Udo Leuschner / Geschichte der FDP (41)

15. Bundestag 2002 - 2005


Möllemann springt in den Tod

Nach dem Parteiausschluß drohte ihm auch der bürgerliche Ruin

Wenige Tage nach Erscheinen des Buches "Klartext" erklärte Möllemann auch den Austritt aus der FDP und kam dadurch dem Ausschluß zuvor. Zugleich glaubte er mit dem Austritt eine hinreichende Begründung zu haben, weshalb er sein Bundestagsmandat nun doch nicht niederlegen werde. Den Rückzug aus dem Bundestag hatte er nicht nur Gerhardt, sondern bereits bei der Anhörung durch die Landtagsfraktion versprochen, um diese gnädig zu stimmen. Zwischendurch hatte er ihn aber wieder in Frage gestellt und damit seine Düsseldorfer Parteifreunde endgültig vergrätzt.

Am 3. April 2003 nahm Möllemann zum ersten Mal als fraktions- und parteiloser Abgeordneter an einer Sitzung des Bundestags teil. Man hatte ihm in der letzten Reihe zwischen den Blöcken von FDP und CDU einen eigenen Sitz montiert, und zwar etwas versetzt, so daß selbst bei voller Besetzung der Stuhlreihen - was im Bundestag äußerst selten vorkommt - niemand direkt neben ihm zu sitzen brauchte.

Vermutlich hat Möllemann nie ernsthaft daran gedacht, auf sein Bundestagsmandat zu verzichten. Zum einen war der parlamentarische Status ein wichtiges Plus, falls er tatsächlich eine neue Partei gründen würde. Vor allem aber handelte es sich um eine wichtige Pfründe, die ihm zusammen mit dem Landtagsmandat monatliche Einkünfte von 20.000 Euro sicherte.

Und Geld brauchte Möllemann dringender denn je: Die Staatsanwaltschaft Münster signalisierte seinen Anwälten im Mai 2003, daß sie das Verfahren wegen Steuerhinterziehung nur gegen eine hohe Geldstrafe mit einem Strafbefehl beenden werde. Vermutlich noch höher waren die Nachforderungen des Finanzamts. Außerdem mußten Anwälte und sonstige Prozesskosten bezahlt werden.

Undurchsichtige Geschäfte über Briefkasten-Firmen

Das einzig verlässliche finanzielle Standbein waren für Möllemann inzwischen die parlamentarischen Einkünfte. Seine Firma WebTec, die ihr Geld angeblich mit Wirtschafts- und Exportberatung verdiente, war eher eine Art Geldwaschanlage. Da sie ins Visier der Ermittler geraten war und auch die "Geschäftspartner" längst kalte Füße bekommen hatten, war mit Einkünften aus dieser Quelle nicht mehr zu rechnen.

Wie spätere Ermittlungen ergaben, erzielte die WebTec von der Gründung im Jahr 1993 - dem Jahr, in dem Möllemann als Vizekanzler und Wirtschaftsminister zurücktreten mußte - und 2002 einen Umsatz von 12,55 Millionen Mark. Davon entfielen über sieben Millionen Mark auf höchst undurchsichtige Geschäfte mit dem bereits erwähnten Rolf Wegener und dessen Briefkasten-Firma Curl AG in Liechtenstein. Fast der gesamte Rest stammte von dem Medienmogul Leo Kirch, der sich Möllemann anscheinend in ähnlicher Weise als "Berater" gekauft hatte wie den früheren Bundeskanzler Helmut Kohl, der zwischen 1999 und 2002 jährlich rund 600.000 Mark von Kirch kassierte.

Wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft holt die Staatsanwaltschaft zum großen Schlag aus

Noch heikler als das in Münster anhängige Verfahren wegen Steuerhinterziehung waren für Möllemann die von der Staatsanwaltschaft Düsseldorf geführten Ermittlungen wegen Verstoßes gegen das Parteiengesetz, Betrug und Untreue. Hier war man nicht bereit, das Verfahren mit einer Geldstrafe zu beenden. Anscheinend bot man ihm zwar ebenfalls einen Strafbefehl an, was Möllemann die Peinlichkeit einer öffentlichen Gerichtsverhandlung erspart hätte. Man bestand aber darauf, daß er ein umfangreiches Geständnis ablege und eine Freiheitsstrafe akzeptiere.

Obwohl diese Freiheitsstrafe in jedem Falle zur Bewährung ausgesetzt worden wäre, wollte Möllemann sie nicht akzeptieren. Daraufhin holten die Ermittler zu einem großangelegten Schlag aus, um soviel Beweismaterial wie nur möglich zusammenzubekommen. Im Vorfeld der Aktion beantragten sie die Aufhebung von Möllemanns Immunität als Bundestagsabgeordneter. Dem Antrag, der am 4. Juni 2003 beim zuständigen Bundestagsausschuß einging, wurde bereits am folgenden Tag vom Parlament stattgegeben. Unmittelbar danach schlugen die Ermittler los: An 13 Orten in Deutschland, Luxemburg, Spanien und Liechtenstein durchsuchten sie Büros, Banken und private Räume. Auch Möllemanns Ferienhaus auf Gran Canaria war dabei.

Politisches Kalkül war ebenfalls im Spiel. Ausgewählte Medienvertreter bekamen jedenfalls einen diskreten Hinweis, wo sie sich zu postieren hatten. Möllemann scheint dagegen von der Aktion erst Wind bekommen zu haben, als er am Morgen des 5. Juni aus dem Fenster seiner Wohnung in Münster blickte und das vereinte Aufgebot von Medien und Ermittlern sah, das auf die Aufhebung seiner Immunität durch den Bundestag wartete.

Möllemann rief seinen alten Freund Wolfgang Kubicki an, den Vorsitzenden der FDP-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein: "Vor meinem Haus stehen Autos mit Fernsehschüsseln, auch ein paar Wagen mit Düsseldorfer Kennzeichen. Kannst du mir sagen, was das bedeutet?" Und Kubicki antwortete: "Gleich bekommst Du Besuch von der Staatsmacht." Außerdem will Kubicki seinem Freund geraten haben, sich zu entspannen, denn das sei "nur eine PR-Aktion der Staatsanwälte".

Selbstmord wenige Minuten nach Aufhebung der Immunität

Die Aufhebung der Immunität durch den Bundestag erfolgte um 12.19 Uhr. Möllemann wartete den Besuch der Staatsmacht aber nicht ab, sondern fuhr mit Verspätung zum Flughafen Marl-Loemühle, wo er sich mit neun anderen Sportskameraden zum gemeinsamen Fallschirmsprung verabredet hatte. Den ersten Sprung hatte er bereits verpasst. Beim zweiten Absprung, der um 12.30 Uhr begann, verließ er als zweitletzter die Maschine und stürzte sich aus 1500 Meter Höhe in die Tiefe. Wie üblich öffnete sich der Hauptfallschirm. In etwa 600 Metern Höhe warf Möllemann den Fallschirm aber ab und fiel wie ein Stein zur Erde. Er schlug in einigen hundert Metern Entfernung vom Flughafen auf einem Feld auf.

Möllemann war offenbar mit Absicht in den Tod gesprungen: Er hatte nicht nur den Hauptfallschirm abgeworfen und den Notschirm nicht gezogen, sondern auch das automatische Rettungssystem außer Funktion gesetzt, das selbst bei Bewusstlosigkeit den Notschirm auslöst.

Man werde den Verstorbenen "stets ehrenvoll im Gedächtnis behalten", schrieb FDP-Chef Westerwelle in einem Kondolenzbrief an Möllemanns Witwe Carola. Diese schickte den Brief ungeöffnet zurück.

Aus den Unterlagen, die den Ermittlern bei der Razzia am 5. Juni in die Hände gefallen waren, wurde nun auch der Geldbote ersichtlich, der von Möllemanns geheimem Konto in Luxemburg eine Million Euro zur Bezahlung des Faltblatts abgehoben hatte: Es war nicht der Landesgeschäftsführer Kuhl, wie die Staatsanwalt zunächst vermutet hatte, sondern der frühere FDP-Bundesgeschäftsführer Fritz Goergen. Der Möllemann-Vertraute hatte sich die Summe in 500-Euro-Scheinen ausbezahlen lassen. Möllemann gab das Geld am folgenden Tag an Kuhl weiter, der damit das frisch eingerichtete "Spendenkonto" zur Bezahlung der Postwurfsendung füllte und einen weiteren Betrag zur Bezahlung der Druckkosten auf das Landeskonto der FDP transferierte.

Wenige Tage nach Möllemanns Tod erlebte Michel Friedman, den Möllemann in seinem Faltblatt so wütend attackiert hatte, einen Absturz anderer Art: Der Fernsehmoderator und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland wurde von der Polizei mit Kokain erwischt und entpuppte sich als Kunde osteuropäischer Zuhälterbanden, die Zwangsprostituierte als "naturgeile Ukrainerinnen" anboten. Er war offenbar tatsächlich so halbseiden wie er aussah und auftrat. Friedmans Karriere war damit vorläufig zu Ende. Aber er ließ sich nicht unterkriegen, bereute publikumswirksam und bastelte an seinem Wiederaufstieg. Ein echter Möllemann des Fernsehens ...

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