Die "Mannheimer Abendzeitung" - hier die Ausgabe vom 14. Juni 1849 - war das Flaggschiff der demokratischen Publizistik im Südwesten Deutschlands (zum Vergrößern anklicken).


Mannheimer Abendzeitung

(Jan. 1838 - Juni 1849)

Die wichtigste Zeitung des vormärzlichen und revolutionären Mannheim war die "Mannheimer Abendzeitung". Sie genoß über die Stadt und deren Umgebung hinaus nationale Verbreitung und Beachtung.

Die Abendzeitung erschien erstmals am 1. Januar 1838 unter dem Titel "Mannheimer Abendblatt". Sie war zunächst ein ziemlich farbloses Anzeigenblatt und überließ die Politik dem "Rheinischen Postillon" von Heinrich Hoff, der zur selben Zeit entstand. Herausgeber war die Druckerei von Hähner und Schmelzer. 1840 trennte sich Carl Schmelzer von seinem Kompagnon Hähner und gab eine eigene Zeitung mit dem Titel "Mannheimer Morgenblatt" heraus. Aus dem Abendblatt, das bei Hähner verblieb, wurde die "Mannheimer Abendzeitung".

Morgenblatt und Abendzeitung - so pflegte man bald darauf in Mannheim zu sagen - verhielten sich nicht wie der Morgen zum Abend, sondern umgekehrt wie der Abend zum Morgen: Während die Abendzeitung immer lauter die Morgenröte der neuen Zeit begrüßte, steuerte das Morgenblatt zunehmend ins finstere Lager der Reaktion.

Die unbotmäßige Haltung der Abendzeitung fiel auf. Das Innenministerium - damals unter dem Einfluß Blittersdorfs - ermahnte den Mannheimer Zensor Riegel, auf dieses Blatt ein besonders wachsames Auge zu haben. Im Oktober 1842 wurde auf Riegels Antrag der Redakteur Karl Theodor Grün als preußischer Untertan ausgewiesen. In seinen Paß erhielt er folgenden Vermerk: "Inhaber wird wegen Versuchs, aufregende, deutsche Souverains und Regierungen schwächende Artikel durch den Druck zu verbreiten, in der Richtung nach seiner Heimat über die Grenze gewiesen."

Von höherer Stelle scheint auch Anordnung an die Post ergangen zu sein, es mit der Beförderungspflicht nicht so genau zu nehmen, was die aufsässige "Mannheimer Abendzeitung" anbelangte. So findet sich in der Abendzeitung vom 6. Januar 1843 eine Erklärung der Expedition der Zeitung, wonach sie immer wieder Hinweise erhalte, daß Bestellungen vor den zuständigen Postanstalten nicht angenommen "oder aber bei Abbestellung anderer Blätter Vorstellungen gemacht oder Verweise gegeben würden". Die Leser wurden darauf hingewiesen, daß es nicht Sache der Post sei, ihre Lektüre zu kontrollieren. Ähnliche Beschwerden über die Zensuranmaßung von Postämtern finden sich auch in anderen Mannheimer Oppositionsblättern.

Grün hatte die Auflage der Abendzeitung von März bis Oktober 1842 auf 1200 Stück verdoppelt. Sein Nachfolge wurde Karl Ludwig Bernays, der 1844 nach Paris übersiedelte, um an den von Marx und Ruge konzipierten Deutsch-Französischen Jahrbüchern mitzuwirken. Nun traten auch die obersten Kirchenbehörden mit lautem Lamento auf den Plan. Sie beklagten sich darüber, daß die Mannheimer Abendzeitung mit ihren radikalen Junghegelschen Tendenzen den Atheismus verbreite und das Volk vergifte. Freiherr von Blittersdorf - inzwischen wieder Gesandter beim Bundestag - übergab seiner Regierung ganze Bündel preußischer Beschwerden über die unbotmäßige Abendzeitung. Zensor Riegel mußte sich rechtfertigen, weil er einen gegen Preußen gerichteten Artikel hatte passieren lassen.

Nach dem Weggang Bernays übernahm der bisherige Mitarbeiter Jean Pierre Grohe die Redaktion der Abendzeitung und wurde 1847 ihr Inhaber. Die preußischen Beschwerden häuften sich weiter, besonders nachdem die Abendzeitung im August 1844 verschiedene Artikel über die schlesischen Unruhen gebracht hatte. Berlin nahm in dieser Sache auch Kontakt mit Wien auf. Um sich die "große Unannehmlichkeit vereinter diplomatischer Beschwerden von Preußen und Österreich" zu ersparen, beschloß die badische Regierung, ein Exempel zu statuieren. Da der Abendzeitung nicht gut beizukommen war, wurde der Zensor geopfert. Am 15. Oktober 1844 verfügte das Ministerium die Amtsenthebung von Fuchs, "da derselbe nicht der diesseitigen Intention gemäß das Zensorenamt ausübt". Sein Nachfolger wurde der Regierungsrat von Uria-Sarachaga.

Unter Jean Pierre Grohes Leitung festigte die Abendzeitung ihren Ruf als "radikales" Blatt. Radikal war gleichbedeutend mit demokratisch und republikanisch. Seit 1843 erschien die Abendzeitung zum Ärger ihrer Feinde auch noch sonntags. Sie war mit Abstand das populärste Blatt in Mannheim und der ganzen Umgebung. Als regelmäßige Beilagen führte sie die "Rheinischen Blätter" und das "Badische Volksschulblatt". Ab Januar 1845 gab es an fünf Tagen der Woche jeweils eine der Beilagen zum achtseitigen Hauptteil. Im Januar 1846 vergrößerte sie ihr Format und übertrumpfte damit auch äußerlich die anderen Blätter.

In den Revolutionsjahren 1848/49 war die Abendzeitung das wichtigste Organ der badischen Radikalen. Am 29. April 1848 wurde Grohe zusammen mit dem Verleger Heinrich Hoff und anderen Demokraten wegen Hochverrats verhaftet und nach Bruchsal ins Gefängnis gebracht. Die beiden Verleger saßen monatelang in Untersuchungshaft. Als Grohe schließlich am 1. September 1848 vor Gericht gestellt wurde, reduzierte sich die Anklage auf vier Zeilen in der Abendzeitung vom 22. April 1848, in denen ein "entscheidender Schlag" in Mannheim herbeigesehnt wurde. Die Demokraten hatten unterdessen wieder Oberwasser bekommen und die Geschworenen trugen der Volksstimmung Rechnung, indem sie Grohe freisprachen. Die Justiz sah sich blamiert. Im Fall von Heinrich Hoff ließ sie es darauf gar nicht erst zu einer Anklage kommen. Am 10. November wurde auch Hoff gegen Kaution entlassen und das Verfahren eingestellt. Die Abendzeitung konnte Ende Mai 1848 wieder erscheinen, nachdem Grohes Anwalt Brentano die erforderliche Kaution herbeigeschafft hatte.

Mit dem preußischen Einmarsch in Baden kam dann auch das Ende der Mannheimer Abendzeitung: In einer vom 22. Juni 1849 - dem Tag der Konterrevolution in Mannheim - datierten Erklärung, die am 24. Juni in der Abendzeitung veröffentlicht wurde, machte Jean Pierre Grohe den Lesern folgende Mitteilung: "Plötzlich eingetretene Verhältnisse veranlassen mich, die einstweilige Fortführung der Redaktion dieser Blätter Herrn Friedrich Moriz Hähner zu übergeben, der für dieselben gerne alle Sorge tragen wird."

Am 29. Juni rückte Hähner, der Drucker und neue verantwortliche Redakteur, eine weitere "Nachricht an die verehrlichen Abonnenten der Mannheimer Abendzeitung" ins Blatt:

"Seit dem 23. ds. Mts. habe ich das Eigentumsrecht an der Mannheimer Abendzeitung wieder an mich gezogen. Die Zeitung erscheint von heute an unter meinem Namen und meiner eigenen Redaktion, und alle Ansprüche des seitherigen Redakteurs Herrn J. P. Grohe sind somit erloschen. Mit dem Redaktionswechsel hört alles Influieren von Seiten des Herrn J. P. Grohe auf die politische Richtung der Zeitung auf. Wir betreten unseren eigenen Weg, den der strengen Wahrheit und Freisinnigkeit auf dem Boden des Gesetzes und der Ordnung, werden aber gerade deshalb gegen jede Willkür und Unterdrückungslust auf das Entschiedenste ankämpfen."

Es nützte Hähner jedoch nichts, daß er die Abendzeitung vor "Gesetz und Ordnung" zu Kreuze kriechen ließ. Schon der Titel des Blattes mußte von den neuen Machthabern als Provokation empfunden werden. Am 30. Juni erschien die letzte Ausgabe, in der noch ein ehemaliger Mitredakteur - inzwischen auf der Flucht - gegen den Kurswechsel protestierte:

"Nein, nie wird die alte Redaktion der Abendzeitung eine Versöhnung anbahnen zwischen den ehrlichen Leuten und den Verräthern und jede Darstellung in diesem Sinne mit Voraussetzung von Grohes Namen ist der schändlichste Mißbrauch seiner politischen Ehre und seines Eigenthums. Es genügt für Freunde, anzugeben, daß Hähner, der Drucker des Blattes und von je ein willenloser Mann, jetzt in den Händen der Bürgerverräther ist, und daß niemand, der mit der Zeitung in Verbindung stand, ihm im Augenblick nahe ist. - Die Männer der Abendzeitung geben die Revolution nicht verloren, wie jener heuchlerische Artikel glauben machen will; sie werden fortfahren, ihr zu dienen."

Es liegt nahe, in dieser Erklärung einen Persilschein für Hähner zu vermuten; sonst hätte er sie nicht abgedruckt. Offenbar wollte Hähner, wenn schon nicht die Abendzeitung, so doch seine wirtschaftliche Existenz retten.

Der Heidelberger Professor Ludwig Häusser, der zu den Herausgebern der "Deutschen Zeitung" gehörte, hat der radikalen Mannheimer Konkurrentin vorgeworfen, sie sei "je nach Witterung konstitutionell, radikal, sozialistisch und kommunistisch" gewesen. Daran stimmt soviel, daß die Mannheimer Abendzeitung nicht von der ersten bis zur letzten Nummer die demokratischen und sozialistischen Ziele propagierte, zu deren Sprachrohr sie sich auf dem Höhepunkt der revolutionären Bewegung machte. In Anbetracht der meistenteils herrschenden Zensur wäre es indessen ungerecht, ihr hieraus einen Vorwurf zu machen. - Die Mannheimer Abendzeitung war jedenfalls das tonangebende Blatt der Demokraten im Südwesten und eines ihrer wichtigsten publizistischen Organe in ganz Deutschland. Sie wuchs und starb mit der revolutionären Bewegung. Ihre Tonart war den jeweiligen Möglichkeiten angemessen, sonst hätte sie sehr schnell das gleiche Schicksal wie der "Wächter am Rhein" erlitten. So aber brachte sie es auf die erstaunliche Lebensdauer von über zehn Jahren und einen Leserkreis, der sich über ganz Deutschland bis ins Rheinland, nach Schlesien und Ostpreußen erstreckte.