PresseBLICK-Rezensionen Natur- und Geisteswissenschaften



B. Diekmann / K. Heinloth

Energie - Physikalische Grundlagen ihrer Erzeugung, Umwandlung und Nutzung

456 S., DM 58.-, B. G. Teubner 1997


Alltag bei der IZE: Ein Anrufer wird durchgestellt. Er will wissen, wieviel CO2 bei der Verbrennung von Steinkohle, Braunkohle, Mineralöl und Erdgas freigesetzt wird. Und das, bitteschön, umgerechnet auf denselben Energieinhalt in SKE, Joule oder was immer, damit die Vergleichbarkeit gegeben ist.

Oder es liegt eine schriftliche Anfrage vor: Welche Speichermöglichkeiten gibt es für elektrische Energie? Was unterscheidet Redoxzellen von Brennstoffzellen, wie funktionieren kapazitive und induktive Speicher, welche Rolle spielt dabei die Supraleitung, welche Möglichkeiten bieten Pumpwasserspeicher, Schwungradspeicher, Luft- und Dampfdruckspeicher?

Was tut man in einer solchen Situation? Schließlich kann man nicht alles im Kopf haben, schon gar nicht Zahlen, die womöglich ein paar Stellen hinterm Komma haben. So greift man auch im Zeitalter des Internet noch immer dankbar ins Regal, wo jene Handbücher stehen, die um kaum eine Antwort verlegen sind.

Zu diesen Handbüchern gehört das vorliegende Werk, das erstmals 1983 erschien. Wie die Erstausgabe kann auch die Neubearbeitung den Anspruch erheben, eine vollständige Zusammenfassung aller Energiequellen und der damit verbundenen Probleme zu präsentieren.

Die beiden Autoren sind Hochschullehrer am Physikalischen Institut der Universität Bonn. Bei der Erstausgabe zeichnete als Hauptautor Klaus Heinloth, der inzwischen unter dem Titel "Die Energiefrage" (PB 8/98) ein weiteres hervorragendes Kompendium ganz ähnlicher Art veröffentlicht hat. Bei der vorliegenden Neubearbeitung überließ Heinloth dagegen die Federführung seinem jüngeren Kollegen und ehemaligen Schüler Bernd Diekmann.

Gegenüber der ersten Ausgabe hätten sich in Teilbereichen wohl Akzentverschiebungen ergeben, bemerkt Diekmann im Vorwort. Es seien aber keine wirklich neuen Energiequellen aufgetaucht. Auch sei keine der damals als eher exotisch apostrophierten Varianten - hier scheint er etwa an die magnetohydrodynamischen Wandler (MHD) zu denken - bis heute der Praxisreife wesentlich näher gekommen. Bewahrheitet habe sich ferner die Skepsis der Autoren gegenüber damaligen Prophezeiungen eines anhaltend rasanten Anstiegs des Energieverbrauchs oder einer enormen Vergrößerung des Anteils von erneuerbaren oder nuklearen Energien.

Das Buch beginnt mit 30 Seiten grundsätzlicher Ausführungen zur Energie als physikalischem Begriff, ihren natürlichen Quellen, den Arten ihrer Umwandlung sowie der Möglichkeiten ihrer Speicherung und des Transports. Weitere 30 Seiten widmen die Autoren - und das unterscheidet ihr Werk sehr deutlich von einem rein physikalischen Lehrbuch - den Rahmenbedingungen für den Umgang mit Energie, wie sie durch den weltweiten Energiebedarf, Bevölkerungsentwicklung, die Ressourcen oder Umweltauswirkungen gegeben sind. Den weitaus größten Teil beansprucht mit 244 Seiten die detaillierte Darlegung der einzelnen Energiequellen, von den verschiedenen fossilen Energien (50 S.) über die Solarenergie (51 S.), Wind- und Wasserkraft (31 S.), Biomasse (18 S.), Geothermie (13 S.) und Kernspaltung (65 S.) bis hin zur Kernfusion als Energiequelle der Zukunft (16 S.). Auf fast hundert Seiten erörtern die Autoren dann die Rahmenbedingungen für Energieeinsparungen durch Speicherung, Transport und rationelle Verwendung oder durch spezielle Techniken der Energienutzung. Zum Schluß des insgesamt 456 Seiten starken Werks vergleichen sie die Ergiebigkeit verschiedener Energiequellen sowie die jeweiligen Umweltbelastungen und Risiken.

Ein besonderer Vorzug dieses Lehrbuchs ist, daß es die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge mit Blick auf die großen Fragen der Energiepolitik darlegt. Beispielsweise greifen die Autoren die genauso naheliegende wie selten erörterte Frage auf, weshalb es in der Praxis keine technischen Vorrichtungen gibt, um die Freisetzung des Treibhausgases CO2 zu verhindern. Ihre Antwort lautet: Der technisch mögliche Rückprozeß der CO2-Spaltung verbietet sich trivialerweise aus Energieerhaltungsgründen. Es bliebe somit nur die Möglichkeit, die CO2-Emissionen aufzufangen und zwischenzuspeichern, bis in einer hoffentlich nicht allzu fernen Zukunft genügend CO2-freie Energiequellen zur Verfügung stehen. Eine derartige CO2-Abtrennung während oder nach der Verbrennung wäre aber nur in Großanlagen praktikabel, die derzeit etwa ein Fünftel zur Gesamtemission beitragen. Auch würde die Effizienz der Rückhaltung lediglich etwa 80 Prozent betragen. Ferner würde sich dadurch der Wirkungsgrad des Kraftwerks verringern und somit ein Teil der CO2-Einsparungen wieder zunichte gemacht. Beispielsweise würde der Wirkungsgrad eines GuD-Kraftwerks von 52 auf 42 Prozent sinken.

Freilich sind alle derartigen Zahlen mit einer gewissen Vorsicht zu genießen, da sie ihrerseits auf Daten beruhen, die sich bei weitem nicht exakt oder vollständig ermitteln lassen. Dankenswerterweise geben die Autoren immer die Quellen an, soweit sie keine eigenen Berechnungen angestellt haben. Denn vermeintlich exakte, oft bis auf Dezimalstellen errechnete Werte könnten Unkundigen eine Genauigkeit vortäuschen, die sich beim besten Willen nicht erzielen läßt. Sehr deutlich wird dies bei den Erntefaktoren der verschiedenen Energiesysteme, wo die Autoren gleich drei Studien mit stark differierenden Angaben heranziehen.

Das Buch wendet sich an Leser, die zwar naturwissenschaftlich interessiert, aber nicht unbedingt als Ingenieur vorgebildet sind. Es füllt damit eine Lücke in der gegenwärtigen energiepolitischen Diskussion, die oft mehr von Wunschdenken als von Sachkunde geprägt ist.

(PB 3/99/*leu)