März 2004

040302

ENERGIE-CHRONIK


Regierungsinterner Streit um den "nationalen Allokationsplan" beigelegt

Der regierungsinterne Streit um den "Nationalen Allokationsplan" (NAP) für den Emissionshandel verschärfte sich im März bis an den Rand einer Koalitionskrise. Erst am 29. März kam es in einer fünfstündigen Nachtsitzung mit Bundeskanzler Schröder zu einer Einigung, bei der Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) erhebliche Abstriche an seinen früheren Reduktionszielen hinnehmen mußte. Das Ergebnis wird als Erfolg für Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) gewertet, der sowohl Trittins ersten NAP-Entwurf (040104) als auch einen nachfolgenden Einigungsvorschlag, den die Staatssekretäre beider Ministerien im März aushandelten, als für die Wirtschaft unzumutbar zurückgewiesen hatte.

Das Bundesumweltministerium wertete die Einigung als "schwierigen, aber tragfähigen Kompromiß". Er bedeute, daß die Wirtschaft 10 der 17 Millionen Tonnen CO2-Einsparung aufbringen müsse, zu der sich Deutschland bis 2012 verpflichtet hat. Die restlichen sieben Millionen Tonnen entfielen auf Haushalte und Verkehr.

Nach Billigung durch das Bundeskabinett konnte der "Nationale Allokationsplan" am 31. März gerade noch fristgemäß der EU-Kommission in Brüssel zugeleitet werden.

Emissionsbudget der ersten Handelsperiode beträgt 499 Millionen Tonnen CO2

Dem Kompromiß zufolge wird die Gesamtmenge der CO2-Emissionen von Energiewirtschaft und Industrie in der ersten Handelsperiode von 2005 bis 2007 nur minimal von 505 auf 503 Millionen Tonnen abgesenkt. In der zweiten Handelsperiode von 2008 bis 2012 erfolgt eine weitere Reduzierung auf 495 Millionen Tonnen. Dies entspricht ingesamt einer Verringerung um 2,2 Prozent, während Trittin ursprünglich schon für die erste Handelsperiode eine Verringerung um 7,5 Prozent anstrebte. Die im Anhang I des Emissionshandelsgesetzes aufgeführten Stahlhütten, Glas- und Zementfabriken müssen ihre Emissionen nicht verringern.

Wie aus dem vom Kabinett verabschiedeten und vom Bundesumweltministerium veröffentlichten Allokationsplan hervorgeht, sind in den genannten Gesamtmengen auch solche Anlagen enthalten, die nicht gemäß TEHG (040301) am Emissionshandel teilnehmen. Das tatsächliche Emissionsbudget für die vom Emissionshandel erfaßten Anlagen beläuft sich deshalb für den Zeitraum von 2005 bis 2007 nur auf 499 Millionen Tonnen pro Jahr. Dies bedeutet eine Verringerung um zwei Millionen Tonnen gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2002, der mit 501 Millionen Tonnen pro Jahr ermittelt wurde.

Um die Modernisierung des Kraftwerksparks voranzutreiben, wird ab der Handelsperiode 2008 bis 2012 für alle Kohlekraftwerke ein Abschlag eingeführt, sofern sie älter als 30 Jahre sind und einen geringeren Nettowirkungsgrad als 31 Prozent (Braunkohlekraftwerke) bzw. 36 Prozent (Steinkohlekraftwerke) aufweisen. Dieser Abschlag beträgt 15 Prozent der jahresdurchschnittlichen Emissionen dieser Anlagen in der Basisperiode, d.h. der sogenannte Erfüllungsfaktor verringert sich um den Wert 0,15.

Der Nationale Allokationsplan besteht aus einem "Makroplan" und einem "Mikroplan". Der Makroplan muss mit dem nationalen Klimaschutzziel und dem Klimaschutzprogramm in Einklang stehen. Im Mikroplan wird festgelegt, nach welchen Methoden, Regeln und Kriterien die Allokation vorgenommen wird und welche Zertifikatemenge sich hieraus gemäß der verwendeten Datenbasis für die einzelnen Anlagen ergibt. Als Datenbasis für die Anwendung dieser Allokationsmethoden auf die einzelnen Anlagen dient in Deutschland gemäß dem Beschluss der Bundesregierung vom 28. Mai 2003 grundsätzlich der Zeitraum 2000 bis 2002.

Clement kippte Staatssekretärs-Kompromiß

Der Streit zwischen Wirtschafts- und Umweltminister war eskaliert, als Clement einen Kompromiß ablehnte, den die Staatssekretäre Georg Wilhelm Adamowitsch (BMWA) und Rainer Baake (BMU) am 17. März unter der Moderation von Kanzleramtsminister Frank-Walter Steinmeier ausgehandelt hatten. Demnach hätte die Industrie ihre jährlichen CO2-Emissionen bis 2007 von derzeit 505 Millionen Tonnen nur um etwas mehr als ein Prozent auf 499 Millionen Tonnen verringern müssen, während der erste BMU-Entwurf für den Nationalen Allokationsplan noch eine Verringerung um 7,5 Prozent vorsah (040104). Die Pressemitteilung über den Kompromiß war bereits vorbereitet und das "Handelsblatt" (17.3.) hatte vorab über die erzielte Einigung berichtet. Mit seiner schroffen Ablehnung überraschte und desavouierte Clement sowohl seinen eigenen Staatssekretär Adamowitsch als auch den Kanzleramtschef Steinmeier. In einem Schreiben an den Bundesumweltminister verlangte der Wirtschaftsminister sogar eine Erhöhung der CO2-Emissionen bis 2007 auf mindestens 520 Millionen Tonnen, den Verzicht auf jegliche Verringerung bis 2012 sowie zusätzliche Zertifikate für die Stahlindustrie und die Steinkohleverstromung. Gegenüber der "Berliner Zeitung" (20.3.) kündigte er außerdem eine Überprüfung der Ökosteuer, des KWK-Gesetzes und des Erneuerbare-Energien-Gesetzes daraufhin an, ob sie durch den Emissionshandel nicht überflüssig würden. Schließlich stellte er auch noch die pünktliche Übersendung des Nationalen Allokationsplans an die EU-Kommission bis 31. März in Frage. Mit diesem Konfrontationskurs drohte Clement eine Koalitionskrise vom Zaun zu brechen und löste etliche Spekulationen darüber aus, was seine eigentlichen Motive sein könnten.

"Ein Minister läuft Amok", kommentierte die "Frankfurter Rundschau" (22.3.). "Mit seinen unkontrollierten Attacken gegen Ökosteuer und Emissionshandel entwickelt sich Wolfgang Clement nicht nur zum Sicherheitsrisiko für die Koalition. Er zielt auch auf das Herz rot-grüner Umweltpolitik, die er eigentlich voranbringen sollte."

Industrie gegen CO2-Reduzierung in der ersten Handelsperiode

Auch die Industrie opponierte weiter gegen Trittins Absicht, die von ihr im Rahmen der KWK-Vereinbarung vom 23. Juni 2001 zugesagten CO2-Reduktionen (010601) im Nationalen Allokationsplan festschreiben zu lassen. E.ON-Chef Wulf Bernotat argumentierte gegenüber dem "Handelsblatt" (26.3.), daß Deutschland die im Rahmen der EU-Lastenteilung vereinbarte CO2-Reduzierung um 21 Prozent, die nach Artikel 3 des Kyoto-Protokolls im Zeitraum 2008 bis 2012 erreicht werden muß, schon fast erreicht habe: "Für die restlichen zwei Prozentpunkte haben wir noch ausreichend Zeit. In der ersten Handelsperiode von 2005 bis 2007 müssen die Emissionen also nicht verringert werden."

Die Betriebsräte der großen Kraftwerksbetreiber E.ON, EnBW, RWE, Steag und Vattenfall Europe veröffentlichten Ende März große Zeitungsanzeigen, in denen sie als "Vertreter von mehr als 300.000 Arbeitnehmern" die Forderungen der Stromkonzerne unterstützten. "Die Pläne von Bundesumweltminister Jürgen Trittin führen dazu, daß Energie weiter verteuert wird und damit Arbeitsplätze und Produktivität in Deutschland vernichtet werden."

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