Dezember 2005

051204

ENERGIE-CHRONIK


Rußland fordert "marktgerechte" Preise für Erdgas und droht der Ukraine mit Lieferstopp

Der Chef des staatlich dirigierten russischen Energiekonzerns Gazprom, Alexej Miller, drohte am 13. Dezember mit der Einstellung der Gaslieferungen an die Ukraine, falls bis Beginn des neuen Jahres keine Vereinbarung über höhere Lieferpreise zustande komme. In einem Interview für den russischen Fernsehsender "Russia Today" versicherte er zugleich, daß die Gaslieferungen nach Westeuropa, die derzeit zu rund 80 Prozent durch die Ukraine gehen, fortgesetzt würden. Allerdings sei in diesem Fall mit erhöhten illegalen Entnahmen der Ukraine zu rechnen, die die für Westeuropa bestimmte Gasmenge entsprechend schmälern würden.

Die Ukraine bezahlt bisher 50 Dollar pro tausend Kubikmeter Erdgas. Gazprom verlangte bis vor kurzem eine Erhöhung auf 160 Dollar. Am 14. Dezember erklärte der stellvertretende Gazprom-Vorsitzende Alexander Medwedew, daß angesichts der Marktentwicklung 220 bis 230 Dollar angemessen seien. Auch dies sei kein Festpreis, sondern lediglich eine "Preisformel", die sich an den Preisen für konkurrierende Energieträger wie Erdölprodukte orientiere.

Der russische Vorstoß zielt nicht allein auf höhere Gaspreise, sondern auch auf die Kontrolle der Pipelines, die das Gas durch die inzwischen unabhängig gewordenen Gebiete der ehemaligen Sowjetunion nach Westen transportieren. Ein erheblicher Teil der Gasmengen wird bisher in der Ukraine und Weißrußland illegal abgezweigt. An diesen Praktiken scheinen allerdings auch russische Stellen beteiligt zu sein, die als Gegenleistung für die Tolerierung des Gasdiebstahls beispielsweise Wahlkampfgelder aus der Ukraine erhalten haben sollen.

Generell bedient sich die russische Regierung des staatlich dirigierten Energiekonzerns Gazprom, um Länder der ehemaligen Sowjetunion, die inzwischen ihre Unabhängigkeit erlangt haben, außenpolitisch unter Druck zu setzen. Vor dem Hintergrund des weltweiten Energiepreisanstiegs, der ihr zu enormen "Windfall-Profits" verhilft, verlangt sie nun "marktgerechte" Preise auch von ehemaligen Mitgliedsstaaten der Sowjetunion, die inzwischen unabhängig geworden sind. Sie ist aber durchaus bereit, politisches Wohlverhalten mit entsprechenden Preisnachlässen zu honorieren. Weißrußland hat dem Drängen Moskaus bereits nachgegeben und der Einbeziehung von Gazprom in die Kontrolle seiner Transitleitungen zugestimmt. Gazprom gewährte dem Regime in Minsk dafür einen Vorzugpreis von nur 46 Dollar pro 1000 Kubikmeter Gas für das kommende Jahr.

Am 24. Dezember fand vor der ukrainischen Botschaft in Moskau eine Aktion statt, die offenbar von Gazprom organisiert worden war: Mit Parolen wie "50 Dollar kosten nur Auspuffgase" forderten die Teilnehmer von der Regierung in Kiew, "marktgerechte" Preise für das russische Erdgas zu bezahlen.

Die Ukraine verfügt ihrerseits über eine Reihe von Druckmitteln, um Rußland zum Einlenken zu zwingen. Neben der Erhöhung der Transitgebühren und militärpolitischen Nadelstichen könnte sie durch erhöhte Eigenentnahmen den Erdgastransport nach Westeuropa mindern oder ganz zum Erliegen bringen. Die neue Gaspipeline durch die Ostsee, die eine Direktverbindung zwischen Rußland und Deutschland herstellt (050902), soll erst im Jahr 2010 fertiggestellt sein.

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