiß, wie das ist. Aber eines muss beachtet werden: Sie werfen der Regierung und auch mir persönlich vor, jetzt oder vor sechs Monaten oder bei der Verabschiedung der Laufzeitenverlängerung oder wahrscheinlich durchgehend die Unwahrheit zu sagen. Sie werfen uns Täuschung, Trickserei, mehr oder weniger Rechtsbruch und natürlich Wahlkampftaktik und Ähnliches vor.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

– Ja, meine Damen und Herren, schauen Sie sich das genau an. – Ich halte das hinsichtlich der Aufgabe für absolut nicht angemessen. Es geht hier um ein wesentliches Thema. Es geht hier um eine Situation, in der wir über Fragen debattieren, die die Welt vor eine neue Lage gestellt haben.

Meine Damen und Herren von der Opposition, ich finde, dass Ihre Art und Weise der Argumentation absolut respektlos ist.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ihr Verhalten, das ich in den letzten Tagen gesehen habe, ist an Niveaulosigkeit nicht zu überbieten.

(Zurufe von der SPD)

Ich rate Ihnen nur eines: Schließen Sie bei dem, was Sie sagen, nicht dauernd von sich auf andere.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Höchste Sicherheit für die noch laufenden Kernkraftwerke, höchstes Engagement für erneuerbare Energien und eine sichere und wettbewerbsfähige Energieversorgung – dies ist meine, dies ist die Formel der christlichliberalen Koalition für einen neuen energiepolitischen Konsens.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch ein persönliches Wort. So wichtig und unverzichtbar alle Bewertungen, Lehren und Maßnahmen hier in Deutschland sind, so wichtig und unerlässlich ist es, dass wir in dieser Stunde zugleich nie den Blick für die Leidenden in Japan verlieren, die so schwer geprüft werden.

(Sören Bartol [SPD]: Das ist unanständig!)

Ihnen gilt unser Mitgefühl. Sie können heute und in der Zukunft auf die Unterstützung Deutschlands zählen.

Herzlichen Dank.

(Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Norbert Lammert:

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Sigmar Gabriel für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Sigmar Gabriel (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, für den ersten und den letzten Teil Ihrer Rede haben Sie die volle Zustimmung nicht nur der SPD, sondern, wie ich glaube, des ganzen Hauses.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In der Tat berührt jeden Menschen in Deutschland das Schicksal der Menschen in Japan ungeheuer. Selten hat ein Land in Friedenszeiten eine solche Kette von Katastrophen durchleiden müssen wie in diesen Tagen Japan. Ich sage offen: Ich glaube, wir alle haben in diesen Tagen viel über den Mut und auch die Tapferkeit dieses Volkes gelernt. Neben Mitgefühl, Trauer und Entsetzen haben wir auch tiefen Respekt gegenüber der Haltung und dem Kampf dieser Menschen entwickelt. Wir hoffen, dass es am Ende, obwohl die Hoffnung täglich schwindet, doch noch gelingt, den Super-GAU, also das unkontrollierte Austreten ungeheurer Mengen von Radioaktivität, zu verhindern. Deswegen haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, jede Unterstützung des deutschen Parlaments verdient, wenn Sie der japanischen Regierung Hilfe und Unterstützung anbieten. Wir denken, dass das die Verpflichtung Deutschlands und auch der internationalen Völkergemeinschaft ist. Wir danken Ihnen ausdrücklich dafür, dass Sie sehr frühzeitig damit begonnen haben, dafür die Voraussetzungen zu schaffen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin nicht sicher, ob es angemessen ist, wenn wir uns gegenseitig unterstellen, wir seien respektlos und würden uns unanständig benehmen. Sie meinten, das gehöre zu Ihrer Rede.

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)

– Na ja, wenn man im Parlament ein scharfes Wort führt, muss man gelegentlich überlegen, ob das Ende einer Rede auch zu dem passt, was man vorher gesagt hat, Frau Bundeskanzlerin.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir erleben gerade das Ende des Atomzeitalters. Es war gekennzeichnet durch zwei tiefe Überzeugungen: erstens, dass die Technik nie versagt, und zweitens, dass der Mensch nie versagt, und vor allen Dingen, dass nicht beides zum gleichen Zeitpunkt passiert. Wir haben bitter lernen müssen, dass diese beiden Grundannahmen des Atomzeitalters falsch sind: Weder funktioniert die Technik immer, noch versagen Menschen nie. Tun wir nicht so, als würden uns die Risiken der Atomtechnologie erstmals in Japan vor Augen geführt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Dutzende von Unfällen, viele Beinahekatastrophen und nicht zuletzt die Katastrophen 1979 in Harrisburg und 1986 in Tschernobyl in der früheren Sowjetunion führen uns schon seit langer Zeit vor Augen, dass der GAU und der Super-GAU eben keine rein mathematischen Unwahrscheinlichkeiten sind, sondern ganz reale Gefahren, die mit unendlichem Leid von Menschen verbunden sind.

Das berühmte Restrisiko, das der Atomwirtschaft und den Gläubigen der atomaren Heilslehre in Wissenschaft, Medien und politischen Parteien so lächerlich und vernachlässigbar vorkam, ist gerade zur ganz realen Katastrophe für Millionen von Menschen in Japan geworden. Trotzdem sind schon wieder die Beschwichtiger der Atomwirtschaft unterwegs: Das alles könne in Deutschland und Europa nicht passieren; wir hätten schließlich keine Erdbeben und Tsunamis. Oder: Wir hätten doch die sichersten Atomkraftwerke der Welt.

Ich erinnere mich noch gut, dass das schwedische Atomkraftwerk Forsmark im Jahre 2006 in einer gefährlichen Lage war, weil auch dort die Notstromversorgung versagte, und zwar völlig ohne Erdbeben und Tsunami. Als wir damals die deutschen Atomkraftwerksbetreiber fragten, wie das bei ihnen sei, kam sofort, ohne jede Prüfung, die Antwort: Das kann bei uns nicht passieren. – Als wir dann über § 19 Atomgesetz – damals gab es nämlich die ganz konkrete reale Gefahr, dass die Wechselrichter nicht funktionieren – gefordert haben, das genau zu erfahren, haben sie nach kurzer Zeit kleinlaut zugegeben, dass auch in deutschen Atomkraftwerken dieses technische Problem existiert hat.

Meine Damen und Herren, das alles war vor Japan. Auch in Deutschland gab es Wasserstoffexplosionen: in Brunsbüttel in der Nähe des Reaktordruckbehälters. Es gab auch bei uns fehlerhafte Installationen, Kühlmittelverluste, mangelhafte Rohrleitungssysteme. Das alles war vor Japan, und das alles wussten Sie, Frau Bundeskanzlerin. Trotzdem haben Sie damals in der Großen Koalition versucht, mich dazu zu zwingen,

(Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU: Oh!)

zwei der ältesten und gefährlichsten Atommeiler in Deutschland länger laufen zu lassen:

(Zuruf von der CDU/CSU: Falsch!)

Biblis A und Neckarwestheim 1. Sie haben mich schriftlich dazu aufgefordert, die Laufzeiten dieser beiden Atomkraftwerke zu verlängern.

(Zuruf von der SPD: Hört! Hört! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guck an!)

Das sind die beiden, bei denen Sie jetzt so stolz darauf sind, dass Sie sie, neben einigen anderen, für drei Monate vom Netz nehmen. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben einer Laufzeitverlängerung von acht Jahren für diese Reaktoren zugestimmt. Ohne Ihren Deal und – auch das gehört zur Wahrheit – ohne Ihre Kumpanei mit der Atomwirtschaft, die durch Tricks, durch geringeres Ausfahren ihrer Kapazitäten, versucht hat, die im Gesetz ursprünglich vorgesehenen Laufzeiten zu überschreiten, wären diese Reaktoren längst vom Netz.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben alle, die gegen diese abenteuerliche Laufzeitverlängerung waren, als Ideologen verleumdet. Ihr Vizekanzler, Herr Westerwelle, hat diejenigen, die gesagt haben, dass das so nicht geht und dass wir aus der Kernenergie heraus müssen, wörtlich als „Geisterfahrer“ bezeichnet. Vor dem Hintergrund Ihrer verbalen Kehrtwende frage ich Sie: Wer waren tatsächlich die eigentlichen Geisterfahrer der deutschen Energiepolitik in Deutschland?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ulrich Kelber [SPD]: Frau Merkel, zuhören!)

Frau Merkel, ich weiß gar nicht, ob es Ihnen auffällt: Aber vor einem halben Jahr war der rot-grüne Beschluss zum Ausstieg aus der Atomenergie für Sie unvertretbar, weil er nach Ihrer Meinung die Atomwirtschaft zu sehr bedrängte und weil wir längere Laufzeiten für Deutschland doch brauchten. Sie haben diesen Beschluss kritisiert, weil wir zu schnell aussteigen wollten. Heute haben Sie die Chuzpe, SPD und Grüne zu kritisieren, weil wir angeblich zu langsam ausgestiegen sind. Das ist doch das Spiel, das Sie hier treiben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Frau Dr. Merkel, damit Sie nicht glauben, jeder im Haus hätte ein schlechtes Gedächtnis: Ich hatte Ihnen als Bundesumweltminister in der Großen Koalition vorgeschlagen und angeboten, die ältesten Atomkraftwerke schneller, als es ursprünglich im Gesetz vorgesehen war, vom Netz zu nehmen. Sie haben das als Kanzlerin verweigert. Wir hätten sie heute schon nicht mehr, wenn wir das damals gemacht hätten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Zum Thema Sicherheitspolitik. Am 28. Oktober 2010 haben Sie hier mit der Mehrheit von CDU/CSU und FDP die Laufzeitverlängerung durchgepeitscht. Frau Merkel, ich und wir alle haben Sie damals gewarnt und gesagt: Bevor Sie generelle Laufzeitverlängerungen beschließen, machen Sie bitte das, was jeder normale Mensch machen würde, nämlich jedes einzelne Atomkraftwerk darauf zu prüfen, ob deren aktuelle Sicherheitsstandards dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das haben Sie abgelehnt. Die äußerste Gefahrenvorsorge müssen Sie nicht jetzt machen, die müssen Sie bei einem Atomkraftwerk immer machen. Das ist immer Ihre Aufgabe.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Aber als wir im Parlament zu entscheiden hatten, war ja längst alles beschlossene Sache. Den Bundestag haben Sie nur noch pro forma und den Bundesrat überhaupt nicht mehr beteiligt. Sie hatten schon mit den Herren der Atomwirtschaft im Hinterzimmer alles dingfest gemacht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sören Bartol [SPD]: So ist es! Das vergisst man nicht!)

Damit nicht genug. Sie waren einmal Bundesumweltministerin.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Morsleben!)

Dass Sie den Mut haben, hier dem Parlament die Unwahrheit über die Anwendung des § 19 des Atomgesetzes zu sagen, ist schon ein starkes Stück.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Damals wollten Sie jede Gefahr für den Deal mit der Atomwirtschaft ausschließen. Deshalb haben Sie die Sicherheitsanforderungen, die wir 2009 in Kraft gesetzt haben – die Arbeit daran wurde übrigens unter dem Kollegen Trittin begonnen; ich habe sie dann abgeschlossen –, abgeschafft.

(Zuruf des Abg. Hermann Gröhe [CDU/CSU])

Wir hätten sie übrigens damals gerne ganz ohne Weitergeltung der alten Sicherheitsanforderungen in Kraft gesetzt. Es handelte sich hier um einen Kompromiss, weil die Ministerpräsidenten von CDU und CSU gesagt haben: Wir wollen überhaupt keine neuen Sicherheitsanforderungen. – Das ist doch die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Damals haben wir gesagt: Damit keine Unsicherheiten in der Atomwirtschaft auftreten, machen wir beides. Wir lassen die alten weitergelten und erproben die neuen. – Im Herbst letzten Jahres hätten Sie in der Tat die alten völlig abschaffen müssen und die Bewertung der Sicherheitslage deutscher Atomkraftwerke auf dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik vornehmen müssen.

(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Das steht im Gesetz!)

– Nein, das steht gerade nicht im Gesetz, Herr Kollege Gröhe. – Die Menschen draußen wissen das nicht; das darf man ihnen aber nicht vorwerfen. Aber wissen Sie, wie viele Seiten das kerntechnische Regelwerk mit den modernen Sicherheitsanforderungen umfasst? Über 1000 Seiten. Da wird beschrieben, was die Kraftwerksbetreiber bei der Notstromversorgung machen müssen. Da wird beschrieben, was sie bei den Kühlsystemen machen müssen. Da wird beschrieben, wie sie Sicherheit konkret verbessern. Das haben Sie abgeschafft. Sie arbeiten mit einem über 30 Jahre alten kerntechnischen Regelwerk.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Herr Gröhe, wenn Sie mit uns über so etwas reden, müssen Sie immer davon ausgehen: Wir kennen die Rechtslage sehr genau.

(Zuruf von der CDU/CSU: Oh!)

Dann haben Sie in § 7 d des Atomgesetzes nur einen Satz, der in Deutschland seit 1973 geltende Rechtslage ist, hineingeschrieben, statt ein Regelwerk von 1000 Seiten anzuwenden. Seit dem Urteil über Kalkar müssen Sie das einhalten, was Sie in den § 7 d Atomgesetz hineingeschrieben haben. Ich habe gar nichts dagegen, dass das im Atomgesetz steht, aber daran mussten sich vorher schon alle halten.

Schlimm ist, dass Sie die modernen Sicherheitsanforderungen für die Prüfung von Kernkraftwerken außer Kraft gesetzt haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Warum haben Sie das getan? Sie haben das getan, weil die Atomkraftwerksbetreiber Ihnen gesagt haben, dass eine ganze Reihe von Atomkraftwerken diesen modernen Sicherheitsstandards nicht standhalten können, weil die Atomkraftwerksbetreiber Ihnen gesagt haben, dass die alten Meiler nicht auf den Stand von Wissenschaft und Technik hochgerüstet werden können und dass sie deshalb endgültig und bereits vor Ablauf der Restlaufzeiten vom Netz hätten gehen müssen. Das hätte die Milliardengeschäfte der Atomwirtschaft geschmälert, und da haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, etwas gemacht, was unverantwortlich ist: Sie persönlich haben Sicherheit gegen Geld getauscht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Sie sagen jetzt, es gäbe eine tabulose Prüfung. Wenn Sie mit völlig veralteten Sicherheitsanforderungen – mehr als 30 Jahre alt – jetzt eine tabulose Prüfung beginnen wollen, dann brauchen Sie damit gar nicht erst anzufangen, außer Sie setzen als Allererstes das kerntechnische Regelwerk 2009 wieder in Kraft. Das ist der erste Prüfstein für Ihre Glaubwürdigkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Die Meiler, die wegen dieses kerntechnischen Regelwerks vom Netz genommen werden müssten, wollen Sie jetzt gerade einmal für drei Monate vom Netz nehmen. Die wären aber schon weg, wenn Sie nicht mitgeholfen hätten, Sicherheitsmängel in diesen Kernkraftwerken zu vertuschen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und des Abg. Jörg van Essen [FDP])

– Keine Sorge, wir können das alles belegen.

Derjenige, der Ihnen das aufgeschrieben hat, war einer der Cheflobbyisten der deutschen Atomindustrie. Mit Herrn Hennenhöfer haben Sie ausgerechnet einen Cheflobbyisten der Atomwirtschaft zum obersten Aufseher der Reaktorsicherheit in Deutschland gemacht.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr glaubwürdig! – Zuruf von der SPD: So ist es!)

Herr Hennenhöfer ist bis heute im Amt und soll jetzt die Sicherheitsüberprüfung vornehmen, die er vorher verhindern wollte. Wenn Sie, Frau Merkel, auch nur einen Funken Glaubwürdigkeit zurückerobern wollen, dann müssen Sie ihn sofort entlassen. Das verlangen wir von Ihnen!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Frau Merkel, nicht wir werfen Ihnen vor, dass Sie das Recht beugen, sondern das tut inzwischen ein früherer Präsident des Bundesverfassungsgerichtes. Ihr sogenanntes Moratorium wirft ja nicht nur energiepolitische, sondern auch verfassungsrechtliche Fragen auf. Ich lese Ihnen jetzt einmal vor, wie nach der öffentlichen Erklärung Ihres Umweltministers § 19 Abs. 3 des Atomgesetzes angewandt werden soll, nämlich

… durch gemeinsames staatliches Handeln … nicht durch Absprachen, nicht durch Verträge, sondern unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Verantwortung.

Wenn das so ist, Frau Merkel, dann will ich wissen, wie die Rechtsakte aussehen. Das will ich allerdings nicht von Ihrem Atomexperten Mappus in Baden-Württemberg wissen, der ja eine schizophrene Persönlichkeit ist, nämlich Atomlobbyist und Atomaufsicht zugleich – ich frage mich, wie das funktionieren soll –,

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Na, na! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist im emotionalen Ausnahmezustand!)

sondern Sie, Herr Bundesumweltminister und Frau Merkel, fordere ich auf, dem Parlament diese Rechtsakte vorzulegen, und zwar in diesen Tagen, nicht erst in ein paar Monaten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wenn die Atomwirtschaft das akzeptiert, dann haben Sie, Frau Merkel, einen historischen Erfolg erzielt, dann haben Sie wirklich etwas durchgesetzt. Denn dann ist die Atomwirtschaft zum ersten Mal bereit, zu akzeptieren, dass festgestellt wird, dass von sieben ihrer Meiler eine Gefahr für die Bevölkerung, für Leib, Leben und Gesundheit ausgeht. Das wäre ein historisches Ereignis.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Merkel, Sie haben § 19 Atomgesetz völlig zu Recht zitiert. Die erste Handlung ist nun, dass Sie, Herr Bundesumweltminister, den Atomkraftwerksbetreibern die entsprechenden Anordnungen schicken, und zwar durch die Länder. Wenn sie das nicht machen, dann müssen Sie sie atomrechtlich weisen. Dann wollen wir einmal sehen, ob die Atomwirtschaft das akzeptiert. Wenn sie das machen: à la bonne heure!

(Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister: Na also!)

Dann haben Sie etwas Historisches erreicht. Wir haben schon immer gesagt, dass von diesen alten Reaktoren direkte Gefahren ausgehen. Das haben Sie und die Atomkraftwerksbetreiber immer zurückgewiesen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn das allerdings nicht der Fall ist, dann haben Sie einen Deal gemacht. Dann wollen wir die Preise kennen.

Meine Damen und Herren, wir wollen also zunächst wissen, wie das läuft.

(Zuruf von der CDU/CSU: Damit kennen Sie sich aus!)

Und dann stellt sich doch, was auch immer Sie jetzt der Öffentlichkeit erzählen, die Frage: Wie glaubwürdig sind Sie, wenn Sie das nur für drei Monate tun?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir wollen erstens, dass das sicher ist und dass wir das nach dem Atomgesetz abschalten, und zwar nicht nur im Rahmen eines Moratoriums, sondern auf Dauer.

(Beifall des Abg. Ulrich Kelber [SPD])

Wir wollen zweitens zum Ausstiegsgesetz bis 2020 zurückkehren. Denn Ihre Laufzeitverlängerungen sind keine Brücke, sondern eine Dauereinrichtung mindestens bis 2035 und 2040. Das ist keine Übergangstechnologie. Deswegen wollen wir zum Gesetz zurück. Wir wollen das nicht irgendwie durch einen zweiten Deal regeln lassen. Das Parlament ist das Gremium, das das zu entscheiden hat.

Im Übrigen, Frau Merkel, wenn es stimmt, dass Sie eine Energiewende wollen, warum haben Sie dann im jetzigen Haushalt gar nichts dafür getan, außer die Möglichkeiten für die Energiewende zu verschlechtern?

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

– Das muss man der Öffentlichkeit einmal sagen. Sie haben am Mittwoch die Eckpunkte des Haushalts beschlossen. Heute stellt sich die Kanzlerin hin und sagt, sie wolle mehr für die Energiewende tun.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war gestern!)

Jetzt sage ich Ihnen einmal, was in den Eckpunkten steht: Gegenüber 2010 werden die Mittel zur Förderung erneuerbarer Energien um 700 Millionen Euro runtergefahren,

(Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)

werden die Mittel für das 100 000-Dächer-Solarstrom- Programm um ein Drittel und für das Gebäudesanierungsprogramm gegen zu hohen Energieverbrauch, durch das die Menschen richtig Geld sparen könnten, von 2,2 Milliarden Euro in 2009 auf unter 1 Milliarde Euro gekürzt. Das ist die Wahrheit über das, was Sie da machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Gestern, einen Tag nach Verkündigung Ihrer Energiewende, haben Sie dem Kabinett die Eckpunkte vorgelegt und zugestimmt. Sie hätten doch diesen Beschluss, Frau Merkel, eigentlich verschieben müssen.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Sie hätten doch sagen müssen: „Jetzt machen wir einmal ein ordentliches Programm“, oder: „Wir lassen wenigstens die Mittel da, wo sie bisher waren“. Nichts davon haben Sie getan. Es ist einfach so, dass man nicht einmal mehr weiß, ob Sie Ihre eigenen Widersprüche eigentlich noch erkennen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Die Glaubwürdigkeit von Politik – ich weiß, dass das nicht Ihnen allein zugeordnet wird, sondern die Menschen leider immer über „die Politiker“ reden – leidet enorm, Frau Merkel, wenn Sie dieses Maß an Unseriosität zur Messlatte Ihrer Politik machen. Man kann sich auf nichts verlassen, was Sie sagen. Deshalb können und wollen wir uns auch nicht darauf verlassen, dass Sie in drei Monaten zu klügeren Entscheidungen gekommen sind als noch drei Monate zuvor. Wir wollen deshalb im Parlament entscheiden, weil bei Ihnen nicht sicher ist, was Sie denn morgen denken. Mal sind Sie gegen den Euro-Rettungsschirm, mal dafür.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Mal sind Sie für Steuersenkungen, mal dagegen. Mal sind Sie für Atomenergie, mal dagegen. Weil wir uns nicht auf Sie verlassen können, wollen wir hier im Parlament selber entscheiden und nicht Ihnen vertrauen. Darum geht es hier in Deutschland.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Mehrheit ist Mehrheit!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Gabriel, achten Sie freundlicherweise auf die Redezeit.

Sigmar Gabriel (SPD):

Das mache ich.

„Mehrheit ist Mehrheit“, sagt Ihr Kollege. Das zeigt ja schon, worauf Sie hinauswollen.

(Zurufe von der SPD)

Der Zwischenruf ist interessant. „Mehrheit ist Mehrheit“, sagt er. Das heißt, Sie wollen den Ausstieg nicht. Ich glaube, dass Sie da die Wahrheit sagen.

(Zuruf von der SPD: Gar nichts wollen sie!)

Ich sage Ihnen: So kann man auf Dauer keine Politik machen. Sie versuchen nur, jetzt wahltaktisch mit den Ängsten der Menschen umzugehen.

(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Damit macht ihr Wahlkampf!)

Das ist etwas, was die Bevölkerung in Deutschland merkt. Der Titel der 'Zeit' heute ist die Überschrift für das, was Sie eigentlich machen müssten: „Keine Lügen mehr!“, Frau Bundeskanzlerin.

(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Birgit Homburger (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle stehen unter dem Eindruck der Ereignisse in Japan. Diese epochale Naturkatastrophe hat Tausende Tote gefordert, Tausende Verletzte, zigtausendfaches menschliches Leid. Unsere Gedanken sind in diesen Tagen bei unseren japanischen Freunden. Unsere Anteilnahme und unser Mitgefühl gelten den Hinterbliebenen. Die Bilder, die wir sehen, zeigen das Ausmaß der Zerstörung: Ganze Städte sind durch den Tsunami wie weggespült. Diese Bilder begleiten viele von uns tagtäglich in den Gedanken, genauso das Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber einer solchen Naturkatastrophe.

Angesichts einer solch beispiellosen Katastrophe sollte man einmal innehalten und die Frage aufwerfen, was in einer solchen Situation tatsächlich zuerst gefordert ist, was wichtig ist. Während die Menschen in Japan versuchen, diese Situation mit einer bewundernswerten Disziplin zu bewältigen, und in anderen Ländern das Mitgefühl an erster Stelle steht, führt die Opposition hier eine Debatte, die geradezu dazu führen muss, dass die Menschen in diesem Land Angst bekommen, dass sie den Eindruck bekommen, das Problem, die Katastrophe, sei hier. Nein, die Katastrophe ist in Japan. Die Menschen in Japan brauchen jetzt in der akuten Phase und bei der Bewältigung langfristiger Folgen unsere Unterstützung. Deshalb ist es gut, dass der Krisenstab der Bundesregierung unter Leitung von Außenminister Westerwelle sofort Hilfe gegeben und diese Hilfe in den Vordergrund gestellt hat. An einem solchen Tag ist es wichtig, an dieser Stelle den Helfern ein herzliches Dankeschön zu sagen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir sind uns vollkommen einig darüber, dass angesichts der dramatischen Ereignisse in den japanischen Kernkraftwerken nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen werden kann. Nun höre ich immer wieder, wir müssten die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Ja, die Sorgen der Menschen sind auch unsere Sorgen; sie sind die Sorgen jedes einzelnen Kollegen und jeder einzelnen Kollegin hier in diesem Haus.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist richtig, dass die Regierung in einer solchen Situation schnell und besonnen handeln muss. Wir sind uns bewusst, dass wir über den Tag hinaus Verantwortung tragen. Insofern ist das Moratorium zum Zweck der Sicherheitsüberprüfung richtig. Ich bin dankbar dafür, dass die Bundesregierung sofort die Initiative ergriffen hat, um eine solche Überprüfung auch auf europäischer und internationaler Ebene anzustoßen; das ist in gleichem Maße notwendig wie hier in Deutschland.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nach wie vor gibt es keine gesicherten Erkenntnisse darüber, wie sich die Abläufe in den japanischen Kernkraftwerken tatsächlich darstellen, aber wir haben erste Erkenntnisse: Es gab Probleme trotz Mehrfachredundanzen beim Kühlsystem und bei den Notstromaggregaten. Die FDP erwartet, dass die Überprüfung, die jetzt durchgeführt wird, den neuesten Sicherheitsstandards entspricht.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Gabriel, Sie haben hier davon gesprochen, dass die Bundesregierung etwas „mit den Herren der Atomwirtschaft im Hinterzimmer“ ausgehandelt habe. Deshalb will ich nochmals aus der Vereinbarung zitieren:

Während der Restlaufzeiten wird der von Recht und Gesetz geforderte hohe Sicherheitsstandard weiter gewährleistet; die Bundesregierung wird keine Initiative ergreifen, um diesen Sicherheitsstandard und die diesem zugrunde liegende Sicherheitsphilosophie zu ändern.

Dieser Vertrag, Herr Gabriel, trägt die Unterschrift von Herrn Schröder und Herrn Trittin und ist von Herrn Steinmeier mit ausgehandelt worden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn jemand etwas „mit den Herren der Atomwirtschaft im Hinterzimmer“ ausgehandelt hat, dann sind Sie es, nicht diese Bundesregierung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Was stört Sie an dem Satz?)

Sie haben einen Sicherheitsrabatt gewährt, und jetzt gerieren Sie sich hier als Moralinstanz.

Wir haben bei der Änderung des Atomgesetzes im letzten Jahr erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die Sicherheitsanforderungen dynamisiert,

(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Verdünnisiert haben Sie sie!)

indem wir den § 7 d in das Atomgesetz eingefügt haben. Sie haben hier kritisiert, dass das nur zwei Zeilen seien. Ein Paragraf hat in der Regel auch nur wenige Zeilen. Dieses Gesetz wird aber selbstverständlich ausgefüllt mit einem untergesetzlichen Regelwerk, das den neuesten, modernsten Standards entspricht. Das ist die Sicherheitsphilosophie, die wir anlegen, und diese hohen Sicherheitsstandards werden jetzt nochmals überprüft.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das haben die Leute Ihnen falsch aufgeschrieben!)

Mit uns wird es keinen Sicherheitsrabatt geben. Mit uns wird es aber auch kein hektisches Überbordwerfen aller Entscheidungen geben. Wir machen erst eine ergebnisoffene Prüfung, und danach werden wir die Konsequenzen ziehen. Ich glaube, dass das ein angemessenes, überlegtes und konsequentes Vorgehen ist.

Diejenigen, die die sofortige Abschaltung der Kernkraftwerke fordern, nehmen für sich in Anspruch, im Besitz der Wahrheit zu sein. Das hat sich auch in der Debatte heute Morgen gezeigt. Sie sprechen anderen verantwortungsvolles Handeln ab.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, Frau Homburger!)

– Herr Kuhn, weil Sie gerade dazwischenrufen, will ich Ihnen sagen: Ich finde ein solches Verhalten unerträglich.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Was haben wir uns von Ihnen anhören müssen?)

Die Wahrheit ist, dass die Kernkraftwerke auf Basis einer Risikoanalyse betrieben werden. Dieses Risiko haben wir unter hohen Sicherheitsauflagen in der Vergangenheit als verantwortbar betrachtet. Das gilt nicht nur für die Koalition, sondern auch für Grüne und SPD. Dadurch, dass Sie einen Atomkonsens vorgelegt haben, haben Sie deutlich gemacht, dass die Kernkraftwerke auch aus Ihrer Sicht weiterbetrieben werden können. Sie haben gezeigt, dass auch Sie nach einer Risikoanalyse zu dem Schluss kamen, dass der Betrieb technisch verantwortbar ist. Sonst hätten Sie eine solche Entscheidung nicht treffen können.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Genau so ist es!)

Genauso richtig ist es, dass jetzt eine Neubewertung dieser hohen Sicherheitsstandards angezeigt ist. Es ist richtig, noch einmal darüber nachzudenken, ob noch mehr getan werden muss. Genau das tun wir.

Herr Gabriel, Sie haben Ihre bemerkenswerte Rede mit einer Vielzahl von Diffamierungen gespickt. Sie haben gesagt, dass die Regierung Sicherheitsprobleme vertuscht hat, dass Tricks der Atomwirtschaft gebilligt werden, und Sie haben von Deals gesprochen. Sie sprechen denen, die zu einem anderen Ergebnis kommen, die Ehre und die Verantwortung ab. Deshalb will ich Ihnen in aller Ruhe, aber auch mit allem Nachdruck sagen: Diese Debatte wird von Ihnen in einem Duktus geführt, der Anstand und den nötigen Respekt vor der Meinung anderer vermissen lässt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Auch die Emotionalität dieser Debatte rechtfertigt ein solches Vorgehen nicht. Das ist ein erschreckendes Beispiel für Ihr Verständnis von demokratischer Kultur und zeigt, dass Sie nicht regierungsfähig sind.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn wir über das Energiekonzept sprechen, dann sprechen wir über Versorgungssicherheit, über Bezahlbarkeit und über Umweltverträglichkeit. Deshalb müssen wir auch einmal darüber reden, was passiert, wenn diese sieben Kernkraftwerke jetzt vorübergehend stillgelegt werden. Wir wollen vor allen Dingen eines nicht: Wir wollen nicht, dass Stromimporte aus Kernkraftwerken, die weniger sicher sind, in Deutschland als Ersatz dienen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Im Augenblick führt das Stilllegen dieser Kernkraftwerke dazu, dass in der Grundlast ein Ausgleich durch eine stärkere Nutzung von Steinkohle und Erdgas, also durch fossile Energieträger, erfolgt. Wenn dieser Ausgleich je zur Hälfte durch Steinkohle und Erdgas erfolgt, dann verursacht diese dreimonatige Abschaltung zusätzlich 6,3 Millionen Tonnen CO2-Emissionen. So viel zum Thema Klima. Auch das muss in einer solchen Debatte deutlich gemacht werden. Wir brauchen einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Zielen. Dieser Ausgleich muss auch in Zukunft berücksichtigt werden. Deshalb rate ich Ihnen dringend, Ihre Position zur Energiepolitik, beispielsweise bezogen auf die Modernisierung von Kohlekraftwerken, zu überdenken.

Es gibt mittlerweile eine hocheffiziente neue Generation von Kohlekraftwerken, die deutlich weniger CO2- Emissionen ausstoßen. Wenn wir die alten Kraftwerke durch diese neuen ersetzen würden, dann könnten wir an dieser Stelle hinsichtlich der Grundlast weiterkommen. Sie sind es, die im Augenblick in Nordrhein-Westfalen diese hocheffiziente Technik verhindern.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie, und auch unser Energiekonzept sieht vor, dass die Nutzung der Kernenergie ausläuft. Aber wir wollten eben nicht nur vom Zeitalter der erneuerbaren Energien träumen, sondern wir haben auch gesagt, wir müssen ein Gesamtkonzept haben, wie das tatsächlich erreicht werden kann. Dieses Gesamtkonzept haben wir im letzten Jahr vorgelegt.

Wir wollen unser Ziel schneller erreichen, aber dann müssen wir in der Tat über Wasserkraftwerke sprechen, die von der Opposition bekämpft werden,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

dann müssen wir über Biogasanlagen sprechen, die von den Grünen bekämpft werden, und dann müssen wir über die Nutzung von Windenergie sprechen, die wir gerade auch offshore ausbauen wollen. Das haben wir im Energiekonzept festgelegt. Nur, wenn das kommt, dann muss man auch dafür sorgen, dass diese Energie zum Verbraucher kommt, indem die Leitungen entsprechend ausgebaut werden.

(Beifall des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ CSU])

Deshalb ist es notwendig, dass wir über diese Frage sprechen und hier auch ein Gesetz auf den Weg bringen, das diesen Leitungsausbau beschleunigt.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich finde es ganz bemerkenswert, dass jetzt in dem Energiekonzept der SPD Geld aus dem Bundeshaushalt für den Leitungsausbau gefordert wird. Das brauchen wir nicht. Dafür gibt es Netzentgelte.

Ich will Ihnen deutlich sagen: Der Netzausbau, der zwingend notwendig ist, um die erneuerbaren Energien weiter voranzutreiben, ist bisher nicht am Geld gescheitert, er ist am Protest gescheitert. Zwischenzeitlich zeigt sich in Deutschland: Stuttgart 21 ist überall, die Dagegen-Gesellschaft hat sich unter Führung von SPD und Grünen etabliert.

(Widerspruch der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Deshalb ist die Gretchenfrage an die Opposition, ob auch Sie zum Umdenken bereit sind, um ein neues Energiekonzept auf den Weg zu bringen. Beenden Sie den Dauerprotest

(Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

gegen die Modernisierung der deutschen Energielandschaft!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren von der Opposition, wir wollen diese Situation, diese schwierige Lage zum Anlass nehmen, neu nachzudenken. Wir haben unser Energiekonzept überdacht. Wir haben jetzt angeordnet, dass es nochmals eine Sicherheitsüberprüfung aller Kernkraftwerke gibt, und zwar unter Einbeziehung der Erkenntnisse aus diesem Unglück in Japan.

Ich sage ganz deutlich: Wir wollen das Zeitalter erneuerbarer Energien schneller erreichen. Sie sind gefordert, dazu beizutragen. Wie glaubwürdig Ihre Position ist, wird daran gemessen, ob auch Sie bereit sind, umzudenken.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Japan ist eine furchtbare, unvorstellbare Katastrophe passiert. Die Menschen erlebten ein schweres Erdbeben und in dessen Folge einen Tsunami mit Tausenden Opfern, Hunderttausenden Obdachlosen und verheerenden Zerstörungen. Nun werden sie auch noch einen Super-GAU mit unvorstellbaren Folgen erleben. Millionen Menschen können durch die Radioaktivität an Krebs erkranken – mit allen Folgen.

Dies geschieht den Japanerinnen und Japanern, die als Einzige schon die furchtbaren Leiden eines Atombombeneinsatzes durch die USA 1945 auf Hiroshima und Nagasaki erleben mussten. Wir trauern um die zahlreichen Opfer. Unser tiefes Mitgefühl gilt ihren Angehörigen.

Es ist aber unvorstellbar und unverantwortlich, dass gerade nach den schrecklichen Erlebnissen 1945 japanische Konzerne und japanische Politik den vielfachen Bau von Atomkraftwerken vorantrieben. Japan hätte der erste Verweigerer sein müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber nun ist die Katastrophe geschehen. Durch keine Kritik wird sie ungeschehen. Es trifft vornehmlich immer Unbeteiligte und Unschuldige. Unsere gemeinsame erste Entscheidung muss sein, den Menschen in Japan jegliche mögliche Hilfe zu leisten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Ereignis in Japan ist eine Zäsur, ein Zivilisationsbruch in der Geschichte des industriell-kapitalistischen Zeitalters. In den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts gelang es deutschen Physikern im Laborversuch, die erste künstliche radioaktive Kernspaltung auszulösen. Die Büchse der Pandora war geöffnet. Die erste daraus folgende Katastrophe war die Entwicklung der Atombombe.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann zwischen der militärischen und der friedlichen Nutzung der Atomenergie unterschieden. In den 50er-Jahren setzten die Industriestaaten, das heißt sowohl die kapitalistischen als auch die staatssozialistischen Länder, auf die friedliche Nutzung der Atomenergie. Doch die Unterscheidung zwischen unfriedlicher und friedlicher Atomenergie ist aus zwei Gründen falsch und mit hohen Risiken verbunden, die weder beherrschbar noch kontrollierbar sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Erstens. Wer über die Technologie der friedlichen Nutzung der Atomenergie verfügt und aus AKW Strom erzeugen kann, ist potenziell in der Lage, auch Atomwaffen herzustellen. Wir wissen, dass trotz des Nichtverbreitungsvertrages inzwischen mehr Staaten als die fünf damaligen Atommächte über Atomwaffen verfügen. Außer den USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich verfügen auch Pakistan, Indien und Israel über Atomwaffen. Die Beispiele Iran und Nordkorea zeigen, dass diese Gefahren nicht beseitigt sind. Es muss endlich konsequent damit begonnen werden, alle Atomwaffen in dieser Welt zu vernichten. Erst dann hat die internationale Gemeinschaft das Recht, weltweit den Bau neuer Atomwaffen zu unterbinden.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Mit der Unterscheidung zwischen militärischer und friedlicher Nutzung der Atomkraft gab man sich dem Trugschluss hin, dass die militärische Nutzung viel riskanter wäre. In vielen Industriegesellschaften, insbesondere in Frankreich und Japan, erzielte die friedliche Nutzung der Atomkraft zur Stromerzeugung eine hohe Akzeptanz. Diese Akzeptanz beruhte darauf, dass man die Risiken bei der friedlichen Nutzung für beherrschbar hielt, sich einen GAU oder gar einen Super- GAU nicht vorstellen konnte. Die Unterscheidung zwischen gutem und schlechtem Uran ist falsch. Beides – der Abwurf einer Atombombe wie ein nicht vorhersehbarer Unfall in einem Atomkraftwerk – ist hinsichtlich der Folgen nicht beherrschbar. Unsere Zivilisation kann stark beschädigt, sogar vernichtet werden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Frage stellt sich: Hätten wir alle – die Verantwortlichen in Japan, in Deutschland und in allen anderen Ländern – nicht klüger und sehr viel vorsichtiger sein müssen? Es gab den Atomunfall im AKW Three Mile Island bei Harrisburg in den USA im Jahre 1979. Dort trat – auch ohne Erdbeben, ohne Tsunami – bereits eine begrenzte Kernschmelze ein, weil die Kühlsysteme versagten. Dann kam die unvorstellbar große Katastrophe von Tschernobyl vor 25 Jahren mit einer vollständigen Kernschmelze. Noch immer glüht dieser Reaktor umgeben von einem Betonsarkophag vor sich hin. Die genaue Zahl der Opfer ist bis heute nicht bekannt.

Diese deutlichen Warnungen wollten nicht verstanden werden. Harrisburg wurde nicht wirklich ernst genommen und bei Tschernobyl einfach die Unfähigkeit der Russen und der Staatssozialisten unterstellt. Im Unterschied dazu – so konnte man es lesen – bauen die Japaner, die Deutschen und andere nur höchst sichere Atomkraftwerke, bei denen nichts passieren könne. Nun sind wir in Japan auf tragische Weise vom Gegenteil überzeugt worden. Wir alle dürfen und müssen eine einzige logische Konsequenz ziehen: Der 11. März 2011 muss das Ende des nuklearen Industriezeitalters eingeleitet haben.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist nicht nur eine wissenschaftlich-technische, sondern auch eine politische, eine Macht- und eine Menschheitsfrage. Die Atomindustrie besteht aus Unternehmen, die die AKW bauen, und Unternehmen, die die AKW betreiben. Diese besitzen nicht nur finanzielle und ökonomische Macht, sie haben nicht nur beträchtlichen Einfluss auf politische Entscheidungen; sie dominieren diese und damit auch die Bundesregierung und eine große Zahl von Abgeordneten.

Schon die Bundesregierung aus SPD und Grünen traute sich nicht, den Atomausstieg einfach per Gesetz im Bundestag durchzusetzen. Sie ließ sich auf Verhandlungen mit der Atomlobby ein und schloss mit ihr einen Ausstiegskompromiss ab. Warum, Herr Trittin, konnten Sie und Ihre sozialdemokratischen Mitstreiter den Atomlobbyisten nicht einfach sagen, dass die Mehrheit des Bundestages entscheiden wird? Wir sind das höchste demokratisch gewählte Organ der Bundesrepublik Deutschland. Warum feilschten Sie mit den nicht gewählten Atomlobbyisten herum, bis Sie einen unzureichenden Ausstiegskompromiss erzielten?

(Beifall bei der LINKEN)

Warum haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, diesen Kompromiss auch noch aufgekündigt und auf Drängen der Atomlobbyisten die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke beschlossen? Es ging um nichts anderes als um Extraprofite der Stromkonzerne Eon, EnBW, RWE und Vattenfall in Höhe von 120 Milliarden Euro. Diese Lobbyistenpolitik gefährdet unsere Demokratie.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])

Frau Bundeskanzlerin, besitzen Sie doch die Souveränität, den Mut, den Atomlobbyisten klar und deutlich zu widersprechen, sich hier hinzustellen und Ihren Irrtum hinsichtlich der Risikogefahren einzuräumen und den unverzüglichen Ausstieg aus der Gewinnung der Atomenergie zu verkünden. Nur das entspräche Ihrem Amtseid. Nur das könnte Schaden von unserer Bevölkerung abwenden. Nur dann verhielten Sie sich wie eine Bundeskanzlerin für das gesamte Volk. Ihre heutige Erklärung spricht noch nicht für Ihre Bereitschaft, diesen notwendigen Weg zu gehen. Ein dreimonatiges Moratorium, unabhängig von der rechtlichen Bewertung, täuscht und hilft nicht weiter. Wir brauchen keine vorübergehende, sondern eine endgültige Abschaltung der Atomkraftwerke.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])

Unabhängig davon müssen Sie unverzüglich und sofort einen Strompreisstopp durchsetzen. Die Konzerne haben genügend Profitpolster. Sie müssen die Verluste tragen, nicht die Bürgerinnen und Bürger und nicht die anderen Unternehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Politik muss wieder für die Strompreiskontrolle zuständig werden.

Meine Damen und Herren von der SPD und von den Grünen, Sie haben beim Bundesverfassungsgericht eine Normenkontrollklage eingereicht, weil Ihr früherer Atomkompromiss von der Mehrheit des Bundestages unter Ausschluss des Bundesrates aufgekündigt wurde. Diesen Ausschluss und andere Regelungen halten Sie und wir für grundgesetzwidrig. Wir haben Ihnen angeboten, diese Normenkontrollklage gemeinsam zu erarbeiten. Sie haben dies abgelehnt mit dem Hinweis, das sei Ihr Thema und nicht unseres. Sie haben tatsächlich nicht begriffen, dass dies ein Thema für die gesamte Bevölkerung, auch für den linken Teil der Bevölkerung ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben uns vorgestern, auch im Angesicht der gewaltigen Katastrophe, erklärt, dass wir die Klage nur dann mit unterschreiben dürften, wenn wir trotz Ihres Beteiligungsverbots ein Drittel der Kosten übernähmen. Überwinden Sie Ihre Kleinkariertheit! Überwinden Sie Ihren Egoismus! Überwinden Sie Ihren Egozentrismus! Lassen Sie alle, die es wollen, unterschreiben! (Beifall bei der LINKEN) Sie können nicht bei Ihrem alten Kompromiss – mit Ausnahme der älteren und pannengeprägten AKW – bleiben. Auch die neueren AKW können nicht mit langen Fristen – Herr Gabriel, auch nicht zehn Jahre – weiterlaufen. Auch Sie müssen sich einen Ruck geben und begreifen, dass das nukleare Zeitalter nicht irgendwann, sondern unverzüglich zu beenden ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht nicht nur um die Frage des Ausstiegs, sondern zugleich auch darum, ob sich die Politik endlich gegen die Atomindustrie durchsetzt, ob diesbezüglich das Primat der Politik hergestellt, die Demokratie wieder funktionsfähig wird. Im letzten Jahr konnte während der Finanzkrise jeder erleben, dass die Spekulanten und Bankenchefs das Geschehen und die Politik dominierten. Diese sind eng mit den Atomlobbyisten verbunden. Gemeinsam scheinen sie eine kaum zu durchdringende ungeheuerliche Macht zu besitzen. Aber sie haben nur ein wirkliches Interesse: die Steigerung ihres Profits. Nur wenn die Politik den Mut und die Kraft entwickelt, die Dominanz dieser Spekulanten, Bankenchefs, Atomlobbyisten und anderer Konzernlobbyisten zu durchbrechen und den Vorrang der demokratischen Institutionen zu sichern, sind wir für unsere Bevölkerung tätig, retten wir unsere Demokratie und werden wir unserer Funktion als Volksvertreterinnen und Volksvertreter im Bundestag gerecht!

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke fordert: Erstens. Wir brauchen unverzüglich ein Konzept für die mögliche Hilfe gegenüber den Japanerinnen und Japanern. Diese Hilfe ist auch zu leisten.

Zweitens. Die Nutzung der Atomkraft für militärische Zwecke und zur Energieerzeugung muss grundsätzlich ausgeschlossen werden, um den Ausstieg unumkehrbar zu machen. Deshalb brauchen wir diese Verpflichtung im Grundgesetz.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Verbot der Nutzung von Atomenergie ist Bestandteil der Verfassung von Österreich, einem Mitgliedsland der EU. Es ist also machbar, wenn der politische Wille dazu vorhanden ist.

Drittens. Die ältesten und pannengeschüttelten acht AKW sind sofort und auf Dauer stillzulegen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Es handelt sich um Biblis A, Neckarwestheim 1, Biblis B, Brunsbüttel, Isar 1, Unterweser, Philippsburg 1 sowie Krümmel. Die verbleibenden neun AKW sind unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Verzögern, stillzulegen. Hierzu muss die Bundesregierung einen entsprechenden Atomausstiegsgesetzentwurf bis spätestens 30. April 2011 vorlegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Viertens. Verboten werden muss der Export von Atomtechnologie. Siemens und andere Unternehmen haben auch für die AKW in Japan Ausrüstungen geliefert. Sie müssen verpflichtet werden, diesen Produktionszyklus stillzulegen und aus der Technologie auszusteigen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ebenso ist folgerichtig, Frau Bundeskanzlerin, dass wir keinen Atomstrom importieren dürfen.

Fünftens. Die Bundesregierung muss sich für die Auflösung des Euratom-Vertrages einsetzen, damit die damit einhergehende Förderung der Atomenergie beendet wird.

Sechstens. Wir fordern einen Strompreisstopp

(Lachen bei der FDP)

und die Wiedereinführung der Strompreisregulierung durch die Politik statt durch die Energiekonzerne.

(Beifall bei der LINKEN)

Siebtens. Wir brauchen unverzüglich ein Energiekonzept der Zukunft, das mit unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Umweltverbänden und kommunalen Energieversorgern erarbeitet werden muss, also nicht mehr die Handschrift der Energiekonzerne tragen darf. Dazu gehören aus unserer Sicht ein Sofortprogramm für die erneuerbaren Energien, ein umfassendes Energieeffizienzprogramm, ein Netzumbauplan, die Entwicklung und Etablierung effizienter Speichertechnologien und eine Dezentralisierung und Rekommunalisierung der Energieerzeugung.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der LINKEN: Bravo!)

Achtens. Die Bundesregierung muss sich bei der Organisation der Vereinten Nationen und der Europäischen Union entschieden für einen weltweiten bzw. europäischen Ausstieg aus der Atomenergie für militärische Zwecke sowie zur Energiegewinnung einsetzen. Das Gleiche gilt für ein Moratorium für sämtliche weltweit bzw. europaweit geplanten Neubauten von Atomanlagen – egal ob für militärische Zwecke oder zur Energiegewinnung.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Eine Volksinitiative der europäischen Völker zu diesen Fragen wäre sehr zu begrüßen.

(Beifall bei der LINKEN)

Heute haben wir die Chance, zu beweisen, dass wir spät – für die Japanerinnen und Japaner zu spät – Lehren aus Ereignissen ziehen können. Heute können wir beweisen: Der Deutsche Bundestag entscheidet nicht länger im Interesse der Atomlobbyisten, sondern im Interesse der Bevölkerung unseres Landes und sendet zur Lösung einer Menschheitsfrage ein wichtiges Signal weit über Deutschland hinaus.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Volker Kauder für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Volker Kauder (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn man abends die Nachrichten einschaltet oder tagsüber im Büro einen Blick auf das Fernsehgerät wirft, kann man die Bilder, die aus Japan zu uns herüberkommen, kaum aushalten. Man kann sich buchstäblich vorstellen, wie man selber in einer solchen Situation reagieren würde, welche Sorgen und Ängste man um sich, seine Familie, seine Kinder hätte.

Gleichzeitig erlebt man Menschen, die in einer Ruhe, wie ich sie bei solchen Katastrophen bisher noch nicht erlebt habe, versuchen, ihr Land wieder aufzubauen und die Sache in den Griff zu kriegen. Ich kann nur sagen: Man ist betroffen und beeindruckt zugleich. Die Bilder, die aus Japan kommen, verschlagen einem die Sprache.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vor diesem Hintergrund habe ich es als eine völlig normale Reaktion betrachtet, dass der Parteivorsitzende der SPD, Gabriel, am Sonntag gesagt hat, dass man genau dieses Unfassbare, was in Japan geschehen ist, nicht instrumentalisieren darf. Ich fand das eine bemerkenswerte Aussage, Herr Gabriel. Leider Gottes hat sie nur ein paar Stunden gehalten. Das ist das Traurige daran.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Natürlich ist doch völlig klar, dass man sich die Frage stellt: Wie geht es nach diesem Drama in Japan weiter – in diesem Land, in Deutschland, in Europa und überall in der Welt? Als ob es nicht schon genug gewesen wäre, dass durch Erdbeben und Tsunami ein Teil des Landes einfach weggespült wurde, kommt jetzt auch noch dieses Drama um das Kernkraftwerk in Japan hinzu.

Um es noch einmal klar zu sagen, Herr Gabriel: Ihre Aussage stimmt nicht. Wir haben in unserem Energiekonzept klar formuliert: Ausstieg aus der Kerntechnologie und Einstieg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. Das war vor den Ereignissen in Japan, Herr Gabriel, nicht danach.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der SPD: Montagmorgen!)

Ich glaube, dass die Menschen für die Schlachten der Vergangenheit überhaupt kein Verständnis haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Es kommt auch gerade nicht darauf an, zu sagen, ob man recht gehabt hat oder nicht.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat denn Frau Merkel gesagt?)

Es kommt jetzt auf die entscheidende Frage an: Was lernen wir und was müssen wir aus dem konkreten Vorgang lernen, und wie sieht die Zukunft der Energieversorgung in unserem Land und in Europa aus? Das ist die entscheidende Frage.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Um eine solche Diskussion nach diesem Aufwühlenden, das wir aus Japan sehen, wirklich ernsthaft führen zu können, war es richtig, Frau Bundeskanzlerin, das Signal zu geben: Wir meinen es ernst mit der Überprüfung, wir machen nicht einfach so weiter, sondern wir haben deswegen ein Moratorium beschlossen, sodass wir einen Teil aussetzen und noch einmal genau überprüfen, wie die Lage nach den Ereignissen in Japan jetzt aussieht. – Das ist richtig, und das tragen wir aus den Koalitionsfraktionen auch mit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Natürlich hat es im Vorfeld dieses Energiekonzeptes Diskussionen über die Frage gegeben, wie Laufzeiten ausgestaltet werden sollen – auch in unserer Fraktion. Wir sind zu einem Ergebnis gekommen, von dem wir der Meinung sind, dass es in der konkreten Situation richtig war. Umso beeindruckter und dankbarer war ich dann darüber – das muss ich auch einmal sagen –, dass der Antrag, der heute vorgelegt wird, am letzten Dienstag in unserer Fraktionssitzung einstimmig verabschiedet wurde. Das zeigt: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion steht geschlossen hinter dem, was die Bundeskanzlerin heute Morgen vorgetragen hat.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Reden Sie zum Bundestag oder zu Ihrer Fraktion?)

erlebe ich Diskussionen, in denen Fragen gestellt werden. Das ist völlig in Ordnung. Wir haben uns auf ein Moratorium, eine Denkpause, verständigt. Dieses Moratorium kann man nur dann ernsthaft durchführen, wenn man nicht schon beim Start weiß, was am Ende herauskommen soll.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das wäre keine Überprüfung, sondern die Fortsetzung einer Ideologie,

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wer ist denn der Ideologe?)

die wir jetzt gerade nicht brauchen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Sie sind der Oberideologe, Herr Kauder!)

Natürlich wissen wir, dass es trotz aller Sicherheitsanforderungen – und ich bin der Überzeugung, dass wir jetzt schon die sichersten Kernkraftwerke haben – in dieser Technologie ein Restrisiko geben kann und gibt.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn jetzt?)

Es wird die Frage zu klären sein: Welches Restrisiko tragen wir? Ich will Ihnen von Rot-Grün einmal etwas sagen:

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sagen Sie uns was! Her damit!)

Es ist unglaublich, wie Sie sich aufführen. Sie sagen, Kernenergie sei nicht verantwortbar, haben aber in Ihrem rot-grünen Kompromiss zur Kernenergiepolitik die Kernkraftwerke 20 Jahre lang weiter am Netz gehalten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was gilt nun eigentlich? Sie haben sich damals – Herr Trittin spricht ja gleich –, als Sie ausgestiegen sind, diesen Ausstieg mit Verzicht auf Sicherheit erkauft, meine Damen und Herren von Rot-Grün.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Wir haben immer formuliert: Wir wollen, dass an der Sicherheit keinerlei Abstriche gemacht werden. Deswegen habe ich die Differenzierung zwischen alten und neuen Kernkraftwerken nie akzeptiert.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt schon!)

Ein Kernkraftwerk muss die bestmögliche Sicherheit haben, ganz egal, wie jung oder wie alt es ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es überzeugt nicht, wenn Sie sagen: Die alten nehmen wir vom Netz, ohne zu prüfen, ob sie sicher sind, und die neuen lassen wir einfach weiterlaufen.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Unsere Politik heißt: Sicherheit zuerst! Das ist unser Motto.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Danach verfahren wir jetzt auch in dem Moratorium. Dieses Moratorium ist nichts anderes als die Konkretisierung unserer Aussage „Sicherheit zuerst“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist richtig, was die Bundeskanzlerin gesagt hat: Wir können nicht blauäugig nach dem Motto „Sicherheit zuerst“ nur in Deutschland verfahren. Wir sind umgeben von Kernkraftwerken, zum Beispiel von Kernkraftwerken im Oberrheingraben, auf der anderen Seite des Rheins. Dort müssen die Fragen nach der Sicherheit genauso gestellt werden. Die Frage der Sicherheit der Kernenergie ist keine nationale, sondern inzwischen eine weltweite Herausforderung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sämtliche kleinkarierte Diskussionen nützen da überhaupt nichts.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Kauder, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlecht?

Volker Kauder (CDU/CSU):

Es ist ebenfalls klar, dass wir in dem Moratorium nicht nur die Frage „Sicherheit zuerst“, sondern auch die Frage nach der Sicherstellung der Energieversorgung stellen müssen und werden. Es ist völlig klar, dass wir in einem Land, das die Arbeitslosigkeit durch den Erfolg der Industrie überwunden hat, nicht so tun können, als ob Industrie und Sicherheit von Arbeitsplätzen mit der Energieversorgung nichts zu tun hätten. Das geht auf keinen Fall.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich höre bereits die Rufe aus der einen oder anderen Ecke: Natürlich muss das, wenn wir zum Abschalten oder früheren Vom-Netz-Nehmen von Kernkraftwerken kommen, ausgeglichen werden. Ich kann nur sagen: Wenn wir es in diesem Hause ernst meinen mit den vielen Diskussionen, die wir bezüglich des Klimawandels bereits geführt haben und die wir noch führen werden, dann kann man jetzt nicht auf einmal so tun, als ob das Thema „Sicherstellung der Energieversorgung“ frei von solchen Überlegungen wäre.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das ist es eben nicht. Deswegen geht es nicht nach dem Motto: Dann müssen mehr Kohlekraftwerke gebaut werden.

Heute Morgen las ich, was Ministerpräsident Platzeck gesagt hat. Angesichts der Tatsache, dass 13 000 Arbeitsplätze im Kohleabbau und der -verstromung bestehen, antwortet Herr Platzeck auf die Fragen, ob jetzt nicht bei der Kohle aufgerüstet werden müsse, wie es mit der Umwelt aussehe und ob man nicht CCS machen wolle: Wenn CCS keine beherrschbare Technologie ist, verwenden wir sie nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber ich sage Ihnen: Einen weiteren Ausbau der Kohleverstromung, ohne dass wir die CO2-Problematik beachten, sehe ich noch nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen führt der Weg ganz eindeutig in den schnelleren Ausbau erneuerbarer Energie.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Weitere Zurufe von der SPD und der LINKEN)

– Da brauchen Sie gar nicht so zu rufen. Ich will Ihnen jetzt eine Zahl vorstellen: Als Sie damals den Ausstieg beschlossen haben – man muss immer betonen, dass das ein Ausstieg war, der Kernkraftwerke noch weitere 20 Jahre am Netz hält –, haben Sie relativ wenig für den Ausbau erneuerbarer Energie getan.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben die Photovoltaik – –

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe schon solar geduscht, da wussten Sie noch nicht, wie man das schreibt! Sie sind doch der Clown der Debatte! – Weitere Zurufe)

– Sehr gut, Frau Künast, Sie geben mir das Stichwort.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch der Clown!)

Sie haben den bemerkenswerten Satz gesagt: Die erfolgreiche Automobilindustrie muss schrumpfen, und die Solarenergie muss wachsen.

Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das habe ich nicht gesagt!)

Jetzt sage ich Ihnen, was Sie mit Rot-Grün erreicht haben. Der Anteil des Stroms, der aus erneuerbaren Energien stammt, liegt heute bei 17 Prozent.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Solarenergie macht genau 2 Prozent aus, meine Damen und Herren.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo habe ich denn den Satz gesagt?)

Mit diesem Ausbau werden wir in 20 Jahren nicht bei mehr als den 50 Prozent sein, die wir brauchen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Deswegen muss der Weg rasch zur Windenergie und in die großen Windparks führen.

Frau Künast und Herr Trittin, ich freue mich schon darauf, dass Sie mit uns Seite an Seite von Kommune zu Kommune ziehen und dafür werben, dass wir die dafür notwendigen Trassen ausbauen. Das ist eine Demonstration für den Ausbau der Infrastruktur, die notwendig ist, um dieses Land voranzubringen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bin sehr gespannt, ob Sie bereit sind, aus der Dagegen- Partei zu einer Dafür-Partei zu werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Billig! – Weitere Zurufe)

Das, was die Bundeskanzlerin ausgeführt hat, ist richtig. Es gibt Situationen im privaten und im öffentlichen Leben, bei denen nachher nichts mehr so ist, wie es vorher war. Deshalb machen wir in diesem Moratorium Ernst mit der Aussage: Sicherheit zuerst. Wir laden alle ein, sich an dieser Diskussion zu beteiligen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Schlecht für die Fraktion Die Linke.

Michael Schlecht (DIE LINKE):

Herr Kauder, wenn man Ihre Rede anhört, kann man sicherlich Übereinstimmungen mit Ihnen bei der Bewertung der bedrückenden Situation in Japan finden.

Aber ich muss feststellen: Sie haben aus Ihren Beobachtungen überhaupt nichts gelernt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ihre Philosophie ist nach wie vor, dass man Atomkraftwerke sichermachen könne.

Japan hat Folgendes gezeigt – das war vor 25 Jahren nach Tschernobyl schon völlig klar; das ist spätestens nach der Katastrophe in Japan überdeutlich geworden –: Das einzig Sichere an der Atomkraft sind die Unsicherheit und die gigantische Gefährdung der Bevölkerung. Sie verfolgen weiterhin die Philosophie, man müsse die Atomkraft nur sicherer machen; dann könne man sie auch noch weitere 10, 20 oder 30 Jahre in diesem Lande tolerieren. Es ist unverantwortlich, was Sie hier vorgetragen haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wird auch dadurch überdeutlich, dass sich Ihr Ministerpräsident in Baden-Württemberg, der im Volksmund einmal Rambo-Mappus, ein anderes Mal Atom-Mappus heißt, im letzten Jahr als Vorkämpfer der Laufzeitverlängerung aufgespielt hat. Er wollte Minister Röttgen sogar aus dem Kabinett werfen, weil er nicht zackig genug funktioniert hat. Es ist absolut unglaubwürdig, was in Baden-Württemberg passiert. Ihre Bemerkungen hier belegen sehr deutlich, dass man davon ausgehen muss, dass bestenfalls die Kraftwerke ein bisschen optimiert werden. Aber auch Sicherheitsoptimierungen bieten keine Gewähr dafür, dass nicht apokalyptische Katastrophen auf die Bevölkerung zukommen.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Volker Kauder (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Kollege, man sollte nicht glauben, dass Sie während meiner Rede hier auf Ihrem Platz im Deutschen Bundestag gesessen sind. Ich habe nämlich das glatte Gegenteil von dem gesagt, was Sie gerade unterstellt haben. Ich habe gesagt, dass wir während des Moratoriums alles auf den Prüfstand stellen und nach dem Moratorium auf Grundlage der zusätzlichen Erkenntnisse, die wir gewonnen haben, entscheiden. Ich will heute eigentlich keine Schärfe in die Diskussion bringen.

(Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Warten Sie einmal ab, wenn es wirklich ernst wird. – Aber eines will ich Ihnen sagen: Jemand, der jeden Tag demonstriert, dass er offenkundig aus seiner eigenen Vergangenheit nichts gelernt hat, braucht mir keine Belehrungen zu geben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich, wie viele Grüne, kämpfe seit 30 Jahren gegen die Atomenergie. Wir haben in Brokdorf demonstriert, wir haben in Grohnde im Wendland demonstriert. Wir haben in einem sehr schwierigen Kompromiss ein Ausstiegsgesetz auf den Weg gebracht, das zum ersten Mal in der Geschichte bis dahin unbegrenzte Laufzeiten endlich begrenzt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aufgrund dieses Gesetzes sind die Kraftwerke in Stade, Obrigheim und Mülheim-Kärlich vom Netz gegangen, in diesem Jahr wären die Kraftwerke Neckarwestheim 1, Biblis A und Isar 1 dazugekommen. Sie wären endgültig stillgelegt worden und müssten nicht nur drei Monate pausieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Für dieses Engagement haben wir einen Grund: Eine Technik, bei der nichts schiefgehen darf, ist nicht verantwortbar, sie ist nicht menschengerecht; denn Menschen und ihre Technik machen Fehler. Ich sage Ihnen dennoch: Ich hätte nie geglaubt, dass in einem Land wie Japan parallel in sechs Reaktorblöcken diese Anlagen außer Kontrolle geraten können. Ich hätte nicht geglaubt, dass wir in drei Reaktorblöcken heute von einer Kernschmelze ausgehen müssen. Ich hätte auch, ehrlich gesagt, nicht geglaubt, dass wir in eine Situation geraten, in der drei Brennelementelager nicht mehr zu kühlen sind und sich entzünden. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass nach Hiroshima Japan mit Fukushima eine zweite atomare Katastrophe droht. Deswegen muss unser Mitgefühl den Menschen gelten. Wir sollten jenen Tapferen, die unter Einsatz ihres Lebens – das ist wörtlich zu nehmen: unter Einsatz ihres Lebens – zu retten versuchen, was vielleicht nicht mehr zu retten ist, danken.

(Beifall im ganzen Hause)

Dieser Unfall ist eine tiefe Zäsur; die Menschen empfinden das so. Vor zwei Tagen haben spontan über 100.000 Menschen an Mahnwachen teilgenommen. Aber auch in ganz anderen Kreisen spielt das plötzlich eine Rolle. Ich bekomme monatlich von einem Finanzberater ein Finanztelegramm in Form einer E-Mail. Was passiert im März? Da, wo sonst für langfristige Wertpapiere geworben wird, prangt ein Aufkleber, auf dem steht: „Atomkraft? Nein danke“. Und: Tun Sie was für den Ausstieg – wechseln Sie Ihren Stromanbieter. Das zeigt, es gibt in diesem Lande heute einen breiten Konsens, auszusteigen, und zwar wirklich, und es gibt einen Konsens, schneller auszusteigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Diesen Konsens spüren auch Sie. Herr Mappus hat gesagt, er sei in einem emotionalen Ausnahmezustand. In dieser Situation gehört alles auf den Prüfstand. Dazu gehört auch, dass wir Risiken realistisch betrachten und darstellen. Den Menschen müssen wir sagen: Ja, es ist wahr, dass in Deutschland Erdbeben dieser Größenordnung nicht wahrscheinlich sind. Aber es ist auch wahr, dass das im Rheingraben stehende AKW Biblis über Jahre nicht gegen die dort möglichen Erdstöße ausgelegt war, weil über 1000 armdicke Dübel falsch montiert waren. Wir haben das nicht mehr durchgehen lassen. Wir haben die hessische Atomaufsicht gezwungen, diesen Missstand endlich zu beenden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Von wegen Sicherheitsrabatt!

Wir alle mussten jetzt lernen, dass man Kühlwasser korrekt mit Bor versetzen muss. Das war im Atomkraftwerk Philippsburg 1 nicht die Regel. Ich musste damals per Bundesaufsicht die baden-württembergische Aufsicht zwingen, dieses AKW so lange vom Netz zu nehmen, bis EnBW endlich für ein richtiges Sicherheitsmanagement gesorgt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es gibt Wasserstoffexplosionen, wie in Brunsbüttel 2001. Es gibt auch ein Verhalten wie das von Vattenfall, das geglaubt hat, es könne den Reaktor einfach weiter betreiben, bis es von der Aufsicht gezwungen wurde, ihn vom Netz zu nehmen.

Meine Damen und Herren, verehrte Frau Bundeskanzlerin, die Kraftwerke, von denen ich hier rede, nennen Sie „die sichersten Atomkraftwerke der Welt“.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was glauben Sie eigentlich, was die Schweizer oder die schwedische Regierung über ihre Kraftwerke sagen? Was glauben Sie, hätte der japanische Ministerpräsident noch letzte Woche über seine Kraftwerke gesagt? Sie überschätzen sich und Ihre eigenen Anlagen, wenn Sie so über die realistischen Risiken in deutschen Atomkraftwerken hinwegreden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie haben diesen Altanlagen ohne Sicherheitsüberprüfung, ohne Nachrüstauflage, mit abgesenkten Sicherheitsstandards in Ihrem Herbst der Entscheidungen acht Jahre Laufzeitverlängerung gegeben. Lieber Herr Kauder, natürlich unterscheiden Sie zwischen Alt und Neu. Schauen Sie einmal in das von Ihnen verabschiedete Gesetz: Die Anlagen der einen Kategorie haben eine Laufzeitverlängerung von 14 Jahren bekommen, und die Anlagen der anderen Kategorie haben eine von 8 Jahren bekommen. Auch Herr Kauder unterscheidet zwischen Alt und Neu, aber nur bei der Auswahl der Geschenke für die Atomindustrie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir wollen, dass diese Kraftwerke plus Krümmel jetzt und endgültig und nicht vorübergehend vom Netz gehen. Das ist die Voraussetzung für jedes ernsthafte Nachdenken.

Es ist nicht ernsthaft, Frau Bundeskanzlerin, zu behaupten, man schaffe ein dreimonatiges Moratorium. Ich hätte nicht geglaubt, dass ich jemals in die Situation komme, dem Kollegen Heinrich Sander von der FDP zuzustimmen. Er hat recht: Eine ernsthafte Sicherheitsüberprüfung von Anlagen ist in drei Monaten nicht möglich; dafür braucht man ein bis anderthalb Jahre. Auf welcher Grundlage wollen Sie vorgehen? Wollen Sie vorgehen auf der Grundlage Ihrer mit der letzten Atomgesetznovelle abgesenkten Sicherheitsstandards? Sollen dann nur die angemessenen und geeigneten Maßnahmen gelten, oder soll dabei der Stand von Wissenschaft und Technik gelten?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wenn dieser gelten soll, lieber Herr Röttgen, dann müssen Sie das kerntechnische Regelwerk in Kraft setzen. Das ist übrigens ganz einfach: Sie müssen ein Dokument unterschreiben;

(Sigmar Gabriel [SPD]: So ist es!)

das kommt dann in den Bundesanzeiger. Sie müssen weder die Bundeskanzlerin noch Herrn Brüderle noch Herrn Fuchs fragen. Sie können es einfach machen. Es ist allein Ihre Kompetenz, aber es ist auch Ihre Verantwortung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Deswegen sage ich zum Schluss: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben davon gesprochen: Wir brauchen einen Ausstieg mit Augenmaß. – Ihr Regierungssprecher hat das Wort „Augenmaß“ präzisiert. Herr Seibert sagt: Selbstverständlich gilt das Energiekonzept weiter, und deswegen laufen die Anlagen bis 2040. – Das ist ein Ausstieg mit Augenmaß?

Das ist übrigens noch nicht einmal die ganze Wahrheit. Wenn die Betreiber der Altkraftwerke – und das steht allein in ihrem Belieben – diese Laufzeiten auf die neueren Anlagen übertragen, dann reden wir von Laufzeiten bis 2050. Das ist kein Ausstieg mit Augenmaß; das ist die Bestandsgarantie für eine gescheiterte Technik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ja, wir müssen raus, und zwar schneller. Das ist unbequem. Das ist unbequem für Sie, weil Sie Ihre Blockade der Windenergie in Hessen, Bayern und Baden- Württemberg endlich aufgeben müssen, wo weniger als 1 Prozent des Stroms aus Windenergie erzeugt wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es ist unbequem für die FDP, für Herrn Lindner und auch für manche Sozialdemokraten, die meinen, damit könnte man wieder auf die Kohle setzen. Kohle wird den Ausbau erneuerbarer Energien jedoch ausbremsen. Deswegen geht das nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist unbequem für die Grünen, weil es jetzt nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie von mehr Strom aus Biogas geht. Es ist unbequem für uns alle, weil wir Leitungen bauen und Pumpspeicherkraftwerke errichten müssen.

(Zuruf von der FDP: Aha!)

– Ja. – Wir alle werden uns mit unseren Ortsverbänden darüber auseinandersetzen müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der FDP: Dann aber los!)

– Auch Sie im Thüringer Wald mit Ihren FDP-Ratsfraktionen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Trittin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern sagen: Es wird nicht billiger. Es kostet mehr. Wir müssen andererseits aber auch klar sagen: Was ist das gegen die Kosten, vor denen heute Japan angesichts dieser Katastrophe steht?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Deswegen heißt es: Wir müssen raus aus der Atomenergie, schneller als vorgesehen. Das Restrisiko ist nach Fukushima nicht länger zu verantworten. Das ist der richtige Weg.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Sofort abschalten bis auf null?)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat der Kollege Michael Kauch von der FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Der wollte ja das Restrisiko tragen! Das hat er ja wörtlich gesagt!)

Michael Kauch (FDP):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der Sicherheitsdebatte geht es nicht darum, ob wir Kernkraftwerke im Rahmen der genehmigten Auslegung sicher betreiben können. Wenn das nicht gewährleistet wäre, dann hätten Sie, Herr Trittin, und Sie, Herr Gabriel, die Pflicht gehabt, diese Kraftwerke unverzüglich abzuschalten und keinen Übergang von 20 Jahren zu gestatten.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Lehre aus Japan ist eine andere. Sie besteht in der Frage, ob die Annahmen unserer Sicherheitsphilosophie korrekt sind. Reichen die Sicherheitspuffer aus? Sind die Puffer für die größtanzunehmenden äußeren Einwirkungen – ich nenne nur: Erdbeben – ausreichend? Genau das ist das Problem, das Japan ereilt hat. Die Puffer haben nicht gereicht.

Deshalb genügt es nicht, nach dem bisherigen oder dem neuen kerntechnischen Regelwerk die Kernkraftwerke zu überprüfen. Nein, auch das Regelwerk selbst muss überprüft werden; denn es geht um die Annahmen, die den Sicherheitsregeln zugrunde liegen. Das ist eine neue Dimension der Diskussion um die Sicherheit unserer Kernkraftwerke.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Sicherheitsüberprüfung ist notwendig, weil die gleichen Risiken vor diesem Hintergrund anders zu bewerten sind. Die Kernkraftwerke müssen, wenn sie den neuen Anforderungen an die Sicherheitspuffer nicht entsprechen, nachgerüstet werden. Wenn sie nicht nachgerüstet werden können oder wenn das wirtschaftlich keinen Sinn macht, dann müssen sie abgeschaltet werden, unabhängig von möglichen Laufzeiten.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Die Koalition von Union und FDP hat bereits bei der Debatte über die Laufzeitverlängerung einen neuen Paragrafen in das Atomgesetz eingefügt, durch den die Aufsicht die Handhabe dafür hat, so zu handeln, wie wir es jetzt tun. Aufgrund des alten Atomgesetzes, wie es unter Rot-Grün existierte, war die Aufsicht nur in der Lage, die Anlage dem genehmigten Auslegungszustand entsprechend immer wieder nach Wissenschaft und Technik nachrüsten zu lassen.

(Ulrich Kelber [SPD]: Eine bewusste Lüge!)

Die Aufsicht hatte jedoch nicht die Handhabe,

(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist eine bewusste Lüge, was Sie machen!)

auch die Sicherheitsannahmen grundlegend zu revidieren. Das ist erst mit § 7 d, den Schwarz-Gelb in das Atomgesetz eingefügt hat, möglich geworden.

(Lachen des Abg. Sigmar Gabriel [SPD])

Das heißt, wir haben schon im letzten Jahr die Voraussetzung dafür geschaffen, dass in einer Situation, wie sie jetzt eingetreten ist, entsprechend gehandelt werden kann.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sigmar Gabriel [SPD]: So ein Blödsinn! Man kann nur hoffen, dass Sie das nicht selber glauben!)

Wenn wir über Kernenergie sprechen, dann müssen wir über das Energiekonzept sprechen. Denn klar ist: Wir betreiben die Kernkraftwerke in Deutschland nicht, um einigen Unternehmen einen Gefallen zu tun,

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

sondern wir betreiben sie, weil das Industrieland Deutschland darauf angewiesen ist, dass wir eine Energieversorgung bereitstellen, die jederzeit die Nachfrage deckt. Dabei geht es nicht ausschließlich um die Menge erzeugter Energie. Es geht um die Stabilität unserer Energieversorgung. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Wenn wir Atomkraftwerke vom Netz nehmen, geht es nicht einfach um die Erhöhung der Strommenge aus erneuerbaren Energien; vielmehr geht es darum, dass diese Strommengen in das Netz integriert werden können. Das ist die Herausforderung: Wir müssen die Stabilität unserer Energieversorgung sichern. Das kann man im Deutschen Bundestag nicht einfach mit Schnellschüssen mal eben beschließen. Es sind die Folgen mit zu bedenken.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen müssen wir, wenn wir wissen, wie viele Kraftwerke abgeschaltet werden sollen, das Energiekonzept anpassen. Aber die Grundachse des Energiekonzeptes bleibt auch bei einer vorzeitigen Abschaltung eines Teils der Kernkraftwerke erhalten: Wir wollen das Zeitalter der erneuerbaren Energien erreichen. Wir haben schon im bisherigen Energiekonzept beschlossen, dass im Jahr 2050 kein einziges Kernkraftwerk mehr am Netz sein wird. Wir haben beschlossen, dass 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen sollen. Das wollen wir deshalb erreichen, weil wir die CO2-Emissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent mindern wollen. Das ist der Kern des Energiekonzeptes: der Umbau der Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien. Das werden wir als Koalition jetzt beschleunigen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir dürfen die Debatte um die Kernkraft nicht von der Debatte um den Klimaschutz loslösen. Das, was vor wenigen Wochen auch hier im Deutschen Bundestag diskutiert worden ist, ist heute nicht weniger wichtig geworden. Klimaschutz bedeutet eine Zukunftsvorsorge für kommende Generationen. Er bedeutet auch eine Zukunftsvorsorge in Bezug auf die Sicherung von Menschenleben, die ansonsten in vielen Ländern durch Überschwemmungen, Wetterereignisse und ähnliche Phänomene gefährdet wären. Deshalb geht es bei unserem Energiekonzept um die Versorgungssicherheit, aber eben auch um den Klimaschutz. Diesen können wir nicht einfach über Bord werfen. Aus diesem Grunde können wir nicht einfach die Kohlekraftwerke oder die Gaskraftwerke hochfahren. Nein, wir brauchen mehr erneuerbare Energien, und das geht nur, wenn die Netze ausgebaut werden, wenn die Proteste endlich aufhören und Genehmigungsverfahren mit einer Dauer von bis zu acht Jahren der Vergangenheit angehören. Wir müssen den Netzausbau schneller hinbekommen, sonst wird es nicht mehr erneuerbare Energien in diesem Lande geben.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir werden die Speicherentwicklung vorantreiben. Wir werden im Erneuerbare-Energien-Gesetz Anreize für die Integration in das Netz geben und damit dafür sorgen, dass erneuerbare Energien eingespeist werden, wenn es notwendig ist. Es gibt daneben die unbequeme Wahrheit: Wir werden auch die CO2-Abscheidung und -Einlagerung in die Erde als technologische Option brauchen. Auch hier muss der eine oder andere umdenken, seine regionalen Interessen zurückstellen und die nationale Aufgabe des Klimaschutzes und der Versorgungssicherheit sehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat der Kollege Frank-Walter Steinmeier von der SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht bin ich nicht der Einzige, der sich bei den Bildern dieser Tage an 9/11 erinnert fühlt. An diesem Tag gab es Tausende von Opfern, ein Symbolbauwerk des Westens stürzte in sich zusammen. Wir wussten damals von dieser Stunde an: Die Welt wird nicht dieselbe sein.

Was wir in Japan mit Grauen und Entsetzen den stündlich neuen Nachrichten – so auch jetzt wieder – und Bildern entnehmen, zeigt: Das ist im Vergleich zu 9/11 eine Katastrophe in geradezu quälender Zeitlupe – Tage ohne Gewissheit über die wirklichen Dimensionen dieser schrecklichen Folgen. Doch ahnen wir in diesen Tagen der Ungewissheit: Auch dieses Mal wird die Welt danach nicht dieselbe sein.

Was wir erleben, ist ganz ohne Zweifel eine Katastrophe apokalyptischen Ausmaßes, eine Katastrophe mit unfassbarem Leid und Tod, eine Katastrophe, die Gewissheiten aus der Vergangenheit radikal infrage stellt. Angesichts der sich weiter zuspitzenden Schreckensmeldungen ist es schwer, in den Routinen unseres Alltags immer die richtige Sprache zu finden. Wenn wir an solchen Tagen des tausendfachen Leids gelegentlich um Worte ringen, dann muss das vielleicht gar nicht schlecht sein; denn ganz zuvörderst ist dies die Stunde der Anteilnahme und Solidarität. Ich möchte dem Bundestagspräsidenten ausdrücklich für die Worte danken, die er gestern in unser aller Namen gefunden hat.

(Beifall im ganzen Hause)

Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der Opfer, bei den mittlerweile 100 000 Kindern, die nach ihren Eltern suchen und die jetzt bei den vielen Helferinnen und Helfern sind. In diesen Stunden sind unsere Gedanken ganz besonders bei denen, die in Fukushima unter Einsatz ihres Lebens – ich vermute, in Kenntnis aller Risiken – darum kämpfen, das Allerschlimmste zu verhindern. Möglicherweise gelingt ihnen nicht einmal das.

In dieser Situation des Schreckens muss sich das japanische Volk auf unsere Solidarität und unsere Hilfe verlassen können. Nicht nur die Bundesregierung und die Hilfsorganisationen, sondern auch die Menschen in Deutschland – da bin ich mir ganz sicher – werden ihre Hilfsbereitschaft in den nächsten Tagen unter Beweis stellen.

Die Menschen in Deutschland werden Solidarität üben. Aber sie sind zugleich besorgt. Sie zeigen zwar keine Anzeichen von Panik und Hysterie, aber sie sind verunsichert und irritiert. Japan ist weit entfernt, aber uns in vielem doch so ähnlich. Manche sagen: in dem Hang zur Perfektion; andere sagen: auch in der Arbeitsmoral; Dritte sagen: ganz sicherlich, was die wirtschaftliche Stärke angeht.

Wir sind wie Japan ein rohstoffarmes und ein Hochtechnologieland. Weil das so ist, fragen sich jetzt ganz viele, ob das, was in Japan passiert, auch bei uns passieren kann. Sie fragen eben nicht die Wirtschaft und speziell die Energiewirtschaft, sondern sie fragen uns, die Politik, ob wir verantworten können, was wir tun.

So sehr ich verstehe, Frau Merkel, dass Ihnen die Diskussion zur Unzeit kommt: Wir werden diese Fragen nicht einfach wegdrücken können. Das haben auch Sie in den letzten Tagen lernen müssen. Das Leid in Japan zu instrumentalisieren, um hier in Deutschland eine Debatte über die Folgen einer falschen Politik nicht führen zu müssen, das wird nicht gehen, und das wird Ihnen auch die Bevölkerung nicht durchgehen lassen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Steinmeier, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlecht?

Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Ja.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Bitte, Herr Schlecht.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch eine „schlechte“ Zwischenfrage? – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das gibt dem doch Redezeit!)

Michael Schlecht (DIE LINKE):

Herr Steinmeier, Sie haben eben die momentanen Sorgen der Bevölkerung beschrieben. Diese Sorgen müsste die Bevölkerung und müssten wir alle gemeinsam nicht haben, wenn der Atomausstieg in den sieben Jahren Amtszeit von Rot-Grün wirklich vollzogen worden wäre, und zwar unumkehrbar.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Die Frage!)

Weshalb haben Sie eigentlich damals in den sieben Jahren Ihrer Amtszeit nicht Ihr Versprechen aus dem Wahlkampf 1998, das auch in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben wurde – dass Sie so schnell wie möglich den Atomausstieg vollziehen wollen; „so schnell wie möglich“ kann ja wohl nicht sieben Jahre heißen –, gehalten und die AKW-Politik in Deutschland beendet? Dann hätten Sie dem deutschen Volk all die Probleme, die wir jetzt mit der Laufzeitverlängerung usw. haben, ersparen können. Was waren die Gründe, weshalb Sie das so gemacht haben?

(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein peinlicher Beitrag!)

Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):

Herr Kollege, das nenne ich wirklich Mut! Sie kommen aus der Tradition einer Partei, die in für mich unverständlicher Weise immer wieder gesagt hat: Atomkraftwerke in Volkshand sind vertretbar und verantwortbar. – Wer das sagt, der hat uns keine Belehrungen zu erteilen!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Herr Kauder, Sie haben in Ihrer gerade gehaltenen Rede dafür plädiert, keine Debatte über die Vergangenheit zu führen. Die Debatte, die nicht nur im Deutschen Bundestag, sondern auch in der deutschen Öffentlichkeit geführt wird, ist eben keine Debatte über die Vergangenheit, sondern eine Debatte über die verhängnisvoll falsche Politik Ihrer Gegenwart, Herr Kauder. Darum geht es!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben gar nichts verstanden!)

Ich unterstelle Ihnen, dass Sie nicht all das, was Sie hier gesagt haben, wirklich ernst meinen. Denn Sie haben in den letzten Tagen gemerkt, dass Sie mit Ihren energiepolitischen Pirouetten, die Sie auf ganz dünnem Eis vollführen, nicht wirklich glaubwürdig sind.

Niemandem ist es verwehrt, aus Katastrophen zu lernen, ganz im Gegenteil: Wer aus solchen Katastrophen nichts lernt, der hat in der Politik nichts zu suchen. Aber dieses Lernen muss ernsthaft und glaubwürdig sein. Wer heute das Gegenteil von dem verkündet, was er über Jahre hinweg vertreten hat, der muss verstehen und akzeptieren, dass es Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit gibt,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und der kann auch nicht beklagen, Frau Merkel, dass an der einen oder anderen Stelle bohrend nachgefragt wird.

Frau Merkel, Ihr Glaubwürdigkeitsproblem, das heute Morgen noch einmal zutage getreten ist, können nur Sie selbst aus der Welt schaffen. Sie haben die Atomkraft in Ihrer gesamten politischen Laufbahn gegen alle Kritik verteidigt. Sie haben Tschernobyl als Betriebsunfall eines verlotterten Sozialismus abgetan. Sie haben geleugnet und nicht akzeptiert, dass erstmals mit Tschernobyl die Beherrschbarkeit einer Hochrisikotechnologie infrage gestellt war. Sie haben den Atomkonsens leichtfertig und ohne Not aufgekündigt und die Verlängerung der Laufzeiten durchgesetzt. Und da können Sie alle miteinander noch so viel darum herumreden: Das werden die Menschen nicht vergessen. Machen Sie sich darauf keine Hoffnungen!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Mein Eindruck war schon im letzten Jahr, dass es Ihnen allen an dem nötigen Verständnis nicht nur für die gesellschaftspolitische, sondern auch für die ökologische und am Ende sogar wirtschaftspolitische Dimension dieser Frage und des Atomkonsenses immer schon gefehlt hat.

Ich habe schon damals, lange vor Japan, Herr Kauder, befürchtet und sogar gesagt, dass selbst die Energiewirtschaft den Tag verfluchen wird, an dem sie diese Regierung zur Laufzeitverlängerung getrieben hat. Ich habe nicht geahnt und nicht gewusst, dass dieser Tag so schnell kommen wird. Ich habe ihn mir nicht einmal herbeigewünscht. Aber heute weiß die Energiewirtschaft: Sie wird schlechter dastehen als nach den Vereinbarungen, die sie mit dieser Bundesregierung getroffen hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Denn was ist jetzt nach der Katastrophe in Japan eingetreten? Statt Laufzeitverlängerung haben wir eine Unsicherheit, wie wir sie in der Geschichte der deutschen Energiepolitik lange nicht gehabt haben. Zehntausende von Menschen sind wieder auf der Straße. Sie können es ja drehen und wenden, wie sie wollen: Kernkraftbefürwortern wie Herrn Mappus steht doch die blanke Panik im Gesicht.

Wir haben mit dem Atomkonsens – das sei an alle diejenigen gesagt, die hier kritisch dazu berichtet haben; das ist vergessen worden – einen jahrzehntelangen Großkonflikt in dieser Gesellschaft befriedet und gleichzeitig einen verlässlichen Rahmen geschaffen, auch für die Wirtschaft – verlässliches Auslaufen der Kernenergie und gleichzeitig eine Brücke, mit der neue Formen der Energieerzeugung etabliert werden können. Ganz nebenbei, weil das hier noch niemand erwähnt hat: Nur dem Atomkonsens ist es zu verdanken, dass ein Reaktor in einem deutschen Erdbebengefahrengebiet, nämlich der von Mülheim-Kärlich, nicht ans Netz gegangen ist. Auch der war nach Ihrer Auffassung und nach Auffassung der Energiewirtschaft ein sicherer Reaktor.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Sie haben einen Konsens aufgekündigt – gegen die Mehrheit der Bevölkerung. Wenn sie jetzt sagen: „Wir nehmen die Sorgen der Bevölkerung ernst“, dann ist das eben – mit Verlaub – nicht glaubwürdig. Diese Sorgen gibt es nicht erst seit Fukushima; die gibt es seit Sellafield, seit Harrisburg, seit Tschernobyl, seit Forsmark. Ich könnte die Liste der Namen fortsetzen. Es ist ja gut, dass Sie jetzt die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen wollen. Aber dann gehört eben auch – verdammt noch mal! – ein Wort der Einsicht dazu, warum Sie in der Vergangenheit so leichtfertig über diese Sorgen hinweggegangen sind.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Frau Merkel, nicht wir, diejenigen, die wir damals den Atomkonsens auf die Beine gestellt haben und den Ausstieg aus der Kernenergie vorbereitet haben, haben uns hier in diesem Hohen Haus und in der Öffentlichkeit zu entschuldigen. Zu entschuldigen haben sich diejenigen, die das Problem jahrelang, jahrzehntelang ignoriert, sich über alle Bedenken hinweggesetzt und Laufzeiten verlängert haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Die haben öffentlich Einsicht zu bekennen.

Wenn Sie sich jetzt hinstellen und in verzweifelter Art und Weise völlig unglaubwürdig Kritik an Rot und Grün und den Versuchen, frühzeitig aus der Kernenergie rauszukommen, äußern, ist das nur allzu durchschaubar. Ich finde es dreist und unanständig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der FDP)

Frau Merkel, da gibt es nichts zu lachen, sondern ich meine das ganz ernst.

(Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])

Wer sich so verhält wie Sie in dem mittleren Teil Ihrer Regierungserklärung heute Morgen, darf nicht seinerseits Respekt vom Parlament und der Opposition verlangen. Darum geht es.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sie haben keinen Respekt! – Weiterer Zuruf von der FDP: Das ist unanständig, was Sie hier tun!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Herr Kollege Steinmeier, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):

Herr Goldmann, Respekt darf auch derjenige verlangen, der dieses Parlament ernst nimmt. Da bin ich mit Ihnen einig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das Parlament nimmt man ernst, indem man das Parlament mit den Fragen der Zukunft der Energiepolitik in diesem Land beschäftigt und nicht nach dem Muster handelt: Was kümmert mich das Gesetz von gestern? Es ist doch peinlich, dass Verfassungsrechtler wie Herr Morlok und – das beunruhigt Sie noch mehr –

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kauder!)

der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Herr Papier, Sie an den schlichten und einfachen Grundsatz erinnern: Wer per Gesetz Laufzeiten verlängert, muss sie auch per Gesetz zurücknehmen. Das ist ein ganz schlichter Grundsatz.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Frau Homburger, wenn ich es richtig gelesen habe: Sie haben das „Erbsenzählerei“ genannt. Ich nenne das Rechtsstaat.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man in diesem Hause an einen wichtigen Grundsatz des Rechtsstaats erinnern muss, dann beunruhigt mich das wirklich – ich hoffe, auch Sie.

Herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Birgit Homburger [FDP]: Das sagt der Richtige!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat der Kollege Dr. Christian Ruck von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Sonntagabend waren Sie noch anderer Meinung! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Plötzliche Erkenntnisse, ja?)

Dr. Christian Ruck (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kernforderung unseres Entschließungsantrags zur Katastrophe in Japan und den Konsequenzen für Deutschland ist „ein Innehalten und Nachdenken über das Geschehene.“ Es geht nicht um Hysterie und Hektik, sondern darum, die Gelegenheit zu einer besonnenen Überprüfung der eigenen Standpunkte zu schaffen. Die logische Konsequenz aus dem „Innehalten und Nachdenken“ ist auch das Moratorium bei der Laufzeitverlängerung und die einstweilige Abschaltung der genannten Kraftwerke.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch in der Rheinischen Post gesagt, Sie sind dagegen!)

Der Bundestagspräsident Norbert Lammert hat uns gestern daran erinnert, dass wir die Debatte in diesem Hause mit der „angemessenen Sachlichkeit“ führen sollen. Ich bedaure sehr, dass heute und in den letzten Tagen gerade bei der Opposition von Sachlichkeit und Besonnenheit kaum die Rede sein kann; es ist plumpe Polemik. Das Geheule und Gejohle von Teilen der Opposition ist beschämend

(Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts davon ist wahr! Hören Sie doch auf damit!)

und dem Ernst der Lage nicht angemessen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Herr Steinmeier, wenn Sie uns unterstellen, dass wir erst jetzt die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen und mit diesen Sorgen leichtfertig umgehen; wenn Sie der Kanzlerin unterstellen, dass sie die Sorgen nicht ernst nimmt, dann ist das eine Beleidigung und Verleumdung, die ich gerade von Ihnen in dieser Schärfe niemals erwartet hätte.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zurück zum Ernst der Debatte. Im letzten Herbst hat die Bundesregierung ein umfassendes, bis 2050 reichendes Energiekonzept vorgestellt, das wir, die Fraktionen der Union und unseres Koalitionspartners, der FDP, mitgestaltet und verabschiedet haben; ich selbst durfte daran mitarbeiten und bin von der Richtigkeit dieses Konzepts vollkommen überzeugt.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Immer noch?)

– Jawohl, immer noch. Denn das Konzept bringt in Einklang, was unabhängig von den Ereignissen in Japan für die Zukunft unseres Landes entscheidend ist: Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit der Energie. Der Strom aus der Steckdose muss zunächst einmal in die Steckdose.

(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Was ist daran denn falsch?)

Das Konzept enthält Klimaschutzziele und sieht einen Ausbau der erneuerbaren Energien in einem bisher nicht bekannten Maße vor. Das stellt alles in den Schatten, was von Rot-Grün jemals auf den Tisch gelegt wurde. Das, was Sie, Herr Steinmeier und Herr Trittin, als Atomkonsens propagiert haben, war nichts anderes als eine Mogelpackung. Ihr Energiekonzept war ein Sammelsurium von Ungereimtheiten, Unbezahlbarkeiten und Unwägbarkeiten.

Es ist richtig – dazu stehe ich –, dass dieser Atomkonsens auch die Verlängerung der Laufzeiten unserer Kernkraftwerke beinhaltet. Dadurch wollten wir uns die für den Ausbau der Netze erforderliche Zeit und das dafür notwendige Geld verschaffen; denn die Speicherkapazität muss erhöht und neue Technologien müssen entwickelt werden. Ich habe aber immer auch gesagt – Herr Trittin, wir haben uns in den letzten 20 Jahren des Öfteren darüber austauschen können –: Grundvoraussetzungen sind der sichere Betrieb der Kernkraftwerke in Deutschland und die Klärung der Endlagerfrage. Das unterscheidet uns, Herr Trittin. Sie haben gerade selber gesagt, dass Sie seit 30 Jahren gegen die Kernkraft kämpfen. Ganz egal, welche rationalen Argumente dafür oder dagegen sprechen: Für Sie ist das Thema abgehakt. Das zeigt, dass die Bevölkerung von Ihnen keine ideologiefreie und ergebnisoffene Diskussion erwarten darf.

Ich sage ganz deutlich, dass es in diesen Tagen vor allem um die Sicherheit geht. Fakt ist, dass wir zurzeit nicht davon ausgehen müssen, dass von den japanischen Kernkraftwerken eine Gefahr für uns ausgeht. Fakt ist, dass wir nicht in einem Erdbebengebiet wohnen. Fakt ist auch, dass wir in unseren Kraftwerken eine andere Sicherheitslage haben. Aber wir müssen uns trotzdem Zeit nehmen, um die Situation in Deutschland vor dem Hintergrund des Versagens der Technik in Japan – dabei geht es vielleicht auch um menschliches Versagen – zu überprüfen: Sind die Annahmen zur Erdbebensicherheit in Deutschland richtig? Hat der Klimawandel vielleicht Auswirkungen auf die Sicherheit unserer Kernkraftwerke? Können terroristische Angriffe auf Kernkraftwerke wirklich ausgeschlossen werden, bzw. sind die Kernkraftwerke hinreichend abgesichert? Das und anderes mehr müssen wir vor dem Hintergrund der Katastrophe in Japan prüfen, und zwar ergebnisoffen und ohne Tabus, aber auch ohne Hysterie und ohne Panikmache.

Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie entlarven sich in diesen Tagen immer wieder selbst. Sie fordern von uns, dass wir die Ergebnisse des Moratoriums schon jetzt benennen, obwohl diese doch erst nach Abschluss des Moratoriums zutage treten. Das heißt doch nichts anderes, als dass Ihnen das Ergebnis der Untersuchungen, die in den nächsten drei Monaten stattfinden, völlig wurscht ist.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch verlängert! – Ulrich Kelber [SPD]: Die Kanzlerin hört gar nicht zu!)

Das zeigt, dass Sie sich hinter kleinkarierten Diskussionen und juristischen Spiegelgefechten verschanzen,

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

statt mit uns zu sagen: Die Sicherheitsüberprüfung der Kernkraftwerke in den nächsten drei Monaten ist unser gemeinsames oberstes Ziel.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hochinteressant!)

Auch wenn es wehtut, Herr Trittin, möchte ich Sie noch einmal an den Vertrag von 2000 erinnern. Wer in dem Vertrag mit den Kraftwerksbetreibern ohne Not auf jegliche Sicherheitsverbesserungen in den Kernkraftwerken in der Zukunft verzichtet hat, der hat meiner Ansicht nach jedes Recht verwirkt, hier den Moralapostel zu spielen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wer hat den Vertrag unterschrieben?)

Noch etwas anderes verstehe ich nicht: Sie haben sieben Jahre Zeit gehabt, die Kernkraftwerke abzuschalten. Zuerst haben Sie die Chance dazu gehabt, danach Herr Gabriel. Das ist aber nicht passiert.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Kanzlerin ihn daran gehindert hat! Das hat er doch gerade gesagt!)

– Als Herr Trittin in der Regierung war, gab es keine Kanzlerin.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie haben doch gerade über Gabriel geredet!)

Dafür, dass Sie die Kernkraftwerke nicht abgeschaltet haben, gibt es einen einfachen Grund: Auch Sie wissen, dass die deutschen Kernkraftwerke nicht nur aus unserer Sicht, sondern auch aus Sicht der Internationalen Atomenergiebehörde zu den sichersten der Welt gehören. Minister Röttgen packt jetzt an, was seine Vorgänger, Herr Gabriel, und Sie, Herr Trittin, nicht anzufassen gewagt haben, auch die Endlagerfrage.

Wir werden konsequent umsetzen, was jetzt zu tun ist: erstens aufgrund der Erfahrungen in Japan unsere Kraftwerke auch in Bezug auf ganz anders geartete Schadensfälle, die bei uns vielleicht noch nicht so berücksichtigt worden sind, durchchecken, zweitens bei eventuellen Sicherheitslücken die erforderlichen Konsequenzen einleiten, drittens überprüfen, ob wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien oder bei der Erhöhung der Energieeffizienz nicht schneller vorangehen können, und die europäische und internationale Dimension verstärkt betrachten. Ich glaube, Kommissar Oettinger hat vollkommen recht, wenn er sagt, dass die europäischen Kernkraftwerke einen generellen Sicherheitscheck brauchen. Es ist aber reine Heuchelei, zu sagen: Wir schalten unsere Kraftwerke ab; aber die rund 150 europäischen Kraftwerke von Temelin bis Cattenom können unbegrenzt und ohne Check weiterlaufen. Das ist völlig unsinnig und auch inkonsistent.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir sind bereit, Konsequenzen zu ziehen, wenn die Überprüfungsergebnisse dies erfordern. Wir tun dies angesichts der Tragweite für unser Land mit der nötigen Besonnenheit und der nötigen Verantwortung. Ich füge hinzu, dass allein die Abschaltung der infrage kommenden Kraftwerke für die nächsten drei Monate einen zusätzlichen Ausstoß von 20 Millionen bis 30 Millionen Tonnen CO2 beinhaltet. Auch das gehört zu den Punkten, die wir abwägen müssen.

Was die Besonnenheit anbetrifft, so rate ich uns, unsere japanischen Freunde als Vorbild zu nehmen. Ich habe tiefen Respekt vor der Tapferkeit der Japaner in dieser schlimmen Situation. Ich habe auch tiefes Mitgefühl für unsere japanischen Freunde in diesem Jubiläumsjahr, dem 150-jährigen Bestehen der deutsch-japanischen diplomatischen Beziehungen. Wir sollten ihnen jede Hilfe geben, die wir zu geben in der Lage sind, und damit zeigen, dass wir auch in dieser schweren Stunde an der Seite Japans stehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl von Bündnis 90/Die Grünen.

Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Japan sind wieder Uhren stehen geblieben, fünf Minuten vor drei. Im Hiroshima Peace Memorial Museum kann man ebenfalls stehen gebliebene Uhren sehen: 8.15 Uhr am 6. August 1945. Dasselbe hochmoderne Land ist von der militärischen wie auch von der zivilen Nutzung der Atomkraft gleichermaßen grauenvoll getroffen worden. Es ist an der Zeit, die Uhren des Glaubens an die Atomkraft zum Stehen zu bringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Frau Merkel und Sie, Herr Röttgen, bemühen sich, zu überzeugen, dass Sie die Zäsur für die Industriegesellschaften begriffen hätten. Es ist nicht entscheidend, ob die Opposition Ihnen glaubt. Das fällt schwer angesichts Ihrer Haltung: Wir sehen jetzt alles anders; aber wir hatten immer recht. Für Sie ist entscheidend, ob die Menschen außerhalb dieses Hauses Ihnen glauben, und ich frage Sie: Warum sollten sie?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie machen jetzt, was Sie vor dem Gesetz zur Laufzeitenverlängerung hätten tun müssen, und versuchen, dies als Lehre aus dem Ereignis von Fukushima zu verkaufen. Brauchen Sie erst einen GAU, um Laufzeitverlängerungen und Sicherheitsüberprüfungen zusammenzubringen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Als baden-württembergische Abgeordnete möchte ich einen Blick in mein eigenes Bundesland werfen. In diesen Zeiten ist es für eine CDU-Bundeskanzlerin ganz besonders wichtig, dass die Menschen den Parteikollegen Frau Gönner und Herrn Mappus glauben, dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten, der eine Laufzeit von 60 Jahren und Ihren Rücktritt, Herr Röttgen, forderte, weil Sie ihm zu defensiv waren, der den überteuerten Kauf von 45 Prozent der EnBW auf Staatskosten damit begründete, er wolle nicht in Paris oder Moskau nach Energie fragen müssen. Alternativen zu entwickeln, ist Herrn Mappus beim Regierungshandeln fremd. Er hat alles getan, das Wachstum der Erneuerbaren in Baden-Württemberg zu verhindern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sein stolzes Verhinderungsergebnis für Baden-Württemberg lautet: 0,7 Prozent Strom aus Windenergie, 52 Prozent Atomstrom. Das ist ein Armutszeugnis.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wer soll einer Landesatomaufsicht ihre neue Besorgnis um die Sicherheit der Atomkraftwerke abnehmen, nachdem sie im letzten Jahr den Abfluss von 270 000 Litern Reaktorwasser aus dem Philippsburger Brennelementebecken kurzerhand vertuschte, weil der Störfall in Zeiten der Verlängerungsdebatte störte, und die Mängelliste von Neckarwestheim drei Jahre lang in der Schublade ließ und keinerlei Nachrüstung vor dem Geschenk der Laufzeitverlängerung einforderte?

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unerhört!)

Nein, wem die Interessen der Konzerne immer näher waren als die Wahrnehmung der Kontrolle und Sicherheit, dem nimmt niemand die Krokodilstränen ab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es ist eine Feier wert, dass Neckarwestheim 1 endlich abgeschaltet wird;

(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Beschämend!)

aber es lässt keinen Glauben an Einsicht zu, wenn Mappus das in den Kontext eines emotionalen Ausnahmezustandes seiner Bürger stellt.

Wenn Sie es wirklich ernst meinen mit dem Umdenken, damit, dass Sie aus dem GAU von Japan lernen wollen, dann stimmen Sie unseren Anträgen zu. Beugen Sie nicht das Atomrecht, und ziehen Sie nicht § 19 des Atomgesetzes zu etwas heran, wozu er nicht gedacht ist. Machen Sie kein windiges Moratorium ohne juristische Grundlage. Nehmen Sie die 11. und 12. Novelle zum Atomgesetz seriös zurück.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dorothee Menzner [DIE LINKE])

Überprüfen Sie die Sicherheit der Atomkraftwerke nach dem neuen kerntechnischen Regelwerk, und schalten Sie die ältesten sieben Reaktoren und Krümmel dauerhaft ab. Erst auf dieser Grundlage können wir über das diskutieren, was tatsächlich die Lehre aus Fukushima sein muss: eine Neubewertung des Risikos Kernschmelze, die kein Restrisiko mehr ist und für die Schadensvorsorge betrieben werden muss.

Als Konsequenz brauchen wir ein neues Energiekonzept mit einem deutlich schnelleren Atomausstieg, der übrigens durch die juristische Formulierung der Linken, die Atomkraftwerke müssten unverzüglich, „ohne schuldhaftes Verzögern“ abgeschaltet werden, nicht beschleunigt wird. Die Welt hat sich gegenüber dem Jahr 2000 verändert. Das Risiko ist näher, die Frage nach den Alternativen mit dem Wachstum der erneuerbaren Energien aber auch beantwortbarer.

Wenn wir für Japan etwas tun können, dann das: als hochindustrialisiertes Land beispielhaft vorangehen und ein effizientes Energiekonzept auf der Basis erneuerbarer Energien mit Anreizen, Förder- und Ordnungspolitik umsetzen. Zeigen, dass es geht – das könnte unsere gemeinsame Würdigung der Opfer dieser Katastrophe sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Georg Nüßlein von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Frau Kotting-Uhl, auf Ihren Beitrag zum badenwürttembergischen Wahlkampf will ich hier gar nicht eingehen. Ich muss aber anmerken, dass ich von Ihnen als einer mir bekannten aufrechten Gegnerin der Kernenergie ein bisschen mehr erwartet hätte, als dass Sie an dieser Stelle nur Wahlkampfpolitik machen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte auf den Gesetzentwurf der Grünen, den Sie am Ende Ihrer Rede immerhin noch gestreift haben, eingehen. Darin heißt es, die Bundesregierung habe angesichts der aktuellen Geschehnisse in Japan nunmehr festgestellt, dass sie im Gesetzgebungsverfahren zur Laufzeitverlängerung Sicherheitsfragen nicht hinreichend beachtet hat. Wenn Sie, die Grünen, das so formulieren, dann muss ich sagen: Wäre die Situation in Japan nicht so traurig und wäre der Umdenk- und Bewertungsprozess bei uns nicht so ernst, müsste man das als Heuchelei bezeichnen.

Ich stelle fest, dass es ganz bestimmt kein Positionspapier der CDU oder der CSU zum Thema Kernenergie gibt, in dem nicht klar festgehalten ist, dass Sicherheit oberste Priorität hat und Sicherheit vor jeder ökonomischen Erwägung steht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was immer wir in den nächsten drei Monaten politisch entscheiden werden, es wird in der Kontinuität dieser Politik und unter der schon immer geltenden Überschrift „Sicherheit ist das erste Gebot“ stehen.

Man wird genügend Schriften finden, in denen es heißt, die deutschen Kernkraftwerke seien sicher. Jetzt komme ich zu dem Grund, aus dem ich mich über den scheinheiligen Gesetzentwurf der Grünen ärgere. Der bisher gültige Maßstab für die Sicherheit war nicht allein der Maßstab dieser Bundesregierung. Er war ein gemeinsamer Sicherheitsmaßstab. In der Ausstiegsvereinbarung von 2000 hat die damalige rot-grüne Bundesregierung ausdrücklich bestätigt, dass die deutschen Kernkraftwerke auf einem international hohen Sicherheitsniveau betrieben werden. Ich will gar nicht die Vorhaltung wiederholen, dass Sie sich in einem Deal mit den Versorgern verpflichtet haben, keine Initiative zu ergreifen, um den Sicherheitsstandard und die ihm zugrunde liegende Sicherheitsphilosophie zu ändern. Aber fest steht: Nach dem bisherigen Maßstab muss man unsere Kernkraftwerke als sicher betrachten. Das haben die früheren Minister Trittin und Gabriel offenkundig genauso gesehen, wie es jetzt Minister Röttgen beurteilt; sonst hätten wir nämlich keine Kernkraftwerke mehr.

Was mich heute wirklich irritiert hat, war die Aussage von Herrn Gabriel, er habe schon immer gewusst, dass von den älteren Kernkraftwerken Gefahren für Leib und Leben der Bevölkerung ausgehen, und er habe nur nicht gehandelt, weil die Bundeskanzlerin ihn dazu angewiesen habe. Was ist denn das für eine Verantwortung? Was ist das für ein Minister? Hat er seinen Amtseid vergessen?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Diese Frage muss er sich gefallen lassen. Wenn ein Minister der Überzeugung ist, dass von etwas, das er in seinem Fachressort zu verantworten hat, Gefahren für Leib und Leben der Bevölkerung ausgehen, dann kann er sich doch nicht einfach beiläufig der Richtlinienkompetenz der Kanzlerin beugen, sondern dann muss er seinen Rücktritt einreichen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Sie glauben doch wohl nicht, dass wir Herrn Gabriel diese plumpe Ausrede an dieser Stelle tatsächlich durchgehen lassen.

Ich sage Ihnen ganz offen, dass wir uns die Frage stellen müssen: Was hat sich seit dem schrecklichen Erdbeben in Japan bei uns geändert? Die Antwort, die man auf diese Frage geben muss, lautet: nichts und alles. Die Menschen erleben, dass das Unwahrscheinlichste Realität geworden ist. Die Menschen in Japan und wir alle sehen, dass das Restrisiko eingetreten ist und die Hightechnation Japan die Technik nicht so beherrscht, wie wir uns das vorstellen. Da ist es natürlich unumgänglich, über bestimmte Themen nachzudenken: über Sicherheitsreserven, über das „Was wäre wenn?“, über Naturkatastrophen in einem bislang unbekannten Ausmaß, über deren Kombination, über Anschläge, Flugzeugabstürze und Ähnliches. Mit all diesen Themen müssen wir uns ohne Panik und Hysterie befassen. An dieser Stelle muss ich das, was manche Kollegen schon gesagt haben, unterstreichen: Für ihre Duldsamkeit können wir die Japaner, denen unser Mitgefühl gilt, nur bewundern und ihnen unseren Respekt aussprechen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Das Moratorium über drei Monate und das Abschalten der vor 1980 in Betrieb gegangenen Reaktoren können Sie, sehr geehrte Damen und Herren von der Opposition, gerne als Wahlkampfmanöver verunglimpfen. Sie können gerne behaupten, das sei bloß ein Mittel, um Zeit zu gewinnen. Sie können gerne einen Juristenstreit über die rechtlichen Grundlagen entfachen. Nur dürfen Sie sich am Ende der drei Monate über eines nicht wundern: Es wird mit uns kein Weiter-so geben, wie Sie es uns aus wahltaktischen Gründen an dieser Stelle gerne anhängen wollen.

Wenn ich das so formuliere, dann bitte ich, aufzumerken: Sie wissen sehr genau, dass ich mich zwar einerseits für die erneuerbaren Energien einsetze, dass ich aber andererseits kein Kernenergiegegner bin. In meinem Wahlkreis steht das Kernkraftwerk Gundremmingen, das über 1 000 Familien die Existenz sichert und bei uns in der Bürgerschaft wohl akzeptiert und weit gelitten ist. Trotzdem rechne ich persönlich mit sehr grundsätzlichen Entscheidungen. Es wäre allerdings unseriös, bereits heute die Konsequenzen der anstehenden Sicherheitsüberprüfung beschreiben zu wollen. – Ein paar Fakten im Umfeld möchte ich dennoch beschreiben.

Nachdem die Kanzlerin das Moratorium angekündigt hat, ist der EEX-Großhandelspreis für Strom, welcher auf Basis der German Power Futures ermittelt wird, innerhalb der beiden letzten Handelstage um 9,5 Prozent gestiegen; ein weiterer Anstieg ist absehbar. Der EEXPreis für CO2-Emissionsrechte stieg von Montag auf Dienstag um 8,5 Prozent, Tendenz steigend. Bei zusätzlicher Kohleverstromung wird dieser Anstieg weiteres Gewicht bekommen. Damit steht doch eines fest: Die ökonomischen Folgen einer Reduktion von Kernenergiestrom, wie wir sie immer vorhergesehen haben, werden eintreten.

Ich will nichts zum Anteil des Energiepreises an der allgemeinen Preisentwicklung sagen. Ich will auch nichts zum Vorschlag der Linken sagen, Herr Gysi, wieder die Planwirtschaft in Deutschland einzuführen. Das hatten wir schon, und das ist schon einmal kläglich gescheitert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir müssen diesen Versuch, der immerhin über 40 Jahre in diesem Land unternommen wurde, nicht wiederholen.

Ich möchte anmerken, dass nach derzeitigem Stand die anderen europäischen Staaten nicht aus der Kernenergienutzung aussteigen werden. Das heißt für Deutschland zweierlei: Erstens. Wir werden Wettbewerbsnachteile erdulden müssen. Zweitens. Einen Sicherheitsgewinn, wie wir ihn uns wünschen, wird es jedenfalls auf Basis dieser Konstellation nicht geben. Deshalb bin ich froh, dass sich die Kanzlerin international für eine entsprechende Politik einsetzt. Hinzu kommt, dass das Moratorium unsere Versorgungssicherheit tangiert, dass wir nach dem Abschalten von sieben Kraftwerken auf Kante nähen, was insbesondere in Süddeutschland – ich sage das all jenen, die behaupten, das sei kein Problem, wir würden genug exportieren – zu spüren sein wird.

Noch viel entscheidender ist: Eine Säule des Energiekonzeptes dieser Bundesregierung ist bereits heute in Teilen weggebrochen, nämlich ein Teil der Finanzierung der erneuerbaren Energien aus dem Energie- und Klimafonds. Ich sage Ihnen: Wir brauchen nichts so dringend wie Energieforschung; denn das, was wir bei Anerkennung allen Engagements im Bereich der erneuerbaren Energien momentan machen, ist nicht der Weisheit letzter Schluss, wenn man von so etwas in der Energiepolitik überhaupt noch reden darf.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat der Kollege Jürgen Klimke von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Jürgen Klimke (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung darauf hingewiesen: Vor zweieinhalb Monaten haben wir hier gemeinsam mit dem Vizeaußenminister Japans die Feierlichkeiten anlässlich des 150-jährigen Bestehens der deutsch-japanischen diplomatischen Beziehungen begangen. Wir haben hier im Bundestag auch eine Debatte dazu geführt. Das zeigt, dass wir, Japan und Deutschland, in den letzten 150 Jahren trotz einer wechselvollen Geschichte gemeinsam und mit großer gegenseitiger Unterstützung erfolgreich große Krisen bewältigt haben. Das liegt auch daran, dass Japan und Deutschland in dieser Weltgemeinschaft eine seltene, tiefe und einmalige Freundschaft verbindet und beide Länder trotz der geografischen Ferne und der kulturellen Unterschiede viel Verständnis füreinander haben. Diese Freundschaft ist gerade in dieser Stunde der Not ein wertvolles Gut; denn neben unserem Mitgefühl und unserer tiefen Trauer möchte ich keinen Zweifel daran lassen, dass die deutsche Politik alles dafür tun wird, dass die japanische Nation zu alter Stärke zurückfindet.

Die Herausforderungen, die sich aus dieser Naturund Umweltkatastrophe ergeben, werden von den Japanern nicht allein zu bewältigen sein. Angesichts der schrecklichen Zahlen von Opfern und Geschädigten, der möglicherweise aufkommenden Rezession in Japan und der zu erwartenden Umweltschäden stehen die Japaner nicht vor einem Gesichtsverlust, wenn sie aktiv ausländische Hilfe anfordern und auch annehmen; denn bei jeder Katastrophe in der Welt waren es die Japaner, die als Erste mit ihren Hilfstruppen und mit finanzieller Unterstützung vor Ort waren. Diese Bereitschaft zur Nothilfe wird die Welt jetzt zurückgeben.

Angesichts der bedrückenden Opferzahlen und der Masse der Geschädigten in Japan ist internationale Hilfe besonders hilfreich und sinnvoll. Wir müssen uns noch einmal deutlich vor Augen führen: Bisher gibt es 3 300 Todesopfer. Unbestätigte Schätzungen gehen davon aus, dass es nach Abschluss der Aufräumarbeiten Zehntausende von Toten geben wird. 150 000 Kinder haben ihr Zuhause verloren. Internationale Wirtschaftsexperten sagen in ihren Schätzungen voraus, dass der Wiederaufbau der besonders betroffenen Region den japanischen Staat einen dreistelligen Milliardenbetrag kosten wird. Die internationalen Finanzmärkte beben. 440 Milliarden Euro wurden durch die Katastrophe bereits vernichtet. Die Bank of Japan hat 200 Milliarden Euro in die Finanzmärkte gepumpt, damit es zu keinem ernsthaften Crash kommt. Kurzfristig wird sich die internationale Außenpolitik auf die humanitäre Hilfe beschränken. Mittelund langfristig müssen die internationalen Gremien Anstrengungen unternehmen, die gemäß den Lehren, die aus der Katastrophe in Japan gezogen werden müssen, notwendig sind.

Die Freundschaft zu Japan ist in der G 8 unbestritten. Es gab bereits ein Treffen der zuständigen Außenminister, um den Wiederaufbau aktiv zu unterstützen. Ich finde es gut, dass der französische Präsident als G-8-Präsident Vorschläge ausarbeitet, um die negativen Folgen für die Weltwirtschaft zu begrenzen.

Die G 20 steht vor einer weitaus größeren Herausforderung. Ihr muss es gelingen, dass sich die vorübergehende Schwäche Japans nicht zu einer dauerhaften politischen Schwäche auswächst; denn Japan ist international und vor allen Dingen in der asiatischen Region ein großer und gleichberechtigter Player. Es ist im deutschen Interesse, dass Japan als Stimme der Demokratie weiter eine prägende Rolle in der Region und in der Welt einnimmt. Damit dies gelingen kann, müssen gerade die anderen asiatischen Länder gemeinsam mit Japan in der G 20 voranschreiten. Indonesien und Indien werden dies tun. Ich hoffe, dass sich auch China international für seinen asiatischen Nachbarn einsetzen wird und die Phase der Schwäche Japans nicht für sich ausnutzt.

Lassen Sie mich einige kritische Bemerkungen zu der bisherigen Rolle der Internationalen Atomenergiebehörde machen, der IAEA, die ihren Sitz in Wien hat. Seit Tagen zeigt sich, dass die Organisation angesichts der Ereignisse in den Kernkraftwerken wie gelähmt ist: kein Experte, keine Expertin in den Krisengebieten, groteske Pressekonferenzen, Beschwichtigungstaktik. Die Rolle der IAEA bei der Atomkatastrophe in Japan sorgt für großen Unmut. Hinter vorgehaltener Hand hören Sie aus Diplomatenkreisen, dass es inzwischen massive Beschwerden über die Informationspolitik, über die internationale Rolle und vor allen Dingen über die Tatsache gibt, dass die Organisation ihrer Wächterrolle nicht gerecht wird.

Man spricht in Diplomatenkreisen von PR-Desastern und der unmöglichen Situation, dass eine Organisation, die immerhin angeblich 2200 Experten und 90 Auslandsbüros hat, nicht in der Lage ist, in angemessener Form Experten nach Japan zu schicken und dort zu helfen. Ich vermute, dass die Organisation dieses Gremiums nicht in Ordnung ist. Ich glaube, der Sicherheitsrat muss dieses Thema dringend auf die Tagesordnung setzen. Die Behörde ist im Ernstfall ein dramatischer Ausfall, und das darf nicht sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte mich beim Auswärtigen Amt und beim Außenminister dafür bedanken, dass er besonnen und mit großem Anstand den Deutschen in Japan geholfen hat und vor allen Dingen auch bei der Koordinierung der Hilfe für Japan einen kühlen und klaren Kopf bewahrt hat.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lassen Sie mich als Freund Japans abschließend bemerken: Ich glaube, es ist jetzt richtig, dass wir alle, vor allen Dingen auch dieses Parlament, gegenüber unseren japanischen Parlamentskollegen deutlich machen, dass wir dauerhaft, ernst, in Freundschaft und in tiefer Unterstützung an ihrer Seite stehen.

Danke sehr.

Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Das Wort hat die Kollegin Erika Steinbach von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Erika Steinbach (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Bilder, die verstummen lassen. Das, was wir in den letzten Tagen gesehen und gehört haben, ist von einer albtraumhaften Schrecklichkeit. Zunächst einmal ist es in erster Linie Zeit, den Menschen in Not Hilfe zu leisten und ihnen, soweit es in unseren Kräften steht, beizustehen.

Japan braucht Hilfe durch die Weltgemeinschaft und durch uns. Ich bin froh, dass die Bundesregierung sofort Hilfe angeboten hat. Es ist für uns aber auch Zeit, in aller Sachlichkeit zu überprüfen, ob und wo wir bei der Kernenergie umsteuern sollen oder müssen.

Allerdings muss ich eines sagen: Die Debatte der letzten Stunden und das Verhalten der Opposition waren absurd. Es erinnert mich an einen Schlagabtausch Konrad Adenauers im Deutschen Bundestag, als er zu Beginn einer Rede sagte: „Ich habe die Lage geprüft“, und die Opposition schrie: „Nein, nein, nein!“. Dann setzte er wieder an und sagte: „Ich habe die Lage geprüft“, und die Opposition empörte sich. Daraufhin sagte Konrad Adenauer: „Hätte ich gesagt, ich habe die Lage nicht geprüft, dann hätten Sie auch revoltiert“.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, so geht es in dieser Frage nicht. Was auch immer die Bundesregierung heute gesagt und getan hätte, Sie wären aus Prinzip dagegen gewesen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau so ist es! – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Hauptsache, Ihr Weltbild steht!)

Die CDU/CSU-Fraktion hat sich auch in Oppositionszeiten niemals so verantwortungslos verhalten, wie Sie es heute getan haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Über Verantwortung brauchen Sie uns Sozialdemokraten nicht zu belehren! Schon gar nicht in historischer Perspektive! – Weiterer Zuruf von der SPD: Meine Güte, Frau Steinbach!)

Sie machen Wahlkampf. Wenn ich alles zusammenaddiere, was seitens der Opposition heute selbstherrlich gesagt wurde, und wenn Sie das, was Sie heute gesagt haben, ehrlich meinen, dann hätten Rot und Grün zu ihren Regierungszeiten alle Kernkraftwerke abschalten müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Atomare Gefahren werden aber bei Ihnen offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen. Als Umweltminister war Herr Trittin Schirmherr der Castortransporte. Damals sollten sie ohne Demonstrationen über die Bühne gehen. Heute demonstrieren die Grünen wieder gegen die Castortransporte. Das ist unanständig. Verantwortungsloser und unanständiger geht es nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie erzählen was von Anstand!)

Etwas anderes schadet, glaube ich, der Demokratie insgesamt und jedem einzelnen Abgeordneten: Das Konglomerat von Herrn Gabriel mit Vokabeln wie Hinterzimmer, Lüge und Atomlobby, zusammengemischt zu einem Brei, schadet allen. Das schadet der ganzen demokratischen Klasse.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Dieser Brei schadet den Demokraten!)

Ich unterstelle keiner Fraktion in diesem Hause, nicht nach bestem Wissen und Gewissen Entscheidungen zu treffen, zu denen sie gefunden hat. Ich unterstelle auch Ihnen von der Opposition nicht, dass Sie in Hinterzimmern mit wem auch immer kungeln und keine Entscheidung eigenständig treffen. Unterstellen Sie dies uns bitte auch nicht. Schließen Sie nicht von sich auf andere, wenn Sie so handeln sollten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Eben haben Sie gesagt, Sie würden uns nichts unterstellen! Eben haben Sie das gesagt! Sie widersprechen sich selber im nächsten Satz!)

– Scheinbar haben Sie einen anderen Ansatz, denn sonst könnten Sie nicht so einen Brei zusammenrühren.

(Michael Groschek [SPD]: Sie gehören ins historische Museum!)

Schließen Sie vor allen Dingen nicht von den Dingen, die Sie vielleicht betreiben – ich muss das so annehmen –, auf die Handlungsweise der Bundeskanzlerin.

Gestatten Sie noch einige Sätze zur juristischen Debatte. Als Nichtjuristin habe ich mehr als einmal

(Ulrich Kelber [SPD]: Feuer gelegt!)

aus der Juristenriege den Satz gehört: zwei Juristen, drei Meinungen. Im Zweifel entscheide ich mich natürlich für die tragfähigsten Argumente und für die Sicherheit.

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Verfassung? Scheißegal! Reden Sie mal mit Herrn Lammert! Oder mit Herrn Kauder, dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses!)

Der Weg der Bundeskanzlerin ist verantwortungsvoll, der Weg der Bundesregierung ist verantwortungsvoll, und der Weg der Regierungsfraktionen ist verantwortungsvoll.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Thomas Bareiß von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Thomas Bareiß (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Niemanden von uns lassen die Bilder, die wir in den letzten drei bis vier Tagen gesehen haben, kalt: ein Erdbeben von diesem Ausmaß verbunden mit einer tödlichen Flutwelle, über 5 000 Tote und immer noch über 10 000 Vermisste in Japan.

Am Ende dieser Debatte sage ich: Bezeichnend ist, dass von Rot-Grün heute nur die Frage nach der Sicherheit deutscher Kernreaktoren gestellt wurde. Das finde ich erbärmlich.

(Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU])

Trotz aller verständlichen Emotionen in dieser Debatte lassen Sie uns bitte nicht vergessen, dass Sicherheit eine objektive und keine psychologische Grundlage ist. An der objektiven Sicherheitslage deutscher Kernkraftwerke hat sich in den letzten sieben Tagen nichts, aber auch gar nichts verändert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Iris Gleicke [SPD]: Interessant!)

Ich sage ganz deutlich: Ich habe aus Überzeugung vor einem halben Jahr der Laufzeitverlängerung zugestimmt. Ich bin auch heute noch davon überzeugt, dass diese Entscheidung richtig war.

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Endlich einer, der dazu steht!)

Sie ist aus meiner Sicht deswegen richtig, weil der Aspekt der Sicherheit von Kernkraftwerken in unserem Land immer oberste Priorität hat und die Sicherheit noch vor einem halben Jahr verbessert worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mit diesem Anspruch sind wir heute das Land mit den höchsten Sicherheitsanforderungen an die Kernenergie. Aber, liebe Freunde, sicherlich ist unbestritten,

(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wir sind nicht auf dem Parteitag!)

dass trotz höchster Sicherheitsanforderungen ein Restrisiko bestehen bleibt. Auch Ihnen, Herr Gabriel, sage ich deutlich: Ich halte dieses Restrisiko bei deutschen Kernkraftwerken unter deutschen Sicherheitsstandards nach wie vor für ethisch verantwortbar.

Wenn Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün, zu der Einschätzung gelangen, dass dieses Risiko nicht mehr verantwortbar ist, müssen Sie, wenn Ihnen die Sicherheit der Menschen in unserem Land wichtig ist, noch heute sofort abschalten und alle Kernreaktoren vom Netz nehmen. Aber das haben auch Sie, Herr Trittin, und Sie, Herr Gabriel, in Ihren acht Regierungsjahren nicht gemacht.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sieben!)

Natürlich ist auch unser Anspruch, das Restrisiko so gering wie möglich zu halten und weiterhin zu reduzieren.

Vor diesem Hintergrund begrüße ich das Moratorium unserer Bundeskanzlerin. Während dieser Zeit muss die Lage analysiert werden, und es muss aus meiner Sicht die Frage beantwortet werden, was wir aus der Analyse lernen können und was die Konsequenz für unsere Sicherheitsstandards und unsere Kernreaktoren ist. Darüber hinaus halte ich es ebenfalls für richtig, dass die Bundeskanzlerin gemeinsam mit dem Energiekommissar Oettinger für eine Neubewertung der Reaktorsicherheit auf europäischer und internationaler Ebene kämpft; denn eines muss uns klar sein: Es wird in Europa auch weiterhin Kernenergie geben. Wir werden, auch wenn wir alle Reaktoren abschalten, in Deutschland weiterhin Kernenergie haben. Ich halte es für nicht verantwortbar, wenn wir deutsche Kernkraftwerke abschalten und uns von ausländischen, unsicheren Kraftwerken abhängig machen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich glaube, wir brauchen einen offenen Diskussionsprozess. Das kann in der Konsequenz auch heißen, dass Kernkraftwerke endgültig vom Netz genommen werden. Wir stehen aber – daran hat sich in den letzten drei Tagen nichts geändert – nach wie vor vor großen Herausforderungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Ein Kernbestandteil unseres Energiekonzepts war, die Brücke in das Zeitalter der regenerativen Energien zu gestalten. Auch daran wollen wir zukünftig festhalten. Ich bitte zum Schluss, dass wir die kommenden Debatten sachlich und seriös führen; denn Seriosität habe ich in den letzten drei Tagen hier im Hause vermisst.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:

Ich schließe die Aussprache.