PresseBLICK-Rezensionen "Elektrosmog"

Verwirrspiel mit Nanotesla-Werten

Erich W. Fischer, Anton Schneider

Elektrobiologie

Neubeuern 1993: Institut für Baubiologie + Oekologie, 105 S., DM 15.-

Im Filmstudio genügt oft eine größere Badewanne, um den Effekt eines stürmisch bewegten Meeres hervorzurufen. Die Kamera darf dabei aber keinesfalls den Rand der Wanne ins Blickfeld bringen, um die Illusion haushoher Wellenberge nicht zu zerstören.

Ähnlich ist es mit dem Sturm im Wasserglas, den manche Bau-, Elektro- oder Geobiologen zum Thema "Elektrosmog" entfesseln. Neben offenkundigem esoterisch-parapsychologischem Unsinn gibt es auf diesem Gebiet eine semi-seriöse Literatur, die sich im wesentlichen physikalischer Begriffe und Argumente bedient, aber dennoch in grober Weise die Maßstäbe verzerrt, wenn es um die Beziehung zwischen Feldstärken und möglichen gesundheitlichen Risiken geht.

Wie man "Baubiologe" werden kann

Dazu gehört das vorliegende Bändchen. Es entstammt der Schriftenreihe "Gesundes Wohnen", die vom "Institut für Baubiologie + Oekologie Neubeuern" herausgegeben wird. Laut Eigenwerbung handelt es sich bei diesem Institut um eine "unabhängige private GmbH", die neben allerlei Publikationen auch die Ausbildung zum "Baubiologen" anbietet. Den Teilnehmern des entsprechenden "Fernlehrgangs" winkt am Ende eine schöne Urkunde mit der "Berufsbezeichnung: Baubiologe". Das könnten sie freilich auch billiger haben. Die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Es darf sich jeder "Baubiologe" nennen, ohne vorher mindestens 1500 DM nach Neubeuern überwiesen zu haben.

Elektrische und magnetische Felder spielen in der sogenannten Baubiologie eine große Rolle. Vor allem die halbseidenen Vertreter dieser Zunft entwerfen geradezu Horror-Szenarien, was die diesbezüglichen Risiken im Wohnumfeld angeht. Wie unseriös es auf diesem Gebiet zugeht, läßt auch das vorliegende Bändchen ahnen: Wiederholt grenzen sich die beiden Autoren von offensichtlichen Quacksalbern und Gaunern ab. Zum Beispiel würden den vom "Elektrosmog" gepeinigten Menschen nutzlose "Entstörgeräte" verkauft, die aus technisch sinnlosem Schrott bestünden. Recht haben sie! Leider endet die kritische Haltung dann aber vor der Einsicht, daß es neben den offenkundig schwarzen Schafen eine mindestens ebenso große Anzahl gesprenkelter Schafe gibt.

Die semi-seriöse Literatur zum Thema Felder unterscheidet sich vom schlichten Humbug durch einigermaßen korrekte Darstellung der physikalischen Zusammenhänge, wobei jedoch die nachgewiesenen Wirkungsmöglichkeiten der Felder auf biologische Systeme und möglicherweise daraus resultierende gesundheitlichen Risiken maßlos übertrieben werden. Man könnte auch von einer "Nanotesla-Literatur" sprechen, denn sie hebt vor allem auf die magnetischen Felder ab, und hier vor allem auf angebliche Risiken, die im Nanotesla-Bereich, also bei Feldstärken von Milliardstel Tesla, liegen sollen.

Verwirrspiel mit Nanotesla-Werten

In dem vorliegenden Buch wird schon eine Feldstärke von 3 Nanotesla, wie sie in einem halben Meter Abstand von der Zuleitung einer 100-Watt-Glühlampe gemessen werden kann, als quasi gesundheitlich bedenklich hingestellt. Das aufkeimende Unbehagen des Lesers muß zum blanken Entsetzen werden, wenn er auf der nächsten Seite erfährt, daß im selben Abstand von der Zuleitung eines 2000-Watt-Heizkörpers gar 1400 Nanotesla gemessen worden seien.

Ohne Frage: Die genannten Werte können als realistisch gelten. Der Leser sieht aber nicht den Rand der Badewanne, in der diese magnetischen Stürme toben und scheinbar haushohe Wellen aufwerfen. So sind die erwähnten 3 Nanotesla praktisch kaum zu messen, weil sie im Hintergrundrauschen der allgegenwärtigen magnetischen Gleich- und Wechselfelder untergehen. Die hier suggerierte Vorstellung eines normalerweise feldfreien Raums, durch den nur die Stromleitung mit ihrem magnetischen Wechselfeld eine meterbreite Schneise schlägt, geht jedenfalls an der Realität vorbei.

Vergleichbare Körperstromdichten durch Kopfnicken, Rumpfbeugen oder Radfahren

Auch die 1400 Nanotesla in der Nähe des Heizkörpers - ein Wert, der sicher über dem Hintergrundrauschen liegt - sind keineswegs furchterregend. Schon das Erdmagnetfeld hat in unseren Breiten eine Stärke von 40 000 Nanotesla, und schon die bloße Bewegung in diesem magnetischen Gleichfeld kann beim Menschen ähnliche Körperstromdichten bewirken wie das 50-Hertz-Feld an der erwähnten Zuleitung des Heizkörpers. Physikalisch gesehen ist es nämlich völlig gleichgültig, ob ein Strom durch die Bewegung der elektrischen Ladung gegenüber dem ruhenden Körper oder durch die Bewegung des Körpers gegenüber der ruhenden Ladung erzeugt wird. Wenn von solchen Feldstärken eine Gefährdung ausginge, dürften wir weder Rad fahren, mit dem Kopf nicken oder den Rumpf beugen, denn schon bei diesen Bewegungen des menschlichen Körpers entstehen im homogenen Erdmagnetfeld mittlere Körperstromdichten von 1,5 bis 4 Mikroampère pro Quadratmeter. Wie Spezialisten des Badenwerks bei ihren Untersuchungen herausgefunden haben, können die Werte noch erheblich höher sein, wenn das Erdmagnetfeld durch natürliche oder zivilisatorische Einflüsse inhomogene Verwerfungen aufweist (vgl. etz, Bd. 114 /1993, H. 20, S. 1248-1251).

Noch einfacher machen es sich die Autoren mit den elektrischen Gleich- und Wechselfeldern. Hier nennen sie erst gar keine konkreten Feldstärken (in Volt pro Meter), sondern erwecken pauschal den Eindruck, es müßten die Leitungen der häuslichen Stromversorgung abgeschirmt, Netzfreischalter installiert oder wenigstens die Betten in gebührenden Abstand zur Steckdose gebracht werden, um gesundheitliche Risiken durch elektrische Felder zu vermeiden.

Immer wieder kolportieren die Autoren "Fallbeispiele", deren Grundmuster an den ständig wiederkehrenden Plot einer soap opera oder eines Werbespots erinnert. Szene 1: Ruhelos wälzt sich das "elektrosensitive" Opfer des Elektrosmogs in seinem Bett, weiß keinen Rat, woher seine Beschwerden rühren könnten, konsultiert erfolglos Ärzte und Psychotherapeuten. Szene 2: Der Baubiologe tritt auf den Plan, enttarnt mit kundigem Blick irgendwelche elektrischen Leitungen und Geräte als tatsächliche Quelle des Übels und sorgt für rasche Abhilfe.

Es mag ja sein, daß sich diese Fallbeispiele für das subjektive Bewußtsein der Beteiligten tatsächlich so abgespielt haben. Es fällt aber doch auf, wie oft die angeblichen Opfer des Elektrosmogs ausgerechnet "baubiologisch" vorbelastete Bauherren und Mieter sind, die keinen Aufwand und keine Mühe scheuen, um genau jenem Verhängnis zu entgehen, dem sie dann doch zum Opfer fallen. Es scheint irgendwie mit dem exorzistischen Aufwand zusammenzuhängen, daß der Elektrosmog-Teufel a) vor allem die frömmsten Häuser befällt, b) so hartnäckig widersteht und c) immer erst dann weicht, wenn ein Bautheologe - pardon, Baubiologe - die richtige Beschwörungsformel findet.

Dabei scheinen sich die Baubiologen noch nicht einmal innerhalb Neubeuerns ganz einig zu sein: Auf Seite 17 behauptet der Koautor Fischer, daß alle Kleidungsstücke aus natürlichen Fasern wie Wolle, Baumwolle, Seide sowie Felle und Pelze deshalb als besonders angenehm empfunden werden, weil sie sich "beim Tragen positiv aufladen". Genau das Gegenteil kann man dann aber auf den Seiten 56 und 61 lesen, wo Koautor Schneider die These propagiert, "daß positive Ionen im Überschuß von den meisten Menschen unangenehm empfunden werden".

Mit Verlaub gesagt: Ein etwas windiges Buch. Aber man sollte auch hier nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, indem man der "Elektrobiologie" pauschal jeden Nutzen und jede Existenzberechtigung abspricht. Die biologischen Wirkungen und möglichen Risiken von hoch- und niederfrequenten Feldern sind bisher tatsächlich wenig erforscht und berücksichtigt worden. Allzulange wurde das Problem der "elektromagnetischen Verträglichkeit" nur mit Blick auf die mögliche Beeinflussung von technischen Geräten erörtert. Der Hauptgrund dafür ist freilich, daß biologische Wirkungen von Feldern nur sehr schwer nachweisbar sind und bis heute keine eindeutigen Indizien für ein Gesundheitsrisiko vorliegen. Erst recht lassen sich keine solchen Risiken erkennen, wie sie die meisten Baubiologen den niederfrequenten Wechselfeldern der Stromversorgung unterstellen. Wer ihren Feldstärke-Empfehlungen folgen wollte, müßte an Natur und Technik verzweifeln, da Gleich- und Wechselfelder dieser Stärke praktisch überall vorhanden sind und es deshalb gar kein Entrinnen vor der vermeintlichen Gefahr gäbe. Eine "Elektrobiologie", die ernst genommen werden will, muß sich vor sektiererischen und hypochondrischen Verirrungen hüten. Sie sollte sich auch nicht dem Verdacht aussetzen, den Elektrosmog-Teufel vor allem deshalb an die Wand zu malen, um allerlei Publikationen und Fernlehrgänge nach Art des Nürnberger Trichters besser absetzen zu können.

(PB April 1994/*leu)