PresseBLICK-Rezensionen Politik, Zeitgeschehen



Energiewirtschaft im Umbruch

Politische Ökologie, Jan./Feb. 1995, 13. Jahrgang, 78 S., DM 14.80


"Gestern wie heute ist die sogenannte Energieberatung der EVU weitgehende Stromverschwendungsberatung", behauptet Wolfgang Zängl im ersten Beitrag dieses Heftes der Zweimonatsschrift Politische Ökologie, das der "Energiewirtschaft im Umbruch" gewidmet ist. Auch andere Beiträge sind nicht frei von Polemik, doch lohnt die Lektüre eigentlich immer - und sei es nur, um bestimmte Argumentationsmuster zu erfahren.

Als "der Zukunft abgewandt" - eine ironische Reminiszenz an die Hymne der ehemaligen DDR - beschreibt Felix Christian Matthes die Neustrukturierung der Stromwirtschaft in den neuen Bundesländern. Er interpretiert sie als "Konzentrationsprozeß mit schwachen Tendenzen der kommunalen Dezentralisierung", bei dem ökologische Chancen vergeben wurden. Typisch dafür sei die Fixierung der Stromwirtschaft auf die Braunkohle, die sich auch wirtschaftlich als Fehlschlag erweisen werde.

Unter dem Titel "Eine Hand wäscht die andere" untersucht Michael Stelte die Eignerstruktur der Energiekonzerne RWE, VIAG und Veba. Er stellt fest, "daß vor allem Banken und Versicherungen große Kapitalanteile zuzurechnen sind".

Ulrich Petschow beleuchtet den Einstieg der Energiekonzerne in die Abfallwirtschaft. Er vertritt die These, sie hätten nur ein geringes Interesse am Umweltschutz, weil die Abfallvermeidung ihrem eigentlichen Geschäftsinteresse widerspreche.

Für Hartmut Murschall haben die Kommunen zu wenig die Gelegenheit genutzt, die ihnen das Auslaufen der alten Konzessionsverträge zum 1. Januar 1995 für den Rückkauf des Stromnetzes und den Aufbau einer eigenen Stromversorgung bot. Durch eine "Großoffensive" und allerlei "Bonbons" sei es Verbundunternehmen und Regionalversorgern gelungen, die Kommunen oft schon lange vor dem Stichtag zum Abschluß neuer Konzessionsverträge zu bewegen. Immerhin habe das Bremer Energie-Institut über 125 Städte und Gemeinden ermittelt, die derzeit an einer Übernahme des Stromnetzes interessiert seien. Gegenläufig dazu verhielten sich jene Städte, die aus Finanznot ihre Stadtwerke ganz oder teilweise zu verkaufen gedenken.

In das Durcheinander um die zweite Stufe des Energiebinnenmarktes leuchten die grüne Europaabgeordnete Hiltrud Breyer und ihr Mitarbeiter Klaus Dräger: Die EG-Kommission habe gegenüber ihrem ursprünglichen Deregulierungsansatz deutlich zurückstecken müssen. Die nun geschlossenen Kompromisse zwischen Kommission, Europäischem Parlament und Ministerrat lägen "auf der Linie einer schwachen Liberalisierung Marke ÔMonopol lightÕ". Wichtige ökologische und gesamtwirtschaftliche Fragen würden in dieser Debatte nicht reflektiert. Ob Wettbewerb oder Monopol - der Vorrang für "billige Energie" führe so oder so in den weiteren ökologischen Ruin.

Bis dahin sind die Seiten mit "Bestandsaufnahme" überschrieben. Es folgen nunmehr die "Perspektiven": Rainer Baake stellt fest, daß die Hoffnungen, die viele Verfechter einer "Energiewende" auf die Kommunen gesetzt hatten, von diesen nicht erfüllt werden konnten. Inzwischen bestehe auch in diesen Kreisen eine erheblich größere Bereitschaft, auf wettbewerbliche Elemente zu setzen und z.B. den EVU eine unternehmerische Rolle als Energiedienstleistungsunternehmen einzuräumen. Gegenwärtig sei von den EVU aber noch keine aktive unternehmerische Rolle zur Erschließung von Energieeinsparpotentialen zu erwarten. Noch immer seien die Gewinne der EVU an den Energieabsatz gekoppelt, und noch immer bewirkten die Konzessionsabgaben eine "geradezu absurde Verknüpfung" der Kommunalfinanzen mit dem Energiegeschäft.

Daß es auch anders geht, beweisen für Lutz Metz die energiewirtschaftlichen Reformen in Skandinavien, wo Dänemark auf dem Weg zur "Integrierten Ressourcenplanung" und Norwegen bei der Deregulierung Marksteine gesetzt hätten. Peter Hennicke konstatiert mit Genugtuung, daß die deutschen EVU ihre abwehrende Haltung gegenüber "Least Cost Planning" abgelegt hätten. Allerdings hätten alle deutschen LCP-Programm noch Pilotcharakter und zielten "vorwiegend auf Imagepflege" statt auf konsequente Einsparstrategien. Klaus-Dieter Clausnitzer gibt einen Überblick über die bisher bestehenden Energieagenturen. Es falle ihnen offenbar leichter, öffentliche Auftraggeber für die Durchführung von Energieeinsparprojekten zu gewinnen, als Industrie- bzw. Gewerbeunternehmen.

Ab hier werden die Seiten grün und sind mit "Impulse" überschrieben. Den ersten Impuls vermittelt der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder, indem er auf einer knappen Seite seine Bereitschaft zu einem Energiekonsens bekundet, der auf ein geordnetes Auslaufen der bestehenden Kernkraftwerke hinausläuft. Neben den Restlaufzeiten müßten die Entsorgung und "ein Programm zur Realisierung der Energiewende" geklärt werden. Schröder glaubt allerdings nicht, daß die installierte Kernkraftleistung allein aus erneuerbaren Energien ersetzt werden könnte. - Etwas anders sieht das der nachfolgende Beitrag: Achim Schneider vergleicht die technische und wirtschaftliche Bedeutung der Solarenergie mit den Umwälzungen durch Dampfmaschine und Eisenbahn. Die deutsche Industrie sei dabei, den Anschluß an diese Technologie zu verlieren und riskiere damit den Status Deutschlands als Industriestaat.

Die Autoren des Heftes sind in der Regel Wissenschaftler und Energieexperten, die sich einer betont kritischen Sichtweise und der Forderung nach einer "Energiewende" verschrieben haben. Die Beiträge der beiden Politiker Hiltrud Breyer (Grüne) und Gerhard Schröder (SPD) verdeutlichen, wo sie ihre wichtigsten politischen Verbündeten sehen. Die Beiträge sind aber keine politischen Pamphlete, sondern fast durchweg mit großer Sachkunde verfaßt. Obwohl etliche Seitenhiebe gegen die Energiewirtschaft nicht fehlen, wird nicht der Anschein erweckt, als läge es nur an den verstockten EVU, daß noch kein Patentrezept für eine möglichst umweltschonende Energieversorgung verwirklicht werden konnte.

Ketzerische Gedanken über "wissenschaftlich verbrämte Glaubenskriege"

In einem Beitrag, der außerhalb des eigentlichen Energie-Teils dieses Heftes steht, leistet sich Christel Möller von der niedersächsischen Staatskanzlei sogar einige ketzerische Gedanken über das Verhältnis von Wissenschaft und Politik: Aus eigener Erfahrung weiß sie von Diskussionen zu berichten, in denen die Kontrahenten irgendwelche wissenschaftlichen Argumente wie Glaubensartikel ins Feld führen, ohne überhaupt beurteilen zu können, über was sie reden. So bewirke die "kritische Wissenschaft" entgegen ihren eigenen Intentionen häufig eine "klammheimliche Dogmatisierung", indem sie Umweltbewegung und Bevölkerung "in die Rolle von Gläubigen" dränge. Parallel dazu gerate der Wissenschaftler "in die Rolle des Priesters, dessen Verkündigung geglaubt wird, weil die Beurteilungsgrundlage seines Publikums nicht Maßstäbe des wissenschaftlichen Diskurses sind". Letztlich habe man es hier mit jener "Verwissenschaftlichung des Protestes gegen Wissenschaft" zu tun, wie sie Ulrich Beck konstatiert hat. Der wissenschaftlich verbrämte Glaubenskrieg entmündige auch die Politiker, weil diese sich nicht mehr trauen würden, gesellschaftspolitisch notwendige Entscheidungen ohne den Segen von irgendwelchen Experten zu treffen.

(PB Februar 1995/*leu)