Udo Leuschner / Medien-Theorie
Inhaltsübersicht


Drei "Hakenkreuzbanner"-Journalisten: Kurt Pritzkoleit (links) wurde nach dem Krieg als Autor von Bestsellern bekannt. Hermann Löhlein (unten rechts) wurde Sportredakteur beim "Mannheimer Morgen". Fritz Haas (oben rechts) leitete die Pressestelle des BBC-Konzerns. 

Pritzkoleit hat das "Dritte Reich" halbwegs mit Anstand hinter sich gebracht. Er wurde später zum kritischen Chronisten des "Wirtschaftswunders". Löhlein und Haas haben sich hingegen mit zügelloser Hetze gegen jüdisches und kommunistisches "Untermenschentum" als fanatische Nationalsozialisten erwiesen. Nach dem Krieg gehörten sie zum mausgrauen Heer der frischgebackenen "Demokraten".

Alle Fotos: "HB-Kamerad" (Werkszeitschrift des NS-Gauorgans "Hakenkreuzbanner")

"Wes' Brot ich ess', des' Lied ich sing'"

NS-Journalisten und ihre Wandlungen nach 1945, dargestellt am Beispiel der Mannheimer Presse

(Aus: Udo Leuschner, Zeitungs-Geschichte, Verlag Die Arbeitswelt, Berlin 1981, Seite 171 - 179)

"An Sprachregelungen waren sie gewöhnt." So schreibt Kurt Pritzkoleit über jene Journalisten, die sich nach der nationalsozialistischen Machtergreifung ohne große Gewissensbisse oder sogar begeistert in den Dienst der Goebbels-Propaganda stellten. (191) Tatsächlich vollzog sich die "Gleichschaltung" der Presse nach 1933 ohne dramatische Veränderungen in den Redaktionen. Die Masse der  Journalisten war es seit jeher gewohnt, von ihren Verlegern geschurigelt und schikaniert zu werden. Sie war es gewohnt, das zu schreiben, was von ihnen verlangt bzw. stillschweigend erwartet wurde.

So wie es den Eigentümern der Zeitungsverlage im Grunde nur auf das Geschäft ankam, so sah die Masse der Journalisten zunächst mal ihren Job, den sie nicht verlieren wollte. Die Anpassung an die nationalsozialistischen Sprachregelungen war damit mehr eine Frage der persönlichen Wendigkeit als der persönlichen Überzeugung. Eine Gesinnung zu haben, war für den Journalisten seit jeher ein unerschwinglicher Luxus. "Wes' Brot ich ess', des' Lied ich sing" lautet eine alte Devise des Berufsstandes. Die Anpassung an das "Dritte Reich" fiel damit der Masse der Journalisten kaum weniger schwer als der Masse der Zeitungsverleger, von denen nicht wenige - allen voran Hugenberg - ohnehin der Machtergreifung Hitlers propagandistisch den Weg gebahnt hatten.

Die große Masse der deutschen Journalisten übte ihr Handwerk so lange schon unter dem Druck unfaßbarer, aber allgegenwärtiger und, wo es geboten schien, brutal durchgreifender Mächte aus, daß sie alsbald lernte, das nationalsozialistische System der Sprachregelung zu respektieren ..." - So schreibt Kurt Pritzkoleit in seinem Buch "Die neuen Herrn".

Pritzkoleit muß es wissen: Er gehörte selbst zur nationalsozialistischen Propaganda-Truppe. In unserem Fall bietet er sich als "Kronzeuge" geradezu an, denn von 1941 bis 1943 leitete er die politische Redaktion des "Hakenkreuzbanners" in Mannheim. (192)

Pritzkoleit hat sich später ein besseres Zeugnis ausgestellt. Er wurde der kritische Chronist des sogenannten Wirtschaftswunders. Sein besonderes Verdienst liegt darin, die ungebrochene Herrschaft kapitalistischer Strukturen über die wechselnden politischen Formen der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus bis hin zur Bundesrepublik aufgezeigt zu haben. Mit seinen wirtschaftspolitischen Bestsellern wie "Gott erhält die Mächtigen" war er in der Adenauer-Ära ein mutiger und vergleichsweise "linker" Autor.

Damit gehörte der frühere Leiter der politischen Redaktion des "Hakenkreuzbanners" aber auch schon wieder zu den Ausnahmen unter den Journalisten. Die negativen Beispiele sind dagegen Legion. So jener Dr. Alois Winbauer, den die Verleger Bode und Bauser 1933 als neuen "Hauptschriftleiter" der "Neuen Mannheimer Zeitung" einstellten. Nach dem Zeugnis seines Brotherrn Bauser entwickelte er sich bald zum "As unserer Schriftleitung". Winbauer leitete die "Neue Mannheimer Zeitung" bis zum Ende des Nationalsozialismus. Eigenhändig verfaßte er die letzten Durchhalteartikel nach den Anweisungen von Goebbels. "So gehen wir in das neue Jahr, hart gegen uns und hart gegen unsere Feinde. Und fanatisch im Glauben an unseren Sieg und in der Entschlossenheit, an ihn alles zu setzen, was in uns an Kräften der Hände und der Herzen lebt." (193)


"Und so berühren sich die Generationen, verehrter Kollege. Es möge nicht undeutlich bleiben, was wir meinen."  (MM-Chefredakteur Deckert in der Lobrede auf seinen Vorgänger Winbauer)

Die Verleger Bauser und Kolb waren mit den Diensten des Dr. Winbauer so zufrieden, daß sie das "As unserer Schriftleitung" nach dem Krieg mit dem Posten des Chefredakteurs beim "Heidelberger Tageblatt" betrauten. Noch 1976, als Winbauer seinen 80. Geburtstag feierte, entbot ihm der Chefredakteur des "Mannheimer Morgen", Hans Joachim Deckert, öffentlich die herzlichsten Glückwünsche. Über das Wirken Winbauers im Dienste der nationalsozialistischen Propaganda schrieb Deckert genauso verunklarend wie verharmlosend, er habe "mit schlitzöhrigem Charme eine bürgerliche Zeitung durch die Diktatur gesteuert". Kein Wort von Goebbels-Propaganda, dafür: "Der Leitartikel mit dem Markenzeichen von Dr. Alois Winbauer erlebte die letzte Blütezeit, bewundernswert im Stakkato des Stils, in der Selbstgewißheit der Position, in der Fingerfertigkeit der Herstellung." Der gewiß nicht minder fingerfertige Nachfolger Deckert beschloß seine Lobrede mit den Worten: "Und so berühren sich die Generationen, verehrter Kollege. Es möge nicht undeutlich bleiben, was wir meinen." (194)

Wie Winbauer fanden zahlreiche Journalisten der "Neuen Mannheimer Zeitung" und des "Hakenkreuzbanners" später ein neues Betätigungsfeld beim "Mannheimer Morgen". Oft genügt schon ein Blick auf die Impressen, um das fortdauernde Wirken dieses oder jenes ehemaligen Nazi-Journalisten feststellen zu können. Noch deutlicher wird diese Kontinuität, wenn andere Quellen, etwa die Werkszeitschrift des "Hakenkreuzbanners", herangezogen werden.

Wir wollen es bei der namentlichen Nennung von zwei weiteren Journalisten bewenden lassen, die inzwischen verstorben sind und die sich über das unumgängliche Maß an Anpassung hinaus die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus zueigen gemacht haben. Der eine ist Hermann Löhlein, der als Kriegsberichter folgende Schilderung des sowjetischen "Untermenschen" zu Papier brachte:

"War das überhaupt ein Gesicht? War es nicht eher eine teuflische Fratze, eine Verbrechervisage? Damals habe ich mir gesagt: Na ja, alle werden so wohl nicht ausschauen, es wird auch Menschen unter ihnen geben. Später habe ich unter Tausenden von Gefangenen auch Menschen gesehen. Es waren ganz wenige, einer unter zehn, die einem nicht abstießen und die man auch als Feind achten konnte. Meist waren es junge Ukrainer. Die Mehrzahl war aber so, daß einem allein vom Ansehen übel werden konnte. In der Heimat habt Ihr, Kameraden, durch die Wochenschauen Gelegenheit, bolschewistische Typen zu studieren und Euch zu vergegenwärtigen, was es bedeutet hätte, wäre dieses Gesindel, diese verkommenen, tierischen Haufen, in Europa und unser Deutschland eingebrochen ... Die Welt wird Deutschland noch einmal dankbar dafür sein, daß es diese Pest mit Stumpf und Stiel zur rechten Zeit ausgerottet hat."(195)

Löhlein kickte damals in der Fußballmannschaft des "Hakenkreuzbanners". Später verband er dieses Hobby mit seinem Beruf und wurde Sportredakteur des "Mannheimer Morgen". Er starb Anfang der siebziger Jahre.

Ein anderer Mitarbeiter des "Mannheimer Morgen", Friedrich Karl Haas, hatte als eingefleischter Nazi noch vor der Machtergreifung zum Gründungs-Team des "Hakenkreuzbanners" gehört. (196) Als Lokalchef des parteiamtlichen Blattes verfaßte er seit 1931 unzählige Hetzartikel. Stellvertretend sei hier aus einem seiner Artikel im "Hakenkreuzbanner" zitiert, nachdem SA-Horden das Rheinbad Herweck am 27. Juni 1935 " judenfrei" gemacht hatten:

"Gestern nachmittag hat das Volk gesprochen, und sein Urteil ist eindeutig und klar ausgefallen. Schon seit Beginn der diesjährigen Badesaison war es kein Geheimnis mehr, daß auch in diesem Jahre das Rheinbad Herweck oberhalb der Rheinbrücke die Bezeichnung 'Judenaquarium' vollauf verdient. Denn schon beim ersten Blick konnte man feststellen, daß ein außerordentlich hoher Prozentsatz der Besucher dieses Bades jener Rasse angehört, die in deutschen Landen und hoffentlich auch recht bald im übrigen Europa und in der Welt ein für allemal ausgespielt hat ... Gestern nachmittag gegen 5.15 Uhr verlangten die deutschbewußten Besucher des Bades immer lauter und deutlicher, daß die Juden das Bad zu verlassen haben. Da einige Juden sich dieser eindeutigen Aufforderung widersetzen zu können glaubten und eine Sprache führten, die die höchste Erregung aller deutschen Volksgenossen hervorzurufen geeignet war, mußte ein Überfallkommando der Polizei auf dem Platz erscheinen. Die Polizei verhaftete sofort den frechsten Juden, der durch unflätige und unerhörte Bemerkungen gegen den Nationalsozialismus die Empörung und Wut der nach Hunderten zählenden Menschenmenge herausgefordert hatte. Immer wieder erschallte der alte Kampfruf der nationalsozialistischen Bewegung: 'Deutschland erwache!', Kampflieder wurden angestimmt, und während die Juden unbehelligt abzogen, erklang es immer wieder aufs neue: 'Parole, die lautet: Die Juden hinaus!' Inzwischen waren am Eingang des Bades Schilder mit der Aufschrift: ,Juden sind hier unerwünscht!' angebracht worden, und an verschiedenen Stellen war zu lesen: 'Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter!' Von 6 Uhr ab aber war das Rheinbad Herweck vollkommen judenfrei, worüber bei den nunmehr zahlreichen Besuchern große Freude und Genugtuung herrschte." (197)

Friedrich Karl Haas hat den Zusammenbruch des Nationalsozialismus ebenfalls unbeschadet überstanden. Er fand ein neues Betätigungsfeld als Leiter der Pressestelle des Elektrokonzerns BBC in Mannheim. Nebenberuflich war er für den neugegründeten "Mannheimer Morgen" tätig. Als Haas 1975 starb, schrieb der "Mannheimer Morgen" in einem Nachruf: "Für diese Zeitung hat Friedrich Karl Haas seit Jahrzehnten Beiträge geschrieben, die als präzise Hintergrund-Artikel viel gelesen wurden." Daß Haas fast genauso lang im Dienst des "Hakenkreuzbanners" gestanden hatte und dort eine wahre Schlammflut von Hetzartikeln produziert hatte, wurde in dem Nachruf mit keinem einzigen Wort erwähnt. Über diese Zeit hieß es lediglich: "Als Redakteur und Ressortleiter führte ihn sein Lebensweg nach Mannheim, wohin er auch nach mehrjährigem Kriegsdienst zurückkehrte." (198)

Der Verfasser dieser Schrift*) hat sowohl Löhlein als auch Haas noch persönlich gekannt. Insbesondere an Haas, den Leiter der Pressestelle des BBC-Konzerns, entsinnt er sich als eines freundlichen älteren Herrn, der sich vor Beflissenheit fast überschlug, wenn die Kollegen vom "Mannheimer Morgen" irgendeinen Wunsch hatten. Beide waren gewiß nicht das, was man sich unter Unmenschen vorstellt. Waren sie es überhaupt? Gehörten sie nicht vielmehr selbst zu den Opfern der nationalsozialistischen Demagogie, in ihrer geistigen Beschränktheit, ihrem pervertierten Idealismus, ihrer fanatisierten Gläubigkeit und mit all ihren kleinbürgerlichen Ressentiments?

Letztlich spielt es allerdings keine Rolle, aus welchen Motiven Massenmord und Völkerhetze propagiert werden. Wenn dabei Dummheit und Beschränktheit ein Milderungsgrund sein sollten, müßte das Urteil umso härter für diejenigen ausfallen, die dem Nationalsozialismus mit kühlem Verstande und "schlitzöhrigem Charme" gedient haben, wie jener Dr. Winbauer, in dem noch heute der Chefredakteur des "Mannheimer Morgen" sein journalistisches Vorbild erblickt ...

Von ähnlichem Schlage wie der Dr. Winbauer war jener Dr. Alfred Rapp, der bis in die Gegenwart der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" als Bonner Büroleiter diente. (199) Rapp begann seine journalistische Karriere Ende der zwanziger Jahre bei der "Neuen Badischen Landes-Zeitung" in Mannheim. Dort war er für die Landespolitik zuständig und verfaßte die Jubiläumsschrift zum 75jährigen Bestehen der Zeitung im Jahre 1931. Damals gab sich Rapp noch als bürgerlicher Demokrat mit leicht linksliberalem Einschlag. Nach der Machtergreifung riskierten Kollegen in seiner Nähe kein offenes Wort mehr, da sich Rapp nun plötzlich als Vertrauensmann des badischen NS-Kulturamtswalters Moraller, eines direkten Mitarbeiters von Goebbels, zu erkennen gab. Rapp verstand sich mit den braunen Machthabern so gut, daß ihm die politische Leitung der "Dresdener Neuesten Nachrichten" übertragen wurde, des feinsten Blattes des ehemaligen Huck-Konzerns. Später redigierte er die "Pariser Zeitung", die von den nationalsozialistischen Besatzern in der französischen Hauptstadt herausgegeben wurde, und machte sich dem Nationalsozialismus in vielfältiger anderer Weise nützlich. (200) Nach 1945 fand derselbe Dr. Rapp wieder zu seiner alten Rolle als "Demokrat" zurück, diesmal mit konservativem Einschlag. Er leitete nun das Bonner Büro der "Frankfurter Allgemeinen". Der frühere Bundeskanzler Adenauer soll ihn als "meinen besten und flexibelsten Journalisten" gelobt haben. Die braune Vergangenheit war auch kein Hindernis, ihm schließlich das "Große Bundesverdienstkreuz" zu verleihen.

Man kann wahrlich im Zweifel sein, welche Sorte nationalsozialistischer Erfüllungsgehilfen die gefährlichere ist: Die tumben, spießig-beschränkten Fanatiker wie Löhlein und Haas oder die professionellen Zyniker, die abgebrühten Virtuosen wie Winbauer und Rapp. Eine Antwort hierauf gibt schon die spätere Karriere: Löhlein und Haas haben in der Nachkriegspublizistik nur untergeordnete bzw. periphere Rollen gespielt. Winbauer wie Rapp sind dagegen erneut zu Spitzenpositionen aufgestiegen. (201)

Dieses Kapitel wäre indessen nicht vollständig, würde nicht auch jener Mannheimer Journalisten gedacht, die genügend demokratisches Bewußtsein und menschlichen Anstand besessen haben, um dem Nationalsozialismus ihre Gefolgschaft zu verweigern. So der Chefredakteur der "Neuen Badischen Landes-Zeitung", Dr. Heinrich Rumpf, der kurz nach Einstellung der Zeitung Selbstmord beging. Er fand bei einer Pressekonferenz in Karlsruhe als einziger den Mut, gegen die Gleichschaltung des "Reichsverbandes der Deutschen Presse" zu protestieren. (202) Oder Alfred Kantorowicz, der 1926/27 das Feuilleton der "Neuen Badischen Landes-Zeitung" leitete. Er ging schon im März 1933 in Exil nach Paris, wo er die "Deutsche Freiheitsbibliothek" herausgab, und kämpfte später als Offizier der Internationalen Brigaden in Spanien gegen den Faschismus. (203) Oder Emil Belzner, der Nachfolger von Kantorowicz, der sich in der vielbemühten "inneren Emigration" tatsächlich eine reine Weste bewahrte. Belzner bewies 1968 erneut demokratische Standhaftigkeit, als er auf den Posten des Feuilletonchefs und stellvertretenden Chefredakteurs der Heidelberger "Rhein-Neckar-Zeitung" verzichtete, weil er den erzkonservativen Kurs des Blattes nicht mehr mitverantworten wollte. (204)

Solche Ausnahmen zeigen, daß es 1933 noch andere Möglichkeiten als die der bedingungslosen Anpassung und Unterwerfung gab. Die Masse der Journalisten hat sie nicht genutzt. Sie hat sich zu den braunen Wölfen gesellt oder zumindest mit ihnen geheult.