PresseBLICK-Rezensionen "Elektrosmog"

Forschungsergebnisse

K. Brinkmann, H. Kärner, H. Schaefer (Hg.)

Elektromagnetische Verträglichkeit biologischer Systeme in schwachen 50-Hz-Feldern

277 S., DM 32.-, 1995 VDE-Verlag, dt./engl.

Seit über zwanzig Jahren gibt es den "Forschungsverbund Elektromagnetische Verträglichkeit biologischer Systeme". Er vereint Human- und Tiermediziner, Biologen, Chemiker und Elektrotechniker aus der ganzen Bundesrepublik. Gemeinsam spüren sie der Frage nach, ob von elektromagnetischen Feldern noch unbekannte biologische Wirkungen ausgehen und ob damit für den Menschen ein Gesundheitsrisiko verbunden ist.

Im Frühjahr und Herbst 1994 präsentierte der Forschungsverbund seine bisherigen Ergebnisse auf zwei Symposien an der TU Braunschweig. Das erste galt den biologischen Wirkungen der Funkdienste und anderer hochfrequenter Felder. Das zweite befaßte sich ausschließlich mit den 50-Hertz-Feldern der Stromversorgung. Der vorliegende Band aus dem VDE-Verlag faßt die Referate zusammen, die bei diesem zweiten Symposion am 4. Oktober 1994 gehalten wurden.

Die insgesamt zehn Referate widmen sich folgenden Fragen: Kommen 50-Hertz-Felder als Ursache von Krebs in Frage? Können sie eine bereits vorhandene Krebserkrankung verstärken? Bewirken sie Schädigungen der Erbanlagen oder Mißbildungen? Können sie den intrazellulären Stoffwechsel beeinflussen? Ergeben sich gesundheitliche Risiken aus der inzwischen als gesichert geltenden Beeinflussung des Melatonin-Spiegels durch magnetische Felder?

Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Bei keiner der hier referierten Untersuchungen ergaben sich Hinweise darauf, daß 50-Hertz-Magnetfelder Krebs erzeugen, die Erbanlagen schädigen oder Mißbildungen begünstigen könnten. Ebenso war kein Einfluß auf den Kalzium-Stoffwechsel zu erkennen. Die drei Herausgeber geben im Vorwort der Überzeugung Ausdruck, "daß auch die experimentelle Forschung an Zellen und höheren Tieren, die mit ihrem ganzen Körper elektromagnetischen Feldern ausgesetzt werden, nichts grundsätzlich Neues mehr bringen wird".

"Krebspromovierende" Wirkung von stärkeren Magnetfeldern bei Ratten beobachtet

Dennoch verdient zumindest eines der Referate besondere Erwähnung: Die Tiermediziner Prof. Wolfgang Löscher und Dr. Heike Mevissen von der Tierärztlichen Hochschule Hannover berichten darin von einem Experiment, bei dem sie hundert Ratten mit krebserzeugenden Chemikalien behandelt hatten. Die eine Hälfte der krebsverseuchten Tiere wurde monatelang einem magnetischen Wechselfeld von 100 Mikrotesla ausgesetzt. Die andere diente als Kontrollgruppe. Es zeigte sich, daß das Tumorwachstum bei den Ratten im Magnetfeld schneller und stärker vonstatten ging. Das Magnetfeld scheint demnach eine "krebspromovierende" Wirkung gehabt zu haben, d.h. es erzeugte zwar keinen Krebs, aber es förderte eine bereits angelegte Krebserkrankung. Bei geringeren Feldstärken - bis hinab zu Flußdichten von 1 Mikrotesla - war dieser Effekt allerdings nur schwach oder gar nicht zu beobachten.

Das hier skizzierte Ratten-Experiment wurde erst vor wenigen Wochen von den Medien aufgegriffen, nachdem Prof. Löscher in einem Gespräch mit der Deutschen Presse Agentur über seine Forschungen berichtet hatte. Damit erhielten Befürchtungen wieder Nahrung, daß Magnetfelder der Stromversorgung bei Menschen ebenfalls eine krebspromovierende Wirkung haben könnten. Läßt man alle sonstigen Unterschiede außer acht (etwa das weit geringere Körpervolumen einer Ratte), so wäre für eine solche Wirkung außer ungewöhnlich hohen Feldstärken zumindest eine monatelange Expositionsdauer und eine extreme Vorschädigung des Organismus durch karzinogene Stoffe erforderlich. Wie aber erst jetzt wieder die niedersächsische Studie von Prof. Michaelis gezeigt hat, sind die Magnetfelder der Stromversorgung in deutschen Haushalten mit Mittelwerten um 0,025 Mikrotesla sehr schwach und damit unbedenklich. Magnetischen Wechselfeldern in dieser Größenordnung ist der Mensch allein schon dadurch ausgesetzt, daß er seine Gliedmaßen im magnetischen Gleichfeld der Erde bewegt (das übrigens den stattlichen Wert von 40 Mikrotesla erreicht).

Die "Melatonin-Spur" gilt derzeit als der vielversprechendste Ansatz für Forschungen

Die im Tierversuch beobachtete "krebspromovierende" Wirkung von Magnetfeldern ließe sich eventuell mit einem Mangel an dem Hormon Melatonin erklären, dem eine krebshemmende Wirkung zugeschrieben wird. Die Bildung von Melatonin wird durch die Einwirkung von Licht oder auch anderen Frequenzen des elektromagnetischen Spektrums unterdrückt. Die Zirbeldrüse produziert dieses Hormon deshalb praktisch nur nachts, und zwar aus dem Hormon Serotonin als Vorstufe. Wenn nun Magnetfelder, ähnlich wie das Licht, auf die Zirbeldrüse einwirken, wird mit der Produktion von Melatonin dessen mutmaßlich krebshemmende Wirkung geschwächt. So lautet jedenfalls eine der Hypothesen.

Dem Serotonin, das die Vorstufe für Melatonin bildet, wird eine aufhellende Wirkung auf das Gemüt zugeschrieben. Umgekehrt soll ein Mangel an Serotonin zu Depressionen führen. Da die Umwandlung von Serotonin zu Melatonin den Serotonin-Spiegel beeinflußt, könnten magnetische Felder - so eine weitere Hypthese - auch die Gemütsverfassung beeinflussen. Und zwar müßten sie eigentlich eine aufhellende, anti-depressive Wirkung haben. Der Einfluß (elektro-)magnetischer Felder wäre also vergleichbar dem einer "Lichtdusche", wie sie in der Medizin gezielt zur Behandlung von depressiven Verstimmungen angewendet wird.

Über die Bedeutung von Melatonin und Serotonin für den menschlichen Organismus informiert im vorliegenden Band das Referat von Prof. Eduard David und seines Assistenten Dr. Jörg Reißenweber. Die "Melatonin-Spur" gilt unter den Forschern als die derzeit vielversprechendste unter allen Theorien über die biologischen Wirkungsmöglichkeiten von Feldern. Im übrigen steckt sie aber noch voller Rätsel und Ungereimtheiten: So müßten eigentlich Blinde weniger Krebs haben, da bei ihnen die Melatonin-Produktion am wenigsten durch Lichteinfall behindert wird. Tatsächlich läßt sich aber ein solcher Zusammenhang nicht nachweisen, und sogar bei völlig erblindeten Menschen ist ein Tagesrhythmus der Melatonin-Produktion vorhanden.

Die Referate eines wissenschaftlichen Symposions sind naturgemäß eine recht trockene Lektüre. Mit diesem Vorbehalt kann der vorliegende Band allen empfohlen werden, die sich ein genaueres Bild von Stand und Schwierigkeiten der diesbezüglichen Forschungen machten möchten. Der deutsche Originaltext wurde durch eine englische Übersetzung ergänzt. Ein besonderer Vorzug des Bandes ist es, daß er die deutsche und englische Fassung der Referate einschließlich der Literaturnachweise seitenweise einander gegenüberstellt. So lassen sich mit einem Blick die jeweils einander entsprechenden Fachausdrücke und Formulierungen in beiden Sprachen erfassen.

(PB Februar 1996/*leu)