PresseBLICK-Rezensionen Natur- und Geisteswissenschaften



Rüdiger Proske

Das Ende der Politik - Auf der Suche nach der Welt von morgen

Berlin 1992: Ullstein-Verlag, 509 S., DM 49.80


Wer sich noch an das Fernsehmagazin "Panorama" zu Anfang der sechziger Jahre erinnert, wird Rüdiger Proske als "Nonkonformisten" im Gedächtnis behalten haben. So nannte man damals Leute, die im miefigen Klima der Wirtschaftswunderjahre wider den Stachel löckten. Der politische Dauerstreit um "Panorama" gehörte zu den herausragenden medienpolitischen Ereignissen der frühen sechziger Jahre. Auch Proske, der das kritische Fernsehmagazin zusammen mit Gert von Paczensky gegründet hatte, wirkte unter diesen Umständen vergleichsweise "links".

Ab 1968 hat dann die außerparlamentarische Opposition die Maßstäbe versetzt. Da fand sich mancher, der in der Adenauer-Ära zur Opposition gerechnet wurde, unverhofft auf Seiten des "Establishments" wieder. Ob Proske oder Paczensky, ob ein Karl Steinbuch oder ein Gerhard Szczesny - viele der ehemaligen Protagonisten des Nonkonformismus wirkten nun plötzlich mehr oder weniger "konservativ". Meistens nicht deshalb, weil sie ihre Ansichten geändert hätten, sondern weil ihr rationales Credo mit der neo-romantischen, irrationalen Komponente der neuen Protestbewegung ebenso unvereinbar war wie mit der Engstirnigkeit der Jahre davor.

Das Trauma der APO nicht verwunden

Für den inzwischen 71jährigen Proske scheint die außerparlamentarische Opposition bis heute ein Reizthema, ja Trauma geblieben zu sein. Immer wieder polemisiert er in seinem Buch gegen die "ideologisch verbohrten 68er" . Er sieht gar einen "geheimen Ku-Klux-Klan der gegenseitigen Begünstigung", dem es bis heute gelinge, ehemalige Anhänger der APO als Intendanten, Chefredakteure und Redakteure in medienpolitische Schlüsselstellungen zu bringen, sie auf Ministerpräsidentensessel, in zentrale Parteiämter und auf Vorstandsposten in den Gewerkschaften zu hieven. Als prominente Beispiele nennt er den "68er Gerhard Schröder" oder den "blutroten Trotzkisten" Joschka Fischer.

Auch sonst ist Proske mit seinen Etikettierungen nicht zimperlich: Die Grünen sind für ihn eine "Geburt aus dem ideologischen Urschlamm", die Öko-Institute hält er für "Tarnorganisationen", das Darmstädter Öko-Institut entstand gar krebs-artig "als Metastase von Freiburg", die niedersächsische Umweltministerin Griefahn tituliert er verachtungsvoll als "Madame" und die Hannoveraner Funkhauschefin Lea Rosh schmäht er als "Bundesschreckschraube mit Linksgewinde".

Etwas schrullig wirkt es schon, wie Proske da auf APO-Opas und andere Pappkameraden eindrischt. Er scheint ernsthaft zu glauben, das Einrücken ehemaliger 68er in verantwortliche Positionen noch immer als den berühmten "Marsch durch die Institutionen" interpretieren zu müssen. Woher soll denn das heutige Establishment kommen, wenn nicht aus jener Generation, die vor über zwanzig Jahren rebelliert hat? Es gehört einige Blindheit dazu, die geistige Modernisierung zu verkennen, die der westliche Teil Deutschlands seit 1968 erlebt hat (im Unterschied zum östlichen Teil, wo solche Innovationsschübe mit stalinistischer Härte schon im Ansatz erstickt wurden).

Sind Adorno und Habermas schuld an der Technik-Feindlichkeit?

In Proskes Sicht ist die bundesdeutsche Demokratie aus der Auseinandersetzung mit den 68ern als "Sieger" hervorgegangen. Sie habe jedoch "Wunden" davongetragen, sei "labil" geworden. In weiten Kreisen habe sich eine tief verwurzelte "Feindschaft gegen den wissenschaftlich-technischen Wandel" entwickelt. Die von Adorno, Marcuse oder Habermas formulierte Kampfansage an die "Eindimensionalität des wissenschaftlichen Positivismus" habe das ideologische Fundament gelegt "für eine von nun an zunehmende Fortschritts-, Wissenschafts- und Technikfeindlichkeit, die weit über die Absage an die Atomenergie hinaus die Zukunft unseres nun einmal von der Technik abhängigen Landes bis heute schwer belastet".

Man merkt: Für Proske wird schnell suspekt, was nicht von naturwissenschaftlicher Klarheit und Eindeutigkeit ist. Er hat kein Verständnis für Paradoxien, Mehrdeutiges, in sich Zerrissenes, Tragisches, Widersprüchliches. Es paßt nicht in sein aufgeräumtes Weltbild, daß selbst der Unvernunft geschichtlicher Strömungen gelegentlich eine höhere Vernunft innewohnt - und daß umgekehrt die Verabsolutierung der Vernunft schon ein Stück Unvernunft in sich bergen kann. Eine solche Sichtweise empfände er wohl als höheren Blödsinn, als altbackenen Hegel oder als neueste Finesse von Habermas.

Dennoch ist Proske in vieler Hinsicht ein guter Beobachter, Chronist und Interpret des Zeitgeschehens geblieben. Vor allem versteht er es, die Dinge, wie er sie sieht, auf den Punkt zu bringen. Und auch da, wo er überzieht, steckt zumindest ein Körnchen Wahrheit in der überzogenen Kritik. Zum Beispiel, wenn er mit spitzer Nadel in den Luftballon der "Zukunftsforschung" sticht, in der viele eine echte Wissenschaft sehen; wenn er die Phrase von der "multikulturellen Gesellschaft" zerpflückt, das Schlagwort von der "Risikogesellschaft" auseinandernimmt oder die Forderung nach "Basisdemokratie" glossiert. Erfrischend auch, wenn er die späten Fans von C.G. Jung aufs Korn nimmt, die moderne Mythen mit Psychologie verwechseln. Teilweise beipflichten läßt sich ihm selbst noch, wenn er über die Prognosen des "Club of Rome" herzieht. Denn so exakt und zwingend, wie viele meinen, sind dessen kybernetische Szenarien und Hochrechnungen nun doch nicht. Proske überzieht dann aber, wenn er dem Hauptautor der "Grenzen des Wachstums", Dennis Meadows, unterstellt, schon vor zwanzig Jahren gewußt zu haben, "daß sein Modell im Grunde eine Scharlatanerie war". Hier scheint Proske zwei Dinge zu verwechseln: Das eine ist die Unmöglichkeit, Zukunft vorherzusagen. Das andere ist die Notwendigkeit, sich dennoch Gedanken über die Zukunft zu machen. - Schließlich hat Proske selbst jahrelang eine populärwissenschaftliche Fernsehserie betreut, die "Auf der Suche nach der Welt von morgen" war und an die auch der Untertitel seines jetzigen Buches erinnert.

"Kernenergie ist die bisher sicherste Energie"

Fast uneingeschränkt positiv sieht Proske die Kernenergie. Er hält es für ein Unding, "daß zumindest in der Bundesrepublik über Jahre hinweg so gut wie kein anderes Risiko mehr gehandelt wurde als das Risiko der friedlichen Kernenergie, durch die bis 1992 in der Bundesrepublik nicht ein einziger Mensch ums Leben kam". Der "Kampf der Politiker mit Antikernkraftschaum vorm Mund" habe gefährliche Dimensionen erreicht. Proske will zwar nicht ausschließen, daß "uns nicht doch einer der Schrottreaktoren aus der so lange, von so vielen unter uns gelobten sozialistischen Welt des Ostens eines Tages um die Ohren fliegen wird". Grundsätzliche Einwände gegen die Beherrschbarkeit der nuklearen Technologie sieht er jedoch nicht. Objektiv betrachtet sei die Kernenergie aber "bisher die sicherste Energie, die es auf unserem Planeten gibt" - sofern man von Tschernobyl absehe.

"Das Ende der Politik", wie der Titel seines Buches lautet, ist für Proske das Ende der "klassischen, sozialistisch geprägten Politik". Der wissenschaftlich-technische Wandel stelle die Politik vor neue Probleme. Es bedeute eine Bankrotterklärung der Politiker, wenn sie in dieser Situation weiter versuchen wollten, auf Zukunftsangst zu setzen und Honig aus ideologischen Strömungen zu saugen. "Was wir für die Zukunft brauchen, ist ein ideologie-neutrales Gesellschafts-Manage-ment und dafür eine neue Klasse von Politikern."

Das Buch läßt sich insgesamt als Streitschrift für "Ideologiefreiheit" im Sinne eines neopositivistischen Wissenschafts- und Weltverständnisses charakterisieren. Aber ist die Forderung nach einem "ideologie-neutralen Gesellschafts-Manage-ment" nicht ebenso blauäugig wie die Träume von "Basisdemokratie"? Kann das wissenschaftlich-rationale Credo wirklich derart exklusive Gültigkeit beanspruchen? Oder läuft es damit letzten Endes auch nur auf eine Ideologie, nämlich die "Ideologie der Ideologielosigkeit" hinaus?

Die Militanz, mit der sich Proske gegen die Kritiker des Neopositivismus wendet und sie praktisch für alle Übel der Gesellschaft verantwortlich macht, bestärkt in solchen Zweifeln. Sie erinnert an die Streitschriften, mit denen vor über hundert Jahren Haeckel, Nordau und andere Verfechter eines platten Wissenschaftsglaubens dem aufkommenden Neu-Idealismus entgegentraten. Der Darwin-Schüler Ernst Haeckel machte sich damals in einem weitverbreiteten populärwissenschaftlichen Buch anheischig, all jene "Welträtsel", die der Physiologe Du Bois-Reymond als unlösbar bezeichnet hatte, doch noch zu lösen. Und der Arzt Max Nordau schrieb ein Buch mit dem Titel "Entartung", in dem er eine wissenschaftliche Erklärung für alles zu liefern vorgab, was er für kulturell-geistigen Verfall hielt. In Wirklichkeit hat er damit eines der bösartigsten Schlagworte der folgenden Jahrzehnte in Umlauf gebracht.

Gewiß, die Geschichte wiederholt sich nicht. Aber dennoch scheint die Zeitstimmung am Ende des 20. Jahrhunderts derjenigen vor hundert Jahren nicht ganz unähnlich zu sein.

(PB 1/93/*leu)