Udo Leuschner / Geschichte der FDP (24)

11. Bundestag 1987 - 1990


Auf absteigendem Ast

Der erneuerten CDU/FDP-Koalition unter Helmut Kohl schwinden die Chancen auf eine Wiederwahl

Die Bundestagswahlen vom 25. Januar 1987 stärkten die FDP, die sich seit den letzten Landtagswahlen wieder im Aufschwung befand, auch auf Bundesebene: Mit einem Zuwachs um 2,1 auf 9,1 Prozent und 48 Mandaten war sie nun fast gleichauf mit der CSU. Einer Analyse des Infas-Instituts zufolge kam der Stimmengewinn hauptsächlich von den Unionsparteien, die per Saldo 0,8 Millionen Wähler an die FDP verloren. Auch beim Wähleraustausch mit der SPD konnte die FDP einen positiven Saldo verbuchen.

Zu den Gewinnern der Wahl zählten ferner die Grünen, die sich von 5,6 auf 8,3 Prozent verbesserten und damit zum zweitenmal in den Bundestag einzogen. Für sie spielte die SPD, die per Saldo 0,6 Millionen Wähler an die Grünen abgeben mußte, eine ähnliche Rolle als Blutspender wie die Unionsparteien für die FDP.

Verlierer waren die beiden großen Parteien. Besonders überraschten die Einbußen der Unionsparteien, die mit 44,3 Prozent (minus 4,5 Prozentpunkte) ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 erzielten. Die SPD behauptete sich dagegen mit einem Verlust von 1,2 auf 37,0 Prozent besser, als erwartet worden war (die traditionelle Partei der Linken sah inzwischen ziemlich alt aus gegenüber der neuen Konkurrenz von den Grünen, die durch die Katastrophe am 26. April 1986 im Kernkraftwerk Tschernobyl zusätzlich Oberwasser bekommen hatte).

Der FDP-Vorsitzende Bangemann und Außenminister Genscher äußerten sich sehr zufrieden über das Wahlergebnis, das die politische Linie der FDP bestätigt habe. Generalsekretär Helmut Haussmann nannte als Gründe für den Stimmenzuwachs "Genschers Entspannungspolitik, Bangemanns Wirtschaftspolitik und die Steuersenkungs- und Umweltpolitik". Haussmann hatte 1984 Irmgard Adam-Schwaetzer abgelöst, die das Amt des Bundesschatzmeisters übernahm.

Kohl wird nur mit knapper Mehrheit gewählt - FDP erhält wieder viertes Ministerium

Noch am Wahlabend bekräftigten Union und FDP ihren Willen zur Fortsetzung der Koalition. Helmut Kohl war auf den Partner mehr denn je angewiesen: Bei seiner Wiederwahl durch den Bundestag am 11. März 1987 bekam er in geheimer Abstimmung gerade vier Stimmen mehr, als erforderlich waren. Demnach hatten ihm 15 der anwesenden Koalitionsabgeordneten die Zustimmung verweigert. Es gab kaum einem Zweifel, daß diese Opponenten eher in den Reihen der Union als denen der FDP saßen...

Im neuen Kabinett besetzte die FDP dieselben Ministerien mit denselben Personen: Genscher wurde wieder Außenminister, Bangemann Wirtschaftsminister und Engelhard Justizminister. Außerdem bekam sie mit dem Ministerium für Bildung und Wissenschaft wieder ein viertes Ressort, das Jürgen Möllemann übernehmen durfte.

Möllemann war ein Zögling Genschers. Zunächst CDU-Mitglied, war er 1970 in die FDP eingetreten und schon 1972 Bundestagsabgeordneter geworden. Sein eigentlicher Aufstieg in der Partei begann nach der "Wende", die er als Gefolgsmann Genschers durchsetzen half. Möllemann verstand es hervorragend, sich durch allerlei Effekthaschereien ins Gespräch zu bringen. So sprang der Oberstleutnant der Reserve, der seinen Wehrdienst bei den Fallschirmjägern absolviert hatte, wiederholt bei Wahlkämpfen mit dem Fallschirm ab. Mit den Jungdemokraten, die ein Ausschlußverfahren gegen ihn betrieben, stand er frühzeitig auf Kriegsfuß. Aber das konnte ihm nach der "Wende" nur förderlich sein. Der wendige Karrierist wurde 1982 "Staatsminister" im Auswärtigen Amt - ein Titel, der den parlamentarischen Staatssekretären im Außenministerium und Kanzleramt vorbehalten war - und saß seit 1983 dem wichtigen Landesverband Nordrhein-Westfalen vor.

Machtkampf innerhalb der CDU

Die neue Koalition hatte nur geringe Aussichten, die nächsten Bundestagswahlen zu überstehen: Die geschwächte CDU mußte auch bei fast allen Landtagswahlen der 10. Legislaturperiode Stimmenverluste hinnehmen. Laut einer Allensbach-Umfrage war die Zustimmung der Wähler zur Union auf katastrophale 33,4 Prozent gesunken. Innerparteilich tobte ein Machtkampf zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und seinen Gegnern, die Kohl für die anhaltende Misere verantwortlich machten. Unter anderem sollte er wenigstens den Parteivorsitz freimachen, wobei der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth als Nachfolger ins Spiel gebracht wurde. Als Kohl eine Kabinettsreform ankündigte, lehnte CDU-Generalsekretär Heiner Geißler den ihm angebotenen Ministerposten ab. Der Ex-Generalsekretär Kurt Biedenkopf mahnte "inhaltliche Perspektiven" anstelle personeller Umbesetzungen an. Kohl revanchierte sich auf dem CDU-Parteitag im September 1989, indem er Geißler nicht mehr als Generalsekretär vorschlug und für die Abwahl Späths aus dem Präsidium sorgte. Die Kaltstellung der fähigsten Köpfe der CDU trug ihm jedoch heftige innerparteiliche Kritik ein. Weitere Pyrrhussiege dieser Art konnte Kohl sich nicht leisten.

Bangemann setzt sich nach Brüssel ab

Vergleichsweise besser ging es der FDP, die sich noch 1983 vorm Fallbeil der Fünf-Prozent-Klausel gefürchtet hatte, als Kohl vorzeitige Neuwahlen durchsetzte. Der Wähleraustausch war inzwischen gelungen, so daß sie von der Unzufriedenheit mit der CDU nur profitieren konnte. Entsprechend folgten den Stimmengewinnen bei den Bundestagswahlen weitere Erfolge bei den Landtagswahlen in Hamburg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Bremen.

Im Frühjahr 1988 mußte aber auch die FDP herbe Rückschläge bei den Landtagswahlen erleben. Vor allem das erneute Ausscheiden aus dem Kieler Landtag rief Kritik am Zwangsbündnis mit der CDU und an der Linie des Bundesvorstands hervor. Der FDP-Vorsitzende Bangemann fühlte, wie an seinem Stuhl gesägt wurde. Er trat die Flucht nach vorn an, indem er am 19. Mai öffentlich ankündigte, als EG-Kommissar nach Brüssel zu wechseln. Anschließend wolle er sich mit Hilfe der Bundesregierung zum Präsidenten der EG-Kommission wählen lassen. Seine Ämter als Parteivorsitzender und Bundeswirtschaftsminister werde er deshalb zum Jahresende abgeben.

Lambsdorff neuer Parteivorsitzender - Haussmann wird Wirtschaftsminister

Auf dem FDP-Bundesparteitag im Oktober 1988 in Wiesbaden bewarben sich der frühere Bundeswirtschaftsminister Lambsdorff und die Bundesschatzmeisterin Irmgard Adam-Schwaetzer um die Nachfolge Bangemanns als Parteivorsitzender. Lambsdorff machte mit 211 gegen 187 Stimmen das Rennen. Für den ehemaligen Spendenbeschaffer der FDP, der in der Flick-Affäre wegen Bestechlichkeit angeklagt und rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden war, ging es dabei auch um die Wiederherstellung seines Ansehens inner- und außerhalb der Partei. Seine Konkurrentin mußte sich mit dem Posten der Stellvertreterin begnügen. Weitere Stellvertreter wurden Wolfgang Gerhardt und Gerhart Rudolf Baum. Da der bisherige Generalsekretär Helmut Haussmann die Nachfolge Bangemanns als Wirtschaftsminister antreten sollte, wurde die Berliner Senatorin Cornelia Schmalz-Jacobsen zur neuen Generalsekretärin bestellt.

Trauer um Franz Josef Strauß

Der Bundesparteitag der FDP wurde am Eröffnungstag unterbrochen, um der Führungsspitze Gelegenheit zu geben, an den Trauerfeierlichkeiten für Franz Josef Strauß teilzunehmen, der am 3. Oktober 1988 im Alter von 73 Jahren gestorben war. Die Trauer um den langjährigen Widersacher und unfreiwilligen Wahlhelfer der FDP war wohl echt. Bangemann würdigte den Verstorbenen als "großen, die Geschicke des Landes mitbestimmenden Politiker". Er werde "in Erinnerung bleiben als ein Kristallisationspunkt deutscher Politik".

In Hessen reicht es zur Koalition mit der CDU

Bei den Landtagswahlen hielt der Aufwärtstrend für die FDP zunächst an. Bei den Landtagswahlen am 5. April 1987 in Hessen verbesserte sie sich leicht von 7,6 auf 7,8 Prozent und errang neun Mandate. Im Gesamtergebnis verfügten nun CDU und FDP über zwei Stimmen mehr im Landtag als SPD und Grüne. Die bisherige knappe Mehrheit zugunsten von Rot-Grün hatte sich damit genau umgekehrt. Am 23. April wurde Walter Wallmann (CDU), der 1982 knapp gescheitert war, mit 57 von 110 Stimmen zum neuen hessischen Ministerpräsidenten gewählt. Von den neun Ministern seines Kabinetts gehörten zwei der FDP an: Wolfgang Gerhardt als stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Wissenschaft, Kunst und Bundesangelegenheiten sowie Alfred Schmidt als Wirtschaftsminister.

Nach neun Jahren wieder in der Hamburger Bürgerschaft

Am 17. Mai 1987 konnte die FDP in Hamburg 6,5 Prozent erringen und so nach neunjähriger Pause wieder in die Bürgerschaft einziehen. Bereits im Wahlkampf hatte sie die Bereitschaft zu einer Koalition mit der SPD angedeutet, falls es der CDU wieder nicht gelingen sollte, die Patt-Situation zu überwinden, die sich aus der Präsenz der "Grün-Alternativen Liste" ergab. Nachdem die CDU sogar Verluste hinnehmen mußte und die SPD deutlich zulegte, kam es so in Hamburg zur ersten SPD/FDP-Koalition nach der "Wende".

Dem CDU-Generalsekretär Heiner Geißler schien das Hamburger SPD/FDP-Bündnis "allemal besser" zu sein als eine große Koalition. Es gebe deshalb keine Verstimmung zwischen den Bonner Koalitionspartnern, versicherte er. "Man muß in einem Land die Regierungsfähigkeit herstellen, die das Land braucht."

Erfolge in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Bremen

Am selben Tag wie in Hamburg gelang der FDP in Rheinland-Pfalz der Wiedereinzug in den Landtag: Mit 7,3 Prozent konnte sie ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln, während die CDU die absolute Mehrheit verlor und um fast sieben Prozentpunkte abrutschte. Die Christdemokraten benötigten nun die FDP wieder dringend als Koalitionspartner. - Bald werde es keine Landesregierung mehr ohne die FDP geben, glaubte der FDP-Vorsitzende Bangemann prophezeien zu können.

Die nächsten beiden Landtagswahlen am 13. September 1987 schienen Bangemann Recht zu geben: Sowohl in Schleswig-Holstein (5,2 Prozent) als auch in Bremen (10,0 Prozent) konnte die FDP ihren zuletzt errungenen Stimmenanteil mehr als verdoppeln und in die Landesparlamente zurückkehren. In Bremen stellte sich die Koalitionsfrage nicht, da hier die SPD ihre absolute Mehrheit knapp behaupten konnte. In Kiel dagegen war die CDU auf die Hilfe der FDP angewiesen, um weiter regieren zu können.

In Stuttgart nur noch "parlamentarische Gruppe"

Im folgenden Jahr ging es dann aber bergab: Bei den Landtagswahlen am 20. März 1988 in Baden-Württemberg erzielte die FDP nur 5,9 Prozent der Stimmen gegenüber 7,2 Prozent bei den vorherigen Wahlen. Von der allein regierenden CDU wurde sie weiterhin nicht benötigt. Zudem verlor sie im Landtag den Fraktionsstatus. Mit nur noch sieben Abgeordneten sank sie auf den Status einer "parlamentarischen Gruppe" herab, wie ihn von 1980 bis 1984 die Grünen besaßen, die danach die FDP überholten und seitdem die drittstärkste Fraktion im Landtag stellten.

Innerparteilicher Krach wegen Fiasko in Schleswig-Holstein

Noch schwerer zu verdauen war das Ergebnis der vorgezogenen Neuwahlen am 8. Mai 1988 in Schleswig-Holstein. Diese fanden vor dem Hintergrund der Barschel-Affäre statt, die bereits kurz vor den letzten Wahlen vom 13. September 1987 ins Rollen gekommen war: Damals enthüllte der "Spiegel" allerlei illegale Praktiken, mit denen der CDU-Ministerpräsident Uwe Barschel versucht haben soll, seinen Rivalen Björn Engholm von der SPD auszuschalten. Barschel mimte zunächst die verfolgte Unschuld. Nachdem sich wesentliche Teile der Anschuldigungen erhärteten und auch die eigene Partei zu dem inzwischen zurückgetretenen Ministerpräsidenten auf Distanz ging, beging er Selbstmord: Am 11. Oktober 1987 wurde Barschel in einem Genfer Hotel tot in der Badewanne aufgefunden.

Die FDP setzte eindeutig aufs falsche Pferd, als sie sich vor den Neuwahlen auf eine Koalition mit der kompromittierten CDU festlegte. Mit nur noch 4,4 Prozent flog sie erneut aus dem Landtag, in dem sie knapp ein Jahr lang vertreten gewesen war. Da die SPD mit Engholm die absolute Mehrheit errang, wäre die FDP sowieso nicht als Koalitionspartner in Frage gekommen. Mit ziemlicher Sicherheit wäre sie aber im Landtag geblieben und hätte wie die SPD vom Unmut der Wähler profitieren können, wenn sie sich taktisch klüger verhalten hätte. Der stellvertretende Landesvorsitzende Wolfgang Kubicki forderte deshalb den Rücktritt des Spitzenkandidaten Zumpfort. Die Mehrheit des FDP-Bundesvorstandes stellte sich aber hinter den Landesvorsitzenden Zumpfort und erteilte Kubicki eine schwere Rüge. FDP-Generalsekretär Helmut Haussmann sprach von einem "koalitionspolitischen Opfer", das die FDP in Schleswig-Holstein habe bringen müssen. Der Parteivorsitzende Martin Bangemann behauptete ebenfalls, eine Koalitionsaussage für die SPD sei nicht möglich gewesen.

In Berlin mehr als halbiert

Der nächste Nackenschlag - inzwischen war Bangemann als Parteivorsitzender durch Lambsdorff abgelöst worden - kam am 29. Januar 1989: Bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus erlitt die seit 1981 regierende Koalition eine schwere Niederlage. Die CDU stürzte von 46,4 auf 37,8 Prozent und die FDP von 8,5 auf 3,9 Prozent. Die Rolle der dritten Kraft spielte nun die "Alternative Liste", die stattliche 11,8 Prozent errang und mit der SPD den neuen Senat bildete. Außerdem erzielten die rechtsextremen "Republikaner" auf Anhieb 7,5 Prozent.

Trostpflaster Europa-Wahl

Zufrieden sein konnte die FDP nur noch mit ihrem Abschneiden bei den Europa-Wahlen am 18. Juni 1989: Der Zugewinn von 0,8 auf 5,6 Prozent reichte aus, um dieses Mal die Fünf-Prozent-Hürde wieder zu überwinden und vier Abgeordnete nach Straßburg zu entsenden.

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