Juni 2008

080606

ENERGIE-CHRONIK


Salzlösung bedroht Standsicherheit des "Forschungsendlagers" Asse

Im Juni wurde bekannt, daß im sogenannten Forschungsendlager Asse radioaktive Laugen entdeckt und heimlich in tiefergelegene Schichten gepumpt worden sind. Der damit verbundene Wirbel lenkte die Aufmerksamkeit von Öffentlichkeit und Politik zugleich auf das eigentliche Problem: Das Endlager Asse droht durch eindringende Salzlösungen über kurz oder lang die Standsicherheit zu verlieren. Vor dem Hintergrund der andauernden Auseinandersetzung um die Kernenergie, die sich die CDU künftig als "Ökoenergie" noch deutlicher auf die Fahnen schreiben will (080605), nutzten Grüne, SPD und Linke die Gelegenheit, die Möglichkeit einer zuverlässigen Endlagerung radioaktiver Abfälle generell in Zweifel zu ziehen. Zugleich warnten sie in einer "Aktuellen Stunde" des Bundestags die Unionsparteien davor, mit der Forderung nach längeren Laufzeiten oder gar dem Neubau von Kernkraftwerken in den kommenden Wahlkampf zu ziehen.

Radioaktiv belastete Laugen eigenmächtig abgepumpt

Der Betrieb und die vorgesehene Schließung des Forschungsendlagers werden seit längerem kritisch von der "Begleitgruppe Asse" verfolgt, in der örtliche Bürgerinitiativen, Kommunen, Landkreis und Parteien zusammenarbeiten. Auf Betreiben dieses Gremiums stellte sich Anfang Juni heraus, daß in 750 Meter Tiefe Salzlösungen entdeckt wurden, deren radioaktive Belastung die Grenzwerte bis zum Achtfachen überschritt. Etwas später wurde bekannt, daß das Helmholtz-Zentrum München, das die Anlage betreibt, 77 Kubikmeter mit Cäsium-137 belastete Flüssigkeit auf die unterste Sohle in 975 Meter Tiefe gepumpt hatte. Das für die Aufsicht zuständige Umweltministerium in Hannover wurde davon ebensowenig informiert wie über die neueste Entdeckung radioaktiv belasteter Laugen. Lediglich das Landesbergamt wußte seit 1997 Bescheid und hatte auch die Pumpaktion genehmigt. Nach Darstellung des Helmholtz-Zentrums stammt die Radioaktivität allerdings nicht von den radioaktiven Abfällen, die dort gelagert werden, sondern von Kontaminationen der Fahrwege, die während der Einlagerung der radioaktiven Abfälle aufgetreten und nun durch die Laugen in unterschiedlicher Konzentration gelöst worden seien. Die Laugen selber kämen aus der Verfüllung alter Grubenabschnitte während des Betriebs als Salzbergwerk.

Weitere Trockenverwahrung des Atommülls nicht mehr möglich

Noch wesentlich gravierender ist aber die Tatsache, daß aus dem Deckgebirge von außen Wasser in das Endlager einsickert. Die so entstehenden Salzlösungen bedrohen längerfristig die Standsicherheit des Lagers und machen eine weitere Trockenverwahrung der hier eingelagerten schwach- und mittelradioaktiven Abfälle unmöglich. Das Helmholtz-Zentrum will deshalb das Endlager durch Einbringung einer Magnesiumchloridlösung stabilisieren, um es dann umgehend zu schließen. Kritiker dieser Vorgehensweise befürchten dagegen, daß aus den dann nicht mehr rückholbaren Abfällen Radioaktivität ins Grundwasser gelangen könnte. Sie sehen in der mangelnden Standsicherheit von Asse zugleich ein Menetekel für das geplante Endlager in Gorleben, wo hochradioaktive Abfälle ebenfalls in einem Salzstock gelagert werden sollen. Die Grünen stellten deshalb schon am 23. März vorigen Jahres im Bundestag den Antrag, die in Asse gelagerten Abfälle zurückzuzuholen und die Schließung nach dem Atomrecht durchzuführen (siehe Text). Der Antrag wurde damals entgegen dem Wunsch der Grünen nicht an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, sondern an den Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung verwiesen. Die Regierungskoalition signalisierte damit, daß sie das Endlager Asse auch künftig nicht dem Atomrecht und der Zuständigkeit des Bundesumweltministeriums unterstellen will.

"Absaufen" des Schachtes und Rückholung der Abfälle werden jetzt in die Analyse miteinbezogen

Das Problem der Laugenzuflüsse existiert seit mindestens zwanzig Jahren. Nach Angaben des Helmholtz-Zentrums ist ein "Absaufen" des Bergwerks aber erst bei einer deutlichen Vergrößerung der Zuflüsse zu befürchten. Allerdings werde das Grubengebäude irgendwann vollaufen, wenn es nicht zur Schließung komme. Nach bisherigem Kenntnisstand sei die Betriebssicherheit bis 2014 gewährleistet. Das vorgesehene Schließungskonzept mit der Flutung noch vorhandener Hohlräume durch eine Magnesiumchloridlösung gewährleiste den sicheren Abschluß der eingelagerten Stoffe von der Biosphäre. Eine Rückholung der Abfälle sei "vor allem aus zeitlicher, aber auch aus bergtechnischer Sicht nicht durchführbar sowie aus sicherheitlicher und wirtschaftlicher Sicht nicht vertretbar".

Das Verschweigen der radioaktiven Laugen und die eigenmächtige Pumpaktion verstärkten nun die Kritik an der vom Helmholtz-Zentrum beabsichtigten Vorgehensweise. Im niedersächsischen Landtag beantragten die Grünen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß. Am 23. Juni kam es auf Wunsch von Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) zu einem Treffen mit Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) in Berlin. Wie die drei Minister anschließend mitteilten, kann "nicht ausgeschlossen werden, daß der seit 1988 existierende Salzlösungszutritt von jetzt etwa 12 Kubikmeter pro Tag in Zukunft erheblich ansteigt und dann nicht mehr aufgefangen und kontrolliert werden kann". Zur Verbesserung der Sicherheit und zur Minimierung von Risiken werde das Helmholtz-Zentrum bis spätestens Mai 2008 eine Störfallanalyse erstellen, die auch diesen Fall in Betracht zieht. Ferner würden Möglichkeiten zur Rückholung der mittelradioaktiven Abfälle und zur schnelleren Stabilisierung des Grubengebäudes untersucht.

Schlagabtausch im Bundestag - CDU gibt Vorwürfe an die Grünen zurück

Am 26. Juni diskutierte der Bundestag in einer "Aktuellen Stunde", die von den Grünen beantragt worden war, die Mißstände und Probleme in Asse. SPD, Grüne und Linke nutzten dabei die Gelegenheit, der Union ihr neuestes programmatisches Bekenntnis zur Kernenergie vorzuhalten und sie vor einem "Kernkraftwahlkampf" zu warnen (siehe 080605). Für die Grünen warf Sylvia Kotting-Uhl der zuständigen Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) - die zwar anwesend war, aber nicht das Wort ergriff - Versagen vor. Den Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) forderte sie auf, Asse unter Atomrecht zu stellen und in den Verantwortungsbereich seines Ministeriums zu übernehmen. Ihr Fraktionskollege Jürgen Trittin betonte: "Asse ist nicht irgendein Salzstock. Asse war das Vorbild für Gorleben." Der SPD-Abgeordnete Christoph Pries bezeichnete Asse als "GAU der deutschen Atomindustrie". Für die Linke meinte Hans-Kurt-Hill: "Im Atommüllager Asse II geht es offenbar zu wie bei Hempels unterm Sofa."

Redner der CDU/CSU verwiesen darauf, daß die Grünen zu Zeiten ihrer Regierungsbeteiligung sowohl im Bund als auch in Niedersachsen nichts zur Aufdeckung und Beseitigung der Mißstände in Asse unternommen hatten. "Sie hatten sieben Jahre lang Zeit und haben gar nichts getan", erklärte Axel E. Fischer, und Jochen-Konrad Fromme stellte fest: "Sie waren von 1990 bis 1994 in Niedersachsen verantwortlich, Sie waren von 1998 bis 2005 im Bund verantwortlich, und da ist nichts passiert." Carsten Müller fand es unter Anspielung auf Jürgen Trittin "außergewöhnlich bemerkenswert, daß sich ein vorgeblicher Feuerwehrmann, der sich an der Diskussion beteiligt, bei genauerem Hinschauen eher als mitverantwortlicher Brandstifter entpuppt hat".

Gabriel hat "große Zweifel" an der Rückholbarkeit des Atommülls

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) sprach davon, daß es in Asse "offensichtlich zu Rechtsverstößen gegen das Strahlenschutzrecht gekommen" sei und er "Zweifel an der Fachkunde und Zuverlässigkeit des derzeitigen Betreibers" habe. Im übrigen äußerte sich der Minister, in dessen Wahlkreis Asse liegt und der als ehemaliger niedersächsischer Regierungschef zumindest mittelbar Verantwortung für das Forschungsendlager trug, recht zurückhaltend: Er verwies zwar darauf, daß es Jürgen Trittins Entscheidung gewesen sei, Asse weiter nach Bergrecht zu behandeln, wollte aber ausdrücklich nicht kritisieren, was in der Amtszeit seiner Vorgänger und der von Frau Schavan passiert sei. "Er wirft mir meine Rolle heute ebenfalls nicht vor." Gabriel äußerte ferner "große Zweifel", ob die nun eingeleitete "ergebnisoffene Prüfung" der Zustände in Asse die Rückholbarkeit des dort deponierten Atommülls ergeben werde. Vorsorglich betonte er, daß es die in Asse aufgetretenen Probleme beim geplanten Endlager für schwach- und mittelradioaktiven Atommüll im benachbarten "Schacht Konrad" nicht geben könne, weil dort der Langzeitsicherheitsnachweis erbracht worden sei. "Konrad ist ein sicheres Endlager."

Der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP), der als Vertreter des Bundesrats sprach, bezeichnete Asse als "radioaktive Altlast." Er habe erst am 12. Juni erfahren, daß es an zwei Stellen zusätzliche Strahlenbelastungen gibt. "Es ist nicht hinnehmbar, daß die Aufsichtsbehörde das erst so spät vom Landesbergamt erfährt." Alle müßten sich nun aber darüber im klaren sein, daß die Standsicherheit des Endlagers nicht mehr gegeben sei. Es gehe nicht um Schuldzuweisung, sondern darum, ein Schließungskonzept zu erarbeiten. Auch zu Zeiten der rot-grünen Regierung ab 1998 sei das Bergwerk weiter betrieben worden. Speziell von Jürgen Trittin habe Niedersachsen in dessen Amtszeit als Bundesrats- und Umweltminister wenig Unterstützung für die Schließung erhalten. - Jürgen Trittin konterte diesen Vorwurf, indem er auf einen Reklameauftritt des FDP-Ministers zugunsten der Kernenergie anspielte: "In der Tat kann man mir vorwerfen, daß ich einen Minister, der sich mit einem T-Shirt, auf dem 'Kernenergie ist kerngesund' steht, in Endlagern abbbilden läßt, nicht daran gehindert habe, Atomaufsicht in diesem Land zu treiben."

Formal ein Forschungsprojekt nach Bergrecht - faktisch aber ein Endlager

Das ehemalige Salzbergwerk Asse II hatte 1964 die Förderung eingestellt und war ein Jahr später von der Gesellschaft für Strahlenforschung mBH (GSF) im Auftrag des Bundes von der Wintershall AG gekauft worden, um die Tauglichkeit von Salzgestein für die Endlagerung von Atommüll zu erforschen. Von 1967 bis 1978 wurden fast 126.000 Fässer mit leicht- und mittelradioaktivem Atommüll aus Medizin und Forschungsreaktoren in 750 Meter Tiefe auf unterschiedliche Weise eingelagert, wobei an eine Rückholbarkeit nicht gedacht war und das so faktisch entstehende Endlager als wünschenswerter Nebeneffekt gesehen wurde. Dennoch unterlagen Bau und Betrieb des Lagers nicht dem Atomrecht, sondern dem Bergrecht. Das Endlager fiel deshalb auch nicht in die Zuständigkeit des Bundesamtes für Strahlenschutz. Betreiber blieb das Helmholtz-Zentrum München bzw. Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit GmbH (GSF), das 1978 die Nachfolge der 1964 gegründeten Gesellschaft für Strahlenforschung mbH (GSF) angetreten hatte.

Schon 1965 wurde bekannt, daß Wasser einsickerte

Wie sich Joachim Radkaus 1983 erschienenem Buch über "Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft" entnehmen läßt, versicherte 1963 die Bundesanstalt für Bodenforschung in einem geologischen Gutachten , daß "unter normalen Verhältnissen" bei einer Nutzung des Salzbergwerks Asse II als Endlager "keinerlei Gefahr des Ersaufens" bestehe. Das Gutachten schloß mit dem ermunternden Hinweis: "Eine solche Gelegenheit dürfte nach unserer Kenntnis der bergwirtschaftlichen Situation im Lauf der nächsten Jahre kaum wiederkehren". Indessen wurde schon am 13. Mai 1965 der Bundestagsausschuß für Atomenergie und Wasserwirtschaft darüber informiert, daß es in dem Schacht einen Riß gab, durch den Wasser einsickerte. Dies war damals aber offenbar kein Hinderungsgrund, das Projekt weiterzubetreiben.

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