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Arkadien


 

Hubert Robert (1733-1808), Der Diana-Tempel zu Nîmes (1771)

Ruinen-Symbolik

Die Ambivalenz von Nostalgie und Utopie im arkadischen Landschaftsbild

Ein wichtiges Symbol der elegischen, reflexiv-gebrochenen Sehnsucht nach Arkadien wurde die Ruine. Sie übersetzt die nostalgische Komponente des Traums von Arkadien, die sich bereits in der engen Verwandtschaft von Ritter- und Schäferroman zeigt, in den zweidimensionalen Raum des Landschaftsgemäldes. Später wird man sie sogar im dreidimensionalen Raum des Parks finden. Das arkadische Motiv, das ursprünglich rein poetisch-literarisch war, wird so immer sinnlich wahrnehmbarer. Sein Medium ist zunächst das Papier, dann die Leinwand und noch später der Garten. Auf jeder dieser Stufen verdinglicht sich das arkadische Motiv ein Stück weiter. Es nimmt immer mehr Sinne gefangen, um schließlich das dreidimensionale, begehbare arkadische Landschaftsbild in Form des Englischen Gartens hervorzubringen.

Ruinen finden sich auf zahllosen Bilden des 17. und 18. Jahrhunderts. Sie verleihen den Ideal-Landschaften und bukolischen Szenen eine verhaltene Würde und Melancholie. Ihr psychologischer Stimmungsgehalt wiederholt zum Teil das Vanitas-Motiv, das sich schon in der Malerei des ausgehenden Mittelalters großer Beliebtheit erfreute. Im Unterschied zu Totenkopf und Sanduhr, die in der gotischen und barocken Malerei die Vergänglichkeit allen individuellen Seins allegorisieren, enthält die Ruine jedoch deutlich gesellschaftlich-historische Bezüge. Sie ist ein Zeugnis vergangener Pracht und Größe, das auch der Gegenwart ihre Vergänglichkeit vorhält. Die Ruinen-Bilder des 18. Jahrhunderts weisen sowohl nostalgische wie utopische Züge auf. Sie sind psychologische Vexierbilder, die den Betrachter, je nachdem, in das Arkadien einer fernen antiken Vergangenheit oder einer glücklicheren Zukunft versetzen.

Ruinen erwecken in mir erhabene Ideen, schrieb Diderot angesichts von Ruinen-Bildern, die im "Salon" des Jahres 1767 im Louvre zu sehen waren. Alles wird zunichte, alles verfällt, alles vergeht. Nur die Welt bleibt bestehen. Nur die Zeit dauert fort. Wie alt ist doch unsere Welt! Ich wandle zwischen zwei Ewigkeiten. Wohin ich auch blicke, überall weisen mich die Gegenstände, die mich umgeben, auf das Ende aller Dinge hin, und so finde ich mich mit dem Ende ab, das mich erwartet. 1

Für Ernst Bloch reflektierten diese Ruinen, wie die ganze manieristische Endphase des Barock, das Zwielicht, das aus dem Ineinander von aufsteigendem Bürgertum und tonangebendem, prekär-mächtigem Neufeudalismus entstand; wobei freilich die Vergänglichkeit, als eine im Sturz aufgehaltene, durchaus noch Form bildete, also keineswegs in Nihilismus fiel. Die Ruine mußte so ziemlich genau die Mitte halten zwischen dem Zerfall und einer hindurchscheinenden, sozusagen erst integren Linie; diese schwebende, in der Schwebung gleichsam angehaltene Mitte machte sie, im barocken Sinn, malerisch. 2

Diderot hat den zwiespältigen Charakter der Ruinen-Landschaften instinktiv erfaßt, als er darüber sinnierte, weshalb fast alle Maler um die verfallenen Bauwerke einen heftigen Wind wehen lassen. Ebenso fiel ihm auf, daß Wanderer und sonstige Personen an den Ruinen vorbeigehen, anstatt dort zu lagern und zu rasten. Ganz anders sei es, wenn der Maler die Ruine durch ein Grab ersetze: Jetzt hat der ermüdete Wanderer seine Bürde vor seine Füße gelegt; er und sein Hund sitzen auf den Stufen des Grabes und ruhen sich aus (...) Das alles ist der Fall, weil Ruinen ein Ort der Gefahr, Gräber dagegen eine Zufluchtstätte sind. 3

Im Unterschied zum Grab, dem Ort individueller Vergänglichkeit, war die Ruine also ein "Ort der Gefahr". Die Vergangenheit, welche die Ruine repräsentierte, konnte jederzeit in die Gegenwart hineinwirken. Schon ein Windstoß konnte genügen, um weitere Bruchstücke aus ihr herauszulösen oer sie ganz zum Einsturz zu bringen.

Die barocke Ruine stand so für Nostalgie und Utopie zugleich. Sie war Ausdruck einer diffusen Stimmung. Sie induzierte beim Betrachter die Sehnsucht nach einem Arkadien, das sowohl in ferner Vergangenheit wie in ferner Zukunft angesiedelt sein konnte. Das ursprüngliche, religiöse Vanitas-Motiv wurde in die arkadische Landschaft überführt. Es symbolisierte nun nicht mehr die Nichtigkeit alles Irdischen vor dem Tod und dem Reich Gottes, sondern die Unvollkommenheit der Gegenwart zwischen nostalgisch verklärter Vergangenheit und utopisch überhöhter Zukunft.

Die Rocaille, wichtigstes Stilelement und Namensgeberin des Rokoko, verhalf diesem Lebensgefühl zu ornamentalem Ausdruck. Sie war im Grunde nichts anderes als eine stilisierte Ruine. Ihr gebrochener Schwung wiederholte und widerspiegelte die Gebrochenheit zwischen Nostalgie und Utopie. Sie war Ausdruck einer Welt, in der das Unvollendete Anlaß der Heiterkeit, das Verfallene Erinnerung an Arkadien ist. 4

Seinen markantesten Ausdruck fand das Ruinen-Motiv in den Bildern von Hubert Robert (1733 - 1808). Die meist großformatigen Gemälde mit Ruinen antiker Bauten aus Rom und Südfrankreich trugen ihm den Beinamen "Robert des Ruines" ein. Diese Ruinen waren oft von üppigem Grün überwuchert, das ihnen ein manieristisch-bewegtes, fast lebendiges Aussehen verlieh. Die Ruine dominierte jedoch derart, daß für die Landschaft kein Raum mehr blieb. Für arkadische Stimmungen, gar utopisches Sehnen war in dieser Umgebung buchstäblich kein Platz. Es fehlte die Weite und der Horizont der Landschaft. Selbst Nostalgie wollte angesichts von Roberts Ruinen nicht so recht aufkommen. Sie besitzen wohl die Technik, aber Ihnen fehlt das Ideelle, warf Diderot dem Maler vor. Empfinden Sie denn nicht, daß auf dem Bild zuviel Figuren sind, daß man davon drei Viertel ausradieren müßte - Man darf nur diejenigen beibehalten, die die Einsamkeit und die Stille unterstreichen. 5

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