PresseBLICK-Rezensionen Politik, Zeitgeschehen



Christian v. Ditfurth

Ostalgie oder linke Alternative - Meine Reise durch die PDS

311 S., Kiepenheuer & Witsch 1998, DM 39.80


Die "Partei des demokratischen Sozialismus" (PDS) überwand bei der letzten Bundestagswahl erstmals die Fünf-Prozent-Hürde und ist nunmehr als Fraktion mit 36 Sitzen erneut im Parlament vertreten. In Mecklenburg-Vorpommern hat sie soeben eine Koalition mit der SPD vereinbart und wird zum ersten Mal an einer Landesregierung beteiligt. In Sachsen-Anhalt regierte schon seit längerem ein rot-grünes Bündnis mit Tolerierung durch die PDS. Die Nachfolgepartei der SED ist nicht nur in den neuen Bundesländern ein wichtiger politischer Faktor, sondern kann aufgrund ihrer starken Bastionen im Osten auch auf Bundesebene eine gewisse Rolle spielen. - Wird es so bleiben? Wird die PDS ihren Einfluß sogar noch vergrößern können? Könnte es ihr gelingen, auch in den alten Bundesländern Fuß zu fassen?

Christian von Ditfurth geht nicht ganz unbefangen an diese Fragen heran. Wie seine Schwester Jutta versteht sich der Sohn des Wissenschaftspublizisten Hoimar von Ditfurth als Linker. Im Unterschied zu seiner Schwester, die in den achtziger Jahren eine der bekanntesten Politikerinnen der Grünen war, trat er jedoch 1973 der DKP bei, die als westdeutsche "Bruderpartei" von der SED finanziert und dirigiert wurde. In den zehn Jahren seiner Zugehörigkeit war er nicht nur einfaches Mitglied, sondern zählte zum "Kader", wie man im Parteijargon die niederen bis hohen Weihen der Funktionärs-Priesterschaft nannte. Zum Beispiel absolvierte er einen einjährigen Lehrgang an der DKP-Parteischule in Ostberlin, als er wegen seiner politischen Aktivitäten für eineinhalb Jahre von der Universität Heidelberg relegiert wurde. Noch höhere Weihen hatte die Partei nur durch eine Ausbildung in Moskau zu vergeben. Aber dazu kam es nicht mehr: Wie so mancher andere versprengte Linke aus der Achtundsechziger-Bewegung erkannte auch Christian von Ditfurth eines Tages, "daß linke Politik und SED-Hörigkeit sich ausschlossen".

Trotz der engen politisch-ideologischen Verflechtung zwischen den beiden kommunistischen Parteien war es ein riesiger Unterschied, ob man im Westen der DKP oder im Osten der SED beitrat: Im Westen verdankte die DKP ihre zeitweilige Attraktivität, der sogar ein heute eher konservativer Geist wie Martin Walser erlag, dem Zerfall der antiautoritären Studentenbewegung. Die meisten dieser enttäuschten Idealisten, die ihr Heil in einer neuen Orthodoxie suchten, hatten davon nur empfindliche Nachteile, bis hin zum "Berufsverbot" im öffentlichen Dienst. Ganz anders im Osten: Hier war der Bonbon im Knopfloch, wie man das Parteiabzeichen der SED nannte, die Vorbedingung des beruflichen Aufstiegs und der Zugehörigkeit zur politischen Elite. Die SED war die bevorzugte Partei von Karrieristen und Anpassern. Einem westdeutschen Genossen wie Ditfurth, der sich seine Denkfähigkeit bewahrt hatte, mußte in dieser Umgebung schnell klar werden, daß er mit seiner Achtundsechziger-Mentalität vom Regen in die Traufe geraten war und daß er im realexistierenden Sozialismus für jede Art von Ketzerei noch weit gnadenloser verfolgt würde als dies zuhause durch die vergleichsweise harmlose Inquisition des Radikalenerlasses geschah.

Nun legt die PDS ja großen Wert darauf, nicht die geradlinige Fortsetzung der SED zu sein, sondern eine geläuterte, von den stalinistischen Eierschalen befreite Nachfolgepartei. Sie bekennt sich sogar zum "demokratischen Sozialismus", was für die SED ein ideologischer Kampfbegriff des Klassenfeinds war, um den "realexistierenden Sozialismus" zu diffamieren. Aber wie weit geht diese Wandlung wirklich? Wieweit sind solche Galionsfiguren wie Gregor Gysi, Lothar Bisky oder André Brie typisch für die Masse der Mitglieder? Wie sicher sind die Vorstandsstühle, auf denen sie sitzen? Welche Rolle spielt die "Kommunistische Plattform" mit Sahra Wagenknecht und den anderen Unbelehrbaren? Wie groß ist das intellektuelle Potential der Partei, um ihren Fortbestand im Osten zu sichern und sich neue Wählerkreise im Westen zu erschließen?

Ditfurths Blick auf die PDS ist zur Beantwortung solcher Fragen besonders aufschlußreich, da er aus eigener Anschauung vergleichen kann: Zum einen kennt er die Ideologie und Praxis der stalinistischen Vorläuferpartei aus der intimen Sicht des Renegaten. Zum anderen hat er sich die Mühe gemacht, der heutigen PDS politisch-ideologisch auf den Zahn zu fühlen, indem er zahlreiche interne Veranstaltungen der Partei besuchte, Gespräche mit Funktionären führte und sonstige Quellen erschloß. So entstand bei aller subjektiven Involviertheit doch ein recht überzeugendes Bild vom gegenwärtigen Zustand und den Perspektiven dieser eigenartigen Partei, die mit ihrer ausgeprägten regionalen Verwurzelung an die CSU erinnert, von der Programmatik her aber eher mit Grünen und SPD konkurriert.

PDS als "sozialtherapeutische Selbsthilfegruppe"

Ditfurth bescheinigt der PDS, daß sie in ihrer Gesamtheit weder zurück zur alten DDR möchte noch die alten stalinistischen Methoden des politischen Spiels betreibt. Im Gegensatz zur SED sei die PDS im Osten Deutschlands durch freie Wahlen demokratisch legitimiert und habe sogar den Charakter einer Volkspartei. Ihren führenden Vertretern wie Gysi und Bisky könne das Bekenntnis zum "demokratischen Sozialismus" durchaus abgenommen werden. Freilich dürfe man sich durch die clevere Führungsmannschaft, die geschickte Öffentlichkeitsarbeit oder die klugen, witzigen Wahlkämpfe nicht über die graue Realität an der Basis der Partei hinwegtäuschen lassen, wo die "Traditionalisten" noch immer den geistigen Strukturen von gestern verhaftet seien. Gewiß wollten auch diese Traditionalisten kaum zurück zu Verhältnissen, wie sie unter Honecker oder Ulbricht herrschten. Aber sie seien einfach unfähig zur geistig-emotionalen Aufarbeitung dessen, was ihnen erst durch das repressive System der DDR und dann durch den freien Fall in die westliche Gesellschaft zugefügt wurde. Man merke dies beispielsweise an der Häme, die dem ehemaligen Politbüromitglied Günter Schabowski entgegenschlug, als dieser tatsächlich schonungslos mit sich und seiner Partei ins Gericht ging.

Nach Ditfurths Beobachtungen ist die PDS für viele Genossen "eine Art therapeutische Selbsthilfegruppe, in der die Verlierer von 1989 sich gegenseitig darin bestärken, nur das Beste gewollt zu haben". Sie erinnert ihn insofern an die Heimatvertriebenenparteien, die in den Anfangsjahren der Bundesrepublik eine gewisse Bedeutung als Mehrheitsbeschaffer hatten, bevor sie sich in anderen Parteien auflösten. Und sie werde deren Schicksal teilen, wenn sie so bleibe, wie sie ist, prophezeit er.

Allerdings gebe es auch sehr handfeste, materielle Interessen, die der PDS vorläufig eine treue Wählerschaft sicherten: Ditfurth nennt hier vor allem die Rentenkürzung, die ursprünglich etwa 100 000 frühere Funktionsträger des Regimes betraf, seit Anfang 1997 aber nur noch für hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter gilt. Dieses "Rentenstrafrecht", wie es die PDS-Anhänger bezeichnen, sei in der Tat ein Skandal und werde selbst in seiner Beschränkung auf Stasi-Angehörige vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben können. Außerdem seien diese Rentenkürzungen völlig unverhältnismäßig, wenn man an die ungeschmälerten Renten denke, die sogar Schergen des Nazi-Regimes gewährt wurden.

Die PDS profitiere so zum guten Teil von der Arroganz und Blindheit westlicher Politiker, die nicht fähig oder bereit seien, die andersgeartete Entwicklung in der ehemaligen DDR zu begreifen und die daraus resultierenden Biographien zu respektieren. Typisch seien die undifferenzierte Stasi-Debatte oder der Versuch, in der PDS nichts weiter als die Fortsetzung der SED zu sehen. Die großen Vereinfacher hätten es auf diese Weise sogar geschafft, ehemalige Stasi-Leute ins Recht zu setzen, in der Bevölkerung den Eindruck von Sieger-Willkür zu erwecken und der PDS zu einer Legitimation zu verhelfen, von der die frühere SED nur träumen konnte...

Parteiführung strebt Regierungsbeteiligung an

Dennoch werde dies alles kaum ausreichen, um der PDS eine dauerhafte Existenz zu sichern. Die Partei vergreise. Um junge Wähler zu gewinnen, müsse sie mehr als "Ostalgie" oder ein paar Punk-Frisuren auf ihren Wahlplakaten bieten. Die erhofften Erneuerungsschübe aus dem Westen seien ausgeblieben. Stattdessen schlage sich die Parteiführung in den alten Bundesländern mit einem "dubiosen Konglomerat von Sekten" herum, die mindestens ebenso verbiestert seien wie die Alt- und Jungstalinisten von der "Kommunistischen Plattform".

Die Mannschaft um Gysi sei letzten Endes nicht typisch für die Masse der Mitglieder und Anhänger. Sie benötige die Zusammenarbeit mit der SPD und die Beteiligung an Regierungen, um sich gegen die Altlasten und Widerstände in den eigenen Reihen weiterhin behaupten und die Partei in das politische System der Bundesrepublik integrieren zu können.

Die jetzige Koalition mit der SPD in Mecklenburg-Vorpommern darf demnach auch als Erfolg der Parteiführung gewertet werden, denn die "Traditionalisten" und "Ostalgiker", wie Ditfurth sie nennt, wollten lieber in der Opposition bleiben und schienen zwischendurch sogar Oberwasser zu bekommen. Die Schweriner Koalition markiert jedenfalls einen wichtigen Wendepunkt: Der Versuch, die PDS als Schmuddelkind in die parlamentarische Ecke zu stellen, kann als gescheitert gelten. Die feine Art war es sowieso nicht, wie etwa die Unionsabgeordneten bei der Eröffnung des vorherigen Bundestags dem Alterspräsidenten Stefan Heym ihre Mißachtung demonstrierten, nur weil Heym auf der Liste der PDS kandidiert hatte. Und klug war es auch nicht, weil gerade Heym die bessere Seite der ehemaligen DDR repräsentierte und eine durchaus beachtliche Rede hielt.

Sobald aber die PDS politische Mitverantwortung trägt, kann sie sich billigen Populismus, mit dem sie bisher in der Opposition oft auf Stimmenfang geht, nicht mehr leisten. Sie wird mehr als bisher klarstellen müssen, wie sie wirtschaftliche oder soziale Fragen lösen will oder wie sie es mit essentiellen liberalen Grundsätzen wie der Gewaltenteilung hält. Letztendlich würde sie damit zu einer sozialdemokratischen Partei. Als "linkes Gewissen" der SPD könnte sie vielleicht sogar im Westen Fuß fassen und auch bei den Grünen erben, die bereits deutliche Symptome einer Identitätskrise zeigen, während sie politisch auf dem Höhepunkt ihrer Macht angelangt sind.

Vielleicht teilt die PDS aber auch das Schicksal der ehemaligen Heimatvertriebenenparteien, mit denen Ditfurth sie so treffend vergleicht: Schon jetzt wird das Wegsterben der Älteren nicht durch Neuzugänge bei den Jüngeren wettgemacht. Im Westen ist noch kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Und die anderen Parteien bleiben sicher nicht untätig. Nachdem die CDU ihre Rote-Socken-Kampagne abgeblasen hat und eher versöhnliche Töne gegenüber ehemaligen SED-Mitgliedern anschlägt, könnte es sogar sein, daß der PDS auch von dieser Seite die Klientel abspenstig gemacht wird.

(PB 10/98/*leu)