PresseBLICK-Rezensionen Stromwirtschaft



Leonhard Müller

Handbuch der Elektrizitätswirtschaft - Technische, wirtschaftliche und rechtliche Grundlagen

415 S., DM 198.-, Springer 1998


Auch dieses Buch hat in der kurzen Zeit, in der es zur Rezension auf dem Schreibtisch lag, schon manchen guten Dienst bei der Anfragen-Beantwortung geleistet. Sein Inhalt überschneidet sich in mancher Hinsicht mit dem des oben besprochenen Handbuchs, soweit es um die Erzeugung und den Transport elektrischer Energie geht. So findet man hier ebenfalls die verschiedenen Arten der Stromerzeugung dargestellt oder kann die spezifischen CO2 -Emissionen für Kohle, Öl und Erdgas nachschlagen. Der Verfasser behandelt solche Fragen aber nicht aus der distanzierten Sicht des Physikers, dem es vor allem um das Prinzip geht, sondern aus dem Blickwinkel des Ingenieurs, der das Prinzip in die Praxis umsetzt und dabei auch betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte beachten muß. Die technischen Grundlagen der Stromwirtschaft nehmen nur etwa die Hälfte des Buches in Anspruch. Im übrigen widmet sich der Autor mit derselben Sachkenntnis den wirtschaftlichen und rechtlichen Grundlagen der Branche, die seit der Liberalisierung des Marktes noch mehr an Bedeutung gewonnen haben.

Leonhard Müller, der am 27. März siebzig Jahre alt wurde, verfügt über langjährige praktische Erfahrungen in der Elektrizitätswirtschaft. Nach dem Studium der Elektrotechnik war er zunächst bei der Hannover-Braunschweigischen Stromversorgung und ab 1972 im Vorstand der Energieversorgung Oberfranken tätig. 1985 übernahm er im Vorstand des Berliner Verbundunternehmens Bewag den Bereich Technik. Die letzten drei Jahre bis 1994 war er Sprecher des Bewag-Vorstands. Das Manuskript zu seinem Handbuch entwickelte er in einer zwanzigjährigen Lehrtätigkeit an der Universität Erlangen, wo er junge Technik-Studenten mit dem späteren Umfeld ihrer Tätigkeit in der Energiewirtschaft vertraut machte.

In der Einleitung (26 S.) wirft Müller auch einen Blick auf allgemeine Fragen wie den weltweiten Energieverbrauch oder die Reichweiten der fossilen Primärenergieträger. Ansonsten widmet er sich aber ausschließlich der Stromwirtschaft: Nach einem Blick auf die Entwicklung der Elektrizitätsversorgung in Deutschland (39 S.) folgen Kapitel über Rechtliche Grundlagen (20 S.), Begriffe der Elektrizitätswirtschaft (27 S.), Elektrizitätsverbrauch (36 S.), Elektrizitätsverteilung (27 S.), Elektrizitätserzeugung (138 S.), Investitionen in der Elektrizitätsversorgung (13 S.), Selbstkostenrechnung für elektrische Energie (13 S.) und Strompreise (40 S.).

Hinter diesen eher dürren Kapitelüberschriften verbirgt sich eine Vielzahl von Unterpunkten mit detaillierten Informationen zu allen Bereichen der Stromwirtschaft. So findet man auf neun Seiten sämtliche Verbände und internationalen Organisationen der Elektrizitätswirtschaft mit dem jeweiligen Tätigkeitsgebiet beschrieben. Oder es werden finanzmathematische Modelle wie die "Abzinsung" erläutert, der nach den soeben beschlossenen Steuergesetzen nunmehr auch die Rückstellungen zur Entsorgung radioaktiver Abfälle unterliegen. Zahlreiche Schaubilder und Tabellen sowie eine beigefügte Karte des UCPTE-Verbundnetzes erhöhen noch den Informationsgehalt.

Das Buch berücksichtigt bereits das liberalisierte Energierecht, das kurz vor Drucklegung in Kraft trat, und enthält im Anhang den Wortlaut des neuen Energiewirtschaftsgesetzes. Die beträchtlichen Veränderungen der deutschen Stromlandschaft, welche die Liberalisierung schon binnen eines Jahres bewirkt hat, konnte der Verfasser dagegen nur prognostizieren, und mittlerweile hat sich diese Prognose voll bewahrheitet: "Nach Wirksamwerden von Liberalisierung und Mehr-Wettbewerb wird nichts mehr sein wie früher."

Als technischer Bewag-Vorstand mußte Müller einst die Versorgungssicherheit des Westberliner Stromnetzes gewährleisten, was unter den besonderen Bedingungen des Inselbetriebs, der bis Ende 1992 dauerte, keine einfache Aufgabe war. Vielleicht sehen Ingenieure die Dinge sowieso ein bißchen anders als Kaufleute, die mit den Problemen und Tücken des Netzbetriebs nicht so genuin vertraut sind. Jedenfalls teilt Müller die Befürchtung vieler Fachleute, daß der Wettbewerb nachteilige Auswirkungen auf die bisher gewohnte Versorgungssicherheit haben könnte. In einer Fußnote verweist er auf den wochenlangen Stromausfall in der neuseeländischen Metropole Auckland, wo ein privatisierter Stromversorger vor lauter "shareholder value" die notwendigen Investitionen in Netz und Personal vernachlässigt hatte.

"Möge zum Wohle der gesamten Volkswirtschaft die Versorgungssicherheit erhalten bleiben", wünscht er sich und uns im letzten Satz seines Buches.

(PB März 1999/*leu)