PresseBLICK-Rezensionen Erneuerbare Energien



Franz Alt

Die Sonne schickt uns keine Rechnung - Die Energiewende ist möglich

München 1994: Piper Verlag, 153 S., DM 14.90


Die Sonne schickt uns keine Rechnung. Das stimmt schon. Aber der Buchhändler will DM 14.90 für das vorliegende Bändchen haben. Das wirft die Frage auf, ob der Inhalt den Preis rechtfertigt.

Es kommt wohl auf die Sichtweise an. Sagen wir es mal so: Wer sich nach Utopien, heiler Welt und Patentlösungen sehnt, wird mit einem Buch von Franz Alt immer gut bedient sein. Wer dagegen zuverlässige Informationen über die Chancen der erneuerbaren Energien haben möchte, wird mit dem vorliegenden Bändchen nicht viel anfangen können. Es ist weder ein Fachbuch noch eine populärwissenschaftliche Schrift, sondern - wie auch andere Bücher von Alt - ein missionarisches, ein propagandistisches Werk.

Ein solches Buch packt den Leser nicht am Intellekt, sondern nimmt ihn in eine Gesinnungsgemeinde auf. Etwa so: "Mit diesem Buch lesen Sie gegen die zweitstärkste Macht der Welt an, gegen die weltweiten Interessen der heutigen Energiewirtschaft." - Die Lektüre im stillen Kämmerlein setzt also gewissermaßen spirituelle Kräfte frei. Sie wird im Jargon der Betroffenheit und Innerlichkeit zum "Anlesen gegen" die Schlechtigkeit der Welt.

Aber betrachten wir erst die Fakten: Der jährliche Stromverbrauch der Bundesrepublik beträgt gegenwärtig etwa 453 Milliarden Kilowattstunden bzw. 453 Terawattstunden. Zur Deckung dieses Bedarfs tragen die erneuerbaren Energien etwa 19 000 Millionen Kilowattstunden bei (einschließlich privater Einspeisungen ins öffentliche Netz, Stand Ende 1992). Dies entspricht einem Anteil von 4,27 Prozent. Der weitaus größte Teil davon entfällt mit 3,57 Prozent auf die Wasserkraft. Der restliche Beitrag der erneuerbaren Energien verteilt sich auf Müll (0,5 Prozent), Biomasse (0,07 Prozent), Wind (0,06 Prozent) und Photovoltaik (0,0003 Prozent).

Das kann sicher nicht so bleiben. Denn langfristig hat die Menschheit kaum eine andere Wahl, als die Stromerzeugung auf die erneuerbaren Energien zu gründen. Schließlich werden die Vorräte an Kohle, Gas, Öl und Uran irgendwann erschöpft sein, und die Chancen der Kernfusion sind noch sehr ungewiß. Auch sind die Risiken eines verstärkten Treibhauseffektes durch CO2-Emissionen nicht so leicht von der Hand weisen, wie dies neuerdings gelegentlich propagiert wird.

Die Umstellung auf erneuerbare Energien läßt sich aber nicht so schnell und einfach bewerkstelligen, wie manche sich das vorstellen, in deren Augen ein Windpark gleich ein ganzes Kohlekraftwerk ersetzt. Es mag bescheiden klingen, wenn dieser Tage die 12. Europäische Solarenergie-Konferenz in Amsterdam forderte, den Anteil des photovoltaisch erzeugten Stroms bis zum Jahr 2010 auf ein Prozent zu steigern. Aber allein dafür müßte die gegenwärtige Leistungsfähigkeit der photovoltaischen Anlagen um mehr als das Dreitausendfache erhöht werden. Der so produzierte Strom wäre um ein vielfaches teurer, da die Stromgestehungspreise für Photovoltaik derzeit um den Faktor 15 bis 30 (bei netzgekoppelten Anlagen) bzw. 10 bis 20 (bei Inselsystemen) höher sind als bei der konventionellen Stromerzeugung. Der Strom stände auch nicht rund um die Uhr zur Verfügung, sondern nur in Abhängigkeit vom Sonnenlicht. Selbst ein derart bescheidenes Ziel wäre also letzten Endes nur zu erreichen, weil sich die damit verbundenen finanziellen und technischen Risiken im Rahmen von über 90 Prozent konventioneller Stromerzeugung kompensieren ließen.

Milchmädchenrechnungen

Mit solchen Daten und Überlegungen hält sich Franz Alt aber gar nicht erst auf. Für ihn ist die Umstellung der Stromwirtschaft auf erneuerbare Energien schlicht eine Frage des Wollens und der entsprechenden politischen Weichenstellung. Er will sein Buch sogar "als Orientierungshilfe im Superwahljahr 1994" verstanden wissen. Im Anhang findet man den Aufruf für einen "Ökologischen Marshallplan", den außer Alt die vier Landes-Umweltpolitiker Joschka Fischer (Grüne), Jo Leinen (SPD), Wolfgang Rauls (FDP) und Lutz Wicke (CDU) unterzeichnet haben. Wer will, kann den Aufruf ebenfalls unterstützen und eine Spende auf das angegebene Konto der Aktion "Globale Umweltpartnerschaft" entrichten.

Leider findet der Leser aber so gut wie nichts über Eckdaten der Stromerzeugung, technische Grundlagen der Stromwirtschaft, die unterschiedlichen Leistungsdichten der Energieträger oder Erntefaktoren. Stattdessen präsentiert Alt eine Milchmädchenrechnung nach der anderen. Typisches Beispiel: "Allein die Sonnenstrahlen, die am heutigen Tag die Erde erreichen, können unseren Energiebedarf für 180 Jahre decken."

Franz Alt will zwar nicht gerade behaupten, daß sich dieses theoretische Energiepotential im Handumdrehen in Strom verwandeln lasse. Er räumt sogar ein, daß die vorhandenen Kraftwerkskapazitäten "für eine Übergangszeit von mehreren Jahrzehnten" noch genutzt werden müßten. Im übrigen ignoriert er aber so ziemlich alle Probleme, die aus der geringen Leistungsdichte und den bescheidenen Erntefaktoren der gegenwärtigen Technologien zur Nutzung der Solarenergie resultieren. Er erweckt den Eindruck, als handele es sich einfach um eine Frage der Bereitstellung von genügend Fördermitteln und der Verbilligung durch Massenproduktion: "Würde man mit heutigem Wissen und Können in Deutschland eine Fabrik bauen, in der photovoltaische Module angefertig würden, die jährlich 30 Megawatt Strom erzeugten, dann würde eine Kilowattstunde noch rund 50 Pfennig kosten." - Alt läßt wie immer offen, woher er diese Weisheit hat. Aber er hat es offensichtlich schon beim Abschreiben der "jährlich 30 Megawatt Strom" nicht so genau genommen, da er die Begriffe Leistung und Arbeit durcheinanderbringt.

An anderer Stelle liest man: "Das Stromnetz, in das Solarenergie eingespeist wird, erfüllt die Funktion des Speichers." Zuvor ist die Rede davon, daß sich Biomasse problemlos für den Einsatz im Winter speichern lasse. Will Alt dem Leser suggerieren, daß sich das Stromnetz in ähnlicher Weise wie ein Heuschober zur Speicherung des ungleichmäßig anfallenden Solarstroms verwenden lasse? Oder glaubt er etwa selbst daran?

Alle Probleme lösen sich in eitel Sonnenschein

Bei seinen Argumenten ist Alt nicht wählerisch. Er nimmt, was ihm gerade in die Richtung zu passen scheint. Zum Beispiel beklagt er den Rückstand Deutschlands bei der Installation von Sonnenkollektoren: "Die USA, Israel, aber auch die Türkei sind dabei Deutschland weit voraus." Anschließend malt er den sich daraus ergebenden "Nachholbedarf" aus, der "zu vielen tausend Arbeitsplätzen führen" und so die gegenwärtige Massenarbeitslosigkeit lindern werde. Den Nachholbedarf an Sonneneinstrahlung, die bei uns nur etwa halb so stark wie in den genannten Ländern ist, erwähnt er der Einfachheit halber nicht.

Ein andermal berichtet Alt über einen "unerwarteten Nebeneffekt" von Niedrigenergiehäusern: Deren Bewohner seien "etwa 50 % weniger krank". Auch hier erfahren wir nicht, woher er diesen angeblichen Fakt her hat. Aber falls er stimmen sollte, wäre immer noch zu fragen, ob Alt hier nicht eine statistische Korrelation mit einem kausalen Zusammenhang verwechselt.

Nachdem sich so alle Probleme in eitel Sonnschein auflösen, von der Stromversorgung über die Arbeitslosigkeit bis zur Gesundheit, muß eigentlich nur noch der Widerstand der Großkonzerne überwunden werden, die sich aus durchsichtigen Profitgründen der Energiewende verweigern: "Gewinner sind viele tausend kleine und mittlere Betriebe für Solartechnik und Solaranlagen sowie Zehntausende von Bauern, die Biomasse produzieren. Verlieren werden wenige Großkonzerne. Zum Beispiel die Atomindustrie. Und das ist gut so!"

Weil alles sonnenklar ist, läßt es Franz Alt nicht an harter Schelte für die Uneinsichtigen fehlen: "Unsere Energiepolitik ist verfassungswidrig." Der neue Bundesverkehrswegeplan ist "politisch kriminell". Daß die Bundesregierung zuwenig Geld für erneuerbare Energiequellen ausgebe, ist "ein Skandal und ein Verbrechen an unseren Kindern."

Energiewende als spirituelle Wende?

Wer's gern einfach mag, wird wohl begeistert sein, wie sich Franz Alt da wieder mal ins Zeug legt, um dem Guten und Wahren zum Durchbruch zu verhelfen. So schneidige Attacken wurden seit Don Quichotte lange nicht mehr geritten. Es fügt sich dabei glücklich, daß Alt seine Rosinante immer da sattelt, wo der Zeitgeist schon als Steigbügelhalter bereitsteht: Ob er Jesus als den "ersten neuen Mann" würdigt, für eine "Revolution der Liebe" plädiert oder Kernkraft durch Schilfgras ersetzen möchte - es wird zumindest ein kleiner Bestseller draus.

Auch das vorliegende Buch hinterläßt den Eindruck, als würde Alt wieder mal sein Lieblingsthema variieren und die "Energiewende" im Grunde als eine spirituelle Wende begreifen. Mitunter bekennt er sich ganz offen zum Wunschdenken: "Wie wollen wir die Energiewende schaffen, solange wir gar nicht von ihrer Notwendigkeit und von ihrer Möglichkeit überzeugt sind?" Beifällig zitiert er den russischen Mystiker Gurdjieff, der einmal geschrieben habe: "Wir sitzen alle im Gefängnis unseres Denkens. Um zu entkommen, müssen wir erkennen, daß wir Gefangene sind."

Franz Alt ist diesem "Gefängnis unseres Denkens" ohne Zweifel bereits entkommen und hat jenen höheren Grad der Erleuchtung erlangt, auf dem sich die profanen Probleme der Physik in solche der Metaphysik verwandeln. Oder, wie er am Schluß seines Buches schreibt: "Die Rettung gelingt, wenn uns wieder die metaphysische Sonne aufgeht."

Es wäre sicher hilfreich, wenn Alt gleich zu Beginn des Buches signalisieren würde, daß es ihm im Grunde gar nicht um die reale Sonne, sondern um die metaphysische Sonne geht. Als Titel empfiehlt sich eine kleine Anleihe bei Schopenhauer: "Die solare Welt als Wille und Vorstellung."

(PB 4/94/*leu)