Udo Leuschner / Geschichte der FDP (60)

17. Bundestag 2009 - 2013


Nach elf Jahren am Ziel

Die FDP erringt bei der Bundestagswahl 14,6 Prozent und ist mit fünf Ministern in der neuen Regierung vertreten

Schon seit 2007 wurde eine schwarz-gelbe Koalition nach den nächsten Bundestagswahlen immer wahrscheinlicher. Union und FDP hatten sich seitdem mehrfach zu Vorgesprächen getroffen, um Gemeinsamkeiten und Differenzen einer künftigen Koalition zu erörtern. Dennoch kam es zu keinem förmlichen Verlöbnis. Das lag vor allem an der FDP, die sich alle Optionen offenhalten wollte, falls es in dem unübersichtlicher gewordenen Fünf-Parteien-System doch nicht zu einer schwarz-gelben Mehrheit reichen würde. Als dann 2009 der Wahlkampf begann, ging es beiden Seiten hauptsächlich nur noch darum, den Anteil des jeweils anderen am schwarz-gelben Gesamtergebnis zu minimieren. Ein förmliches Koalitionsversprechen paßte nicht zum nun beginnenden Streit um dasselbe Wählerreservoir. Westerwelle versuchte, der Union ihre traditionelle Klientel abspenstig zu machen, indem er sich "entsetzt über den Linksrutsch der CDU" zeigte und den Christdemokraten immer wieder "Sozialdemokratisierung" unterstellte. Die Union zielte ihrerseits auf die Achillesferse des Rechtsüberholers, indem sie ihm ständig vorwarf, die Festlegung auf ein schwarz-gelbes Bündnis zu scheuen. Sie wollte so potentielle FDP-Wähler verunsichern und in den eigenen Reihen halten. Außerdem trat sie dem Konkurrenten zielsicher in die neoliberalen Weichteile, so daß Guido Westerwelle getroffen aufschrie und am 24. August in einer Pressekonferenz seiner Partei eine Mäßigung des Wahlkampfs verlangte: "Die Union hat uns zum strategischen Gegner erklärt, sie kämpft gegen die FDP, sie schießt aufs falsche Tor, jetzt ist Schluß mit lustig!"

Erst eine Woche vor der Wahl erfolgt die Festlegung auf eine schwarz-gelbe Koalition

Das offizielle Wahlprogramm, das ein Bundesparteitag am 17. Mai 2009 in Hannover beschloß, enthielt ebenfalls keine Koalitionsaussage. Unter dem Motto "Die Mitte stärken" umriß es auf über achtzig Seiten grundsätzliche Positionen der Partei zu allen möglichen Bereichen der Innen- und Außenpolitik. Zugleich bediente es sich aller Mittel der sprachlichen Camouflage, um die Pferdefüße neoliberaler Politik nicht allzu sichtbar werden zu lassen. "Deutschland braucht nicht weniger, sondern mehr Soziale Marktwirtschaft", hieß es da beispielsweise. Die Koppelung eines unzureichenden Existenzminimums mit Arbeitszwang wurde als "Bürgergeld" schmackhaft gemacht. Den Abbau des Kündigungsschutzes verpackte man in die Forderung, diesen "beschäftigungsfreundlicher" zu gestalten.

Erst am 20. September 2009, eine Woche vor der Bundestagswahl, gab die FDP das von der Union verlangte Treuegelöbnis ab. In dem Wahlaufruf, den ein Sonderparteitag in Potsdam verabschiedete, hieß es unter der Überschrift "Für klare Verhältnisse":

"Wir Freien Demokraten wollen eine neue Mehrheit, weil Deutschland einen Neuanfang braucht. Die FDP ist eine eigenständige Partei mit einem eigenen Programm. Nur die Stimme für die FDP beendet die große Koalition und verhindert eine rot-rot-grüne Regierung. Weil die Programme von SPD und Grünen zu mehr Belastungen der Bürger führen, stehen wir Freie Demokraten nicht als Mehrheitsbeschaffer für Rot-Grün zur Verfügung. Wir werben für eine starke FDP. Wir wollen klare Verhältnisse. Wir Freie Demokraten wollen in der nächsten Legislaturperiode eine bürgerliche Regierung der Mitte mit der Union bilden."

"Dieses Wort gilt" rief Westerwelle, als er in seiner Parteitagsrede die Festlegung auf eine Koalition mit der Union wiederholte. Ob er die Union damit wirklich glücklich machte, darf allerdings bezweifelt werden. Denn nun mußte diese noch mehr Wählerverluste an die FDP befürchten.

Bei der regelmäßig durchgeführten Sonntagsfrage ("Welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären?") ermittelte die Forschungsgruppe Wahlen Anfang August 2009 für die Union 36 Prozent, für die SPD 23 Prozent und für die FDP 14 Prozent. Bei der Bundestagswahl sieben Wochen später waren es für die Union 2,2 Prozent weniger und für die FDP 0,6 Prozent mehr, während die SPD bei 23 Prozent blieb. Vermutlich hatte diese Verschiebung auch mit den "klaren Verhältnissen" zu tun, für die kurz vor dem Wahltermin die FDP noch sorgte.

Sonst enthielt das Wahlergebnis keine Überraschungen, wenn man davon absieht, daß die Wahlforscher den Grünen 12 Prozent und der Linken nur neun Prozent zugebilligt hatten. Tatsächlich überflügelte die Linke die Grünen noch deutlicher als bei der letzten Bundestagswahl und etablierte sich als viertstärkste Partei:

 
Parteien Prozent 2009 Prozent 2005 Sitze 2009 Sitze 2005
CDU 27,3 27,8 194 180
CSU 6,5 7,4 45 46
SPD 23,0 34,2 146 222
FDP 14,6 9,8 93 61
Grüne 10,7 8,1 68 51
Die Linke 11,9 8,7 76 54
Sonstige 6,0 4,0 - -
Wahlberechtigte: 62 132 442 / Wähler: 43 997 633 / Gültige Stimmen: 43 357 542 / Wahlbeteiligung: 70,8 % (gegenüber 77,7 % im Jahr 2002) / 24 Überhangmandate für CDU (21) und CSU (3)

 

Überhangmandate und die geringste Wahlbeteiligung seit Bestehen der Bundesrepublik stellen die Legimität der Regierungsmehrheit in Frage

Trotz des inzwischen etablierten Fünf-Parteien-Systems war damit die Bildung einer Zwei-Parteien-Regierung nochmals möglich geworden. Zum Schluß hatten alle Umfrageinstitute einen sehr knappen Wahlausgang vorhergesagt, wobei aber lediglich die Forschungsgruppe Wahlen die Prognose einer "knappen, aber sicheren Mehrheit für Schwarz-Gelb" wagte. Indessen sah es so aus, als würde Schwarz-Gelb nur dank Überhangmandaten regieren können. In diesem Fall wäre eine schwarz-gelbe Koalition zwar möglich, aber nicht durch das Zweitstimmenergebnis legitimiert gewesen.

Tatsächlich reichte es dann doch zu einer sicheren Mehrheit. Zwar hatten Union und FDP zusammen nur 48,4 Prozent der Zweitstimmen errungen. Bei der Umrechnung des Wahlergebnisses auf die Zahl der Abgeordneten wären daraus 308 von 598 Sitzen im Bundestag geworden, was 51,5 Prozent entsprochen hätte. Weil es aber 24 Überhangmandate gab, die durchweg der Union zugute kamen, verfügte die schwarz-gelbe Koalition am Ende über 332 von 622 Sitzen oder 53,4 Prozent aller Abgeordneten. Das heißt, daß sie vom Wahlrecht um fünf Prozent besser gestellt wurde, als ihrem tatsächlichen Abschneiden bei den Zweitstimmen entsprach. Die große Zahl an Überhangmandaten rührte wiederum daher, daß zahlreiche Unionswähler ihre Zweitstimme der FDP gegeben hatten. Auf diese Weise hatten sie das Gewicht ihrer Stimmabgabe gewissermaßen verdoppeln können. Die Fragwürdigkeit des geltenden Wahlsystems wurde dadurch wieder einmal unterstrichen. Allerdings konnten sich Union und FDP darauf berufen, daß sie auch ohne die Überhang- und Ausgleichsmandate eine knappe Mehrheit im Parlament erlangt hätten.

Noch fragwürdiger als durch die Überhangmandate wurde das Wahlergebnis durch gut 18 Millionen Nichtwähler. Damit war sozusagen die größte Partei gar nicht im Parlament vertreten. Die Wahlbeteiligung war mit 70,8 Prozent auf einen neuen Rekordtiefstand gesunken, den es seit Bestehen der Bundesrepublik nicht gegeben hatte. Sämtliche Bundestagsparteien hatten dieses Lager der Nichtwähler verstärken helfen. Am stärksten war nach Ermittlungen der Wahlforscher die Abwendung von der SPD (2.040.000), während bei der Union nur halbsoviel Wähler resignierten und zuhause blieben (1.080.000). Bemerkenswert war ferner, daß auch die Linke offenbar nur zeitweilig als Hoffnungsträger fungierte, denn mit 300.000 Nichtwählern kam sie an dritter Stelle. Daß sie diesen Aderlaß verschmerzen und dennoch zulegen konnte, verdankte sie im wesentlichen nur dem anhaltend starken Zustrom an vorherigen SPD-Wählern (1.100.000). In geringerem Umfang verstärkten außerdem die FDP (70.000) und die Grünen (30.000) das Lager der Nichtwähler.

Die allgemeine Wahlmüdigkeit und Parteiverdrossenheit war demnach hauptsächlich auf den Niedergang der SPD zurückzuführen, die unter Gerhard Schröder ihre Prinzipien über Bord geworfen und in einer geradezu selbstmörderischen Weise dem Neoliberalismus gehuldigt hatte. Mit einem Stimmenanteil von nur noch 23 Prozent lag sie nun weit hinter der Union zurück und trug doch doppelt soviel zur Parteiverdrossenheit bei wie diese.

In der Stunde des größten Triumphs beginnt für die FDP eine Zeitbombe zu ticken

Ungeachtet all dieser Fragwürdigkeiten verfügten Union und FDP nun im Bundestag über einen komfortablen Vorsprung von 22 Sitzen gegenüber den anderen Parteien. Daß sie weniger als die Hälfte der Zweitstimmen erhalten hatten und bei stärkerer Aktivierung der Nichtwähler noch deutlicher in der Minderheit gewesen wären, brauchte sie die nächsten vier Jahre nicht zu bekümmern.

Das Wahlergebnis versetzte vor allem die FDP in einen Freudentaumel. Nach elf Jahren Opposition konnte sie nun endlich auch auf Bundesebene wieder mitregieren. Zugleich war sie wieder mal stärker als die CSU, die fast ein Prozent eingebüßt hatte. Auch die CDU war eher schwächer geworden. Daß es zu einer schwarz-gelben Koalition reichte, war allein der ungewöhnlichen Stärke der FDP zu verdanken. Mit 14,6 Prozent der Stimmen hatte sie einen absoluten Rekord aufgestellt. Noch nie hatte sie in den sechzig Jahren seit Gründung der Bundesrepublik einen so hohen Stimmanteil erreicht. Ihr größter Wahlerfolg waren bisher die 12,8 Prozent gewesen, die sie 1961 erzielte, als im Bundestag nur noch drei Parteien saßen und sie den Wählern die Ablösung Adenauers versprochen hatte, ehe es zum berühmten "Umfall" kam. Inzwischen waren es wieder fünf Parteien, und dennoch rangierte sie weiterhin an dritter Stelle nach Union und SPD.

Zugleich erreichte damit Guido Westerwelle den Gipfel seines Ansehens und seiner Macht. Zweifellos war der Erfolg seiner Strategie zu verdanken. Und für die Menschen gibt es nun mal nichts Überzeugenderes als den Erfolg, wie schon Leopold von Ranke erkannte. Bestätigt fühlen durfte sich auch ein Hans-Dietrich Genscher, der 1982 zusammen mit Lambsdorff die sozialliberale Phase der FDP beendet und die Hinwendung zum neoliberal drapierten Neokonservativismus eingeleitet hatte. Denn Westerwelle war wie kein anderer sein politischer Ziehsohn gewesen.

Auf einem anderen Blatt stand, daß Westerwelle auch verantwortlich gemacht werden würde, wenn es mit den Wahlergebnissen wieder bergab ging. Und es sah durchaus danach aus, als ob der Aufstieg der FDP nur auf Treibsand gegründet sei. Die plötzliche Stärke der Partei ging nicht zufällig mit dem Schwächeln der Unionsparteien einher. Und wenn nun sogar jene Unterschichten, die man neuerdings als "Prekariat" bezeichnete, in größerem Umfang FDP wählten, konnte das auf Dauer nicht gut gehen. Das waren keine Stammwähler wie ehedem das protestantische Bildungs- und Besitzbürgertum. Das waren eher verhinderte Wähler der Linken.

So begann in der Stunde des größten Triumphs eine Zeitbombe zu ticken, die den prächtigen Besitzstand der Partei sehr schnell wieder vernichten und sogar Westerwelle hinwegfegen konnte, wenn es nicht gelang, sie zu entschärfen. Als Regierungspartei mußte die FDP nun allerlei Erwartungen erfüllen, die sie als Oppositionspartei geweckt hatte. Das konnte ihr allenfalls teilweise gelingen. Die Enttäuschung vieler Wähler war damit programmiert. Außerdem mußte sie – durchaus zu Recht – mit dem Vorwurf der Klientelpolitik rechnen. Ihr gefährlichster politischer Kontrahent war bei allem nicht die parlamentarische Opposition, sondern der eigene Koalitionspartner. CDU und CSU verfolgten mit wachsendem Grimm, wie Westerwelle aus ihrem angestammten Wählerreservoir zapfte und sie gar rechts zu überholen versuchte, indem er sie als "sozialdemokratisch" schmähte. Normalerweise hätten sie mit der FDP als "Wurmfortsatz der CDU", wie zu Adenauers Zeiten ein geflügeltes Wort lautete, ganz gut leben können. Wenn sich der Wurmfortsatz aber derart entzündete, mußte er unbedingt operiert werden.

Die fünf FDP-Minister und ihre Parlamentarischen Staatssekretäre

Vorerst waren die Koalitionspartner noch vollauf damit beschäftigt, sich die neu errungene Macht und die damit verbundenen Pfründen zu teilen. Die FDP bekam fünf von 15 Ministerien, die CSU drei und die CDU den Rest. Westerwelle übernahm neben der Stellvertretung der Bundeskanzlerin Angela Merkel den besonders prestigeträchtigen Posten des Außenministers. Rainer Brüderle wurde für Wirtschaft zuständig, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für Justiz, Philipp Rösler für Gesundheit und Dirk Niebel für Entwicklungshilfe.

Für die Selbstdarstellung der Partei besonders wichtig waren seit jeher das Außen-, Wirtschafts- und Justizministerium. Westerwelle hatte schon vor der Wahl keinen Hehl daraus gemacht, daß er Außenminister werden wollte, obwohl er auf diesem Gebiete über weniger Erfahrung verfügte als etwa Wolfgang Gerhardt, der 2005 für diesen Posten vorgesehen war, oder Werner Hoyer, der von 1994 bis 1998 unter Klaus Kinkel als Parlamentarischer Staatsssekretär bzw. "Staatsminister" amtiert hatte. Immerhin versicherte sich Westerwelle nun des Beistands von Hoyer, indem er ihn wieder zum Staatsminister im Auswärtigen Amt machte. Ferner durfte sich Cornelia Pieper mit diesem Titel schmücken, obwohl ihre Qualifikation hauptsächlich darin bestand, eine besonders treue Gefolgsfrau des Vorsitzenden zu sein.

Während Westerwelle als Außenpolitiker erst noch in die Schuhe hineinwachsen mußte, die ihm Scheel und Genscher hinterlassen hatten, konnte Rainer Brüderle beim Vergleich mit seinen Vorgängern leichter bestehen. Das lag aber daran, daß die Jahre von 1972 bis 1998, in denen die FDP durchweg den Bundeswirtschaftsminister stellte, kein rühmliches Kapitel waren. So trug der letzte Amtsinhaber Günther Rexrodt entscheidend dazu bei, daß bei der Liberalisierung des Energiemarktes jahrelang der Irrweg des "verhandelten Netzzugangs" beschritten wurde und der Wettbewerb mittels überhöhter Netzentgelte abgewürgt werden konnte. Nach dem Ausscheiden aus dem Ministeramt betätigte Rexrodt sich offen als Lobbyist der Energiewirtschaft. Sein Vorgänger Jürgen Möllemann hatte noch weniger für den Posten getaugt und war schon nach kurzer Zeit über die "Briefbogenaffäre" gestolpert, die ihn als Wirtschaftsminister wie als Vizekanzler unmöglich machte.

Brüderle kam hauptsächlich als Chef der rheinland-pfälzischen FDP zu seinem Amt. Es fügte sich dabei gut, daß er von 1987 bis 1998 Wirtschaftsminister in Mainz gewesen war, eher er auch in die Bundespolitik einstieg und stellvertretender Parteivorsitzender wurde. Spötter behaupten allerdings, seine Haupttätigkeit als Wirtschaftsminister sei das Küssen von Weinköniginnen gewesen. Die beiden Parteifreunde Hans-Joachim Otto und Ernst Burgbacher, die ihm als Parlamentarische Staatssekretäre zur Seite standen, waren ebenfalls keine Wirtschaftsfachleute. Um nicht ganz auf ministerialen Sachverstand ohne FDP-Parteibuch angewiesen zu sein, holte Brüderle den bisherigen Präsidenten des Bundeskartellamts, Bernhard Heitzer, als beamteten Staatssekretär in sein Ministerium. Der brachte beides mit.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war als Justizministerin sicher die beste Besetzung, die man von der FDP erwarten konnte. Sie hatte dem Ministerium schon von 1992 bis 1996 vorgestanden und war überhaupt das einzige FDP-Mitglied im Kabinett, das bereits über Regierungserfahrung verfügte. Noch unvergessen war, wie sie aus Protest gegen den "Großen Lauschangriff" zurücktrat. Sie vertrat glaubhaft liberale Positionen, wenn es um das Thema Bürgerrechte ging. Das konnte die FDP inzwischen wieder ganz gut gebrauchen, um von ihrem Marktradikalismus und ihrer ingesamt neokonservativen Orientierung abzulenken. Dennoch hätte die Außenseiterin den Posten kaum bekommen, wenn es ihr nicht gelungen wäre, aus der zur Bedeutungslosigkeit verkümmerten FDP in Bayern eine starke Hausmacht zu machen. Bei den letzten Landtagswahlen hatte sie einen grandiosen Erfolg erzielt und der CSU sogar die Regierungsbeteiligung abgetrotzt. Ihr Parlamentarischer Staatssekretär Max Stadler war von 1991 bis 1998 Vorsitzender der bayerischen FDP gewesen.

Philipp Rösler war mit 36 Jahren der jüngste Minister im Kabinett und wurde schon seit längerem als eines der hoffnungsvollsten Talente der Partei gehandelt. Er galt als Ziehsohn des niedersächsischen Landesvorsitzenden Walter Hirche, dessen Nachfolge er 2006 antrat. Zuletzt war Rösler in der niedersächsischen CDU/FDP-Koalition Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident. Seine politische Karriere begann er bei den "Jungen Liberalen". Als vietnamesisches Waisenkind, das von deutschen Eltern adoptiert worden war, entsprach er aber schon äußerlich nicht dem Typ des "Yuppie", wie ihn Westerwelle als Vorsitzender dieser Nachwuchsorganisation verkörperte und noch lange prägte. Als gelernter Arzt schien er für den Posten des Gesundheitsministers prädestiniert zu sein. Indessen kam es gerade in diesem Amt nur auf Durchsetzungsvermögen und politisches Geschick an. Die FDP wollte der Kostenexplosion im deutschen Gesundheitswesen in neoliberaler Manier mit einer noch weitergehenden Privatisierung der Krankenversicherung und der Leistungen zu Lasten der Versicherten begegnen. Indessen verfügte sie weder über das erforderliche Gewicht in der Regierung noch schien Rösler der geeignete Mann, um gegenüber dem Koalitionspartner das höchst umstrittene Konzept der "Kopfpauschale" durchzusetzen. Da half ihm auch nicht viel, daß ihm mit dem ehemaligen Juli-Vorsitzenden Daniel Bahr der bisherige gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion als Parlamentarischer Staatssekretär zur Seite stand.

Allgemeines Kopfschütteln löste aus, daß der bisherige Generalsekretär Dirk Niebel nun das Ministerium für Entwicklungshilfe übernahm, denn in ihrem Wahlprogramm hatte die FDP gefordert: "Als integraler Bestandteil der Außenpolitik und Instrument deutscher Werte- und Interessenpolitik gehören die Tätigkeitsfelder des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wieder in den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes." Das Abrücken von dieser Forderung begründete Niebel nun damit, daß die FDP nicht habe absehen können, beide Ministerien zu bekommen: "So aber ist es effizienter, ein eigenes Ministerium zu haben, weil wir viele Möglichkeiten haben, die das Auswärtige Amt nicht hat." Das war so konfus, wie es klang. Parlamentarische Staatssekretärin wurde Gudrun Kopp, die Sprecherin der Bundestagsfraktion für Energipolitik und Welthandelsfragen. Die Nachfolge Niebels als Generalsekretär der FDP übernahm am 14. Dezember der bisherige Generalsekretär des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, Christian Lindner.

In zwei der FDP-Ministerien gab es auch jeweils einen Parlamentarischen Staatssekretär von der CDU, der als "Aufpasser" fungierte: In Brüderles Wirtschaftsministerium war das der frühere CDU-Generalsekretär Peter Hintze. Im Gesundheitsministerium überwachte die CDU-Abgeordnete Annette Widman-Mauz die Aktivitäten Röslers. Die FDP durfte dafür ihren bisherigen Parlamentarischen Geschäftsführer Jan Mücke als Aufpasser ins Ministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung entsenden, das dem CSU-Politiker Peter Ramsauer unterstand.

Die große Mehrheit der mit Pöstchen versorgten Parteifreunde bleibt anonym

Die Minister und Parlamentarischen Staatssekretäre waren bei der Postenverteilung gewissermaßen nur die Spitze eines Eisbergs, der tief in die Personalstrukturen der von der FDP übernommenen Ressorts und deren Zuständigkeitsbereiche eintauchte. Dicht unterhalb der politischen Wasserlinie gelangten nun zahlreiche verdiente Gefolgsleute der Partei zu beamteten oder zumindest gut besoldeten Planstellen, die ihnen auch bei einem Regierungswechsel niemand streitig machen konnte. Zum Beispiel machte Westerwelle seinen bisherigen Büroleiter Martin Biesel zum beamteten Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Sein ihm treu ergebener Sprecher Christoph Steegmans wurde stellvertretender Regierungssprecher und stellvertretender Leiter des Presse- und Informationsamtes. Der bisherige FDP-Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Beerfeltz wurde Staatssekretär im Entwicklungshilfeministerium. Im Justizministerium avancierte die bisherige Unterabteilungsleiterin Birgit Grundmann zur Staatssekretärin. Der bisherige Staatssekretär im niedersächsischen Wirtschaftsministerium, Stefan Kapferer, folgte seinem Dienstherrn Rösler nach Berlin und wurde nun beamteter Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium. Es soll viel Unmut in den Bundesbehörden ausgelöst haben, wie die FDP nun nach parteipolitischen Gesichtspunkten die Karrieren der einen beförderte und die der anderen benachteiligte. Die große Mehrheit der belohnten Parteifreunde blieb indessen anonym.

Am 27. Oktober 2009 trat der neu gewählte Bundestag zu seiner ersten Sitzung zusammen. Damit begann offiziell die 17. Legislaturperiode. Am folgenden Tag wurde Angela Merkel mit 323 von insgesamt 612 abgegebenen Stimmen wieder zur Kanzlerin gewählt. Nach Überreichung der Ernennungsurkunden durch den Bundespräsidenten fand die Vereidigung vor dem Parlament statt. Keines der Kabinettsmitglieder verzichtete dabei auf den religiösen Zusatz "So wahr mir Gott helfe". Auch in dieser Hinsicht fügte sich die FDP nahtlos dem Neokonservativismus ein.

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